Lankum
„The Livelong Day“
(Rough Trade)
Wir haben da dringend etwas nachzuholen aus dem vergangenen Jahr: Wer sich daranmacht, irische Folkmusik zu beschreiben, läuft Gefahr, alle Vorsicht fahren zu lassen, schnell landet dann ein Schwall blumig-gefühliger Sehnsuchtsworte auf dem Papier resp. Display – Dinge wie Naturgewalten, unberührte Schönheit oder rauher Charme – und in nullkommanix hat man den Salat bzw. eine riesige Reisebloggerei. Nun, das wird einem mit Lankum aller Voraussicht nach nicht so schnell passieren, was vor allem damit zu tun hat, dass sich die Musik des Dubliner Quartetts jeder allzu schnellen Vereinnahmung verweigert – zu sperrig, zu wenig lieblich, mit volksmusikalischen Maßstäben nicht zu fassen. Gut so. Was Lankum auf ihrem dritten Album (das erste „Cold Old Fire“ entstand noch unter dem Namen Lynched nach den Gründern Ian und Daragh Lynch) bieten, läßt sich tatsächlich schwer in Worte fassen, irgendwo zwischen den Doom- und Noisepionieren Swans und Sunn O))) auf der einen Seite und der frühen Mystik von Dead Can Dance auf der anderen. Und das alles größtenteils mit den Mitteln des traditionellen Folk, tief verwurzelt in der irischen Geschichte.
Acht Stücke finden sich auf „The Livelong Day“ und kaum eines gleicht dem anderen. Der Opener „The Wild Rover“ baut sich über zehn Minuten zu einem gewaltigen, dramatischen Dröhnen auf und beruht in Teilen tatsächlich auf einer Musik, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht, es darf allerdings bezweifelt werden, dass es zuvor jemals mit solch einem Furor gespielt wurde. Das folgende „The Young People“ ist schottischen Ursprungs und etwas heller gehalten, eine fast träumerische Beobachtung jugendlichen Überschwangs: „When the young people dance, they do not dance forever, it is written in sand with the softest of feathers. It is not writen in stone, like the walls of the chapel and soon it is gone like the soft winters apple.” Es folgen mit “Ode To Lullaby” und “Bear Creak” zwei spannende Instrumentals, bei ersterem kommt zum experimentellen Drone noch eine Portion Jazz hinzu, in letzteres schleicht sich (sehr zur Freude aller unverbesserlichen Traditionalisten) sogar so etwas wie beschwingt fidelnde Tanzstimmung ein.
Die folgende Ballade „Katie Cruel“ gehört sicher zu den stärksten Stücken, sie geht, so liest man in den Linernotes, auf den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zurück und war dort ursprünglich als Marschlied gedacht. Radie Peat gibt hier die unnahbare Einzelkämpferin auf der Suche nach einem Ort zum Bleiben und wohl auch ein Stück weit nach sich selbst, die Lyrics dazu von schroffem, sarkastischem Charme: „Well when I first came to town, they called me the roving jewel, now they've changed their tune, they call me Katie Cruel. And when I first came to town, they bought me drinks a'plenty, now they've changed their tune, hand me the bottles empty.” Kurz vor Schluß (nach einer weiteren Ballade) dann noch mit “The Pride Of Petravore” ein weiteres instrumentales Stück und zwar eines von ungestümer Wucht, hier vibriert und donnert das komplette Instrumentarium in einer Lautstärke, gegen die sich die Trompeten von Jericho wie eine westfälische Schützenkapelle ausnehmen. Fraglich, ob die zerklüfteten Ruinen des Landes diesem Getöse standhalten können. Bleibt zu hoffen, dass Lankum zukünftig nicht mit Liveterminen geizen, man möchte diesen ungewöhlichen Sound nur zu gern unmittelbar und ungefiltert erleben.
21.04. CH, Stans, Stanser Musiktage
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