Sonntag, 28. Juni 2020

Haim: Angenehm ungeschminkt [Update]

Haim
„Women In Music Part III“
(Polydor)

Was jetzt eigentlich anders ist? Nun, genaugenommen gar nicht so viel. Es sind noch immer die drei Schwestern Danielle, Alana, Este, die seit acht Jahren gemeinsam auf der Bühne stehen und nimmt man das Ergebnis dieser Zusammenarbeit, die aktuelle, dritte Platte also, als Gradmesser, dann dürfte es um das familiäre Binnenklima derzeit besser denn je bestellt sein. Es gibt ja nicht wenige Stimmen, die behaupten, Haim hätten mit „Women In Music“ ihr bislang bestes Album abgeliefert. Schwer zu sagen, weil die Euphorie um ihr Debüt „Days Are Gone“ alles überstrahlte und der Nachfolger zwangsläufig einen schweren Stand haben musste. Dennoch: Je länger man sich mit der neuen Platte beschäftigt, desto mehr möchte man der vorangegangenen These zustimmen. Ernsthafter sind sie geworden, das lässt sich sagen – was sicher auch daran liegt, dass sie es (man hört es in vielen Interviews) ziemlich leid sind, jeder und jedem immer wieder erklären zu müssen, dass sie weit mehr sind als drei hübsche Girls, die zu gefällige Popmelodien die Hüften schwingen und für den Rest vorurteilsgemäß eine Entourage an Zuarbeiter*innen beschäftigen. Endlich als gute Musikerinnen, Songschreiberinnen wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden ist das Ziel – wer sich die aktuellen Videos anschaut und durch die Texte liest, entdeckt darin viele trotzige Blicke, Kommentare, Seitenhiebe, nicht von ungefähr treten die drei Schwestern mittlerweile der Öffentlichkeit im wortwörtlichen Sinne recht ungeschminkt entgegen.



Ein neues Selbstbewusstsein also ist es, was das neue Werk auszeichnet, beim Rest eher keine Experimente: Das Produzententeam nämlich ist unverändert – noch immer unterstützen die Langzeitfreunde Rostam Batmanglij und Ariel Rechtshaid das Trio maßgeblich bei der Entwicklung ihres Sounds, berät und betreut Regisseur Paul Thomas Anderson die visuelle Komponente. Das Klangspektrum von „Women In Music“ wurde ein wenig erweitert, zu Pop und Rock gesellen sich nun auch ein paar Jazzeinflüsse mit vereinzelten, sehr gelungenen Saxophonparts, gibt es Anleihen bei Soul und Funk („3am“) und selbst die Stimmen der drei werden schon mal vorsichtig verfremdet. All das passiert in kleinen Dosen, hier mal etwas Reggae („Another Try“), dort die karibischen Vampire-Weekend-Grooves („Los Angeles“/“Leaning On You“), nichts auf dem Album wirkt unbedacht oder übertrieben, im Vergleich zum Vorgänger wird nicht überproduziert, zählen Songidee und Inspiration mehr als der Ehrgeiz, die Sache perfekt machen zu wollen.



Denn diese Imperfektion ist es ja auch, die sie wie einen roten Faden durch die Songs der Platte laufen lassen. Beziehungslieder haben Haim schon immer gemacht, diese hier bilden auf neue Weise das kaum planbare, nicht selten widersprüchliche Durcheinander der Gefühle und Emotionen ab, die Freundschaften, Partnerschaften nun mal ausmachen. Und sie setzen dazu dem tradierten Rollenverständnis stärker als zuvor die weibliche Selbstbehauptung, das gewachsene Selbstverständnis entgegen. Fast jeder Song, sei es „The Steps“, „I Know Alone“, „Gasoline“ oder „Don’t Wanna“ spiegelt diese Entwicklung wider, zeigen deutlich, dass die Entscheidungshoheit heutzutage nicht mehr vom Geschlecht, sondern von innerer Reife und Stärke bestimmt wird. Und dass weiterhin bestehende Vorurteile (siehe „Man From A Magazine“) nicht nur überholt, sondern ermüdend und frustrierend sind. Kein Wunder also, dass sich selbst Haim einen PAEC-Aufkleber und ein paar e-Markierungen auf Spotify ehrlich verdient haben – es steht ihnen gut. Und wenn zu diesen deutlicheren Worten dann noch, wie bei „FUBT (Fucked Up But True)“, so schöne Einfälle wie die Purple-Rain-Schmachtgitarre kommen, haben sie für den Moment wieder mal alles richtig gemacht.

Update: Workout scheint bei den dreien ein wichtiges Thema zu sein, im Video zur aktuellen Single "Don't Wanna" treffen sie sich jedenfalls zu geschwisterlichen Wettlauf.



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