Mittwoch, 2. Oktober 2019

Deichkind: Die besten Bösen

Deichkind
„Wer sagt denn das?“

(Sultan Günther Music)

Ja, das ist die Frage, die man sich seit Jahren stellt – nur eben mit anderer Betonung ergo Bedeutung: Wer genau ist das nun, der das sagt. Oder rappt. Oder singt – naja, das nun eher weniger. Den Deichkindern paßt die Unsicherheit darüber, was genau sie eigentlich machen, seit Jahren ganz gut in den Kram und wenn man meinte, die Lösung gefunden zu haben, ging’s mit Vollbremsung und quietschenden Reifen in eine andere Richtung. Vielleicht lag und liegt aber auch darin der Reiz, dass jede/r ein Stück abhaben konnte von dem dicken Kuchen. Die Partyprinzen, die Technojünger, die Gangsterrapper, die Saufpunks und die Schlagerfuzzis, die Mitschnacker und Mittehipster. Tja und neuerdings dann auch die Kopfgesteuerten. Denn dort, im Feuilleton von FAZ, ZEIT, SZ und im Spiegel finden die ehemals mitleidig belächelten Schmuddelkinder, die niemand wirklich für voll nehmen wollte, mittlerweile ja auch statt, dort gibt’s plötzlich nicht nur einhelliges Kopfnicken und gnädige Einspalter, sondern ganzseitige Elogen, Deutungsversuche, Interviews satt. Da wird Platz freigeräumt, weil man erkannt hat, dass die gar nicht so wirr und durchgeknallt sind, sondern tatsächlich was Kluges zu sagen haben.



Und so begrüßen wir denn neuerdings (völlig zu Recht) Deichkind als durchaus ernstzunehmende Seismographen des überdrehten Zeitgeisttheaters, als Chronisten einer Welt im Wahn, die immer mehr einer Bühne für klein- und großkriminelle Laiendarsteller mit Nebenberuf Staatenlenker ähnelt und dafür sorgt, dass Textstoff in Fülle vorrätig ist, der nur noch in Form gebracht werden muß. Und wie sie das tun, ist schon (und schon wieder) Extraklasse. Deichkind arbeiten sich als kluge Wortkünstler und Lautmaler an allem ab, was uns tagtäglich zwischen Nachrichten und Netzwerken, in der Bürohölle und sogar in privaten Rückzugsräumen um die Ohren fliegt, was wir (bewußt oder unbewußt) selbst befördern, wogegen wir manchmal schon abgestumpft scheinen. Stichworte also: Fakenews, Teutonengehabe, Marktdiktat, die Dummheit der Masse, Ersatzreligionen, Fetischismus, alte Drogen, neue Drogen, mir das Meiste, keine/r eine Ausnahme.



Dabei verwehren sie sich strikt der Rolle von Hysterie- oder Hassverstärkern, davon, so sagen sie, gäbe es sonst schon genügend. Deichkind schauen und hören einfach sehr genau hin, auf’s Maul und noch mehr auf die Bildschirme, und was sie uns zurückmelden ist so unterhaltsam wie beängstigend. So treffend wie in „Wer sagt denn das?“ („Ich glaub ab jetzt nur das, was stimmt“) oder „Dinge“ („… geben Kingdom, Dinge nehmen alles“) wurden Silben und Worte in den letzten Jahren so noch selten verbaut. Die Rammstein-Persiflage auf das tausendjährige Bier-Imperium hat weit mehr Witz und Geist als das „Wurstwasser“ von Mundstuhl, zur Partyabsage gibt’s natürlich allerderbste Partymucke (was denn sonst) und auch sonst bekommt wirklich jede und jeder, ob Ökofaschist, Moneymaker, Serienjunkie, Konsumist oder Berufsoptimist ordentlich eine mit. Dass diese entlarvenden Nadelstiche dennoch Spaß machen, auch wenn man sich an der einen oder anderen Stelle ertappt fühlt, ist wohl das größte Verdienst der Band. Es ist wie bei gutem Kabarett – am lautesten wird applaudiert, wenn es am bösesten ist. Deichkind sind die besten Bösen. https://www.deichkind.de/



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