Donnerstag, 6. Februar 2020

Algiers: Gegen die Zerstörung

Algiers
„There Is No Year“

(Matador)

„Was ist das eigentlich?“ – diese Frage begleitet Algiers Zeit ihres Bestehens und sie teilen sie mit den beiden Bands, die ihnen stilistisch am nächsten kommen, den schottischen Young Fathers und TV On The Radio aus New York. Beantwortet wird sie auch mit dem neuen, dritten Studioalbum nicht und wer halbwegs wachen und offenen Geistes durch diese Welt geht, der kann darüber nur froh sein. Denn an Energie, Wucht und Ideenreichtum haben die vier Musiker aus Atlanta rein gar nichts verloren. Im Gegenteil: Man hat den Eindruck, dass sie auf „There Is No Year“ (experimentierfreudig und düster waren sie ja seit jeher) noch wütender und entschlossener zu Werke gehen. Zerstörerisch möchte man das nicht nennen, weil ja genau das eines der Hauptthemen ist, welches sie textlich in der Gesellschaft um sie herum anprangern und beklagen: Die anhaltende Spirale aus Gewalt, Entmenschlichung, zunehmender Armut und Zerstörung der Lebensgrundlagen ist es, was sie umtreibt, zu dystopischen Metaphern und harten, disruptiven Klängen greifen läßt.



Schnelle, hämmernde Basskasskaden, geloopte Beats wie beim Eröffnungstrack oder später in „Unoccupied“, wütender Punk gar für den Kehraus „Void“ und auch dazwischen viel schwergewichtiger, kunstvoll geschichteter und synthetisch veredelter Krach – der Sound packt einen und läßt bis zum Schluß nicht locker. Ihrer Vorliebe für Soul, Blues, Spirituals und auch den Jazz lassen Algiers einmal mehr freien Lauf, das wunderbare „Chaka“ kommt als Remeniszenz an die schon zu Lebzeiten legendäre Sängerin Chaka Khan mit Sax-Solo ebenso überzeugend daher wie die Verweise auf den No-Wave von Suicide und die Synthpopper Depeche Mode. Letztere liegen ihnen näher, als manche/r denken mag, schließlich haben sie für Gore und Gahan schon als Remixer gearbeitet und konnten auf der letzten Tour der Briten gar im Vorprogramm glänzen – Stücke wie „Hour Of The Furnances“ oder die crispy Gitarren von „Repeating Night“ zeugen von einer nicht eben losen Wahlverwandtschaft. Stilistisch ist das allerhöchste Schule und von einer Kraft, die, gerade bei entsprechender Lautstärke, nachhaltig beeindruckt.



Der lyrische Anspruch, den Sänger Franklin James Fisher in seine teils traurigen, teils zornigen Texte legt, ist ebenfalls nicht gering zu schätzen, alle Texte entstammen, so liest man, aus einem Gedichtwerk namens „Misophonia“, das im Laufe der letzten Jahre entstanden ist und sich zum einen aus Fishers real existierendem Krankheitsbild speist, zum anderen aber mit den verstörenden Zuständen um ihn herum beschäftigt: „This record is about … how life stops making sense and about methods you employ typically or historically in order to find sense. You feel like you‘re in a freefall, everything is chaos and you get to a certain point in your life where parents start dying, the government is run by children, the planet is on the edge of absolute collapse. It‘s where we are as a race of humans, that‘s where we are as a culture, that‘s where we are as a society that‘s predicated on a system which is capitalism that cannot last forever. Relationships fail when you have loss and friends get sick, friendships end, families break apart, all of those things (Bedroomdisco).” Kein dünnes Brett, fürwahr. Dass es jedoch auch für ihn nicht ganz so hoffnungslos aussieht, lassen die Zeilen am Ende ahnen: „Got to find a way to get out of it“, heißt es da mit kämpferischem Ton im Chorus und: „It is coming around (it's opportunity)“ setzt den Punkt. Man darf die Platte, bei aller gebotenen Vorsicht, wohl unter dem Stichwort ‘Meisterwerk‘ einordnen.

14.02.  Club Volta, Köln
15.02.  Club Manufaktur, Schorndorf
17.02.  Frankfurt, Zoom
18.02.  Beatpol, Dresden
24.02.  Strom, München
21.04.  Knust, Hamburg
27.04.  Lido, Berlin

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