Brandão Faber Hunger
„Ich liebe dich“
(Rough Trade)
Die meisten von uns werden sich, wenn sie einst an dieses Jahr zurückdenken, vor allem daran erinnern, was unser Handeln vornehmlich bestimmt hat: Zweifel gab es, Ungewissheit, Ängste, Sorgen, Hoffnung gab es und Trotz, aber auch Wut und Hadern. Die Momente ausgelassener Fröhlichkeit, der Ausschweifung und des ungetrübten Glücks waren rar gesät, Liebe und Zärtlichkeit schienen um so kostbarer. Der Soundtrack dazu ist schnell gefunden, Zorn, Hohn und Frust haben eigene Algorithmen generiert und werden Tag um Tag gefüttert, kein Ende in Sicht. Umso wertvoller deshalb ein Album wie dieses. Wir erinnern uns: Wie schwer fällt es einem selbst in unbeschwerten Tagen, Zuneigung, Hingabe und Sehnsucht in Worte zu fassen – ein „Ich hab dich lieb“ oder „Ich mag dich“ ist schnell dahingesagt, aber „Ich liebe dich“ kommt uns nur selten über die Lippen, kostet Überwindung, fordert unbedingte Wahrhaftigkeit ein.
Sophie Hunger, Dino Brandão und Julian Pollina alias Faber sind schon über lange Zeit Geschwister im Geiste, „selbstironische Schwermut, die unbedingte Verteidigung der Leidenschaft und das Prinzip Hingabe“ bilden ihre „gemeinsame DNA“. Sie leiden zusammen unter den Einschränkungen, die ihnen die Krise, die Isolation auferlegt, keine Auftritte, keine Bühnen, keine Rückkopplung, kaum Bestätigung. Und sie erfahren als Freund*innen die Wandlung der Gesellschaft, den zunehmenden Rückzug ins Private, die Abkapselung, die Einengung der Gedanken, nicht selten Ohnmacht und Kapitulation. Der Wunsch deshalb, „der Kälte und Distanz unserer Zeit Wärme und Geborgenheit entgegenzusetzen … das Herz also nicht zu opfern auf dem Pfade der Vernunft, sondern seine immerwährende Überlegenheit zu demonstrieren“ hat sie schließlich nach Südfrankreich verschlagen, um ein Dutzend Lieder aufzunehmen.
Sparsam instrumentiert, begleiten Pollina, Brandão und Hunger einander und würde die Bezeichnung wegen anderweitiger Verwendung nicht in die Irre führen, wollte man die Platte am besten mit „Raw Power“ überschreiben. Ungekünstelte, sehr intime und sinnliche Bekenntnisse, jede/r einzelne übernimmt federführend einen der drei Titelsongs, jede/r auf ihre und seine unnachahmliche Weise. Fabers dröhnender, oft klagender Bass, Brandão eher sanft und bis hinauf ins Falsett und Hunger mit den zuversichtlichen, aufgehellten Momenten – ein jedes Mal kommt die Kraft aus der Direktheit der Worte und der Einfachheit der Arrangements. Und wenn dazu eine Gitarre kratzt, wohldosierte Streicher schwelgen und Hunger am Piano die Töne tupft, dann will einem manchmal das Herz überlaufen vor Rührung.
Dass die drei in schwyzerdütscher Mundart singen, mag den Genuss auf den ersten Blick verkomplizieren. Tatsächlich behütet es die Texte davor, nach und nach in den Hintergrund zu verschwinden, wie es uns Deutschen gern mit anderen Fremdsprachen ergeht. Diese hier ist der unseren sehr verwandt, wir spüren den Zeilen nach, mühsam vielleicht am Anfang, aber Diktion und Melodie der Verse sind einfach zu bezaubernd und wenn wir dann beim zweiten oder dritten Hören wieder eine Bedeutung ausmachen können, löst das wiederum kleine Glücksgefühle aus. Beim bösen „Mega Happy“ etwa, wenn der Faber über allgegenwärtiges Spießertum, Botoxspritzen und die Sinnlosigkeit unseres Daseins grantelt; wenn die Hunger eben jenen Hunger der Leidenschaft besingt oder wenig später lakonisch feststellt, die Welt könne so schlimm sein wie sie wolle, solange noch genügend Eis im Kühler ist.
Es ist nicht zwingend notwendig, kann aber grundsätzlich nicht schaden, wenn man sich beim Anhören des Albums das eine oder andere Glas Wein mehr einschenkt, schließlich schlagen wir, wie Faber nicht müde wird zu betonen, allzu selten über die Stränge und manchmal kann selbst ein klitzekleiner Kontrollverlust ganz heilsam sein. So oder so, vielleicht läßt sich die Atmosphäre ja ein Stück weit erahnen, die sich dort und damals im Studio „La Fabrique“ in Saint-Rémy de Provence eingestellt hat und die die drei nun, zu unserem Glück, in dieses schwarze Plastik haben pressen lassen (ein Stream aus der Datenwolke klingt hier so unpassend wie selten zuvor). Und am Ende empfindet manche/r möglicherweise auch eine gewisse Dankbarkeit – für die Idee und für deren Gelingen, für das Kunststück also, uns mit diesen Liedern ein wenig vom Gefühl der Nähe und Zärtlichkeit zurückzugeben, das wir dieser Tage oft so schmerzlich vermisst haben.
Donnerstag, 10. Dezember 2020
Brandão Faber Hunger: Näher beieinander
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