Tim Burgess
„I Love The New Sky“
(PIAS/Bella Union)
Es ist nur fair, wenn man sich dieser Tage etwas ausführlicher der neuen Platte von Tim Burgess, dem Kreativkopf der britischen Kapelle The Charlatans, widmet. Zum einen, weil „I Love That New Sky“ – wir greifen vor – mit Sicherheit eines der besten Popalben dieses Jahres geworden ist. Und darüberhinaus hat sich wohl kaum ein Musiker während des anhaltenden Corona-Lockdowns so anrührend und leidenschaftlich um das Wohl seiner Kolleg*innen gekümmert wie der Mann aus Manchester – und tut es noch. Innerhalb kürzester Zeit ist #TimsTwitterListeningParty zum Dauerbrenner avanciert, wer kein Konzerte besuchen kann (wie die einen) und ebensowenig welche geben darf (die anderen), setzt sich einfach mit einer gemeinsamen Lieblingsplatte vor die Anlage, Notebook oder Smartphone immer parat, um sich dann miteinander auszutauschen, in Erinnerungen zu schwelgen, gern auch mal etwas nostalgisch, gar eskapistisch zu werden. Da drehen dann Primal Scream, Oasis, die Sleaford Mods, die Idles, Blur oder Nada Surf auf dem Teller, wandern Fotos und Anekdoten von hier nach da, sage noch einer, Pop könne die Menschen nicht verbinden.
Zurück zu Burgess selbst und seinem fünften Soloalbum. Man muss nicht den kompletten Werkskanon seiner selbst und der Band (die ja im Übrigen nur auf Hold ist und sehr wohl noch existiert) kennen, um zu wissen, dass dieser Kerl ein begnadeter Songschreiber ist. Einer in der Tradition derer, die bei Worten wie Romantik, Melancholie, Ironie und Drama nicht gleich die große Flatter bekommen, Leuten also wie Paul Heaton, Stuart Murdoch, Jason Lytle, Damon Gough, Neil Hannon und vielleicht sogar Rufus Wainwright. Vielschichtigkeit ist das eine Zauberwort, Verspieltheit, Experimentierfreude, Stilsicherheit und Mut sind andere. Denn musikalisch ist diese Platte eine einzige, große Wundertüte, voll von schönsten Melodien, spannenden Instrumentierungen, waghalsigen Ausflügen - hey, schließlich haben wir neben Saxophon, Cello und Orgel auch Flöte und Kastagnetten dabei. Burgess versucht sich am Jazz und am Folk, er läßt Gitarrensoli erklingen, wie sie Santana nicht besser hätte einspielen können, kommt uns mit Männerchören und Kinderstimmen, kurz, mit allem, was ihm in den wunderbaren Kram passt.
Und erweist sich als Magier der Stimmungen: Hier der unverbesserliche Träumer („Sweet Heart Mercury“), bald darauf bei „The Mall“ der sarkastische Beobachter, der die Künstlichkeit und anhaltende Entfremdung von unserer Umwelt bei einem Gang durch’s Einkaufzentrum beißend kommentiert: “They say that you can’t win them all, but you can if you’re at the mall”. Aber Burgess ist tatsächlich auch ein Romantiker, ein Optimist, und zwar ein zuweilen sehr euphorischer, einer, der einen anzustecken vermag mit seiner guten Laune, auch wenn sich dahinter manchmal gar nicht so lustige Dinge verbergen. So heißt es zum Beispiel nach dem dem feinen Eingangsakkord von The Cure’s „Boys Don‘t Cry“ bei „Empathy For The Devil“: “I’m hoping the infliction affects you, and all your imperfections perfect you, not there yet but it’s all gonna work out fine“, das darf man wohlwollend und zweischneidig zugleich nennen. Deutlicheren Zuspruch gibt’s später bei „I Got This“: “Its gonna get better, just keep on climbing, one day you’ll be flying, I’ll be the one who walks you through the darkness. I got this”.
Ein ganzes Dutzend solcher kleinen Wunder gibt es hier zu hören, bei „The Warhol Me“ kratzen ein paar Gitarren, „Little Creatures“ hakt sich erst mit fulminantem Art Pop, danach mit funkigen Rhythmen unwideruflich im Ohr fest. Mal juxt der Schelm über die Vergänglichkeit der Dinge (“Whats your favorite Cure LP, I like Pornography, but it could be one of three“), mal bereut der traurige Erzähler („Undertow“), um gleich wieder Hoffnung und Zuversicht Platz zu machen. Ein stetes Schwanken, Umherspringen, Ausprobieren, doch immer dem Song als solchem treu verpflichtet - es fällt nichts auseinander, es macht einfach nur unglaublich großen Spaß. Ganz zum Schluß, bei „Laurie“, dreht er noch mal richtig auf, gibt ein prächtiges, standesgemäßes Finale, preist Freundschaft, Liebe, Beistand und endet mit dem Satz: “All that is important, is that you’ve been dreaming.“ Genauso, wie sich Burgess gerade als Twitter-DJ um die Werke anderer verdient macht, so müssen wir uns bei ihm für dieses Album bedanken. Ein besseres ist ihm bislang noch nicht gelungen und ob andere in diesem Jahr ähnliches zuwege bringen, darf zumindest mal angezweifelt werden.
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