Freitag, 15. Mai 2020

Sleaford Mods: Zorn und Beharrlichkeit

Sleaford Mods
„All That Glue“

(Rough Trade)

Retrospektive, wie Jason Williamson es nennt, trifft es tatsächlich besser. Denn diese stellt laut Wörterbuch eine „Präsentation des [früheren] Werks eines Künstlers, der Kunst einer zurückliegenden Zeit“ dar und erhebt keinesfalls den Anspruch, nur das Allerbeste zu versammeln. Wie sollte das auch gehen? Das Beste dieser Band ist auf vier Plattenseiten schlicht nicht unterzubringen! Gut, das ist jetzt eine sehr subjektive Sicht der Dinge, aber wo wir schon mal dabei sind: Sieben Jahre Bandgeschichte spiegeln die zweiundzwanzig Tracks von „All That Glue“ wieder, das entspricht bei vielen Anhänger*innen in etwa auch dem Zeitraum, da sie und er die beiden grundsympathischen Kerle aus dem Städtchen Nottingham kennengelernt und ins Herz geschlossen haben. Zeit und Grund genug also, mal etwas persönlich zu werden. Denn Rezensionen haben wir hier weiß Gott schon genug geschrieben (und es war, was Wunder, kein einziger Verriss dabei) – warum man aber, einmal angefixt, vom wüst schimpfenden Grantler und seinem kongenialen, lässigen Tonmeister nicht lassen will und kann, darf an dieser Stelle ruhig noch einmal aufgelistet werden.

Grundsätzlich wird jede/r im Leben auf verschiedenste Weise musikalisch sozialisiert, mal sind es die Geschwister, mal gar die Eltern, Schulhof, Pubertät, Freunde, Clubs, Konzerte, soweit normal. Und immer gibt es zwei, drei Künstler*innen, Bands, die den Kurs bestimmen oder auch mal für die große Umkehr sorgen, denen man verfällt, hoffnungs- und widerspruchslos. Das alles passiert in der Regel bis 30, maximal 40, dann ist Schluß mit neu, ab dann wird rückwärts gedacht, lebt oder hört wenigstens ins Gestern, hat die Retrobrille auf und sammelt alte Erinnerungen, Konzertkarten, Musikkassetten, verkratzte Platten. Um so mehr grenzt es an ein Wunder, wenn es zwei ebenso alten Säcke wie Williamson und Fearn gelingt, diese Routine zu durchbrechen und die Hörgewohnheiten noch in gesetztem Alter über den Haufen zu werfen. Man sich trotz morscher Knochen und sorgsam antrainiertem Phlegma stolz und aufgeregt wie ein Teen in die Moshpit vor der Bühne wirft und nach jedem neuen Song und Album giert, als sei es die Verheißung des Heilands persönlich.



Und warum das Ganze!? Weil die beiden mit störrischer Konsequenz einen Musikstil pflegen, der einen Shit auf vollumfänglichen, ausgewogenen Hörgenuß gibt und lieber die Direktheit, das Rohe und Unverfälschte feiert (ohne sich neuen Ideen zu verweigern, versteht sich). Weil sie seit Anbeginn ihrer Karriere nicht auf liberale Korrektness und politisches Lagerdenken achten, sondern denen die unbedingte Treue geschworen haben, die keine Stimme haben und so weit an den Rand gedrängt wurden, dass man sie weder sehen und hören kann. Trotzdem: Antiroyalistisch, anti-elitär, pro-europäisch. Du nennst es working class? Sie sagen: Mitmenschlichkeit (Williamson: „All I ask is for somebody with a kind heart. I know lots of working class people who are total wankers”/Clash). Und weil sie in ihrem Engagement, in ihrem Frust, ihrer Wut und ihrem Humor ungebrochen und bewundernswert ausdauernd sind, jeden Gig auf die gleiche Weise mit vollem Körpereinsatz und ganzer Leidenschaft angehen – wir sind hier, ihr seid hier, das ist der Moment.



Insofern ist die Auswahl auf der Compilation natürlich auch ein Zugeständnis an diejenigen, die sie seit Jahren, gerade auf den ausgedehnten Touren, mit größter Zuneigung begleiten: „Jobseeker“, „Jolly Fucker“, „Routine Dean“, „Tweet Tweet Tweet“, „Fizzy“ – allesamt live classics, Überhits, ein Status, den sich jüngere Tracks wie „Tarantula Deadly Cargo“, „TCR“, „B.H.S.“ und „OBCT“ gerade erst erarbeiten. Zwischendrin seltene B-Seiten, bislang Ungehörtes wie „Second“ aus der aktuellen „Eton Alive“-Session und schöne Spielereien („Slow One’s Bothered“ statt des bekannten „No Ones’s Bothered“). Und mit „When You Come Up To Me“ der vielleicht erstaunlichste Song des letzten Studioalbums, ganz ohne die gewohnte Agressivität, mit Singstimme, ein Lovesong, nearly. Man muss schon sehr lange suchen, um eine Band zu finden, die sich über einen so langen Zeitraum derart treu geblieben ist wie diese. Ihre Beharrlichkeit mag für manche/n altmodisch erscheinen, überkommen, weniger interessant – wir finden, sie ist vor allem ehrlich. Und notwendiger denn je.

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