Sigrid
„Sucker Punch“
(Universal)
Selten wohl trifft man ein Album, von dem man sich so bereitwillig entwaffnen lässt wie von diesem hier. Jeden noch so kleine Aussetzer, jeden winzigkleinen Kritikpunkt nimmt einem die zweiundzwanzigjährige Norwegerin Sigrid fürsorglich aus der Hand, sogleich darf man sich nach versuchtem Einspruch wieder hinsetzen und weiterhören. Obwohl das mit dem Sitzen ohnehin nicht klappen würde, da ja hier fast alles nach Bewegung, nach Ausgelassenheit ruft. Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, da Sigrid Solbakk Raabe, so der vollständige Name, mit ihrer Single „Don’t Kill My Vibe“ für mächtig Eindruck sorgte und heute, da der trotzige Song nochmals mit dem Debütalbum nachgereicht wird, erkennt man auch, worauf das Selbstvertrauen der zierlichen, angenehm unprätentiösen Sängerin fußte: Denn die vorliegende Platte zeugt von bestechend treffsicherem Gespür für das, was man Superpop nennt. Zwölf Stücke, bei denen jeder Ton sitzt und nicht nur die Leadsingle „Sucker Punch“ einen Wirkungstreffer erzielt. Musikalisches Talent im Übermaß also, gepaart mit einer gut geschulten Stimme und dem Glück, sich zur richtigen Zeit die richtigen Leute für Songwriting und Produktion an die Seite zu holen – viel besser kann man es eigentlich nicht machen.
Und auch die Themenwahl kann einem wachen und neugierigen Charakter wie dem ihren nicht schwergefallen sein, es gibt viel zu erzählen über die Liebe und auch den Frust, wenn es mit dieser nicht so klappen will, über das irritierend oberflächliche Bild eines Popstars in der medialen Öffentlichkeit und die Sehnsüchte dahinter, über das Glück des Augenblicks und die Flüchtigkeit desselben. Hit auf Hit vom Start weg, klug abgemischte Dreiminüter, die auf direktem Weg ins Ohr gehen und auch, wenn sie nahezu alle nach dem gleichen Prinzip funktionieren, nicht langweilig werden. Da werden geschickt Streicher, Piano, Akustikgitarren eingebaut, gibt es Smartphone-Jingles, Rapeinlagen und selbst ein kleiner Ausflug in Sachen Dancehall geht erstaunlich standsicher über die bunt beleuchtete Bühne. Bezeichnend fast, dass „Level Up“, der geheime Favorit des Albums, auch der kürzeste Song geworden ist, sie hat einfach so viele davon im Programm.
Ihr, wie zu Beginn der Karriere und mit Veröffentlichung besagter Single, Arroganz zu unterstellen, ist schlichtweg lächerlich, kaum jemand wirkt angesichts solcher Perfektion und des zwangsläufigen, verdienten Erfolgs gelöster und sympathischer als das Mädchen aus Ålesund. Man darf vielmehr hoffen, dass sich diese Unbekümmertheit, mit der sie ihren Mitmenschen die Love- und Breakup-Songs entgegenschmettert, noch lange bewahren lässt, zu viele ihres Alters und Könnens wurden und werden schnell zu braven Prinzessinnen geformt, der Charakter geht oft genug in gleichem Maße flöten, wie die Austauschbarkeit zunimmt. Vielleicht ist es naiv zu glauben, an dieser Unschuld festhalten zu können. Aber beim letzten Song „Dynamite“ hat man eben auch die Szene vor Augen, als sich Julia Roberts als Anna Scott in „Notting Hill“ unter Tränen dem charmanten, aber zuweilen tölpelhaften Buchhändler (Hugh Grant) mit den Wort offenbart, sie sei doch auch nur ein Mädchen, das geliebt werden will. In diesem Sinne – bitte weitermachen. Und: Aufpassen. https://www.thisissigrid.com/
03.06. Köln, Lanxess Arena
07.09. Berlin, Lollapalooza
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