Donnerstag, 30. Juli 2020

Protomartyr: Der Sommer und der Schmerz [Update]

Protomartyr
„Ultimate Success Today“
(Domino Records)

Mit der Behauptung, die Detroiter Post-Punk-Formation Protomartyr habe mit diesem, ihrem fünften Album die perfekte Sommerplatte abgeliefert, werden wir sicherlich einiges Kopfschütteln ernten. Nicht so voreilig. Wer sagt denn, dass Musik für diese Jahreszeit immer knallbunt und quietschfidel zu klingen hat? Wir reden schließlich nicht von irgendeinem Sommer, sondern vom jetzigen und der ist nun mal – dem Virus sei Dank – in vielerlei Hinsicht ein ziemlich trüber geworden. Insofern passt es ganz gut, dass Joe Casey mit „Ultimate Success Today“ sein bislang dunkelstes Werk besungen hat – depressive Selbstbetrachtungen und düstere Voraussagen treffen auf schroffe, schiefe Gitarrenwände, die irrlichternden Saxophonparts, die jetzt immer häufiger auftauchen, tragen auch nicht viel zur Erhellung der Szenerie bei.



Was sich ausnimmt wie das perfekte Storyboard zur Krise, hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Protomartyr haben die Songs schon Mitte letzten Jahres aufgenommen, als noch keiner ahnen konnte, wie sehr unsere Gesellschaft auf die Probe gestellt werden würde. Keine Coronaplatte also, auch wenn sie uns genauso klingt. Casey hat in zahlreichen Interviews erklärt, er sei dieses Album so angegangen, als ob es sein letztes werden würde, was bedrohlicher klingt, als es wirklich ist. Er wollte so wohl die Essenz seiner Gedanken und Emotionen in die einzelnen Stücke bekommen und das scheint ihm auf bedrückende Weise gelungen. Schon den Opener „Day Without End“ hätte wohl Ian Curtis auch nicht besser geschrieben: „An empty space, that’s the whole of me … a floating shadow of a hand across my heart“, heißt es dort, bevor zum ersten Mal die bittere Titel-Phrase „ultimate success today“ auftaucht, man wird sie noch öfters hören im Laufe der zehn Songs.



In der Folge viel Hadern, Raunen, Wüten – da ist der drohende Polizeistaat, den die Eliten schrittweise und ohne große Gegenwehr in Stellung bringen („Processed By The Boys“), wird in „The Aphorist“ Verschwörungstheorien nachgespürt. Auch das Sommerwetter („Summer in the city, bring me low“) kann Casey nicht aufheitern, selbst wenn ihm Kelley Deal von The Breeders zur Seite springt, besagtes „June 21“ (Update: Video) endet dann auch nach langen fade out mit unangenehmem Fliegensummen, die unschönen Bilder von Fäulnis und Verwesung sind schnell im Kopf parat. Der Zeitung Jungle World sagte er gerade dazu den Satz: „Die Dunkelheit kann am Tag viel schlimmer sein als in der Nacht" – wer diese Lieder hört, muss ihm das leider sofort glauben.



So richtig bitter und direkt wird es dann bei „Tranquilizer“, hier schmirgeln die Töne die letzte trügerische Oberfläche weg, übrig bleiben Schmerz, Angst und Sehnsucht nach Betäubung und also Erlösung („Dissolve the pain, relief again, tranquilizer, get out, sit down…“). Versöhnung und Trost sind erst dann zu erwarten, wenn das Leid begraben, man also als Wurm unter der Erde ist, „Worm In Heaven“ klingt denn auch so befreiend, wie nur ein endgültiger Abschied es sein kann. Seine Stimme sei nicht gemacht für feel-good-songs, so sagt Casey und trotzdem hoffe er (ob ernst gemeint oder nicht), dass er irgendwann auch mal ein richtig süßes „Happy-Album“ (Jungle World) zuwege bringe. Weil aber „Ultimate Success Today“ so ehrlich und anrührend geworden ist, weiß man nicht, ob dieser Wunsch jemals in Erfüllung gehen sollte. Irgendwie ist einem dieser Typ, mag er noch so traurig sein, auf diese Art viel näher.





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