Middle Kids
„Today We’re The Greatest“
(Domino Records)
Natürlich ist es einfacher, wenn man für den Einstieg in die Rezension eine kleine Geschichte ausgraben kann – Stadt, Land, Leute, irgendetwas Außergewöhnliches, Besonderes, ein Anhaltspunkt nur. Doch bei den Middle Kids? Fehlanzeige. Selbst die Behauptung, die Musik des Trios aus Sydney klänge typisch australisch, würde keine Minute Bestand haben, denn wer hierfür die durchschnittliche Anzahl an Tages-Sonnenstunden ins Feld führen wollte, hat die Rechnung ohne Nick Cave und Dead Can Dance gemacht. Belassen wir es also dabei, wer eine Sängerin mit Namen Hannah Joy und einen Song wie „Questions“ im Programm hat, muss sich ohnehin für nichts und vor niemandem rechtfertigen. Dieses Lied nämlich erzählt von einer ziemlich traurigen, ja regelrecht deprimierenden Zweierbeziehung und gibt der verzweifelten Frau eine Stimme, die ihr ganzes Elend beklagt, den versoffenen Partner also mit all seinen Beteuerungen, die doch nur Lügen sind und ihr jede Luft zum Atmen, jede Hoffnung nehmen. „And how are we supposed to dance and kiss, when we are sighing all the time…“ heißt es da und dennoch tanzt diese Frau am Ende, klingt der Song so fabelhaft trotzig mit seinen Bläsern, dass es einen schlicht umhaut und man nicht anders kann als staunend und angerührt mitzuwippen. „Dancing with tears in my eyes“ – for real.
Nun ist nicht jeder Song auf dem Album ein solcher Knaller. Die Middle Kids kommen ja eher vom Rock und haben diesem auf ihrem Debüt „Lost Friends“ 2018 auch kräftig Futter gegeben. Nicht so auf dem Nachfolger, hier mischen sich einige poppige („R U 4 Me?“) oder auch nachdenkliche, getragene Töne ins Repertoire. Zwar gibt es mit „I Don’t Care“ einen veritablen Kracher, der sich selbst Mut zuspricht und ordentlich gegen Konventionen rebelliert. Zumeist wirkt Hannah Joy aber eher grüblerisch. Das mag ihrer neuen Rolle als Mutter geschuldet sein – viele der Stücke, so liest man, sind noch zur Zeit ihrer Schwangerschaft Anfang 2020 entstanden und manche klingen deshalb, als wolle sie dem Nachwuchs ein paar tröstliche und ermutigende Gedanken mit auf den Weg geben. Bei „Cellophane (Brain)“ beispielsweise geht es um die Fähigkeit, sich selbst zu erkennen und in der Unvollkommenheit anzunehmen, bei „Summer Hill“ wiederum um Mut, mögliche Auswege und Neuanfänge. Beistand, Vertrauen, Selbstwertgefühl, diese Dinge scheinen nun viel wichtiger und aus dieser Quelle schöpft schließlich auch der Titelsong: „Someday we'll be gone, but today we're the greatest, even though we feel so small, are you here where we are? 'Cause today we're the greatest“, so heißt es dort. Für den Moment also alles bestens.
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