Montag, 31. Januar 2011

2 x St.Pauli zum Anhören!



Wer von seinem Herzensklub nicht genug bekommen kann, dem sei hier die offizielle Jubiläumskonzert-Doppel-DVD-Edition inkl. originellem Hannoveraner Seemannschor, Slime, Fettes Brot, Bela B. und Kettcar empfohlen, mitgeschnitten am 29. Mai ZwoZehn. Sollte es jemanden geben, dem auch das noch nicht genug ist, dann kann er sich über ein eigenes Webradio des FC St. Pauli freuen - 24 Stunden am Tach ordentlich was auf die Ohren, Infos noch und nöcher und verfügbar sowohl im Netz als auch über Android- und iPhone-App. Na denne, hoffentlich gibt's bei all der Böllerei auch noch ab und zu gescheiten Fußball ...

Sonntag, 30. Januar 2011

Gehört_234



Esben & The Witch “Violet Cries” (Matador)
Als in diversen Vorankündigungen die Rede davon war, Esben & The Witch brächten die Erinnerung an den Gothic-Rock der 80er wieder, ertappte man sich selber schon beim ängstlichen Zähneklappern, denn aus den Untiefen der Erinnerung krochen da nämlich nicht nur die gute alte Siouxsie Sioux und der grandiose Peter Murphy nebst Bands, sondern eben auch die unsäglichen Fields Of Nephilim, welche bis heute ihr Unwesen treiben und besser auf ewig dem Vergessen anheim gegeben worden wären.

Glücklicherweise kann zumindest teilweise Entwarnung gegeben werden, auch wenn der tiefschwarze Bezug mehr als deutlich ans fahle Tageslicht tritt. Eher ließe sich konstatieren, das Trio aus Brighton versuche, die unvegessenen Cocteau Twins ins Heute zu übersetzen und zwar mit Stilmitteln, die man schon von ähnlich ambitionierten Bands wie The XX, Zola Jesus oder Blonde Redhaed kennt. Nur dass sie sich mehr den verzerrten Gitarren, dem vernebelten Gesang aus dem Off, dem leidenschaftlichen Jammern, Zagen und Zetern verschrieben haben. Und es gelingen ihnen mithin durchaus bemerkenswerte Schauerstücke: Der dunkel pochende „Marching Song“, ein anfangs reduziertes „Light Streams“, zur Mitte hin mit einem harschen Riff auseinandergerissen, um hernach wieder im Nebel zu versinken. „Warpath“ kann mit träumerischen Gitarrenhooks im Hintergrund aufwarten, die sicher auch den Stylisten von Interpol gut gefallen würden.

Anschließend darf man für anderthalb Minuten gleichsam durch die Totensümpfe von Mittelerde ziehen (Battlecry/Mimicry), umgeben von waberndem Schlachtenlärm und sich verzehrendem Gekreisch der Untoten – sollte Peter Jackson jemals nach einer alternativen Orchestrierung für seine Zwecke suchen, er fände bei Esben & The Witch sicher bereitwillige und passende Unterstützung. „Eumides“ verabschiedet sich nach verhaltenem Beginn mit großartigem Gehämmer, mit „Swans“ geht’s wieder zurück in die alles verschlingende Schwärze der Gewässer, aus denen man anfangs entstiegen – gruselig, aber eben auch betörend schön.
www.esbenandthewitch.co.uk

Samstag, 29. Januar 2011

Gehört_233



Hercules & Love Affair “Blue Songs” (Moshi Moshi)
Sicher kann es nicht schaden, wenn man sich im Zusammenhang mit der neuen Platte von Hercules & Love Affair ein wenig mit Schlagworten wie Queer-Pop, Gender, Vogueing oder Sylvester James auseinandersetzt – vermag man das alles aber nicht in einen wirklich erschöpfenden und stichhaltigen Zusammenhang bringen, überläßt man es besser dem Feuilleton und beschränkt sich auf das Naheliegendere, die Musik.

Vor zwei Jahren hat das New Yorker Danceprojekt es ja bekanntlich fertiggebracht, all jenen, die bisher bei der Wahl zwischen einer Platte von Antony & The Johnsons und einem anständigen Tinitus letzteren vorzogen, diesen Antony Hegarty mit solch prächtigen Songs wie „Blind“ und „Raise Me Up“ von einer bekömmlicheren Seite zu zeigen. Seine Stimme, zusammen mit der schweißtreibenden Mischung aus Deep House, Italodisco und schmissigem Funk war zu dieser Zeit zweifellos die Meßlatte für jeden, der auch ein Stück vom Clubkuchen abhaben wollte.

Das Personal wurde für „Blue Songs“ bis auf Gründervater Andrew Butler und Kim Ann Foxmann komplett ausgetauscht, am Sound hat sich dagegen im Vergleich zum Erstling nichts Wesentliches geändert. Der Start mit dem samtweichen „Painted Eyes“ gelingt grandios und die Parallelen zu besagtem Crowdpleaser „Blind“ sind hier besonders auffällig – die einschmeichelnden Streicher und milden Beats hätte auch einem Jimmy Somerville gut zu Gesicht gestanden. „My House“ übernimmt dann den Kontrapunkt, Shaun Wright gastiert hier zu staubtrockenem House inklusive synkopierten Sythieloops und lustigem Scatgesang. Das anschließende „Answers Come In Dreams“ wiederum erinnert mit der fast maskulinen Stimme von Aerea Negrot an die Großtaten der 80er-Ikone Grace Jones.

Ähnlich wie auf dem Vorgänger finden Hercules & Love Affair immer wieder einen neuen Dreh, variieren Stil und Tempo und halten die Spannung so über die komplette Distanz – ein zartes und vollkommen entschleunigtes „Boy Blue“, der Titelsong pluckert fast schon unverschämt entspannt dahin, „Falling“ und „I Can’t Wait“ lassen die Glitzerkugel wieder kräftig rotieren und Frankie Knuckles reibt sich schon die Hände. Dass Kele Okereke sich bei dieser Truppe wohlfühlen muss, weiss man nicht erst, seit er mit seinem Solo „The Boxer“ dem klassischen Indierock lebewohl sagte – „Step Up“ hätte da ohne weiteres auch hineingepasst.

Und weil man schwerlich jemandem zweimal hintereinander zum ersten Mal begegnen kann, ist dieses Album vielleicht nicht so überraschend wie das Debüt, aber noch immer verdammt guter Stoff – zum Schluß bringen’s die fünf denkbar einfach selbst auf den Punkt: „And it’s gonna be alright, cause the music plays on and on and on …“

Freitag, 28. Januar 2011

Gestyltes Nichts: TRON Legacy



Jemand hat gesagt: “Wer den ersten Teil geliebt hat und den zweiten sieht, wird am Ende beide hassen.” Ganz so drastisch sollte man es vielleicht nicht formulieren, aber leider kommt der Satz der Wahrheit ziemlich nahe. Gut, auch der erste Film aus dem Jahre 1982 war kein tiefschürfendes Werk, das mit schauspielerischen Höchstleistungen zu glänzen vermochte. Das mußte der Film auch nicht, denn da war ja diese kleine, charmante Idee, den Menschen als User zu dematerialisieren und ihn in die CPU zum Wettstreit mit seinen Programmen zu schicken.

Dieser feinen Idee kann die Fortsetzung “TRON Legacy”, seit gestern in den deutschen Kinos, rein überhaupt nichts hinzufügen, sie lebt über die komplette Länge von den Einfällen des ersten Teils. Schlimmer noch, in der arg menschelnden Anfangssequenz wird der Erstling aus längst vergangenen Tagen unfreiwillig zum Kinderzimmerspektakel mit Poster und Spielzeuggedöns umgedichtet, viel deutlicher kann man dem Zuschauer eigentlich nicht mehr zu verstehen gaben: Platz da! Das früher war die Beta-Version, Kinderkram, was jetzt kommt, ist High End!

Und es kommt gewaltig. Die Musik von Daft Punk, die in der Tat beeindruckenden, dreidimensionalen Effekte: Der Einstieg in die Cyberwelt überrollt einen mit gigantischem Getöse und weiss um seine überwältigende Wucht. Wenn die allerdings erst einmal verraucht ist, man sich also an das ganze Ballyhoo gewöhnt hat, bleibt nicht mehr viel übrig. Mehr als dünne Dialoge, Clu als steife Botoxmutation des jungen Jeff Bridges, die Behausung des alten hingegen mutet wie die Dauerschleife eines O2-Werbefilmchens an, das reichlich übertriebene Ankleidezeremoniell des jungen Flynn wiederum erinnert verdächtig an Matthew Barneys Hostessenklamauk aus “Cremaster 1”. Dazu ein albern affektierter Michael Sheen (Zuse, was für ein Kracher) und ein gesichtsloser Tron, der irgendwas ganz Schlimmes mit den Bronchen hat. Okay, der Spielraster mit den vertrackten Ebenen ist toll, aber warum bitte kommt jeder Filmschurke auf die vermeintlich geniale Idee, dass sein Kampf nur mit der Aufstellung einer riesenhaften Armee zu gewinnen sei (Herr der Ringe, Star Wars, gähn!)? Clu’s Wahnvisionen bleiben zudem seltsam schwammig, warum er so lange darauf gewartet hat, Flynns Sohn auf dem Raster zu schlagen, weiß auch kein Mensch.

Jede Menge Ungereimtheiten und Ärgernisse und nach zwei Stunden hebt man sich mit weichem Hirn und strapazierten Trommelfellen aus dem Sessel und will mit TRONs Vermächtnis erst einmal nix mehr zu tun haben. Später, wenn die Taubheit nachgelassen hat und die Enttäuschung vergessen ist, greift man vielleicht wieder einmal zum Original aus Kindertagen. Später.
http://disney.go.com/tron/

Mittwoch, 26. Januar 2011

Gehört_232



Adele “21” (XL Recordings)
Die Assoziation zum Thema Volljährigkeit liefert sie mit dem Albumtitel selbst, für jemanden, der fast doppelt so alt ist wie die bald dreiundzwanzigjährige Londonerin und naturgemäß über einen etwas anderen Sozialisationshintergrund verfügt, stellt sich deshalb auch die Frage: Wie hart darf man mit Adele Atkins eigentlich ins Gericht gehen, wenn es um die Qualität ihres neuen Albums geht?

Dass wir uns richtig verstehen – genaugenommen hat sich im Vergleich zum Debüt “19” eigentlich wenig verändert: Sie hat, wenn sie will, immer noch diese schöne, dunkle, sich zuweilen angenehm überschlagende Stimme. Sie steht, wenn sie will, bei Beat, Swing und Stomp in einer Reihe mit Amy Winehouse und Kate Nash. Sie beherrscht, wenn sie denn will, die zarte Ballade genauso wie den knochentrockenen Soul. Das Problem ist: Sie will offenbar nicht mehr so oft oder hört auf den Rat von Leuten, die wiederum meinen, sie müsse nicht so oft wollen. Was jammerschade ist, denn so verheißungsvoll “21” beginnt – Stücke wie “Rolling In The Deep” und “Rumour Has It” waren so furios nicht mal auf dem Erstling zu finden – so konsequent taucht das Album gleich darauf in balladesker Durchschnittlichkeit ab und findet nur noch selten den Weg an die rettende Oberfläche. Die Texte zwar gewohnt gewitzt und unverkitscht, die Musik dazu aber sehr bald eine vorhersehbare Aneinanderreihung von getragenen Pianoklängen, Gospelchor und mediokrem Bombastpop. (Da ist es dann auch fast unerheblich, dass vier der Stücke von Produzentenlegende Rick Rubin veredelt sein sollen – hier nichts Genaueres wissen zu wollen erspart einem möglicherweise manche Entäuschung.) Einzig beim trotzig traurigen „Set Fire To The Rain“ stimmt die Mischung, hier gehen leidenschaftlicher Gesang und wunderschöne Melodie Hand in Hand und fesseln für den Moment. Das Cure-Cover „Lovesong“ gerät nett, aber unspektakulär, beim folgenden „Someone Like You“ hätte ein Rat mit Sachverstand gutgetan, sie tut hier ihrer Stimme und dem Hörer keinen großen Gefallen.

Das Mädel ist also erwachsen geworden und hat einem famosen Einstieg einen bestenfalls okayen Nachfolger mit einzelnen Glanzpunkten hinterhergeschickt, der – das sollte man nicht vergessen, noch immer weitaus besser klingt als der Großteil täglicher Formatware. Vielleicht zu schnell zu viel gewollt. Mit Recht kann sie jedenfalls darauf pochen, dass ihre Karriere ja gerade am Anfang steht und noch manche Verirrung erlaubt.
http://www.adele.tv/

Montag, 24. Januar 2011

Gefunden_85



Sehr nett die Gegenüberstellung zweier aktueller Veröffentlichungen, die zumindest in puncto Optik verdächtig nahe beieinander liegen: Links das aktuelle Album von Destroyer "Kaputt", rechts das Gunn-Truscinski Duo mit "Sand City". Ähnliches passierte ja im letzten Jahr mit Brian Enos "Small Craft On A Milk Sea" und U2's "No Line Ohne The Horizon".

Freitag, 21. Januar 2011

Gefunden_84



Da wollte man ja schon eine ganze Spezies, namentlich die des Canis Lupus, kurz: Wolf, in Bausch und Bogen der Warmduscherei bezichtigen, als diese Woche zu lesen war, ein dreizehnjähriger Junge aus dem norwegischen Rakkestad habe mit einem Song der amerikanischen Band Creed, abgespielt über den Lautsprecher seines Mobiltelefons, ganze vier Wölfe in die Flucht geschlagen. So gelesen hätten sich die Vierbeiner in der Tat nicht sonderlich wehrhaft angestellt, denn es handelte sich eben nicht um einheimischen Black Metal Marke Mayhem oder Gorgoroth, sondern um schlichten, weichgespülten Poser-Hardrock. Glücklicherweise gab der mutige Bursche aber noch eine genauere Beschreibung des Tathergangs zu Protokoll, welche das Image des Wolfes wieder etwas geraderückt: "... they didn't really get scared, they just turned around and simply trotted away". Nicht die Angst des Raubtieres rettete also dem Jungen vermutlich das Leben - nein, Mitleid war es, Mitleid mit einem Zweibeiner, der mit solcher Musik ausgestattet einsam seiner Wege gehen muß.

Donnerstag, 20. Januar 2011

Gehört_231



Gang Of Four “Content” (Grönland)
Da hat man sich ehrlich gefreut, endlich mal wieder eine Kapelle unter die Tastatur zu bekommen, die nicht zur Kategorie “klingt wie” gehört, sondern die ganz im Gegenteil seit Jahren Heerscharen von aufstrebenden und auch etablierten Indiebands selbst als unverrückbare und verehrungswürdige Referenzgröße gilt. Gang of Four sind ja quasi die Tanzlehrer des Postpunk, Ferdinands Franz wäre ohne sie überhaupt nicht denkbar, die komplette Besetzung der Red Hot Chili Peppers säße wahrscheinlich auf dem Arbeitsamt und hierzulande müßte man ohne die Mannen aus Leeds wohl auf den Meilenstein “Monarchie und Alltag” der Fehlfarben verzichten – undenkbar also.

Groß war dann die Überraschung, dass nun Gang Of Four auch nicht mehr so klingen wollen wie Gang Of Four – zumindest die erste Hälfte ihres mit großer Spannung erwarteten Albums “Content” besteht ohne Ausnahme aus gnadenlos hingerotzten Gitarrenbrettern, Punk ohne Post, näher bei den Stooges und kaum Spuren der vielgerühmten Funkyness. “Who can steel when everything is free, who am I when everything is me, who can lie when everything is true, who wants old when everything is new?”, ätzt Jon King in gewohnter Manier (Who am I?) und der Grund, warum auch dieser forcierte Teil des Albums so gut funktioniert, liegt sicher zum Großteil am prächtigen Zusammenspiel Kings mit dem Saitenquäler Andy Gill, der sich und seinem Instrument wirklich nichts schuldig bleibt.

Erfreulicher Bruch dann beim fast besinnlichen “Fruitfly In The Beehive” (What is the proof of live? A fruitfly in the beehive!), reduziertes Gitarrenpicking zu entspanntem Beat, auch “I Can See You From Far Away” mit entfernten Dubstepanleihen geht diesen Weg. Den Abschluß bildet “Second Life”, 2008 schon einmal als zwischenzeitliches Lebenszeichen gefeiert und nun fast verschämt am Ende der Platte versteckt. Wessen Schädel nach dem Trommelfeuer der ersten gut zwanzig Minuten nicht gänzlich betäubt worden ist, der darf danach den Wiedererkennungseffekt genießen – in jedem Falle ein nicht nur lang ersehntes, sondern auch passables Comeback. Und ganz nebenbei die irritierende Botschaft, dass Grönemeyer zwar immer noch nicht tanzen kann, es mittlerweile als Labelboß aber zu einem achtbaren Musikgeschmack gebracht hat.
http://www.gangoffour.co.uk/

Mittwoch, 19. Januar 2011

Gehört_230



Cold War Kids “Mine Is Yours” (Downtown)
Was ein einzelner Name nicht alles anrichten kann, wenn man ihn nur oft genug im selben Zusammenhang erwähnt. Dass nämlich das neue, dritte Album der Cold War Kids unter der Ägide von Produzent Jaquire King entstanden ist, kann eigentlich nur den schrecken, der sich mit den beigefügten Horrorhäppchen (Kings Of Leon “Come Around Sundown”, Norah Jones, Billy Talent) abspeisen läßt. Weil es offensichtlich nicht so gut ins Bild passt bleibt dann aber gern unerwähnt, dass dieser Mann eben auch die Produktion nahezu aller Tom-Waits-Alben nach der Jahrtausendwende verantwortet, ebenso die fabelhafte “Good News …” von Modest Mouse und das hochgelobte “Do It!” der Liverpooler Band The Clinic.

Bei genauem Hinhören sind die Änderungen dann auch gar nicht so gravierend, denn die wesentlichen Stilmerkmale der Quartetts aus Los Angeles sind auch unter King erhalten geblieben: der affektierte, leicht angezickte Gesang Nathan Willetts, die kraftvolle und sperrige Spielart dessen, was man wohl Soulrock nennen darf, der Ideenreichtum und die Komplexität ihrer Songs, der die Band immer noch dazu verführt, sich ab und an auch mal mächtig zu verheben. Der Humus, aus dem sie jetzt schöpfen, ist halt nun nicht mehr der knarzende Indierock wie noch bei den Vorgängern “Robbers & Cowards” und “Loyalty To Loyalty”, sondern eher der geschmeidige und konventionellere Rock der 90er – ihre Springsteen-Lektion jedenfalls scheinen sie gelernt zu haben.

Das mag man gutfinden oder auch nicht, fest steht, dass die Cold War Kids trotz dieser Richtungskorrektur meilenweit davon entfernt sind, platt zu sein oder sich wie ein Chris Martin am eigenen plakativen Pathos zu berauschen, um hernach im Sentiment zu ersaufen – es klingt noch immer nach echter Leidenschaft, die sich Willett da aus der Seele kratzt. “Mine Is Yours” als Titelsong, das verspielte “Out Of Wilderness”, ein traurig-schönes “Skip The Charades” und das getragene “Broken Open”, allesamt schöne Stücke mit Alltagshorizont und mächtig viel Herzblut. Und wenn dann mal was danebengeht wie “Sensitive Kid”, das sich auf dem Radiohead-Terrain offensichtlich etwas unwohl fühlt, dann entschädigt gleich im Anschluß das anrührende “Bulldozer” und macht die Jungs ob dieser Fehlbarkeit auch wieder ein Stück sympathischer. Sicher kein schlechter Auftakt also für das neue Jahr.
http://www.coldwarkids.com

Dienstag, 18. Januar 2011

Gehört_229



White Lies “Ritual” (Universal)
Schon mit ihrem ersten Album “To Lose My Life” spielten die White Lies bei der Kritik “auf Bewährung”, denn die deutlichen Anleihen der Londoner an den dunklen und manchmal etwas eindimensionalen Wavepop der späten Achtziger wurde schon Ende 2008 sehr skeptisch betrachtet – Anhänger des anhaltenden Postpunkrevivals sahen und sehen das üblicherweise etwas entspannter. Auch das neue Album wird in dieser Hinsicht wieder ein zweigeteiltes Echo finden, denn geändert hat sich im Grunde recht wenig.

Angefangen beim Cover – wie auch schon vor zwei Jahren werden hier Strenge und düsterer Habitus evoziert, die dann doch im Gegensatz zur eher warmen Anmutung des synphonischen Breitwandsounds der Band stehen. Natürlich versucht Sänger McVeigh mit Stimme und Text in die Rolle des einsamen und unverstandenen Schmerzensmannes zu schlüpfen, Pathos und theatrale Gestik sind ihm nicht fremd –dazu kontrastiert jedoch ein sehr melodischer, orchestraler Soundteppich: hochgepitcht, hymnisch und in Breite und Länge auf das zumutbare Maximum gestreckt. Leider wird mit dem Leitmotiv “Großes Kino!” so bombastisch getürmt und dicht gepackt, dass die Songs allesamt recht schwere, einander ähnelnde Ungetüme sind oder spätestens nach dreißigsekündiger, verheißungsvoller Eingangssequenz werden.

“Is Love” zum Beispiel stampft anderthalb Minuten finster einher, bevor dann das Effektgewitter einsetzt, auch “Bigger Than Us”, die erste Single, startet mit feinem “Transmission”-Lookalike-Intro und verfällt später ins gewohnte Muster. Besser werden die Whiet Lies immer dann, wenn sie aus dem üblichen Rahmen ausbrechen, das satte und etwas knochigere “Holy Ghost” geht in diese Richtung, auch “Turn The Bells” hämmert ganz famos zum Klagegesang. Oft genug wird wieder den sattsam bekannten Vorbildern wie den späten Ultravox oder auch den Killers die Ehre erwiesen, solche Stücke wie “Piece & Quiet”, “The Power And The Glory” oder auch “Streetlights” erinnern aber eher an unangenehme Bezugsgrößen wie Simple Minds oder sogar Alphaville, das möchte man eigentlich gar nicht hören (müssen). Unentschieden deshalb das Urteil, weitere Beobachtung empfohlen.
www.whitelies.com

Montag, 17. Januar 2011

Hören + Sehen



Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune
Münchner Volkstheater, 14. Januar 2011
Nix is so grauslich wie lauwarmes Bier
- ausser wir trinkens gemeinsam
Nix is so fad wie im Kino James Bond
- ausser du sitzt neben mir
Niemals fahr i ins Museumsquatrier
- niemals verlass i den Zweiten
Niemals fahr i ins Museumsquartier
- ausser du wartst dort auf mi
Es ist jenseits der Zeit, trotzdem steht es im Raum
Falls der Traum leben lernt, wird des Leben zum Traum ...
Schenk no moi ein, es is eh schon egal
Heute Nacht kennt die Stadt ka Pardon
"Taximusik" von "Wellen der Angst", Trikont, 2009
(Und besten Dank an den Ciri ...)

Gelesen_8



Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.
Thomas Brasch, Der schöne 27. September, Bibliothek Suhrkamp

Sicherheitskonferenz.



Gesehen im Kongress Garten, Theresienhöhe 15, 80339 München

Samstag, 15. Januar 2011

DFW_US: 443 f.



Probleme der Psychopathologie:
"HALTEN SIE IHRE ANTWORTEN KURZ UND GESCHLECHTSNEUTRAL (1a) Sie sind ein pathologisch kleptomanes Individuum. KleptomanInnen haben den pathologischen Trieb zu stehlen, stehlen, stehlen. Sie müssen stehlen. (1b) Sie sind jedoch auch ein pathologisch agoraphobisches Individuum. AgoraphobikerInnen können kaum die Verandatreppe vor dem eigenen Haus betreten, ohne Herzklopfen, Schweißausbrüche und Gefühle eines drohenden Verhängnisses zu erleiden. AgoraphobikerInnen haben den pathologischen Trieb, zu Hause zu bleiben und nicht hinauszugehen. Sie können das Haus nicht verlassen. (1c) Aus (1a) folgt, dass Sie den pathologischen Trieb haben zu stehlen, stehlen, stehlen. Aus (1b) folgt jedoch, dass Sie den pathologischen Trieb haben, niemals Ihr Haus zu verlassen. Sie wohnen allein. ... (1d) Bitte äußern Sie sich daher zu der Frage: Was tun Sie?"

Freitag, 14. Januar 2011

Gehört_228



Tu Fawning “Hearts On Hold” (City Slang)
Ganz egal, ob dem Hinweis von ByteFM zu trauen ist, das Quartett aus Portland habe seinen eigenwilligen Sound selbst mit dem Begriff “Antique-Dance-Tribal-Gospel” charakterisiert, um frühzeitig der üblichen Schubladeneinweisung zu entgehen – fest steht, dass einem zu “Hearts On Hold” auf die Schnelle wenig Vergleichbares einfällt. Und das ist auch gut so, denn grundsätzlich läßt sich nichts gegen Musik sagen, die sich dem Rezipienten nicht umgehend und spielend leicht erschließt, die also ein wenig Ohren- respektive Kopfarbeit erfordert.

Joe Haege und Corrina Repp, die beiden Hauptakteure bei Tu Fawning, geben sich in dieser Hinsicht alle erdenkliche Mühe. Der minimalistisch arrangierte Beginn mit Horngebläse – Laibach lassen grüßen – leitet über zu einem perkussiven Dauerfeuer nebst wunderbarem Klagegesang und kulminiert erstmals im wilden “Sad Story”, einer leidenschaftlichen Mischung aus Barpiano, Gitarrenriff und jeder Menge Blech. Dazu Repps mehr als augenzwinkerndes Ratgebermantra “Don’t let a man be your sad story!”, am Schluß wird so kompromisslos auf die Kuhfelle gedroschen, dass man schier jauchzen möchte. Am Rande fragt man sich kurz, was Tu Fawning wohl ohne Schlagwerk anfangen würden, aber auch da würde ihnen sicher Wertschöpfendes einfallen.

Schließlich geriet schon ihre erste Veröffentlichung, die E.P. “Secession” aus dem Jahre 2008, nicht ganz so druckvoll und auch die zweite Hälfte des aktuellen Albums kann mit einer eher verwunschenen, geheimnisvollen Note aufwarten. Das atemlose “Just Too Much” erinnert etwas an Arcade Fire in ihren frühen Anfangstagen, “Hand Grenade” an die bleischweren Akkorde von Portishead. An anderer Stelle glaubt man Gemeinsamkeiten mit Amanda Palmers Dresden Dolls und deren Vorliebe für Weill’sche Kompositionen herauszuhören – allenthalben jede Menge schräges Geklimper, Gezupfe und Georgel, überall scheppert, knistert und rumpelt es ganz wunderbar. Und wer durchhält, bekommt zum Abschied noch ein wunderbar erhabenes “Lonely Nights”, ähnlich sparsam gebastelt wie schon der Anfang der Platte. Tu Fawning, das ist nach diesen 45 Minuten klar, haben das Zeug zur Lieblingsband.
http://www.tufawning.com/

Mittwoch, 12. Januar 2011

Gehört_227



Cake “Showroom Of Compassion” (A.D.)
Gerade erst haben kanadische Forscher eine Studie veröffentlicht, welche Musik nun offiziell und hochwissenschaftlich zum Rauschmittel erklärt und nachweist, dass durch den Genuß liebgewonnenen Liedguts reichliche Mengen des Glückshormons Dopamin im Körper umgeschlagen werden – Ergebnis: ekstatische Zuckungen (siehe auch: Tanz), glänzende Augen und das lautstark geäußerte Verlagen nach Erhöhung der Dosis.

Will sagen, damals, Mitte der Neunziger, galten die Songs von Cake aus dem sonnigen Sacramento als regelrechte Partydroge, keine noch so biedere Studentensause kam ohne die Covernummer “I Will Survive” von Gloria Gaynor aus, das komplette Album der Kalifornier, “Fashion Nugget”, galt als fest gebuchte Größe im Ikearegal und der wissbegierige Auskenner schwärmte, bewaffnet mit Basecap und Schweinehälftenshirt, von der lässigen Mischung aus Mariachi, Indiechords und bösen Texten. Live waren die Jungs zwar ziemlich spannungsarm, was aber zur Attitüde passte – man wollte ihnen eigentlich ständig anerkennend auf die Schulter klopfen.

So war das damals. Vier bis fünf Platten und fünfzehn Jahre später hat sich eigentlich nichts Wesentliches geändert: Cake schrammeln immer noch ihren Westküstenstiefel herunter, die genannte Mixtur wird, soweit möglich verfeinert und variiert, die Bläser blasen und die Geigen geigen, nun ja. Von musikalischer Schärfe und textlicher Bissigkeit haben sich die gemütlichen Kappenträger weitestgehend verabschiedet, fern die Zeiten von “The Distance”, “Perhaps,…” und ähnlichen Knallern. Heute gibt’s Kuscheliges (Got To Move), Hardcorecountry (Bound Away) und Instrumentals da, wo man nach bissigen Worten giert (Teenage Pregnancy) – “The Winter” glänzt fast am Ende mit der Zeile: “It’s all behind you now, no moving on, …” Ganz meine Meinung.
http://www.cakemusic.com/

Dienstag, 11. Januar 2011

Gehört_226



Tapes’N Tapes “Outside” (Ibid)
Es ist doch klar, dass bei der Unmenge an täglich gemarteten Hirnrinden nicht jede Idee einzigartig und revolutionär sein kann – im Gegenteil, manchmal ist es ja geradezu tröstlich, dass sich Hirnmasse im Sinne der Mengenlehre auch zu dem einen oder anderen gemeinsamen Gedanken verorten kann, irgendwie. Wenn also in den Weiten des Netzes ein Satz zu lesen ist wie “The trouble with Tapes 'n Tapes is that they sound a little like a lot of bands but never very much like any one band – namely, themselves.”, dann trifft das, bei allem Respekt vor dem handwerklichen Können der Jungs aus Minneapolis, den Nagel auf den Kopf und man merkt, dass man genau das auch schon so parat, wenn auch noch nicht ausformuliert hatte.

Sie klingen also wie viele, nur nicht wie sie selbst – fast jedem Song auf “Outside” kann man eine passgenaue Referenz zuordnen, was zwar irritiert, aber ansich noch kein Problem ist. Störend vielmehr, dass wegen der vielen Anleihen kaum Platz für Originalität bleibt und somit wenig Grund, sich statt an das jeweilige Vorbild an Tapes’N Tapes selbst zu erinnern. Und so schaut er dann aus, der bunte Reigen: Violent Femmes (Badaboom), Vampire Weekend (One In The World), Pixies (Nightfall, Hidee Ho), The Clash (Freak Out), Spoon (Outro), The Black Keys (The Saddest Of All Keys) – die Liste ist lang und jeder wird sie anders füllen. Dazu noch die Stimme von Josh Grier, die fast immer im Grenzbereich zu arbeiten scheint und noch dazu sehr an die von Hamilton Leithauser erinnert, an das einzige also, was bei den sonst zu Recht gelobten Walkmen Anlaß zur Kritik gibt.

Von einer Coverband sind Tapes’N Tapes trotz allem weit entfernt, die Songs sind und bleiben grundsolide Indierocknummern, denen es halt, das kann oder muss man bedauern, zum Großteil an Eigenständigkeit fehlt. Insofern ist “Outside” nach dem prächtigen Debüt “The Loon” und dem gewöhnungsbedürftigen “Walk Off” kein richtiger Fortschritt, im Sportjargon also eher ein Angriff ohne wirklichen Raumgewinn.
http://www.tapesntapes.com/

Montag, 10. Januar 2011

Gehört_225



The Decemberists “The King Is Dead” (Rough Trade)
Wahrscheinlich kommt im Leben eines jeden Mannes, wenn es sich der runden 40 nähert, der Moment, in dem er sich ausführlicher mit der Natur und all ihren Erscheinungsformen beschäftigt – im Regelfall wird aber nur der engste Umkreis damit konfrontiert. Wenn der angehende Bergfestler allerdings seinen Lebensunterhalt hauptsächlich als Sänger einer Musikband verdient, dann kann es schon passieren, dass die Schar der Mitwisser (siehe auch Facebook: “Freunde”) etwas umfangreicher wird. Exemplarisches Beispiel hierfür ist Jochen Distelmeyer, ehemaliger Frontmann von Blumfeld, der vor einigen Jahren auf dem Album “Verbotene Früchte” den “Schnee” im Speziellen und den “April” im Allgemeinen pries und sich desweiteren ungeniert als Obstliebhaber outete.

Nun steht nicht zu befürchten, dass Colin Meloy, Stimme und Gründer der amerikanischen Folkrocker The Decemberists, in diesem Jahr zum “Apfelmann” mutiert. Und doch nährt sich aus dem Bandnamen ansich, dem Umstand, dass Meloy vor der jetzigen mit einer Gruppierung namens Happy Cactus (hahaha) unterwegs war und der Tatsache, dass sich auf dem neuen, vierten Album gleich zwei Hymnen an jahreszeitliche Gefühlswelten befinden (January/June Hymn) die Vermutung, dass er eben genau jetzt die oben genannte Phase durchläuft. Wie sonst käme man zu solchen Zeilen: “Hail the winter days after dark, wandering the gray memorial park, a fleeting beating of hearts, ... sing oh january oh!“ oder auch: „Hear the hymn to welcome in the day, heralding a summer's early sway, and all the bulbs all coming in, to begin, ...“ Diese Zeilen und so manche mehr auf “The King Is Dead” gelingen ihm auf wiedergewonnene, unvergleichlich charmante Weise und so lässt auch beim Titel der Platte Platz für Interpretationen wie etwa „Die Decemberists sind tot, es leben die Decemberists!“

Denn obschon auch die letzte Platte „The Hazards Of Love“ gewiss keine schlechte war, ist den sanftmütigen Fünf im Laufe der Zeit ein wenig das Liedhafte verlorengegangen und damit auch ein Stück vom Zauber der Einfachheit ihrer Songs. Diese haben sie nun wiedergefunden – „Don’t Carry It All“, „Rox In The Box“ und „Down By The Water“ sind allesamt im Stile ihres Erstlings als Schnittmenge aus Folk, Country und zartem Blues gestrickt, die gute alte Mundharmonika wird gar nicht mehr weggepackt und all die Stücke glänzen so in alter und vertrauter Stärke. Für „This Is Why We Fight“ wird aus Meloy, zuvor schon stimmlich und musikalisch, nun auch thematisch zum amerikanischen Billy Bragg: „Come the war, come the avarice, come the war, come hell, come attrition, come the reek of bones, come attrition, come hell. This is why, why we fight, why we lie awake, and this is why, this is why we fight. When we die, we will die with our arms unbound.” Auch hier muß man wohl keine Angst haben, dass Meloy nun den furchtlosen Klassenkämpfer in sich entdeckt – vielmehr scheinen die Themen der Songs wohl wieder etwas diesseitiger, alltäglicher geraten und zusammen mit der musikalischen Rückbesinnung macht es so durchaus Sinn, den Decemberists ein herzliches „Welcome back!“ zuzurufen.
http://www.decemberists.com/

Freitag, 7. Januar 2011

Gefunden_83



Eine Meldung, zu schön, um sie nicht weiter zu vervielfältigen - auch wenn das bei dieser Quelle ein wenig lächerlich klingen mag. Portishead-Mastermind Geoff Barrow twittert nämlich unter dem Motto "Just music and us" so eine Art selbstauferlegten Produktionsknigge für das dringend erwartete vierte Album der Band, der sich wie folgt liest:

»There will be NO free downloads. There will be NO bonus tracks. There will be NO remixes. There will be NO hidden footage. There will be NO additional content. There will be NO corporate partners. There will be NO fashion lines. There will be NO tabloid pictures. There will be NO £25 unit cost. There will be NO street team. There will be NO MySpace. There will be NO celeb producer. There will be NO Twitter. There will be NO press/blogger gig. There will be NO acoustic session. There will be NO meet and greet. There will be NO edited version. There will be NO iTunes-only. There will be NO press launch. There will be NO Asian version. There will be NO radio friendly.«

21 Verneinungen bei 124 Wörtner, das ist, was man eine klare An- bzw. Absage nennt. Dem Vernehmen nach soll das, was man gemeinhin als "Musik" bezeichnet, aber auf der CD enthalten sein ...

Gehört_224



Passarella Death Squad “Passarella Death Squad”
(The Republic Of Desire)
Eigentlich spricht nichts dagegen, den Zustand “nichts wissen” zuweilen als angenehm zu empfinden, allerdings nur dann, wenn er recht bald vom Bedürfnis “wissen wollen” flankiert und alsbald negiert wird. Um Letzteres zu stillen hat, wie jeder weiß, der Herrgott nach massivem Murren der sterblichen Gefolgschaft schnell noch am Tag, der eigentlich der Ruhe vorbehalten war, “Wikipedia” erschaffen. (Dass er dabei gegen seine sonst vorbildliche Sorgfaltspflicht verstoßen hat, erkennt man daran, dass heutzutage jedes Schulkind beim Verfassen einer stinknormalen Allerweltshausaufgabe ohne das digitale Nachschlagewerk regelrechte Panikattacken bekommt – außerdem war der Belzebub so clever, mit Julian Assange einen sehr lehrreichen Zögling auf Erden zu platzieren, der in so ziemlich alle Suppen spucken konnte, die droben – aber das ist ein anderes Thema …)

“Nichts wissen” über PDS heißt also stöbern und aus den hervorgegrabenen Versatzstücken läßt sich dann eine nicht ganz gewöhnliche Geschichte bauen. In erster Linie nämlich sind die Londoner Danny Broddle und Emilie Albisser seit 2004 als Designer unterwegs und entwerfen für ihre Jünger vornehmlich schwarz gehaltene Mode für Liebhaber der späteren Stunden – also Clubbesucher, Nachtanbeter etc. Irgendwann sind die beiden dann auf die Idee gekommen, dass sie sich die Musik zu ihren Klamotten auch gleich selbst dazubasteln könnten, was das DJ magazine zu dem treffenden Kommentar veranlaßte: “Passarella Death Squad make beautiful clothes with a perfectly matching soundtrack.“ Gothtronic heißt das Ganze dann, wohlig blubbernde Synthieloops und dunkel pulsiernde Beats im Stile von The Knife, Human League, Clan Of Xymox oder Dead Can Dance unterlegen Albissers monotone und emotionsarme Stimme – gut geeignet für den unterkühlten Schreittanz im abgedunkelten Ambiente. Schweißperlen muß man dabei nicht befürchten – außer beim kraftvollen „Ima“ ist das Tempo eher untertourig angelegt.

Für die Gestaltung des Verpackungswerks konnten die derzeit schwer angesagten Pariser Fotokünstler und Designer Mathias Augustyniak und Michael Amzalag, bekannt unter dem Logo M/M, gewonnen werden, die unter anderem schon das visuelle Konzept für Björks „Vespertine“-Projekt entwarfen, man mag es also kunst- und stilvoll. Ob und warum allerdings eine Todesschwadron nach der argentinischen Fußballlegende Daniel Passarella benannt werden muß, konnte in der Kürze der Zeit nicht einmal Wikipedia beantworten ...
http://www.passarella.co.uk/ und http://passarelladeathsquad.blogspot.com/

Mittwoch, 5. Januar 2011

Gehört_223



Wire “Red Barked Tree” (Pink Flag)
Der Blick auf die erstaunliche Vita von Wire läßt einen rätseln, im wievielten Frühling sich diese Band denn nun eigentlich befindet, wo sie doch seit über dreißig Jahren fern jeder Peinlichkeit eine feine Platte nach der anderen zuwege bringt. Spötter nun könnten behaupten, die Londoner haben sich nach den agressiven Punkausflügen ihrer frühen Tage und nicht minder wilden rockistischen Wagnissen zu Beginn des neuen Jahrtausends mittlerweile auf eine enstpannte, altersgerechte und gruppendynamische Spielart des Postpunk geeinigt. Der Elektroniker würde es wohl eine Art akkustische Grundleistung nennen, die ohne größere Abstriche auch noch so manchem Greis gelänge.

Natürlich ist das unzutreffend und böse zugleich, denn wie schon auf dem gelungenen Vorgänger “Object 47” zelebrieren Wire auch auf dem aktuellen Album nichts weniger die Essenz ihres Schaffens. Dass Songs wie “Please Take”, “Adapt” oder “Clay” dabei mehr als gelassen, das fast fünfminütige “Down To This” sogar schon getragen klingen, kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen – sie hatten auch zu Zeiten von Großtaten wie “The Ideal Copy” schon solches im Programm. Zudem hieße es zu unterschlagen, dass Wire auch jetzt noch ihren Grinderman beherrschen – raue, schnellere Stücke wie “Now Was”, “Two Minutes” oder das stampfende “Moreover” wirken durchaus frisch und zu keiner Zeit aufgesetzt oder berufsjugendlich.

Wer die Mannen um Colin Newman dazu in letzter Zeit live gesehen hat, der weiß, dass sie noch wollen und auch können – sie sind einfach noch nicht fertig. Und wenn ihnen dabei hin und wieder ein Kunststück wie der abschließende Titelsong gelingt, dann dürfen sie meinenthalben auf ewig, idealerweise zusammen mit den versöhnten Zeitgenossen Hook & Sumner, als Bordkapelle auf Seniorenkreuzfahrt schippern.
http://www.pinkflag.com/

Dienstag, 4. Januar 2011

Gehört_222



British Sea Power “Valhalla Dancehall” (Rough Trade)
Schon Ende des vergangenen Jahres galt es ja als besonders schick, dem guten alten Indierock bei passender Gelegenheit ab und an mal kräftig eine mitzugeben, Tante SPEX leistet sich unter dem Motto „Junge Leute, aufgepasst!“ sogar eine Rubrik mit dem wenig zweideutigen Titel „Alles außer Indierock“. Neben fehlender Innovationsfreude wird dann schnell mal die bierernste, leidensminige Humorlosigkeit von Platzhirschen wie Arcade Fire, Interpol oder den Editors beklagt und ein Hohelied auf die allgegenwärtige Elektrifizierung des Genres gesungen. „Ha!“ hört man British Sea Power förmlich lachen, denn in Brighton denkt offenbar keiner daran, das Konzept „Lärmende Theatralik, eingepackt in optisch sparsam illustrierte Hüllen und versehen mit mehr als zweifelhaften Titeln“ nur einen Deut zu ändern.

Nach „Do You Like Rock Music?“ nun also „Narhal ...“ – Verzeihung: „Valhalla Dancehall“ und spätestens beim zähnefletschenden „Stunde Null“ (hier eher „Standenall“) weiß man wieder, dass die Jungs ihren voluminösen Gitarrensound gern mit leicht fragwürdigen Versatzstücken aus besser vergessenen Zeit schmücken – geschenkt. Musikalisch wenig Änderung, schüchterne Weltenumarmung meets pathetische Großraumriffs, British Sea Power bleiben ihrer Sache treu, wobei die Brüder Wilkinson mit leidenschaftlichen und seltsam gepressten Vocals und dem satten Bass auch weiter für das prägende Gerüst sorgen. Die Klasse von „The Lonely“ oder „Carrion“ vom Debüt „The Decline Of ...“ bleibt dabei zwar unerreicht, aber sie erliegen auch nicht Hang zur Überzuckerung von Sentimentbolzern wie Coldplay oder Snow Patrol. Mit „Living Is So Easy“ ist ihnen eine schöne, wavige Singleauskopplung geglückt („Living is so easy, shopping is so easy, dying is so easy, all of it is easy“), auch „Georgie Ray“, „Mongk II“ oder „Heavy Water“ erinnern angenehm an frühere Glanztaten.

Dazu gibt’s noch den fast zärtlichen Wechselgesang mit Abi Fry (Baby) und die beiden trägen, epischen Schwerstgewichte „Cleaning Out The Rooms“ und „Once More Now“, beide auf gut sieben Minuten gestreckt und nicht für jeden verdaulich. Nun, die Rettung des Indierocks ist ihnen mit diesem Album zwar nicht gelungen, dafür ist es streckenweise zu vorhersehbar, aber es läßt eine nicht immer zu Recht geprügelte Musikgattung zumindest in versöhnlichem Licht erscheinen.
http://www.myspace.com/britishseapower