Slowthai
„TYRON“
(Polydor/Universal)
Okay, die Trennung von Werk und Autor ist hier wohl noch nicht drin. Dafür ist der Junge zu frisch auf der großen Bühne. Und er will’s wohl auch gar nicht. Tyrone Kaymone Frampton alias Slowthai stürmte eben jene Bühne vor zwei Jahren mit seinem Debüt „Nothing Great About Britain“ – furioser Grime, wild, weird, unangepasst und durchaus politisch. Viele Preise, hymnische Kritiken, Senkrechtstart. Der zu Tage brachte, was er eben auch war und ist: jung, unerfahren, blauäugig und in Teilen unbelehrbar. Denn seit er sich auf einer NME-Gala danebenbenahm, gibt’s zu seiner Namensnennung auch immer den von Moderatorin Katherine Ryan dazu. Und von diesem Moment an rollte die Geschichte ziemlich schneeballmäßig und gilt nun als gutes (oder eben schlechtes) Beispiel dafür, wie Medien, Stars und auch wir Zuhörer*innen so funktionieren. Der Umgang mit dem besagten Fehltritt spielt die komplette Klaviatur der angeblich so sozialen Netzwerke und der grassierenden Empörungsunkultur auf der einen Seite und misogyner Altmännerdenke und „money runs the world“ auf der anderen. Hier rebelliert der mediale Lynchmob, der dem Kerl am liebsten ein für alle Mal den Strom abdrehen würde, dort wiegelt man ab, war doch nur ein Ausrutscher, kann schon mal vorkommen, macht er nicht wieder, verkauft sich aber ganz gut. Extreme allerorten, Zwischentöne kaum – „same old shit, just another day“.
Keine Ahnung, wie viele Gedanken er sich seitdem über jenen Abend und seine Folgen gemacht hat, öffentlich zu Kreuze gekrochen ist Slowthai jedenfalls nicht und seine postskandale Single „ENEMY“ klang auch nicht gerade nach der großen Selbstgeißelung. Dieses zweite Album aber zeigt, dass er wenigstens mit den Umständen hadert – im Rahmen seiner Möglichkeiten, muss man anfügen. Auf der einen Seite gibt er nach wie vor das vorlaute Großmaul, das in „CANCELLED“ provokant behauptet, er könne ja gar nicht abgesetzt und ausgeblendet werden, weil er ja schon zu erfolgreich, zu dick im Geschäft sei. Nun ja, mangelndes Selbstbewusstsein war sein Problem noch nie. Andererseits müht er sich, seine Kindheit zwischen Dreck, Suff, Kriminalität und Drogen („45 SMOKE“, „VEX“) als Grund für manche Verfehlung aufzuführen und tatsächlich ist von einem Jungen aus dem armen Industrie-Vorort Londons mit kaputter Familie und jeder Menge Problemen am Hals keine Vorbildfunktion zu erwarten. Dass er nicht wie viele andere zum Dealer oder Gangster eingestempelt hat, sondern auf Rap-Star umschulte, ist da tatsächlich schon ein kleines Wunder. Als Entschuldigung für dummes Benehmen ist es aber trotzdem nur bedingt tauglich.
Er wird jedenfalls, soviel ist sicher, noch länger mit seinem Image zu kämpfen haben. Ob er sich für den Pfad der Guten und Gerechten entscheidet, wird man sehen – an Talent für den dauerhaften Erfolg mangelt es ihm – siehe Selbstbewusstsein – ebenso wenig. Die Tatsache, dass er hier eine Art Konzeptalbum mit zwei verschiedenen Kapiteln abliefert, zeugt von erfreulichem Mut. Hälfte eins mit den schnellen Rhymes, den irren Beats und bekannten Gästen Part 1 auf der Payroll (Skepta, A$AP Rocky) klingt erwartungsgemäß und schielt dennoch nicht nach dem schnellen Hit. Hälfte zwei geht dann deutlich abgebremst, erstaunlich soulful und nachdenklich ins Rennen und ist deshalb vielleicht sogar die interessantere. Selbstzweifel hier, Familie, Besinnung, diese Seite des sonst so hochgepitchten Treibaufs soll überraschen und genau das gelingt auch. Ein Soli-Song mit Piano für die „nhs“ daheim, Seelenstriptease bei „adhd“, die Gästeschar Part 2 mit Denzel Curry, James Blake und Mount Kimbie veredelt erwartbar gekonnt. Der vorsichtige Versuch einer Versöhnung auf Umwegen dann mit der einzigen weiblichen Partnerin am Mikrophon – „push“ featuring Deb Never ist auch deshalb der heimliche Favorit des Albums. Es wird sich weisen, ob er seine Chancen nutzt. Und ob man ihn lässt. Das hier ist ein erster Anfang.
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