Dienstag, 18. Mai 2021

Black Country, New Road: Außer Atem [Update]

Black Country, New Road
„For The First Time“

(Ninja Tune)

Was Hans eine eherne Regel ist, sollte nach einiger Zeit auch für Hänschen gelten, heißt – was Journalist*innen ohnehin schon verinnerlicht haben, dürfen auch Blogger*innen beherzigen. Hier: Der Umgang mit Superlativen sollte ein sehr sorgsamer sein. Denn wer zu früh zu viel jubelt, dem gehen auf der Zielgeraden (also zum Jahresende) die Argumente resp. Attribute aus. Auch und gerade im Musikbusiness. Dabei ist es so unstrittig wie erstaunlich, dass in jeder Saison so viele ungemein gute Songs und Alben veröffentlicht werden – immer dann also, wenn man meint, das vergangene Jahr sei nicht mehr zu toppen, kommt dann doch ein noch besseres daher. Gut möglich aber auch, dass es vielen Kandidat*innen beim Start an der nötigen Schubkraft fehlt, wenn nicht irgendwann wer das Schreien anfängt. Vielleicht hätten sich dann die folgenden Jahre ganz anders ausgenommen – 1991 (Nevermind), 1997 (OK Computer), 2001 (Is This It?), 2009 (XX), 2010 (My Beautiful Dark Twisted Fantasy) oder 2019 (When We Fall Asleep, Where Do We Go?), um nur ein paar aktuellere Beispiele zu nennen…

Das Geschrei, wenn wir es denn mal so nennen wollen, um diese siebenköpfige Truppe aus London hat natürlich schon längst angehoben, wir stimmen hier also lediglich in die große Lobeshymne ein. Von der, das darf man glauben oder nicht, jedes Wort verdient und wahr ist. Denn Black Country, New Road definieren unter dem Etikett „Jugend musiziert“ das Thema Zusammenspiel im Verbund einmal mehr neu. Sieht oder hört man den Musiker*innen um Sänger Isaac Wood bei der Arbeit zu, dann spürt man förmlich die Ernsthaftigkeit, die Mühe und letztlich die daraus entstehende Strahlkraft ihrer Songs. Ganze sechs Stück sind es auf dem Debütalbum, die meisten davon in Überlänge, „grower“ (wie man so schön sagt) allesamt. Die Band hat grundlegende Geheimnisse des Songwritings trotz ihres doch noch sehr kurzen Bestehens auf beachtliche Weise bereits verinnerlicht. Melodien, Wiederholungen, Spannungen, Reizpunkte, Dramatik, Emotion, all das ist ihnen offensichtlich vertrautes Handwerkszeug.



Und so schaffen sie es, auf einer Vielzahl von Instrumenten eine ebensolche Vielzahl von Stilen miteinander zu verknüpfen, die einen von der ersten bis zur letzten Minuten fesseln. Post-Punk, No-Wave, Gypsie, Klezmer, Brass, Jazz, sie bieten vieles auf und gehen trotzdem nicht fehl. Und wenn ihnen ein Song mal zerfällt, dann ganz bewusst und nur, um sich gleich darauf (wie beim knapp zehnminütigen „Sunglasses“) Kräfte zu sammeln, neu Anlauf zu nehmen und das Finale umso furioser zu gestalten. Schon der instrumentale Anfang ein flirrendes, perkussives Intro mit hohem Tempo, bei „Athens, France“ erstmals Woods eigenartig zitternde Stimme, kein Gesang, eher Monologe. Energischer dann für „Science Fair“, mehrere Tempiwechsel, nach jedem Wiederbeginn drängender, schräge Gitarreneinschübe, ebenso wilde Saxophonparts. Alles außer Atem.



Als sie kürzlich im Fernsehen zu bewundern waren, sah man auch die Konzentration, mit welcher sie zu Werke gehen. Und den Spaß, den es ihnen bereitet, wenn alles wie gewünscht ineinandergreift und gelingt. Man fühlt sich an die frühen Arcade Fire erinnert, als sie noch mit „Funeral“ durch die kleinen Clubs tourten. Und Richard Parry einen Motoradhelm trug, auf dem sich die restliche Band auf’s feinste austoben resp. -trommeln durfte. Nur dass es eben bei Black Country, New Road eine Spur ernster zur Sache geht. Schließlich dreht es sich in den Songs ja um nicht weniger als das Leben, und das besteht in diesem Alter nun mal aus Ängsten, Sehnsüchten, aus Nervosität, aus Peinlichkeiten, Lust, Liebe, Schmerz und unendlicher Einsamkeit. Coming of age klänge an dieser Stelle viel zu formell, als dass es den Wirrnissen dieser Zeit gerecht werden könnte. Jetzt also erst mal diese phänomenale Platte, dieser Geniestreich. Man wird sehen, was weiter daraus wird.

23.10.  Köln, Bumann und Sohn
06.11.  Zürich, Bogen F
09.11.  Berlin, Lido
11.11.  Leipzig, UT Connewitz
12.11.  Hamburg, Hafenklang

Update: Man möchte es nicht glauben (okay, man hat es ehrlicherweise doch gewusst), aber selbst in der akustischen Variante sind Black Country, New Road - hier mit ihrem "Track X" - der Hammer.



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