Dienstag, 2. März 2021

Arlo Parks: Sanfte Überwältigung [Update]

Arlo Parks
„Collapsed In Sunbeams“

(Transgressive Records)

Natürlich macht man sich nicht gerade beliebt, wenn man sich im allgemeinen und völlig berechtigten Jubel um diese Platte mit dem erhobenen Zeigefinger und einem vorsorglichen „Ja, aber…“ bemerkbar machen will. Genaugenommen können das auch nur die Menschen nachvollziehen, die Ende der 80er schon im Vollbesitz ihres musikalischen Urteilsvermögens waren und also eine Künstlerin namens Tracy Chapman erleben durften. Die junge und schwarze Songwriterin debütierte 1988 mit einem Album, dass einer Sensation gleichkam – Bestplatzierungen in allen europäischen Hitlisten, Nummer eins der US-amerikanischen Billboard-Charts, man konnte diesen wunderbar weichen und doch brüchigen Songs damals nicht entkommen – und wollte es auch gar nicht. Zumindest anfangs. Denn mit solchen Sensationen ist es immer so eine Sache. Sie begeistern zunächst einige wenige, die dann die Euphorie weiter in die Magazine, Radios und TV-Stationen tragen und irgendwann landen sie dann in der VOGUE als akustisch passende Ergänzung zum neuen Designer-Couchtisch, in der heavy rotation diverser Kaffeehausketten (gab es in den Achtzigern zum Glück kaum welche) und im formatierten Dudelfunk – vorbei der Zauber.



Die Angst also, es könnte Gleiches mit der Musik von Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho, jetzt Arlo Parks, passieren, ist nicht ganz unberechtigt. Den Dudelfunk gibt es nach wie vor, maßgeblich wird dieser aber jetzt von der gefräßigen Intelligenz allmächtiger Algorithmen bestückt, der auch die Hitlisten von Streamingportalen füllt. Und selbst, wenn das mittlerweile als authentisch gilt, weil Realität, klingt es doch etwas traurig. Andererseits ist eben jene junge Londoner Künstlerin eine Ausnahmeerscheinung, betont queer, anfänglich eher Slam-Poetin als Liedermacherin. Schon ihre ersten Stücke, 2018 noch beim Kleinlabel Beatnik Creative veröffentlicht, ließen aufhorchen, waren vielversprechende Perlen des Indiepop, kaum entdeckt, aber schon in den Rubriken der Breakthrough-Empfehlungen für die kommenden Jahre gelistet. Und schon da wusste man, dass ein ganzes Album voll von diesen melancholischen, sanft pochenden Songs die Musikwelt im Sturm nehmen würde.



Und das tut es dann jetzt auch. „Collapsed In Sunbeams“ ist genau die Art von Album geworden, die man sich von Arlo Parks erhofft hatte, ein Seelenstreichler, ein tröstlicher Rückzugsort. Zur bekannten Klasse der vorab erschienen Stücke wie „Eugene“, „Caroline“ und „Black Dog“ gesellen sich nun unwiderstehlich groovende Tanznummern – „Too Cool“ und „Just Go“ sind eigentlich in der falschen (Jahres)Zeit gelandet, sollten eher die Ausgelassenheit eines unbeschwerten Sommers feiern als den miesepetrigen Lockdown-Winter. Und doch tun sie natürlich gut, verführen, stiften an, ziehen einen mit. Der Flow, den die Songs von Arlo Parks erzeugen, ist schon bemerkenswert und natürlich ist man da schnell bei Referenzen wie Massive Attack, Morcheeba oder auch den Klangmagieren von Everything But The Girl. Einen Verweis nach Bristol hat die Künstlerin dann tatsächlich im Programm – „For Violet“ wummert in gewaltiger Portishead-Manier, nur ihre weiche Stimme gibt der Nummer einen anderen Dreh als der zerbrechliche Gesang von Beth Gibbons. Es wird eine der Platten des Jahres werden, daran besteht nun kein Zweifel mehr, unsere Befürchtungen legen wir einstweilen erst mal zu Seite.

Update: Tourdaten jetzt dort, wo sie wahrscheinlicher sind - die Clubtour wird auf den Herbst verschoben.

13.08.  Hamburg, MS Dockville
18.11.  Berlin, Columbia Theater
21.11.  Frankfurt, Zoom
22.11.  Köln, Gebäude 9
24.11.  München, Ampere
26.11.  Zürich, Mascotte
13.12.  Hamburg, Mojo Club  



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