Donnerstag, 6. August 2020

Zugezogen Maskulin: Schaum vor dem Mund

Zugezogen Maskulin
„10 Jahre Abfuck“

(Four Music)

Die Frustrationstoleranz, ja also. Der kann man im Laufe der letzten Jahre beim Abnehmen zusehen, in potenzierter Geschwindigkeit. Und zwar auf allen Seiten. Keiner kann mit keinem mehr, jeder fühlt sich angepisst, verraten, verkauft, verarscht. Klare Feindbilder machen die Sache zwar übersichtlicher, aber nicht eben einfacher – so zu sehen bei Moritz Wilken und Hendrik Bolz. Knappe zehn Jahre seit dem Debüt „Kauft nicht bei Zugezogen“ arbeiten sich die beiden mit ZM an ihren Antikörpern ab, reiben sich auf im Reimkampf gegen die Verblödung der Massen, schreien an gegen Dumpfbrauntum, Ausgrenzung, Vorverurteilung und auch Sexismus (naja). Sie tun das mit Worten, die mehrheitlich heftig sind und zunächst einmal Haltung zeigen, an geeigneter Stelle aber auch zu Irritationen, Missverständnissen und Provokation führen. Und selbst wenn es so aussieht, dass ZM gut mit beidem leben könnten, es macht doch auch müde, das immerwährende Anrennen, er stumpft ab, der Zorn. Wenn einer also nach diesen zehn Jahren, weil er Merkel halbwegs okay findet, in diesem Land schon als radikal und subversiv gilt, dann ist’s vorbei mit der Zuversicht, dann gehen Laune, guter Glaube und Antrieb schnell ins Bodenlose.

„Heute sitzen Fackeln und Mistgabeln schön locker und Juden wieder auf gepackten Koffern. Jetzt sind es schon zehn Jahre, die ich in den Abgrund starre, aber wird es wirklich schlimmer oder wird mein Blick nur klarer, wird es wirklich dümmer oder werd' ich immer schlauer - frag mich in zehn Jahren nochmal, dann wissen wir’s genauer.“ So getextet im Titeltrack des aktuellen Albums, da klingt dann doch auch viel Ernüchterung und Müdigkeit durch. Dennoch: Auch „10 Jahre Abfuck“ ist nach „Alles brennt“ und „Alle gegen alle“ wieder eine Platte mit ordentlich Schaum vor dem Mund geworden, hier wird trotzdem anständig ausgeteilt. Die Nazischläger, Testosteronmachos, Hohlhirne, Rapversteher, Instaprinzen, sie kriegen alle eine mit – die Synthies spotzen, der Techno wummert (so dass man manchmal glaubt, aus dem Nebenstudio hätten Deichkind ihre Amps dazugestöpselt) und wenn Wilken nicht langsam etwas pfleglicher mit seinen Stimmbändern umgeht, kann auch der alte Mann da oben nicht mehr viel helfen.



Extrakrass und durchaus diskutabel wird es, wie erwähnt, also noch immer. Bei „Echte Männer Freestyle“ fantasieren und politisieren sich Wilken und Bolz ein paar heiße Partyszenen im Freundeskreis zusammen („ich bin was ich bin, ich hab das nicht geplant, von Linken verstoßen, von Rechten umgarnt“), müssen aber letztendlich zugeben, dass es zum „Geschlechtsverräter“ für Saubermänner nicht reicht. Und auch die Abspritztour durch’s nächtliche Berlin („Jeder Schritt“) ist ganz herbe Kost und extreme Gratwanderung, von der man hofft, dass nicht die falschen Leute mitbrüllen. Am Schluss schimmert sie dann wieder durch, die Lust an der Flucht: „Das Feuer gebändigt und den Hund gezähmt, jetzt können wir untergehen, wir haben genug gesehen“, heißt es höhnisch in „Es war nicht alles schlecht“ (war es eben doch) - bevor sich die beiden zum Spießerglück hinreißen lassen, nehmen sie doch lieber den Ausgang („Exit“). So recht vorstellen kann man sich das nicht, ZM in der Hängematte, wie sie der Welt beim Untergang zusehen, besser also, sie hängen noch ein paar Jährchen Abfuck dran.

07.08.  Berlin, Kino International
08.08.  Leipzig, Moritzbastei
11.08.  Köln, Zum Schrotty
07.08.  München, Olympiastadion
04.02.  Kiel, Die Pumpe
05.02.  Hamburg, Große Freiheit 36
07.02.  Berlin, Huxleys Neue Welt
12.02.  Rostock, Peter Weiss Haus
14.02.  Düsseldorf, zakk Halle
17.02.  Frankfurt, Batschkapp
19.02.  Jena, Kassablanca
20.02.  Dresden, Scheune
21.02.  Hannover, Musikzentrum
22.04.  Braunschweig, Westand
23.04.  Bremen, Schlachthof
24.04.  Erlangen, E-Werk
25.04.  Wiesbaden, Schlachthof
27.04.  München, Muffathalle
01.05.  Kaiserslautern, Kammgarn
06.05.  Köln, Gloria Theater
08.05.  Dortmund, Junkyard
09.05.  Bielefeld, Movie
13.05.  Freiburg, Jazzhaus
14.05.  Leipzig, Werk2

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