Freitag, 6. September 2019

MUNA: Der Reiz der dunklen Seite

MUNA
„Saves The World“
(RCA)

So richtig bahnbrechend ist diese Erkenntnis zwar nicht, aber sind wir mit unserem andauernden Hang zur Etikettierung nicht ständig dabei einzuteilen, zu kategorisieren und – ja: auszugrenzen? Auch da, wo wir das gerade vermeiden wollen? Warum beispielsweise muss das hier Queer-Pop heißen, nur weil die, die ihn machen, andere oder anders lieben? Wenn uns das nämlich egal sein soll, dann wäre die Musik von MUNA aus Los Angeles einfach nur wunderbarer Pop – gefühlvoll, leidenschaftlich, zuweilen auch pathetisch. Die Hamburger Musikerin Ilgen-Nur Borali hat gerade in einem Interview gemeint, sie selber sähe sich schon unter dem besagten Label, möchte aber ungern von dritten darauf reduziert werden. In diesem Sinne verwenden wir also besser den Slogan der Band selbst, mit dem sie so treffend eine Klammer um ihre bisherige Karriere legt: „Sad soft pop songs for sissies emo queers and crybabies.“

2017 erschien das Debütalbum der drei, schon auf „About U“ gelang es Katie Gavin, Josette Maskin und Naomi McPherson auf bemerkenswerte Weise, Melancholie mit elektrifizierenden Beats zu verknüpfen, schon damals gab es herrlich überzeichnete Theatralik, große Worte, viel Emotion und geschmeidige Melodien im Überfluss. Das also, was großen Pop eben ausmacht. Und der Nachfolger hat davon nicht weniger zu bieten: Der Einstieg mutig – kein Dancetrack, sondern die kurze Powerballade „Grow“ als Ausdruck des Willens, erwachsen zu werden, das Kindliche abzulegen, dem Partybluff endgültig Lebewohl zu sagen. Eine Absicht, ein Ausblick vorerst, denn natürlich führt schon der zweite Song, ihre Single „Number One Fan“, zumindest musikalisch unter die Glitzerkugel – dicke Synths, Gavins unverwechselbar dunkle Stimme besingt die trügerischen Seiten und Verführungen des Stardoms.



Und auch die nächste Vorauskopplung „Stayaway“ ist nach diesem Erfolgsrezept gestrickt – schillernde, überaus eingängige Chords, die Vocals schwelgen, opulente Takte wechseln mit reduzierten Momenten, es geht um die Unabänderlichkeiten der Liebe, um Sehnsüchte und Gefahren des Selbstbetrugs, das Leben also. Die dunklen Seiten, das war vom Start weg so, überwiegen bei MUNA stets gegenüber den hellen, machen aber auch den Reiz der Stücke aus. Ein Song wie „Never“, ein Requiem auf die Liebe, von der Gavin nichts mehr wissen will, wäre ohne die tragische Komponente nicht halb so gut, die Stimme schwankt zwischen Düsternis, wütendem Ausbruch und verzerrtem Crescendo (und kommt da nicht sogar eine Gitarre ins Spiel)?



Es gibt schmerzhafte Kindheits- und Jugenderinnerungen („Taken“), den Clinch zwischen Bindungsangst und Selbstbestimmung („Hands Off“) und ein paar bitterböse Gedanken zu wohlmeinender Fürsorge („Good News“), verpackt in ungewohnt lockere Sommerrhythmen. Der Abschluss dann aber durchaus versöhnlich – „It’s Gonna Be Okay, Baby“ stellt den tröstlichen Mutmacher, soll Zweifel verscheuchen, einen Schuss Zuversicht bringen. Es sind wohl autobiographische Zeilen, die Gavin hier singt, der Weg, den sie beschreibt, führt sie durch Abgründe und Verirrungen, zeigt aber auch Auswege und heilsame Erfahrungen. Es scheint, als sei ihre Welt gerettet worden, im besten Falle kann diese Platte für andere ein Anstoß sein, dasselbe zu schaffen. Und das ist fast schon mehr, als man von guter Popmusik erwarten kann.

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