Donnerstag, 18. Februar 2021

Tindersticks: Frischluft für Schattengewächse

Tindersticks
„Distractions“

(City Slang Records)

Niemand würde wohl bestreiten wollen, dass die Tindersticks aus der tiefsten Dunkelheit kommen und sich dort auch am wohlsten fühlen. Stuart A. Staples, deren Sänger, hat aus seiner Verehrung für Ian Curtis und Joy Division nie ein Hehl gemacht, schließlich hatte die Formation aus Nottingham mit dem fabelhaft schiefen „Jism“ ihr „Decades“ schon auf dem Debüt vorgestellt – mehr Ehrerbietung geht kaum. Und auch wenn sich in der Folge die klanglichen Wege trennten, auch wenn die Tindersticks nicht im Jammertal verharrten, sondern die Lust am gemeinsamen Musizieren in verschiedenste Richtungen trieben, der Hang zur Düsternis ist ihnen geblieben. Und so verwundert es nicht, dass auch das neue Album – das dreizehnte nach offizieller Zählung immerhin – trotz einiger Überraschungen ganz gern im Halbschatten und Zwielicht verbleibt. 

Stichwort Überraschung: Da kommt die größte gleich zu Beginn, denn der erste der sieben Songs zählt geschlagene elf Minuten und darf wohl als längster der Bandhistorie gelistet werden. Ein hypnotischer Basslauf gibt dem Stück das pulsierende Gerüst, Stimmloops, Synthesizer, so elektronisch hat man die Tindersticks noch selten gehört und Staples scheint sich in den neuen Sound richtiggehend einzugrooven. Natürlich wird nun aus den fünfen keine EDM-Projekt, nur weil sie mal den Stecker in die Dose gesteckt haben. Wie Staples berichtet, haben sie nur nach Abschluss der letzten, ebenfalls formidablen Platte „No Treasure But Hope“ alle gemeinsam den Drang verspürt, die Besetzung etwas rotieren zu lassen – Staples also öfter mal an den Bass, Drummer Harvin ans Keyboard und Bassist McKinna machte sich am Piano zu schaffen. Frischer Wind, neue Blickwinkel, es hat ihnen wohl gutgetan.

Auf das zarte „I Imagine You“ folgt dann mit den Stücken drei bis fünf erneut Bemerkenswertes, denn die entpuppen sich alle drei als Coverversionen: Den Anfang macht „A Man Needs A Maid“, ein 70er-Oldie von Neil Young, den Staples hier gemeinsam Gina Foster einsingt. Danach dann, selbes Zeitalter, „Lady With A Braid“ von Dory Previn – eigentlich ein klassischer Countrysong, dem Staples kurzerhand die Rimclicks des Goth-Hits „Bela Lugosi’s Dead“ von Bauhaus verpasst hat, womit wir wieder bei den unleugbaren Wurzeln dieser Kapelle wären. Denen werden sie dann bei Cover Nummer drei „You Have To Scream Louder“ ebenfalls gerecht. Das Original der TV Personalities aus der Mitte der 80er ist eigentlich ein ziemlich schroffes Gitarrenbrett, die Tindersticks allerdings lassen den Song wie einen verkapptes Reggae-Stück klingen. Was auch keine so schlechte Idee ist. Der politische Verweis ist hier natürlich bewusst gesetzt, denn Staples hat, wie man liest, so seine Zweifel, ob nicht die alten Gespenster gerade wieder am Spuken sind.

Dass dem lauten Punkrock das traurigste der Lieder folgt, ist ebenfalls Kalkül, denn „Tue-Moi“ soll an den Anschlag auf das Pariser Bataclan erinnern und ist folglich auf Französisch gesungen, einer Sprache übrigens, die bestens zum Habitus des Sängers passt. Neues schlussendlich auch für den letzten Track. Denn im knapp zehnminütigen „The Bough Bends“ übernimmt Staples beide Stimmen, erst ein Rezitativ, dazu als Erwiderung eine zusätzliche Gesangsspur. Beides überlappt, eine Art Zwiegespräch, untermalt von knirschenden Gitarren, die man so aus Jarmuschs grandios poetischer Agonie „Dead Man“ kennt (also noch einmal Neil Young, nochmals superdüster). Doch hier zwitschern am Ende die Vögel, wird es leicht, versöhnlich vielleicht. Keine Kammermusik mehr, auch nicht so experimentell wie beispielsweise noch „The Waiting Room“, sondern wieder auf ganz andere Weise spannend – die Tindersticks bleiben mit „Distractions“ eine Klasse für sich. Und uns die beste aller Ablenkungen.


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