Mittwoch, 30. Dezember 2009

Her damit!



Wenn anderswo um diese Zeit allerlei ermüdende Listen zum Abgesang des alten Jahres bzw. alten Jahrzehnts durchgekaut werden, wagen wir hier mal den freudigen Ausblick auf Kommendes - von links nach rechts im Uhrzeigersinn aufgelistet die bisher bekannten und interessantesten Neuveröffentlichungen für das Frühjahr 2010. Ein Grund mehr, dem alten Jahr, so gut es auch war, endlich Lebewohl zu sagen ...

Cold War Kids "Behave Yourself"
Massive Attack "Heligoland"
Get Well Soon "Vexations"
Eels "End Times"
Midlake "The Courage Of Others"
Hot Chip "One Life Stand"
Spoon "Transference"
Vampire Weekend "Contra"
Adam Green "Minor Love"
Tindersticks "Falling Down A Mountain"
Sade "Soldier Of Love"
Tocotronic "Schall & Wahn"

Dienstag, 29. Dezember 2009

Gehört_83



The Drums „Summertime!“ (e.p./Moshi Moshi)
Nein – das Outfit ist ganz sicher nicht der Grund dafür, dass The Drums an dieser Stelle flugs als Newcomer 2009 nachgereicht werden müssen, denn die vier übersmarten New Yorker sehen aus eine üble Wiedergeburt der britischen Hupfdolen BROS aus den frühen achtziger Jahren. Beim Anhören ihres Debüts wird allerdings recht schnell deutlich, dass sich die Jungs rein musikalisch deutlich vom befürchteten Vorbild abzusetzen wissen – da steckt dann wider Erwarten mehr Substanz dahinter. Nicht ganz zu Unrecht lobhudelt der allwissende Geschmacksverordner NME noch im auslaufenden Jahr: "New York's official Coolest New Band ... this might be the most contagiously energetic NYC band of the past 10 years." Und obschon man den zeitlichen Horizont erfahrungsgemäß getrost vergessen kann, muß man doch anerkennen, dass The Drums hübschen, entspannt klingenden Postpunkpop kredenzen – schöne kleine Liedchen, die zwar keinem wirklich wehtun, aber doch frisch und inspiriert wirken. Die Single „Let’s Go Surfing“ nennt ein wunderschönes Cure-Riff ihr eigen, beim luftigen „Don’t Be A Jerk, Johnny“ klingen sie ein wenig wie die Geistesbrüder von Vampire Weekend minus Weltmusik. Dazu fallen einem noch die Smiths, Orange Juice oder auch Depeche Mode in ihren Anfangstagen mit Vince Clark ein, auch für „Submarine“ und „Make You Mine“ tupfen sie gekonnt kleinformatige, schwerelose Klangskizzen zusammen. Bei „The Saddest Summer“ wird noch ein wenig an der Geschwindigkeit gedreht und die quietschvergnügte Melodie möchte eigentlich gar nicht zum düsteren Text passen (“Summer’s just beginning, baby / I might learn to hate you, lady / One week and you’re acting crazy / I might have to hate you, baby / This is what I thought it would be / This is the saddest summer ever”) – egal, wir wippen einfach mit und schauen mehr als neugierig, was 2010 für The Drums wohl bringen wird …

Montag, 28. Dezember 2009

Gefunden_39



Da habe ich geglaubt, St.-Pauli-Fan in München zu sein wäre eine schräge Sache ;-) Deutlich schräger allerdings kommt das ganze in New York - sehr unterhaltsam zu lesen, auf welche Art und Weise man sich dort ein einigermaßen aktuelles Livespiel auf den Bildschirm zaubern kann ...

Freitag, 18. Dezember 2009

Gefunden_38



OBI wird es nicht mögen, PRAKTIKER auch nicht und von HORNBACH ist ebenso wenig Zustimmung zu erwarten - der erste Song aus der neuen Tocotronic-Platte "Schall & Wahn" heißt "Macht es nicht selbst". Schade also für alle Werbemelodienverwurster, das Lied wird man kaum zu einem anderen Spot als dem eigenen Video sehen - auch die Freunde der katholischen Reinheitslehre werden sich mit dem Text wohl etwas schwertun: "Wer zuviel selber macht wird schließlich dumm, ausgenommen Selbstbefriedigung". Sehr schön das:
Video auf "3 min"

Gehört_82



Karen O & The Kids „Where The Wild Things Are“ (O.S.T./Universal)
Man hört und liest ja gar wunderliches über diesen Film von Spike Jonze und da muß die Frage natürlich lauten: “Kann man eine Platte rezensieren, ohne den Film dazu gesehen zu haben?“ Das würde bei „Twilight“ oder „Spidersuperbadman“ natürlich keiner fragen, weil diese Soundtracks in der Regel als bloße Ansammlungen von alltagstauglichem Songmaterial daherkommen, im besten und seltenen Falle gelingt darüberhinaus eine fesselnde, überraschende Mixtur von Liedern, die ein Stück weit die Idee des Films weiterzuspinnen vermögen – Tarantino, Almodovar, Jarmusch und Wenders sind solche Klangkünstler, die mit gutem Ohr und noch besserem Gespür solche Dinge leisten können.



Einen kompletten Film einer Person anheimzulegen kommt sicher nicht so häufig vor und doch scheint die Entscheidung, das Ganze in die Hände von Kravallchanteuse Karen O und Filmveredler Carter Burwell zu geben, nicht die schlechteste gewesen zu sein. Denn wenn man den Kritiken glauben darf – und das Buch hat man schließlich selbst gelesen und geliebt – geht es in diesem Film vordergründig erst einmal um eines: Krach. Und Karen O ist mit ihrer Band Yeah Yeah Yeahs über Jahre hinweg die perfekte Verkörperung von bewegtem Krach, von Lautsein, von Egalsein – die beste Besetzung also für die „Wilden Dinger“. Und wie sie das zusammen mit den Kindern auf der Platte hinbekommt ist schon anrührend zu hören. „One Two Ready Go!“ und ab geht die turbulente Reise – „All Is Love“ legt los wie die Feuerwehr und auch „Capsize“ und das herrliche „Rumpus“ sind bestens gemacht für’s kindliche Rempeln, Schubbsen, Quietschen, Kreischen. Dazwischen kleine, feine Miniaturen, zuweilen auch nur instrumental gehalten – bei „Animal“ wird einfach nur geschrien, gefaucht und rumort was das Zeug hält. Die größten Momente hat der Soundtrack wohl bei den leisen, den verhaltenen Stücken – die Geschichte vor Augen wird einem ganz warm und schummerig ums Herz, wenn Karen O „Worried Shoes“, „Hideaway“ oder „Food Is Still Hot“ anstimmt – entrückt, zerbrechlich, zärtlich, nicht von dieser Welt. Man muß den Film nicht gesehen haben um zu wissen, dass da ein Tempo in der Hand mit Sicherheit kein Fehler ist. Am Ende: „Sailing Home“ – sehnsüchtig, ein wenig enttäuscht und doch weiß ein jeder mehr über die Dinge die es eigentlich nicht geben kann und die doch so wundervoll wertvoll sind. Und nach der halbgaren Diskoplatte vom Sommer ist nun alles vergessen und wieder gut, thumbs up für Karen O!

Donnerstag, 17. Dezember 2009

Gefunden_37



Zwei Schriftstücke, zwischen denen satte 42 Jahre liegen, beide geschrieben von Ikonen ihrer Zeit, beide auf ihre Weise anrührend und deshalb natürlich zum Lesen nachdrücklich empohlen:
At first - David Bowie, damals selbst erst 20 Jahre alt, schreibt 1967 einer jungen Verehrerin in den USA eine Antwort auf ihre Fanpost, veröffentlicht auf einem Blog mit dem schönen Titel "Letters Of Note - Correspondence Deserving Of A Wider Audience". Fast möchte man denen auch das neueste Mail aus dem Postfach von Morrissey zur Verwahrung ans Herz legen, der Meister wendet sich am Ende eines für ihn recht ereignisreichen Jahres (Years Of Refusal, Zusammenbruch auf seiner Konzerttour, Swords) in gewohnt salbungsvollen und wehmütigen Worten an seine Jünger - es darf leise geweint werden.

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Gehört_81



Charlotte Gainsbourg „IRM“ (Warner)
Damit war ja nun nicht mehr zu rechnen, dass kurz vor Jahreswechsel noch eine mehr als respektable Veröffentlichung das Licht der Welt erblicken durfte – den Marketingstrategen von Charlotte Gainsbourgs Plattenfirma gehört also rein verkaufstechnisch in jedem Falle mal kräftig auf die Mütze gehauen. Andererseits nimmt sich „IRM“ als einziger Lichtblick im schauderhaften Brei der Weihnachtsangebote wiederum recht entzückend aus. Die letzte Veröffentlichung des juvenilen Tüftlers Beck Hansen liegt nun auch schon fast anderthalb Jahre zurück – „Modern Guilt“ war zwar kein großer, aber durchaus ein guter Wurf – die aktuelle Kollaboration mit der französischen Sängerin und Schauspielerin steht dem eigenen Werk in nichts nach und vereint auf angenehme Art und Weise sowohl seine als auch ihre Vorzüge. Es dürfte Beck entgegengekommen sein, dass Frau Gainsbourg, wie man nicht erst seit Lars von Triers „Antichrist“ weiß, keine sonderlich schreckhafte oder übertrieben fragile Person ist – so läßt sie sich gleich bei den ersten beiden Songs „Master’s Hand“ und „IRM“ bereitwillig in den Beck’schen Perkussions- und Geräuschekosmos einweben und überzeugt mit trockener Modulation zu allerlei akustischem Krimskrams. Erst die nächsten beiden Lieder entsprechen wohl eher dem allzu oft willkommenen Klischee französischer weiblicher Sangeskunst, welches sich seit Vanessa Paradis unwideruflich in schlichteren und/oder männlichen Gemütern eingegraben hat – Charlotte Gainsbourg bringt auch diese kleinen Stücke berückend über die Bühne. Bei der ersten Singleauskopplung „Heaven Can Wait“, einer gefälligen Midtemponummer, kommt auch der gewohnt schlurfige Gesang des Produzenten mit ins Boot, und auch das gelingt. Überhaupt scheint das Kostüm des elektrisch verstärkten Countryrocks – gekonnt gebrochen durch die leisen, schwebenden und zurückgenommenen Töne – beiden zusammen prächtig zu passen, es läßt sich keine wirkliche Schwachstelle auf diesem Album ausmachen. Nicht der Stonerrock von „Trick Pony“, nicht das angeflippte, durch den Vocoder gepresste „Greenwich Mean Time“, auch der Blues von „Dandelion“ funktioniert bestens. Einzig „Voyage“ wirkt mit seiner unruhigen, orientalischen Anmutung anfangs etwas ungewohnt, aber auch das gewinnt mit der Zeit einen gewissen Reiz. Über alles betrachtet eine spannende, oftmals überraschende Produktion – mutig, vielfältig, bezaubernd, Mdme. Sarkozy muß sich jetzt jedenfalls ganz schön strecken ...

Dienstag, 15. Dezember 2009

Gefunden_36 [UpDate]



Es hätte eigentlich ein ganz versöhnlicher Jahresabschluß werden können – gehörte doch zu den Topmeldungen 2009 die langersehnte Grablegung der anfangs recht amüsanten, seit gefühlten fünfzig Jahren aber überaus faden Poserposse Oasis – dankenswerterweise hatten sich ja die beiden dummen Brüder über die Frage, wer nun verdammt noch mal mehr Glamour habe, derart in die Haare bekommen, dass an ein Weitermachen zum Glück nicht mehr zu denken war. Wer nun wie ich gedacht hatte, damit sei nun alles ausgestanden, hat wohl zu früh gejubelt – die seit einigen Wochen anhaltenden Gerüchte über ein wie auch immer geartetes Fortbestehen des kläglichen Rests der Band haben sich jetzt in einem Interview mit dem einen dummen Bruder, Liam, verdichtet, der da sagte, es gäbe nun einen neuen Namen – Achtung: Oasis 2.0 (!!!) – und im Sommer des nächsten Jahres auch ein neues Album. Und ebenso erstaunlich: Sie wollen die gleiche Mucke wie bisher machen – Reggae oder Rap seien nicht zu erwarten. Was soviel bedeutet wie: Das Grauen geht weiter. Und wenn nun der andere Dummbeutel Noel auch noch auf die Idee kommen sollte, ein eigenes Projekt aufzuziehen, dann hat die ganze Trennungschose null komma nix gebracht, dann haben wir nämlich statt einer doofen Band gleich derer zwei! Spielt Jens Lehmann eigentlich Gitarre?
O-Ton bei nme.com

Mittwoch, 9. Dezember 2009

Oberpollinger 2009



Man muß sicher kein Hellseher sein um zu behaupten, dass in diesem Jahr wohl keine musikalischen Meilensteine mehr zu erwarten sind. Da reicht es schon, die Augen weit auf zu machen, werden einem doch an jeder Straßenecke die neuesten Attraktionen im vorweihnachtlichen Best-Of- und Greatest-Hits-Zirkus auf riesigen Plakaten wieder und wieder angepriesen. Da bringen Leute Platten unters Volk, die seit Jahren immer noch kein neues aka. immer das gleiche Lied auf rundes Plastik pressen in der Hoffnung dass sich genügend gefühlige Trottel finden, die den faden Aufguß auch jetzt wieder kaufen müssen. Ob Right Said Fred, Queen, AC/DC oder die schaurige Enya, alles muß raus und unter den Baum. Und wem das alles nicht reicht, der packt sich noch die neue „Alma Mater – Music from the Vatican feat. The Voice of Pope Benedict XVI“ dazu, von wegen Spirit und gutem Gewissen und so. Geschenkt – das Thema heißt Rückblick und da hat über das ablaufende Jahr so ein oberschlauer Musikjournalist namens Dietrich Dietrichsen so richtig endzeitmäßig gesagt, der Pop ist tot und riecht schon ganz streng, Neues geschweigedenn gutes Neues hätten wir ab jetzt nicht mehr zu erwarten. Weit gefehlt – selten hat ein Jahr mit so vielen Höhepunkten, zumindest in Sachen U-Musik, aufwarten können und ganz, ganz oben ist es am Ende so eng geworden, dass selbst solche Schwergewichte wie Morrissey, Fever Ray oder auch The Gossip einen Schritt zurücktreten mußten. Die Spitze ein klassisches Unentschieden: Jochen Distelmeyers „Heavy“ und The XX mit „XX“ – keinerlei Schwächen zu erkennen und deshalb der geteilte Podestplatz. Beim Buch auf 1 trotz oder wegen der aktuellen Bestsellerlisten die zwar schon im Jahr 2007 erschienene Triologie von Stieg Larsson „Verblendung/Verdammnis/Vergebung“, die allerdings auch erst in diesem Jahr in Deutschland und also auch bei mir so richtig angekommen ist. Wie im letzten Jahr sah es auch heuer mit Kinobesuchen ziemlich mau aus, deshalb aus Mangel an Alternativen, der Vollständigkeit halber und nicht zuletzt, weil’s einfach perfekte Unterhaltung war: Pixar’s „Up“. Vorbei das Ganze – her mit dem neuen Jahr!

Gefunden_35



Das ist natürlich lieb gemeint von der Tante SZ, aber der abgedruckte Wortlaut eines unterhaltsamen Interviews mit Peter Pacult, aktueller Trainer von Rapid Wien, aus Anlaß des Sieges seiner Mannschaft gg. den Karpfenberger SV und der damit verbundenen Eroberung der "Winterkrone" (vulgo: dt., Herbstmeisterschaft) - dieser Wortlaut ist eines, das Ganze im Originalton zu hören und auch zu sehen ist dann aber doch die weitaus größere Freude und reiht sich ein in die glorreiche Ahnengalerie solcher Heroen wie Trapattoni ("Flasche leer") oder Rudi Völler ("Mist, Käse"). Guckst Du: Pacult vs. Folkmann

Dienstag, 8. Dezember 2009

Meine Frau sagt ... [1]



So kurz vor dem Jahreswechsel noch eine neue Rubrik – dringend notwendig und nur gerecht, denn zum einen hält meine Frau mit PAMBU immerhin über 50% der Buchstabenanteile am Namen des Bloggs und desweiteren hat (auch) sie einen untrüglich guten Geschmack, der sich hier in so mancher ernstzunehmenden Empfehlung niederschlagen soll. Das alles in ungewohnter und erfrischender Kürze, denn auch die Hinweise erschöpfen sich nicht selten in Mails mit der Betreffzeile: „Kennst Du? Ist supergut!“. Supergut also zur Zeit die vogelwilden Naive New Beaters aus Paris mit ihrem spaßig-wirren Album „Wallace“ und das Debüt „Speech Therapy“ der Londonerin Speech Debelle – beides Sachen, wo Hören und Sehen sehr viel Vergnügen machen kann. Sagt meine Frau ...

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Gehört_80



The Bravery „Stir The Blood“ (Island)
Kurz nachgedacht – die Zeit vergeht – The Bravery, waren das nicht die Großmäuler aus New York, die sich vor einigen Jahren ein ziemlich markiges Zickenduell mit Brandon Flowers von den Killers leisteten und sich dabei gar mächtig verhoben? Man hätte sie wahrscheinlich noch schneller vergessen, wären sie nicht 2006 als Vorgruppe von Depeche Mode aus der Versenkung aufgetaucht – dort allerdings ereilte sie das Schicksal, das sie mit unzähligen anderen Supports der Briten teilen: Sie wurden schlichtweg missachtet. Und selbst das deutsche Wikipedia, sonst emsig gepflegt und gefüttert, hat seine Berichterstattung beim 2007 erschienenen Album „The Sun And The Moon“ eingestellt. Danach: Weißes Rauschen. Und doch haben sie jetzt tatsächlich ein neues Werk vorgelegt. Standesgemäß natürlich mit einem einigermaßen irritierenden Videoclip zu „Hatefuck“, den man bei YouTube nur mit einiger Mühe zu sehen bekommt, der dann aber wiederum diese Mühe kaum lohnt – hat man da nicht schon verstörenderes zu sehen bekommen? An der Musik der Band hat sich so viel nicht geändert, Frontmann Sam Endicott klingt immer noch wie die luzide und überdrehte Version eines kleinen Möchtegern-Robert-Smith, ansonsten irrlichtert er mit seinen Kollegen noch immer durch einen wild wirbelnden Kosmos aus den besagten, frühen Killers, den ebenso frühen Editors – man hat so den Eindruck, sie wollten unter keinen Umständen unnötige Experimente wagen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie sich mittlerweile schon selbst zitieren müssen. Die Songs sind durch die Bank energetische Herausforderungen, sie flirren, pfiepen, scheppern und hasten vorwärts als gäbe es kein morgen – haften bleiben sie kaum. „Song For Jacob“ hat sich ein schönes Riff gekrallt, bei „She’s So Bendable“ meint man flüchtig ein wenig vom Glanz der Jesus And Mary Chain zu spüren, da ist das Schweinemetallsolo von „Hatefuck“ aber gerade erst verklungen und hat einen kopfschüttelnd zurückgelassen. Bei „Red Hands And White Knuckles“ verarbeiten sie nicht ohne Reiz einige Versatzstücke von Depeche Mode, der „Jack-O-Latern Man“ rennt noch mal um alles Leben und mit „Sugar Pill“ haben sie offensichtlich auch ihre Interpol-Lektion gelernt. Und trotzdem, es bleibt dabei – sie machen zu vieles zu hektisch und zu vieles vom gleichen. Sie wollen eine schwarze Messe und bekommen doch nur immer wieder einen halbwegs morbiden Kindergeburtstag hin. Unterhaltsam zwar, aber wenn sich die Erwachsenen unterhalten, müssen sie leider ins Bett …
http://www.thebravery.com/

Montag, 30. November 2009

Hören+Sehen



Depeche Mode, Messehalle Erfurt, 28. November 2009
Ein Nachklapp, sozusagen - nach dem Open Air im Sommer im Münchner Olympiastadion nun die Indoor-Variante ein paar Monate später. Wie erwartet war der Eindruck deutlich druckvoller, kompakter, unmittelbarer, auch wenn es der Multifunktionshalle ein wenig an ehrwürdigem Flair fehlte. Davon jedoch haben sich die Jungs auf der Bühne keineswegs abschrecken lassen - los wie die Feuerwehr, keine Atempause und auch, das sicher am erstaunlichsten, keinerlei sichtbare Verschleißerscheinungen nach endlosem Touren. Der Anfang wie auch im Sommer eher mutig und gewöhnungsbedürftig mit drei neuen Stücken, doch wie vorher auch nahmen sie schnell Fahrt auf und hielten die Stimmung bis auf wenige Ausnahmen (Hole To Feed, Miles Away) stets am oberen Limit. Die Änderungen der Setlist waren eigentlich das schmerzlichste an diesem Abend - kein "Master & Servant", kein "Fly On The Windscreen", kein "Waiting For The Night" und nicht mal das in München noch zensierte Video zu "Strangelove" konnte ich mir im demokratischen Osten gönnen - auch weg. Der Verlust von "Peace" und vor allem "Come Back" ließ sich leicht verschmerzen und auf der Haben-Seite gab es wenigstens eine angenehm fette und beschleunigte Version von "Behind The Wheel" und mit "One Caress" und "Insight" zwei weitere Tearjerker von Martin Gore. Der Rest als Randnotiz: Von der Vorband wieder mal nix gesehen, ein Hoch auf die emsige Elektronikergilde, die die LCD-Leinwand leidlich hingepfriemelt bekam und natürlich auch ein Dank an Antenne Thüringen, die das Konzerterlebnis noch eine Weile - hier die Autofahrt zurück nach Jena - konservieren konnten. Schöner Abend, gute Freunde - mehr kann man nicht wollen ...

Montag, 23. November 2009

Gehört_79



Digital Leather „Warm Brother“ (Fat Possum)
Das nennt an dann wohl Duplizität der Ereignisse: Genau an dem Tag, an dem ich über die Platte von Digital Leather gestolpert bin, deliriert die BILD auf den Anschlägen ihrer Klaukästen in unvergleichlicher Poesie „Schwule Spione angeklagt: Kalter Krieg und warme Brüder“. Wo genau der Begriff „Warmer Bruder“ herkommt, weiß nicht mal Wikipedia so genau, angeblich wurde er Anfang des 19. Jahrhunderts für die zunehmend in das Licht der Öffentlichkeit tretende Homosexualität verwendet. An anderer Stelle wird behauptet, es handele sich um eine umgangssprachliche Bezeichnung aus den Kreisen der deutschen Waffen-SS aus dem zweiten Weltkrieg. Gut bekannt auch das Gekeife von Franz Josef Strauß in der ZEIT von 1971 „Ich will lieber ein kalter Krieger sein als ein warmer Bruder.“ Richtig weiter bringt einen das mit der Platte auch nicht, denn beim Betrachten des Covers ergibt sich schon das nächste Rätsel: Was um alles in der Welt macht gerade dort Werner Hackmann? Die Ähnlichkeit ist frappierend – wäre der Fall des vor einiger Zeit verstorbenen Liga-Funktionärs nicht so ernst, man könnte munter weiterraten. So aber bleibt die Musik – Digital Leather machen elektronisch verstärkten, angepunkten Indierock und klingen wie eine krude Mixtur aus Bloodhound Gang und Grandaddy. Im Song „Your Hand, My Glove“ kommt dann noch eine wavige Komponente hinzu, die man hierzulande gern mit Ideal verkoppeln kann. Der Reiz dieser Platte ist wohl auch dem seltsamen Proberaum-Charme der einzelnen Stücke geschuldet, vieles klingt irgendwie unfertig und noch recht grob gearbeitet, lässig dahin gespielte Demoversionen aus der Garage, die den Feinschliff noch vor sich haben. Schaden tut das alles aber nix, „Modern Castles“, „Homesick For Terror“ mit seinem Ian-Curtis-Gedächtnis-Outro, „Gold Hearts“ und überhaupt der ganze Rest bleiben kleine Perlen, die nur darauf warten entdeckt zu werden. Auch wenn der Name des Albums leicht bescheuert klingt …

Sonntag, 22. November 2009

2:3



Da kann man dann doch schon mal ins Grübeln kommen - das nächste Auswärtsspiel, die nächste Niederlage. Mit 2:3 mußten sich die Kiezkicker heute dem konsequenteren Team, dem FC Augsburg geschlagen geben und mit einer zwar unglücklichen, dennoch verdienten Niederlage wieder nach Hause fahren. Die Stationen: Kontrollierter Beginn, glückliche Führung durch Ebbers nach einer halben Stunde, Rote Karte für Lechner, Fehlpaßfestival auf beiden Seiten - Halbzeit, Ausgleichstreffer Thurk, Eigentor Morena, Ausgleich Ebbers, zwanzig Minute Zittern mit vorhersehbarem Schlußpunkt FCA - Tor Sinkala nach 93 Minuten, Ende. Ein spannendes, ein aufregendes Spiel und doch kein sehr befriedigendes Ende - es wird Zeit, dass ich die Jungens auch mal siegen sehe, auf Dauer ist das etwas frustrierend, immer nur zu Niederlagen zu wahlfahrten. Dank Franze Hanglberger gab's aber zumindest eine erstklassige Stadtführung und ja, eine wunderschöne Stadt, ein prächtiges Stadion, nur gerade heute hätte ihm etwas mehr Gastfreundschaft gut zu Gesicht gestanden.

Samstag, 21. November 2009

Gefunden_34


(Fast) ohne Kommentar: Immer auch das Kleingedruckte lesen - Supporters Rostock. Na ja, da reicht dann ein Blick auf die Tabelle: St. Pauli 3, Rostock 15 - und jetzt weiterärgern ...
(Gesehen in München, Tumblinger Straße)

Dienstag, 17. November 2009

Gefunden_33



Wo Blumfeld, da Tocotronic - zumindest ist der Sprung kein so weiter. Am 22. Januar nächsten Jahres kommt ihr neues Album "Schall & Wahn" und der Coverentwurf ist schon mal draußen. Ja - und man weiß nicht so recht, ob das nun ein Dummy, ein Witz oder doch große Kunst ist, in jedem Falle stellen sie die Geschmackssensoren auf eine harte Probe.

Gehört_78



Wenn sich alle Welt wie wild gebärdet, darf man gern auch mal ein wenig auf die Bremse treten und die Gedanken ordnen, in der Hoffnung, noch einen halbwegs ungebrauchten Satz zum erneuten Comback von Robbie Williams zu finden. Auffallend viele haben sich ja hierzulande um dieses angebliche Phänomen gekümmert, ganz vorn natürlich die Freunde des investigativen Journalismus – kurz: Klatschpresse, gefolgt von den einschlägigen Musikjournalen – der SPEX war der Coverboy sogar eine ganze Menge Ärger im eigenen Forum wert, Popdiskurs rules. Interviews wohin man schaut, viel Erhellendes haben auch die nicht zu Tage gefördert, was vielleicht daran liegen könnte, dass der Junge möglicherweise gar nicht so interessant ist wie mancher denkt, sondern nur ein cleverer und überdurchschnittlich begabter Musiker und Entertainer mit einer mäßig spannenden Weltsicht, der zwei, drei sehr gute und mindestens die gleiche Menge an recht mittelmäßigen Alben veröffentlicht hat. Wenn man sich nun bei der Betrachtung auf seine, Robbie Williams’ Kernkompetenz, das Musikbusiness beschränkt, fällt auf, dass der Junge aus Stoke-On-Trent auf seine Art auch ein Verweigerer ist. Denn während es in seinen Kreisen wie die Botox-Flatrate zum guten Ton gehört, sich die neue Scheibe wahlweise von Timbaland, Pharrell Williams, Diplo oder Stuart Price abmischen zu lassen, nimmt er – tja: Trevor Horn. Gut, wer einiges an Jahren auf dem Buckel hat, der kann sich an Frankie Goes To Hollywood, Grace Jones oder The Art Of Noise noch bestens erinnern, der Rest allerdings wird sich Augen und Ohren reiben. Doch während sich nun die Alben der oben genannten Studiokoryphäen ausnahmslos perfekt, spiegelglatt und leider auch ziemlich identisch anhören, klingt das neue von Robbie Williams trotz oder wegen Mr. Horn eigentlich nur nach Robbie Williams. Und das muß nach den beiden letzten, leidlich mißratenen Versuchen nicht das schlechteste Rezept sein. „Reality Killed The Video Star“ hat wieder mehr als genug von dem, was topschicke und quietschvergnügte Moderatorinnen bei ProSieben gern „waschechte Schmusehits“ nennen (Morning Sun, Blasphemy, Deceptacon, Superblind), größtenteils üppig orchestriert und fast schon wie gemalt für die drohende Take-That-Reunion. Die breitbeinigen Rocknummern (Do You Mind, Won’t Do That) finden sich in dankenswert klarer Minderheit – Robbie scheint begriffen zu haben, dass er John Bonjovi hier nicht das Wasser reichen kann und erst recht nicht muß. Angenehm überraschend dann die neue Ausrichtung hin zu Disko und Dance - mit „Starstruck“, „Difficult For Weirdos“ und erst recht mit dem prickelnd unterkühlten „Last Days Of Disco“ bringt er gleich eine ganze Ladung Clubfutter, zusammen mit dem Zwitter „Bodies“ ist das deutlich mehr an Hörbarem als auf „Intensive Care“ und „Rudebox“. Insofern hat er mit seiner neuen Platte eines der wichtigsten Survivalgesetze beachtet: Bei Gefahr – hier drohendes Karriereende – stehen bleiben, umdrehen, Blickkontakt halten und langsam rückwärts gehen. Wollen wir ihm wünschen, dass das die Rettung war, verdient hätte er’s …

Montag, 16. November 2009

Hören+Sehen



Jochen Distelmeyer, Ampere, München 15. November 2009
Es ist ja eigentlich egal, ob man sich nun noch zur Ü40- oder doch schon zur U50-Fraktion zählt – die Zahlen allein sehen schon einigermaßen erschreckend aus – Fakt ist, dass man sich nur noch selten ins feindliche Draußen zu einem Konzert wagt. Um so wichtiger ist es natürlich, dass gerade dieses Konzert dann auch ein gutes wird, denn alles andere wäre traurige Zeitverschwendung. Und dann steht man im proppevollen Ampere, Sonntag Abend und der Tatort ist futsch, man schaut in die Runde und weiß plötzlich, dass das ein schöner Abend werden kann: Alles Leute um einen herum, denen der Collnessfaktor dankbar egal zu sein scheint, die also nicht viel mehr als gute Unterhaltung haben wollen. Hinzu kommt, dass das leidige Deppenrisiko bei solchen Konzerten gen Null geht, keine Endlosquatscher, keine penetranten Raucher oder Rumhüpfer und nur vereinzelte Mobilfotografen – erwartungsfreudige Gesichter überall. Persönlich freut man sich ja schon, dass es für einen selbst Jochen Distelmeyer geworden ist, nicht BAP, nicht Roger Cicero und erst recht nicht Westernhagen. Blumfeld sind seit Jahren trotz oder wegen ihrer Konsensverweigerung mehr als okay und als Distelmeyer mit seiner neuen Band verbraucherfreundlich pünktlich kurz nach neun die Bühne betritt und die ersten Akkorde geschlagen werden, weiß man auch, dass das für einen selbst immer so bleiben wird. Gleich zu Beginn drei Energieschübe zum Warmwerden vom aktuellen Album – „Wohin mit dem Hass?“, „Einfach so“ und „Er“ – die Jungs brettern los und der Herr Distelmeyer, man mag es kaum glauben, gibt die coole Rampensau. Danach der erste Ausflug ins Blumfeld-Repertoire – „Ich, wie es wirklich war“ von „L’Etat et moi“, die Menge – einige dann doch im passenden Nostalgieshirt – freuts und alle haben Spaß. Beim Beobachten des gedrängten Bühnentreibens fällt auf, dass Distelmeyer eigentlich dann am entspanntesten ist, wenn er sein Arbeitsgerät um den Hals hängen hat – dummerweise wechselt er dieses nach jedem Song und so wird es dazwischen immer ganz kurz ganz hektisch: Lied vorbei, ausstöpseln, abgeben, hernehmen, umhängen, einstöpseln, auf den Boden spucken (Distelmeyer, jawohl) – „Vielen Dank!“ – weiter geht’s. Alles was folgt – die reine Spielfreude: „Eintragung ins Nichts“ mit einem netten Gruß an unseren neuen BAM Guido W., zwischen „Schmetterlings Gang“ und „Laß es Liebe sein“ eine mehr als augenzwinkernde Widmung für Mediendarling Megan Fox, eine fette Beatversion von „Hiob“ und ein berauschender Wechselgesang mit allen Verehrern bei „Status Quo Vadis“ – was Distelmeyer anpackt, gelingt und es macht allen Beteiligten unten und oben sichtlich Spaß. „Woansinn!“ sagt der lustige Jochen phonetisch inkorrekt, und: „Minga“. Aber hallo! Es folgen noch „Liebeslieder“ aus der grauen Vorzeit um 1992, ein fast schon troubadouriges „Wir sind frei“ und gegen Ende auch noch das schaurige Rezitativ „Pro Familia“, fast schon Klassiker, alles Kanon, leidenschaftlich mitgesungen in der allseits zufriedenen Runde. Als kurzes Kleinod noch die instrumentierte Version vom aktuellen „Regen“ – dann raus in die milde Nacht. „Ein schöner Abend, das meine ich so!“ von oben - danke, ganz meinserseits …

Freitag, 13. November 2009

Gefunden_32



// Achtung: Sollte es für meinen Blog Leser unter 25 Jahren geben, dann werden die nächsten Zeilen einigermaßen schwer verständlich sein, es kommen darin Worte vor (Platte, Vinyl, B-Seite, etc.), die im U25-Sprachgebrauch wahrscheinlich schon nicht mehr existieren.//

Da hat aber mal jemand an die Hörer gedacht: Die Ärzte, bekannt als die beste Band der Welt, sind mit dieser Nachricht unbestritten auch die einfallsreichste – sie veröffentlichen nämlich ihre nächste Single in einer – Achtung! – Dreifachhelixvinylversion. Das heißt, jeder der drei ausgewählten Songs „Perfekt“, „Breit“ und „Himmelblau“ wird in einer separaten Tonspur parallel zu den anderen auf die eine Seite der Platte gepresst, je nachdem, wo man die Nadel des Plattenspielers ansetzt, wird dann der eine oder andere Song zu hören sein. Auf der B-Seite gibt’s dann eine Standbildversion als Video, auch lustig. Zu sehen und zu bestellen bei: http://www.bademeister.com/

Mittwoch, 11. November 2009

Gehört_77



Them Crooked Vultures “Them Crooked Vultures” (RCA/Sony)
Selbst wenn man noch keine fünfzig ist, hat man heute als halbwegs wacher Musikrezepient schon viele sogenannte Supergroups diverser Spielarten kommen (und zuweilen auch schnell verschwinden) sehen. Und egal ob sie nun Audioslave, The Good, The Bad & The Queen, Velvet Revolver oder The Raconteurs heißen – immer versammelt sich illustres und zumeist sehr talentiertes Personal um eine herausragende Persönlichkeit, die dieser Zweckgemeinschaft als Klammer dient und die Prägung vorgibt. Ob nun Tom Morello, Damon Albarn, Slash oder Jack White, ein jeder drückt seinem Projekt den Stempel der Dominanz auf – follow the leader. Auf den ersten Blick gilt dies auch für Them Crooked Vultures, den wohl heißesten Hype des ausgehenden Jahres, denn es sind zunächst die Queens Of The Stone Age von Frontmann Josh Homme, die sich hier zunächst in den Vordergrund schieben. Doch recht schnell merkt man beim Anhören dieses heftigen und kantigen Brockens, dass sehr wohl auch die beiden anderen Mitglieder dieser Kollaboration ihre deutliche Handschrift beigetragen haben. Vor allem der raue Bluesrock von Led Zeppelin-Bassist John Paul Jones gibt dem Großteil der Songs eine angenehm erdige Note – „No One Loves Me ...“ oder das schwergängige „Elephants“ gewinnen so deutlich an Charme. Bei „Scumbag Blues“, einem richtigen Rockfetzen, ist die Spielfreude der drei schier mit Händen zu greifen, Gitarrensoli galore und ab dafür. Andere Stücke wiederum sind eher beatgetriebene Stoner-Nummern – „Mind Eraser“ mit seinem lustigen Horn-Outro, die erste Single „New Fang“ oder auch die deutlich beschleunigten „Dead End Friends“ und „Gunman“. Alles gebrochen, nichts geglättet – mit „Warzaw...“ gibt’s gegen Ende sogar noch einen satten, fast neunminütigen Nachschlag lupenreinen psychedelischen Progressive-Metal – können sie also auch. Kurz, diese Mischung macht deutlich mehr Spaß als manches spätere QOTSA-Album, auch wenn einem nach einer Stunde der Schädel mächtig dröhnt. Aber das wiederum sollte ja bei dieser Art von Supergroup als Arbeitsnachweis mindestens zu erwarten sein ...

Gehört_76



Bad Lieutenant „Never Cry Another Tear“ (Universal)
Zum Thema “Rockmusik und alte Männer“ fallen einem auf Anhieb eine ganze Menge garstige Vergleiche und Metaphern ein, wobei „zahnlos“ an erster Stelle stehen dürfte, dicht gefolgt von „inkontinent“ – Sinnbild für den unaufhörlichen Drang nach Veröffentlichung jedweden Materials unabhängig von dessen Qualität und Relevanz. Das trifft natürlich nicht zu 100 Prozent auf die neue Band von Bernard Sumner zu, aber ganz so abwegig kann der Vorwurf auch nicht sein. Zähne zeigen war Sumners Sache wahrscheinlich eh’ noch nie – nach dem Ende von Joy Division steuerten New Order nach und nach vom Postpunk über Wave zum gitarrenumspülten Dancepop und schon diesen Weg mochte der eine oder andere Fan der ersten Stunde nur schwerlich mitgehen. Doch spätestens mit seinem Nebenprojekt Electronic, gegründet mit Gitarrenguru Johnny Marr, hatte die Musik jene Unverwechselbarkeit verloren, war weder stilprägend noch maßgeblich und doch nicht schlecht. Und Bad Lieutenant machen da ansatzlos weiter: routiniert gespielte Tanznummern, belanglos aber schön. Nach dem Einstieg mit „Sink Or Swim“ und „Twist Of Fate“, die beide noch am ehesten an New Order und deren perfekten, schimmernden Sound erinnern, kommt eine ganze, große Menge an recht durchschnittlichem Popmaterial, was sich ganz gut nebenbei hören läßt – zum pophistorischen Diskurs allerdings taugt es nicht. „Dynamo“ versucht zur Mitte hin, ein wenig aus diesem gefälligen Schema auszubrechen, möchte böse und laut klingen – aber hey, das haben Midnight Oil vor Jahren doch schon eine Spur bissiger hinbekommen. „These Changes“ mit Jake Evans am Mikro wiederum ist eher Grunge als Pop, was die Sache aber auch nicht unbedingt besser macht. Richtig sauer kann den dreien trotzdem niemand sein, es klingt nichts falsch, drängt sich aber auch beileibe kein Stück in Vordergrund. Was man den Jungs allerdings sehr wohl vorwerfen muß ist der eklatante Fehlgriff bei der Wahl des Bandnamens, denn „Bad Lieutenant“ ist ein so abgründiger, verstörend düsterer Film, der einen mit einer gehörigen Portion Unwohlsein zurückläßt – nichts davon hat diese Musik. Hier wäre „Das große Krabbeln“ sicher die bessere und treffendere Alternative gewesen.

Freitag, 6. November 2009

Gefunden_31



„Ein Einwohner aus Stockholm fährt zur Entenjagd aufs Land. Als er eine Ente sieht, zielt er und schießt. Doch der Vogel fällt auf den Hof eines Bauern, und der rückt die Beute nicht heraus. „Das ist mein Vogel“, besteht der Städter auf seinem Recht. Der Bauer schlägt vor, den Streit, wie auf dem Land üblich, mit einem Tritt in den Unterleib beizulegen. „Wer weniger schreit, kriegt den Vogel.“ Der Städter ist einverstanden. Der Bauer holt aus und landet einen gewaltigen Tritt in den Weichteilen des Mannes. Der bricht zusammen und bleibt zwanzig Minuten am Boden liegen. Als er wieder aufstehen kann, keucht er: „Okay, jetzt bin ich dran.“ „Nee“, sagt der Bauer im Weggehen, „hier, nehmen Sie die Ente.“
(Laut „Reader’s Digest“ wählten 16.000 Menschen aus 30 Ländern dies zum besten Witz der Welt, DWK 6. November 2009)

Donnerstag, 5. November 2009

Gehört_75



A Place To Bury Strangers „Exploding Head“ (Mute)
Der Gedanke, die Qualität einer Band ließe sich hauptsächlich über den Grad ihrer Unhörbarkeit bestimmen, ist sicherlich außerhalb der Death- und Doom-Metal-Szene sehr schwer zu vermitteln und greift im Falle der New Yorker Band A Place To Bury Strangers auch deutlich zu kurz. Zwar erzählen die drei Kravallmacher aus Brooklyn stolz einem jedem, der es hören will (und noch kann), dass sie die lauteste Noiseband des jungen Jahrtausends seien – und wer sie jemals live gesehen hat, wird das sicher nicht in Abrede stellen. Hinzu kommt, dass es kaum eine Band gibt, die in Sound und Attitüde einen so eindeutigen Bezug auf ihre Vorbilder nimmt – die Wahlverwandschaft mit den Gebrüdern Jim und William Reid und deren grandioser Feedbackcombo The Jesus And Mary Chain wird einem mit jedem einzelnen Takt förmlich in den Schädel gehämmert. Doch wo diese dem Hörer zuweilen noch sanft verzerrte Entspannung boten, wird bei A Place To Bury Strangers das Inferno zum Diktat erhoben – Atempausen Fehlanzeige. Dass pure Lautstärke aber durchaus auch Poesie sein kann, haben sie schon mit ihrem selbstbetitelten Debüt 2007 unter Beweis gestellt, und auch auf dem neuen Album gibt es zum Krach immer auch die zauberhafte Melodie, den tonnenschwer rollenden Bass und den hallenden Offgesang. Manches kommt sogar mit leicht gebremstem Beat aus, „Keep Slipping Away“ zum Beispiel ist deutlich zurückgenommen – und wird natürlich gleich im Anschluß von „Ego Death“ ohne jede Rücksicht „brutalstmöglich“ (Roland K.) niedergemäht. Aus der Reihe fällt auch „Smile When You Smile“, das bei aller Härte Shoegazing und Gothic zusammenzwingt und dabei fast beschwingt wirkt. Vorher und nachher wunderbare Rückkopplungsorgien, immer am Limit, mal besser („In Your Heart“ und „Dead Beat“), mal nicht ganz so gelungen („Everything Always Goes Wrong“) und dann klingen sie, man möchte es nicht glauben, fast wie eine überzüchtete Variante von The Cure („Exploding Head“). Und mit dem fulminanten Abschlußsong liefern sie schon mal einen möglichen Bandnamen für kommende Nacheiferer „I Lived My Life To Stand In The Shadow Of Your Heart“. Klar ist jedenfalls: Wer diese Platte leise anhört, der hat sie nicht verstanden. Zaghafte Gemüter sollten sich deshalb schon vor dem Druck auf die „Play“-Taste bei Wikipedia unter dem Stichwort „tinnitus aurium“ informieren, denn das dort so schön umschriebene „Klingeln in den Ohren“ werden sie nach Ende der gut vierzig Minuten noch näher kennenlernen dürfen.

Mittwoch, 4. November 2009

Gehört_74



Cold Cave „Love Comes Close“ (Matador)
Mit der Personalie Wesley Eisold können bestimmt nur die spezialisiertesten Spezialisten dieses Planeten auf Anhieb etwas anfangen und es muß sich sicher keiner schämen, wenn ihm zu den Bands American Nightmare, Give Up The Ghost oder XO Skeletons nichts Nenneswertes einfällt. Das sollte sich allerdings bei seinem neuesten Projekt mit dem wahrhaft freudesprühenden Namen Cold Cave schnell ändern, denn deren Debüt „Love Comes Close“ hat durchaus das Potential zum Jahresendgeheimtip. Für Unentschlossene hier kurz die Koordinaten, zwischen denen sich die Musik des Quartetts aus Philadelphia verorten läßt: New Order in ihren düsteren Anfangstagen (Titeltrack „Love Comes Close“ und „Youth And Lust“), eher die verkabelten als die angepunkten Wire („The Trees Grew Emotions And Died“), in jedem Falle auch Fad Gadget („The Laurels Of Erotomania“ und „I.C.D.K.“) und die Berliner Malaria, die einem ebenfalls bei mehreren Songs in den Sinn kommen. Die Liste mag ein jeder für sich komplettieren, fest steht, dass Cold Cave mit dieser zweifellos sehr dunklen Mischung aus Wave, Electro und Punk so dermaßen angenehm aus der Zeit fallen, dass es eine wahre Freude ist. Frühere Sachen von diversen EPs klangen zwar deutlich biestiger, doch trotz aller Glättungen ergibt man sich bereitwillig dem Kopfkino, für das Eisold hier die Kulissen schiebt. Klasse Platte, nichts auszusetzen, außer dass jetzt vielleicht mancher seine mühsam erarbeiteten Listen für den Jahrespoll noch einmal überdenken muß – für das kalte Grab sollte doch noch ein Plätzchen frei sein.

Dienstag, 3. November 2009

Gefunden_30



Das kleine Werk ist gerade raus, das große wirft bereits seine Schatten - Anfang Februar kommenden Jahres erscheint das neue Album "Weather Underground" von Massive Attack. Daraus gibt es jetzt mit dem Video zu "United Snakes" einen ersten äußerst sehenswerten Vorgeschmack. Aber Achtung - zu solcherlei visuellen Darstellungen wird immer gern darauf hingewiesen, dass verschiedentlich schon Personen nach dem Anschauen wegen epileptischen Anfällen und Herzrhythmusproblemen behandelt werden mußten. Obacht also:

Völlig irre!



Bis gestern Mittag las sich das noch so: „Völlig irre! Margot Honecker feiert 60sten Geburtstag der DDR!“ und „Völlig irre! Andre Agassi spielte jahrelang mit Vokuhila-Toupet!“ und natürlich „Völlig irre! Löwen bezahlen bei Uli ihr Essen nicht!“. Da konnte eigentlich nichts mehr kommen – dachte man. Aber falsch gedacht, seit gestern Abend lautet die Headline: „Völlig irre! St. Pauli siegt 2:0 in Rostock!“ Und das, obwohl es 75 grauenhaft schlechte Minuten so überhaupt nicht nach einem Sieg für den Kiez aussah. Stümperhaftes, enervierendes Ballgeschiebe, nur eine Großchance zu Beginn von Carsten Rothenbach. Auch Rostock spielte überaus limitiert oder, wohlwollend formuliert, respektvoll vorsichtig und man wußte wieder, dass komplette neunzig Minuten Zweitligakick vor dem Fernseher phasenweise an masochistische Selbstverleugnung grenzen können. Doch wie formulierte Insiderin Antje F. aus HH so schön „Ich kann’s nicht fassen ... 75 Minuten Scheiße und dann das!“ Und „das“ war ein traumhaft getretener Freistoß von Matze Lehmann in Minute 77. Danach das fast schon obligatorische Idiotengeböller zwischen den Fanblöcken und um 21:55 Uhr machte Deniz Naki mit einem schönen Kontertor den Sack zu. Über dessen Jubel läßt sich trefflich streiten, über die selten dumme Nachmoderation von Edeltalent Thomas Helmer allerdings ebenfalls. Denn natürlich kann ich durch andauernde Wiederholung ansich wenig bedeutender Szenen aus 35 verschiedenen Kameraperspektiven aus einer Mücke einen Elefantenschiß machen, zu dem man dann beide Trainer noch kräftig investigativ nerven muß. Was aber im Kontext des ganzen Abends irgendwie auch wieder in Ordnung geht – alles: Völlig irre!

Montag, 2. November 2009

Gehört_73



Echo And The Bunnymen “The Fountain” (Warner)
Man möchte ja nichts böses über Echo And The Bunnymen sagen, zählten sie doch schließlich zum elitären Kreis der Posterhelden von Wave und Postpunk, wegweisend für ein Jahrzehnt und maßgeblich an der eigenen Geschmacksbildung beteiligt. Und doch fragt man sich, was eine Band, die seinerzeit umjubelte Meilensteine veröffentlicht hat – ich selbst fasse mein Vinyl von „Ocean Rain“ noch heute nur mit Glacéhandschuhen an – was sie antreibt, warum sie auch heute noch meint einen Markt beackern zu müssen, der entweder so gar nicht mehr existiert oder von einer Szene bearbeitet wird, die das eindeutig bessere Werkzeug dazu besitzt. Ohne Frage steckt auch in den aktuellen Platten von Bauhaus, Gary Numan und eben auch den Echos eine ganze Menge Arbeit und zuweilen auch manch goldener, genialer Moment, aber es bleibt eben auch eine Idee von gestern, die unentwegt zu Markte und damit zu Grabe getragen wird und das macht es für den Fan nicht eben einfacher. Der Start gelingt Ian McCulloch und Band noch ganz gut, „Think I Need It Too“ und auch „Forgotten Fields“ sind ordentliches Handwerk, „Do You Know Who I Am“ hat sogar einiges Hitpotential. Aber dann: „Shroud Of Turin“. Ach Gottchen! Musikalisch recht bieder, textlich kaum zu ertragen. Nach eigener Aussage möchte McCulloch hier sein Verhältnis zu Jesus Christus thematisieren, wie erwartet stürzt er aber auf diesem ohnehin sehr schmalen Grat ins bodenlos Kitschige, „He cried and I cried, we both died, laughing him and me ...“, selbst auf einem Kirchentag hätte er damit mittlerweile ein gehöriges Glaubwürdigkeitsproblem. Und auch was danach folgt ist nur ein sehr matter Abglanz alter Zeiten, vorbei die große Geste, stattdessen viel „Halleluhjah!“ (The Fountain) und kaum bleibendes. Nicht „Everlasting Neverendless“, nicht „Proxy“, auch „Drivetime“ fidelt so dahin ohne haften zu bleiben, meilenweit entfernt von der klaustrophobischen Glorie früherer Werke. Mit „The Idolness Of Gods“ verabschieden sich Echo And The Bunnymen endgültig in die Bedeutungslosigkeit, bitter das sagen zu müssen, aber die alten Poster gehören jetzt schleunigst runter – Tapetenwechsel!

Freitag, 30. Oktober 2009

Gehört_72



Julian Casablancas “Phrazes For The Young” (Sony)
Irgendwie hat man beim Hören des Solodebüts von Julian Casablancas das Gefühl, er wollte auf keinen Fall der letzte sein. Kollege Albert Hammond jr. – zwei Platten, Fab Moretti aka Little Joy schon mit dem ersten Wurf draußen, selbst Bassist Nikolai Fraiture versucht sich mit Nickel Eye am ersthaften Nebenerwerb – nur eine Frage der Zeit also, bis auch Nick Valensi ein geeignetes Projekt findet, das sich mit dem Aufkleber „Gitarrist der Strokes“ gewinnbringend verschönern läßt. Höchste Eisenbahn also, dass der Chef mal zeigt, dass er genügend in der Hose hat, um sich auch an eine Soloplatte zu wagen. Seltsamerweise wirken die Songs auf „Phrazes For The Young“ dann ungewohnt zurückhaltend, verwischt und ein wenig konturenlos. Casablancas hat sich ganz offensichtlich in eine Art angerockten Spielkonsolenpop verliebt, den man schon bei den Strokes schon einige Male in Andeutungen zu hören bekam. Im Gegensatz zur aktuellen CD blieben das aber nur marginale Verzierungen, die sich im straighten Sound der Band dankenswerterweise verloren. Nun aber wird angstfrei an allen Knöpfen gedreht, die an einem Casio zu finden sind. „Out Of The Blue“ und „Rivers Of Brake Lights“ fangen sich noch irgendwie zur Mitte hin, „4 Chords Of The Apocalypse“ (ver)sucht leidlich den Soul, aber bei „11th Dimension“ muß man regelrecht Angst bekommen, dass im nächsten Moment ein glitzerbehoster Backroundchor mit watteweichem „Schubiwabwab“ ins Scheinwerferlicht tritt. Mutig, ohne Zweifel, aber passend? „Ludlow St.“ bleibt verschlafen und spannungsarm, „Glass“ dagegen hat sehr viel von der schwärmerischen Großspurigkeit, die man sich gern für mehrere Songs des Albums gewünscht hätte. Dass „Tourist“ ganz am Ende mein uneingeschränkter Favorit ist wird all jene ärgern, die Mut generell belohnt wissen wollen und die kritisieren, dass eben dieser Song der rückwärtsgewandteste von allen sei. Aber, der Einwand muß erlaubt sein, er ist halt auch der schlüssigste, der mit der besten Hookline, hier gelingt Casablancas der Spagat zwischen Neuem und Bekanntem am besten – ein satter Elektroblues. Allzu hart sollte man am Ende ohnehin mit ihm nicht ins Gericht gehen – ein richtiges Unglück ist bei den knapp acht Liedern nicht dabei und mithin hat er ausreichend bewiesen, dass er durchaus in der Lage ist, den Kochlöffel auch mal allein zu schwingen. Wenn’s auch nicht immer ganz so gut schmeckt ...

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Gehört_71



Slayer „World Painted Blood“ (Sony)
Natürlich hat der Satz von Dieter Nuhr, wonach es hilfreich ist, wenn man von bestimmten Dingen nicht die geringste Ahnung hat, einfach mal den Mund zu halten, nach wie vor seine unbedingte Daseinsberechtigung. Und das mehr denn je in Zeiten von Supernannys, Real-Life-Verirrungen und sonstigen sinnfreien Debatierformaten. Ich gebe also zu, dass ich von Trashmetal und Artverwandtem so wenig Ahnung habe wie von chinesischer Lyrik aus dem 16. Jahrhundert – von ersterem aber im Gegensatz zu letzterem von Zeit zu Zeit eine gehörige Dosis brauche. Und zwar einige richtig fette. Mein Gott, “Killing is my future! Murder is my future!“ (Snuff), was ein Bockmist, und „Hate Worldwide“ bringt einen auch nicht wirklich auf die nächste Erleuchtungsstufe, aber zusammen mit Arayas Gekreische und Lombardos infernalischem Geknüppel sind das einfach mal Zeilen, die her müssen ab und an. Denn eines ist klar: Was bescheuerter ist, satanische Gitarrenmassaker oder grenzdebile Schunkelreigen in der Musikantenscheune, möchte ich nicht entscheiden müssen – nur blasen Slayer nun mal deutlich wirkungsvoller den Schädel frei. Das ging mir mit Pantera und natürlich auch Motörhead so und – obschon völlig andere Baustelle – die Rollins Band konnte hier ebenfalls stets gute Dienste leisten. Und deshalb gibt’s die volle Punktzahl vom erschreckend Ahnungslosen – da möge mir der wahre Fan verzeihen – diesmal nicht für das Album im speziellen, sondern für die Möglichkeit dieser Musik an sich und den Nutzen, den sie manches Mal erfüllen kann. Und jetzt halt’ ich wieder meinen Rand, versprochen.

Montag, 26. Oktober 2009

Gehört_70



Jack Johnson “En Concert” (Universal)
Mein ganz persönliches Jack-Johnson-Erweckungserlebnis hatte ich auf der Autobahn in Richtung Toskana im Sommer 2003. Schnell vor der Abfahrt noch eine CD ("On And On") gekauft, ich hatte den Typen kurz zuvor im Video mit Ben Stiller gesehen – irgendwie ziemlich cool. Ja, und diese CD hat dann den Player bis zum Ende des Urlaubs nicht mehr verlassen. Seitdem ist eine ganze Menge Ökostrom durch die Leitungen geflossen, der Junge ist so richtig populär geworden, ohne allerdings seinen smarten Charme zu verlieren. Eine Unzahl Magazine haben sich um seine Story gerissen und wollten sich mit seinem Gesicht verkaufen, er wurde zum urbanen Vorzeigeöko und hat als solcher sogar den singenden Kindergärtner gegeben. Platten hat er auch noch gemacht und zwar keine schlechten: Mit seinem Erstling „Brushfire Fairytales“ konnte ich nicht zwar noch nicht so viel anfangen, „In Between Dreams“ war dann aber ganz groß und auch das letzte Album „Sleep Through The Static“ hat gut gefallen. Zum Liveauftritt habe ich’s bisher noch nicht geschafft, rein akkustisch läßt sich das jetzt im ersten Schritt mal nachholen – „En Concert“ bietet eine sehr gefällige Auswahl seiner bekannstesten Songs. Alles wippt, swingt und federt entspannt, man merkt den Stücken die unbedingte Spielfreude deutlich an und es macht sich auch ganz gut, dass sie nicht so perfekt arrangiert wie auf den Studioalben klingen. Der angerauhte Blues bei „Sleep Trough The Static“, als Konserve schon beeindruckend, hier ein erster Höhepunkt. Auch für „Flake“ wird kräftig an den Saiten gekratzt, „Staple It Together“ dagegen gibt’s in einer sehr lässigen Jazz-Variante mit finalem Toastingpart. Eddie Vedder hält sich für „Constellations“ angenehm zurück und preßt seinen Gesang nicht wie sonst gewohnt durch die malträtierten Stimmbänder. Über die ganze Länge wird es zwar etwas schwierig, Spannung und ergo Aufmerksamkeit zu halten, aber für ein paar sommerliche Momente sollte es wohl bei den meisten reichen.

Dahinter steckt immer ein toter Kopf ...



Später mehr dazu. Hier schon mal der Link zur Bestellung:
"St. Pauli. Das Buch." bei amazon.de

Freitag, 23. Oktober 2009

Gehört_69



Wolfmother „Cosmic Egg“ (Universal)
Man möchte ja niemandem Unrecht tun, aber die Musik von Wolfmother versagt sich einer schlaumeierischen und rockhistorischen Analyse auf sehr angenehme Art und Weise. Natürlich kleben eine ganze Menge von Vorbildern auf dem Gitarrenkoffer, Led Zeppelin, Deep Purple und auch Guns'n Roses hört man hierbei wohl am häufigsten. Aber ist es nicht letztendlich piepegal, wer hier die Blaupause für die Australier geben muß, wenn sie seit ihrem grandiosen, selbstbetitelten Debüt 2005 eine so kompromißlos eingängige und über jeden Diskurs erhabene Metalvariante hinbekommen, die auf dem neuesten Album "Cosmic Egg" ihre höchst erfreuliche Fortsetzung feiern darf? Denn auch da kreischt, sägt, brettert und jault es gar wunderbar, kaum eine nennenswerte Atempause wird dem Hörer gegönnt und auf die kleine, die man dann doch mit dem arg verschmusten "Far Away" bekommt, hätte man leicht verzichten können. Manch einer mag einwenden, dass das alles recht gleich klingt - macht aber nix, wenn der Spaßfaktor auf derart hohem Niveau gehalten werden kann. Die beiden ersten Stücke "California Queen" und "New Moon Rising" sind Opener feinster Qualität, "10.000 Feet" fett, "Violence Of The Sun" mit ebensoviel Wucht, man könnte fast jeden Song nennen und kräftig lobhudeln. Und mal ehrlich, ob das Metall dann am Ende "progressive", "stoner" oder "hairy" genannt wird, ob es "soft" oder "heavy" kommt, ist doch so wichtig wie die Brillenstärke von Guido Westerwelle. Was hier zählt ist: Krachen lassen. Und sie lassen ...

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Gehört_68



Gunter Gabriel „Sohn aus dem Volk“ German Recordings (Warner)
Mensch Gunter, altes Haus, da haste jetzt ’ne neue Platte gemacht – klar, mußte auch, was solln denn sonst Deine Fans in – na sagen wir mal: Eisleben sagen, die meinen sonst, der Gabriel, der liegt den ganzen Tag auf der faulen Haut und macht nischt. Nee Mann, neue Platte, ganz klar – aber Alter, hey, für mich hat das ganze nicht nur einen Geschmäckle, wie Deine schwäbischen Anhänger sagen würden, nee, das riecht schon ganz streng. Haste gedacht, machst es wie der Bargeld-Johnny, kann so schwer nicht sein, mit dem warste ja eh ganz dicke (sachste). Also’n Foto, was oll aussieht muß her, fette Typo drauf, geiler Titel, bodenständig halt und dann „german“, klar Augenzwinkern is so ganz Deins. Ja und dann die Songs, klar, müssen cool sein, hast ja gehört, dass der Johnny das mit Produzentenplautze Rubin so super hip rübergebracht hat, dass am Ende die Teenies sich sogar seine alten Scheiben zugelegt haben. Also: Ideal, Blaue Augen, was für’s NDW-Revival, kommt immer gut. Dann noch so’n blondes Gift, haben die A&R-Schluffis gemeint, brauchste auch – also die Mietze hat keinen Bock, aber die Kerstgens von Klee, die singt sowieso mit jedem der grad Zeit hat, die könnte gehen. Hat zugesagt, klar – prima. Ne Chartnummer wäre auch nicht schlecht, der Fox ging doch ganz gut den Sommer, nimmste den. Noch was für die Alten – hohoho, Bowie, Helden, Wahnsinnsnummer, dann klar, den Johnny selbst, is ja tot, sacht nix mehr gegen, und der Winston Charlie is auch cool, geht auch noch. Ganz am Schluß noch was für die Indiespinner, kann nich schaden, dass die auch einen mitkriegen, Radiohead, Creep, mit ganz ’nem wilden Text, aber hallo – da war mal einer mutig. Aber Alter, der Johnny, nich wahr, der hat aus ’nem guten Song ’nen besseren gemacht und bei ’nem sehr guten haste am Ende nich mehr gewußt, von wem der eigentlich war – das hatte der drauf. Und der alte Zausel Rubin hat ja auch ein Händchen, der faßt was an und – peng! Der Stach, tja, der macht BAP und die Apes, lange nix mehr gehört von, oder? Und die Songs, ehrlich Mann, besser sind die nich geworden, manche warn ja schon vorher ziemlich lau. Paßt nich, verstehste? Nich zu Dir, nich zu den Songs. Denke mal, da werden Deine alten Fans nich viel mit anzufangen wissen und die neuen, die jungen, die werden das Rangewanze auch checken. Deine eigenen Lieder übrigens, die sind so schlecht nich, denen hat die Abrüstung ganz gut getan. Wärste mal bei denen geblieben. Nix für ungut, Alter ...

Sonntag, 18. Oktober 2009

Hören+Sehen



The XX, 59:1, München 16. Oktober 2009
Lustig sehen sie aus, die vier Londoner, wie sie in einer Reihe da vorn auf der Bühne des ausverkauften 59:1 in der Sonnenstraße stehen, gerade so, als hätten sie heute Abend ihren langerwarteten ersten Gig im Landschulheim und wüßten nicht so recht wohin mit der johlenden Begeisterung um sie herum. Ein leises „Hello!“, ein verschämtes Lächeln in die Runde – so recht mag man nicht glauben, dass es sich hier um eine der wohl angesagtesten Bands dieses Jahres handelt. Rechts an Gitarre und Keyboard Baria Qureschi, verhuscht und seltsam unbeteiligt, neben ihr Oliver Sim mit unsicherem, leicht glasigen Blick, Bass und natürlich die eine Hälfte der Vocalparts. So wie er da steht könnte er im kompletten Ornat auch ein Kind der frühen 80er gewesen sein, ein perfektes Role-Model des anhaltenden Revivals. Romy Madley Croft gibt zusätzlich zur Gitarre das stimmliche Pendant zu Sim, kleiner, untersetzt und auf den ersten Blick der Kumpeltyp in der Musik-WG. Ganz außen dann Jamie Smith, der als Wiedergänger von Bastian Pastewka wohl beste Siegchancen beim Lookalike-Contest hätte. In seiner Berufsbezeichnung steht schlicht „Beats“, denn als „Drummer“ würde er angesichts seines Equipments den kompletten schweißtriefenden und schwer schuftenden Berufsstand böse diskreditieren. Smith genügt ein schlichtes Drumpad, zusammen mit einem einfachen Becken bildet er so die vollkommen ausreichende und erstaunlich präzise Rhythmus-Sektion, passend für den unterkühlten Sound von The XX. Das wegweisende Intro der Platte eröffnet auch das Konzert, danach in kurzer Folge die fabelhaften Songs des Debüts, „Crystalised“, „VCR“ und die erste Single „Basic Space“. Großartige Variationen zur CD, das wird schnell klar, sind nicht zu erwarten, ausufernde Soli entsprächen auch nicht dem Charakter der Platte. „Heart Skipped A Beat“ mit der an Cure angelehnten Hookline und natürlich das umwerfende „Infinity“, wohl eine Homage an Chris Isaaks „Wicked Game“. Alles klingt klar, dunkel und authentisch – nicht so selbstverständlich beim grassierenden Castingwahn. Diese vier spielen ihre Songs, weil sie offenbar nichts anderes wollen, fern jeder Attitüde und ohne Starkalkül. Und wie schon beim Erstkontakt mit der Platte auch im Konzert das verblüffte Staunen über die selbstverständliche Präsenz, die unglaubliche Klasse jedes einzelnen Stückes – geschrieben mit gerade mal 19 Jahren. Die Coverversion von Bobby Womacks „Teardrops“ swingt herrlich und hat, verziert mit glitzernden Cocteau-Twins-Gitarrren, nicht weniger Soul als das Original. Am Ende noch „Night Time“, auf angenehme Art fast zur Dancenummer gepusht. Dann: aus, keine Zugabe, Licht an – konesquent. Viel mehr hätte der Erstling nicht hergegeben – was heißt, viel mehr Perfektion hätte man in sechzig Minuten nicht ertragen können. Und jetzt: Danke und warten auf das was kommt …

Freitag, 16. Oktober 2009

Gehört_67



Rammstein “Liebe ist für alle da” (Universal)
Eigentlich müßten einem Rammstein mittlerweile schon fast Leid tun, gehen doch selbst ihnen, den leidenschaftlichen Provokateuren und darob gern und oft Geprügelten die Schlagzeilen langsam aus. Jede sexuelle Perversion ist besungen, jede der Todsünden in allen Varianten durchdekliniert und selbst beim Themenkreis „Grausame Verbrechen aller Art“ werden sie mal und mal von der aktuellen Nachrichtenlage getoppt. Bestes Beispiel ist das Entführungsdrama um Natascha Kampusch, welches sich Rammstein auf dem neuen Album für den Song „Wiener Blut“ vorgenommen haben – hier offenbart sich das ganze Dilemma der Band: Denn was gestern noch ein Schocker war, mutet heute schon wie ein Kindergeburtstag an, die Skala schraubt sich auf nunmehr 18 Jahre Dunkelhaft und selbst Rammstein müssen konstatieren „Willkommen in der Wirklichkeit“. Was zu Beginn der 15jährigen Bandgeschichte noch als skandalös galt, ist heute mäßig aufregend und wird es auch nicht, wenn man den Lautstärkeregler nach oben dreht – heute gibt es für jederman zugängliche Pornoportale für alle Arten von Lustgewinn, es gibt Splatter torrent und Kopf ab von Tarantino – warum also sollte das Video von „Pussy“ noch Ekel erregen oder „Ich tu dir weh“ noch Angst einjagen? Natürlich werden auch auf „Liebe ist für alle da“ wunderbar die Schlagwerke vermöbelt und mit aller Hingabe die Saiten malträtiert, nur so richtig weh will’s keinem mehr tun. Und so zitieren sie sich selbst (Rammlied) und werden – das größte anzunehmende Unheil – nach und nach fast ein wenig, ja: langweilig. Der „Frühling in Paris“ geht als vertane Chance dahin, ohne den kompletten Schwenk zu wagen, so wirklich gern möchte man Lindemanns Französisch auch nicht hören. Auch das Englische von „Pussy“ ist zu rund und zu weich, um als brauchbare Textur zu taugen. Gänzlich fehlt auf dem neuen Album der grandiose Schwerstmut von „Seemann“, „Klavier“ oder „Ohne Dich“, da kann auch „Roter Sand“ am Ende als Leichtgewicht nicht punkten. Lichtblicke vielleicht der „Haifisch“ mit einer gekonnten Mischung aus Wucht und Melancholie, „Gier“ hat ein brauchbares Thema, ist aber musikalisch ein Stück zu bieder. Ein letzter Grusel packt einen dann bei „Waidmanns Heil“, nicht weil das Stück so angenehm oldschool ist oder die Wortspiele einen entsetzen würden, sondern weil man ahnt, für welch makabre Stimmung der Refrain im überfüllten Konzertsaal sorgen dürfte – doch damit werden die Jungs umgehen müssen und wohl auch können. Als Fazit vielleicht der umgedeutete Titel – hier: Rammstein sind für alle da, und seit sie das sind, ist es mit der Relevanz ihrer Platten nicht mehr weit her. Das sollten sie schleunigst ändern, denn sonst landen sie bald als harmlose Gippspuppen in der medialen Geisterbahn oder – schlimmer noch – bei Gottschalk auf der Couch.

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Gehört_66



The Boxer Rebellion “Union” (Rough Trade)
Man hätte es ahnen können – sepiafarbenes Cover, weltumspannender Titel, da linst das Kalkül schon zwinkernd um die Ecke. Und nach den ersten Takten wird auch klar, dass The Boxer Rebellion leider in die allgegenwärtige Coldplay-Falle getappt sind. Und zwar mit beiden Füßen, mitten rein. Das muß man nun per se nicht unbedingt schlecht finden, denn gegen flauschige Kuschelhymnen läßt sich im frostigen Winter wenig einwenden. Wer aber im Jahr 2005 Gefallen am deutlich kantigeren Debüt „Exits“ gefunden hat, den wird es schon kräftig wurmen, dass die Londoner für ihren aktuellen Nachfolger eben jenen Weg wählen, den vor ihnen schon andere ähnlich ambitioniert gestartete Bands wie Razorlight, Keane oder Snow Patrol breitgetrampelt haben – Titel der Kurzbio: Vom Raubtier zum Bettvorleger, last exit Serien-Jingle. Nicht das auf dem erwähnten „Exits“ keine Lieder mit Zuckerguß gewesen wären, die gab’s auch da durchaus zu hören, aber sie waren nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Jetzt aber bleibt Nathan Nicholsons Stimme ohne nennenswerte Unterbrechung auf ein ewig barmendes Falsett beschränkt, die Musik erscheint fast ausnahmslos glattgebügelt – wenn’s dann noch mal gegen den Strich geht wie bei „Evacuate“ zuckt man förmlich zusammen, um gleich im Anschluß beim allzu süß triefenden „Soviets“ wieder mutlos in die Kissen zu sinken. Wenig besseres auch danach, der Kopf schwirrt einem von den tonnenschweren Lyrics, all den klagenden Chören und riesenhaft aufgetürmten Melodiegebirgen und wenn man die Augen schließt, schiebt sich einem fast zwanghaft die letzte Folge von Greys Anatomy, Privat Practice etc. vor Augen. Mit einigem Wohlwollen ist vielleicht „Forces“ gegen Ende ein Lichtblick, auch wenn dafür ein Streichholz ausreicht in der trüben Dunkelheit dieser Plüschsoße. Schade drum, wieder eine Band an den Kitsch verloren, bei der es durchaus für mehr gereicht hätte.

Freitag, 9. Oktober 2009

Gefunden_29



"Berlin jubelt: Sieg für Herta!"
(Münchner Abendzeitung vom 9. Oktober 2009)

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Gehört_65



Editors „In This Light And On This Evening“ (PIAS)
Was für eine große Versuchung, dieses dritte Album der Editors mal so richtig in Grund und Boden zu schreiben. Die Erwartungen waren ja nach dem lauwarmen Vorgänger „An End Has A Start“ sowieso schon in Bodennähe angesiedelt, das Debüt schien in unerreichbare Höhen gerückt und dann meinte Sänger Tom Smith zu allem Überfluß auch noch jedem erzählen zu müssen, er hätte außer Depeche Mode’s „Violator“ in letzter Zeit eigentlich nichts von Belang angehört. Puh – das war zwar sehr ehrlich, ließ einen aber auch mit gehörigem Mißtrauen zurück. Was nun zuerst auffällt – auch die Band selbst war offensichtlich mit dem zweiten Wurf nicht so zufrieden, wie sonst wäre der deutliche Schwenk in Richtung synthetischer Klänge sonst zu erklären. Bei der Vorauskopplung „Papillon“ meinte man ja schon seinen Ohren nicht zu trauen, nun, ganz so umgekrempelt erscheinen sie dann doch nicht über die kompletten neun Songs. Zum Einstand ein Hammer, der Titelsong „In This Light And On This Evening“ ist von einer atemberaubenden Finsternis, tiefschwarzes Raunen auf einem Teppich aus verzerrter Gitarre, Klavier und wuchtigem Drumset – schon ein Höhepunkt. Im folgenden wird dann schnell klar, dass die Editors auch hier sehr wohl die Editors bleiben, sie haben ihre großen Melodiebögen behalten, Smith’s Gesang verfängt noch immer, es gibt wieder gefällige Rhytmen und choralen Backround und natürlich die gewohnte (Über-)Dosis Pathos und Zuckerguß. „Bricks And Mortar“ hat all das, „Papillon“ steht als knochentrockner Crowdpleaser wohl außer Frage und für sich selbst, auch „You Don’t Know Love“ geht in Ordnung, wenn hier auch die Vocals ein wenig dünn wirken. Nicht alles gelingt freilich, aber das unbedingte Bemühen ist ihnen anzumerken. „The Big Exit“ kann sich zwischen Stampfen und Schwelgen nicht recht entscheiden, dafür ist ihnen mit „The Boxer“ wieder ein wunderbar tieftrauriges Rührstück gelungen, an das „Like Treasure“ fast ansatzlos anschließen kann. Bei „Eat Raw Meat = Blood Drool“ wird dann noch mal alles aus der Steckdose gezogen, was gerade verfügbar war, der Refrain gerät etwas schief, aber der Song als solcher ist recht kraftvoll und durchaus interessant. „Walk The Fleet Road“ am Ende ist, um beim anfänglichen Vergleich zu bleiben, kein „Clean“ geworden, dazu fehlt ihm ein wenig das Gore’sche Genie. Er schließt aber stimmig ein Album ab, auf das man so nicht gefaßt war, was in dieser neuen Ausrichtung aber nicht nur überraschen, sondern größtenteils auch überzeugen kann. Es wird spannend sein zu beobachten, wohin der Weg der Editors führt, bewegen sie sich doch, wie in der „Visions“ treffend bemerkt, in die entgegengesetzte Richtung, die Depeche Mode damals mit „Violator“ eingeschlagen haben. Keine Platte also, für die man sich schämen muß, bleibt zu hoffen, dass ihr Mut auch von ihrem Publikum honoriert werden wird.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Gehört_64



Black Heart Procession „Six“ (Temporary)
Die Frage ist: Kommt er noch vorbei? Wenigstens auf ein, zwei Songs? Schafft er es noch? Oder hat er zuviel um die Ohren in letzter Zeit mit Buchlesungen, Presseterminen und solchen Sachen? Irgendwie ist die neue Black Heart Procession so eine Art „Warten auf Godot“, nur dass Godot hier Cave heißt, auch hier nicht kommen wird und dieser Vergleich so schlüssig wie unnötig ist. Denn obwohl Black Heart Procession manchmal wie eine Reinkarnation der Bad Seeds klingen, kommt die Band natürlich seit ihrer Gründung 1997 auch ohne die Mitwirkung des allgegenwärtigen Gothbluesübervaters bestens über die Runden. Mittlerweile haben sie eine gehörige Anzahl von brillanten Alben eingespielt, von denen zwei der letzten, „Amore Del Tropico“ und „The Spell“, mit einer sehr höhrenswerten Ballance zwischen dunklem Grabgesang und schummrigem Barpiano aufwarten konnten. Sie sind damit und auch mit dem neuen Epos „Six“ beileibe noch keine Spaßkanonen geworden, präsentieren sich jedoch deutlich hörbarer als in ihren Anfangstagen. Manchmal klingt das zwar auch ein wenig mau – die Single „Rats“ gemahnt unnötigerweise an die leider ziemlich untoten Tito & Tarantula – um gleich danach mit „Heaven And Hell“ und „All My Steps“ dem Bandnamen die Ehre zu geben und tiefschwarz und schwermutstrunken den immerwährenden Trauerzug in einer Reihe mit Gevatter Knochenmann zu begleiten. Und das zieht sich naturgemäß, wird durch das ruppige „Suicide“ etwas aufgebrochen, bevor es dann mit „Down To The Underground“ endgültig ab in die Grube geht. Bei „Last Chance“ kreisen schon die Geier, rien ne va plus, gruselig schön gezupfter Abgesang, die Stimmen beim Schlußstück „Iri Sulu“ scheinen schon aus dem Jenseits zu kommen, begleitet von, klar – einer singenden Säge. Stil haben sie also schon. Da kann es dann doch nur eine Frage der Zeit sein, bis Mr. Cave mal vorbeischaut und ein bisschen mitjammert.

Gehört_63



Kings Of Convenience „Declaration Of Dependence“ (EMI)
Die Kings Of Convenience haben sich ja mittlerweile zu einer Art Simon & Garfunkel 2.0 vorgearbeitet, was aus dem Mund eines in den achtziger Jahren sozialisierten Rezipienten nicht grundsätzlich als Kompliment verstanden werden muß. Für diesen speziellen Fall sollen aber nur Respekt und Hochachtung des Kritikers aus diesem etwas verqueren Vergleich sprechen. Die norwegische Zweimanncombo um Multitalent Erlend Øye hat mit ihrem neuen Album ihren oft zitierten und ebenso oft fragwürdig und sinnfrei verhunzten Slogan „Quiet Is The New Loud“ in einer Weise vervollkommnet, die einen zuweilen staunen läßt. Es sind nicht die Abwechslungen und Überraschungen, die dieses Album so charmant und bewundernswert machen, denn davon gibt es nicht so sehr viele - es die Kleinigkeiten, die Details groß werden lassen, winzige Schattierungen, die einem wohlige Schauer über die Haut schicken. Besser als zum ausgehenden Spätsommer hätte diese Platte gar nicht kommen können, die Songs passen perfekt in das Stimmungsbild der letzten warmen Tage. „Boat Behind“ entwickelt einen so unverschämt lässigen Swing, der einen sogleich den feinen weißen und etwas kühlen Meeressand unter den Füßen spüren läßt, auch „Peacetime Resistance“ hat dieses herrliche Picking, das einen stetig mitwippen läßt. In den besten Momenten wie bei „My Ship Isn’t Pretty“ erreichen die Kings eine Stufe, auf der sich David Sylvian schon geraume Zeit am Langzeitprojekt „Komplette Selbstauflösung in vollkommender Harmonie“ versucht und mit seinem neuen Werk „Manafon“ offenbar kurz vor der Vollendung steht. Soweit wird es Erlend Øye wohl nicht kommen lassen, zu sehr ist er, auch wegen seines Nebenprojekts „The Whitest Boy Alive“ mit den Trends und Stimmungen des Hier und Jetzt verkabelt. Ein wenig Entrücktheit wie auf „Decalaration Of Dependence“ kann aber trotz allem nicht schaden, wozu wurden denn sonst Ohrensessel, Kaminfeuer und riesige Teetassen erfunden ...

Montag, 5. Oktober 2009

Ballspiele/2 oder Legenden in der Provinz



In solchen Momenten spricht man wohl von einer glücklichen Fügung. War ich doch am Einheitswochenende in meiner alten Heimat und just an diesem spielten die Alten Herren des Großenhainer FV gegen die Traditionsmannschaft der SG Dynamo Dresden. Und bei der Aufstellung des Gegners konnte es einem schon das Wasser in die Augen treiben: Ralf Minge (der immer noch so ausschaut wie gerade aus dem kalten Entzug entlassen), Hans-Jürgen „Dixi“ Dörner (mit beachtlichem Frontspoiler), Reinhard Häfner, Dieter Riedel, Matthias Döschner, Claus Boden, und und und – wenn einem da nicht warm ums Herz wird. Das Spiel war dank Großenhainer Qualitäten eines auf Augenhöhe, die Stars Minge und Dörner spielten gelinde gesagt deutlich unter ihren früheren Möglichkeiten. Dass das erste Tor für die Dynamos von einer Frau (!) geschossen wurde spricht Bände, Großenhain konnte die Partie dank beherztem Dagegenhalten und flüssigem Kombinationsspiel lange Zeit offen halten. Am Ende behielten die Bezirksstädter zwar mit einem schmeichelhaften 5:4 doch noch die Oberhand, dass aber nur, weil zur Halbzeit die Großenhainer AH1 durch die etwas schwächere AH2 ersetzt wurde. Nervendes Ärgernis am Rande: Die lokale Moderatorenlegende Gerd „Zimmi“ Zimmermann (who the f***...?) quatschte fast das komplette Spiel seinen unnötigen Senf durch die PA der Jahnkampfbahn, da wäre mir dann olle Heinz-Florian Oertel doch um einiges lieber gewesen. Ach ja, am Abend spielten dann im Festzelt noch die sagenumwobenen Phudys (Maschine, do you remember?), aber über diese Verirrung jedweden Musikgeschmacks breiten wir lieber schnell den Mantel das Schweigens ...
Großenhainer FV AH vs. TM SG Dynamo Dresden

Ballspiele/1 oder Das ist erst der Anfang ...



Also nicht dass Fußballspiele des TSV 1860 München hier gesonderte Erwähnung finden müssen – sie tun dies natürlich immer nur, wenn St. Pauli damit in Zusammenhang gebracht werden kann. Und diesmal ist der Zusammenhang ein höchst erfreulicher, haben doch die Kiezkicker ihre Mininiederlagenserie von drei Spielen erfolgreich beendet und die Münchner mit 3:1 Toren nach Hause geschickt. Klar ist natürlich, dass das nur ein Anfang gewesen sein kann, den Rest besorgen wir dann hoffentlich Anfang März 2010 in der hiesigen Allianz-Arena, um das schmachvolle 5:1 aus der vergangenen Saison endgültig vergessen zu machen. Es wird kalt in Minga, Ewald ...

Mittwoch, 30. September 2009

Gehört_62



Air “Love 2” (Virgin)
Früher galt es als Herausforderung, eine Rezension über Air zuschreiben, in der nicht die Worte “Milchkaffee”, “Lounge”, “sphärisch” und “entspannend” vorkamen. Hätte ich nicht geschafft. Heute soll man das mal hinbekommen ohne „belanglos“, „uninspiriert“, „niedlich“ und „fade“. Würde mir auch nicht gelingen. Egal, ob dieses neue Werk nun an „Moon Safari“ anknüpfen oder mit psychedelischer Veredelung aufwarten soll – ich erwarte von den Franzosen, die mal als die Speerspitze der mäßig danceorientierten, aber gewaltig smoothen Elektronikszene galten, deutlich mehr als dieses seichte Geblubber. Weit und breit nix von früherem genie zu hören, öde Soundteppiche, die gerade mal so als Muzak taugen – ein Stern für die Mühe, sich ein paar Tage ins Studio zu stellen. Mehr geht beim besten Willen nicht ...

Dienstag, 29. September 2009

Gehört_61



The Lost Fingers „Lost In The 80s“ (Megaphon)
Klar ist das nicht die Rieseninnovation, die 80er mit Kammermusik Marke Gypsyjazz ein weiteres Mal aufzuarbeiten, nicht nach Nouvelle Vague, nicht nach Senor Coconut. Aber wenn man ein wenig differenziert, wird doch noch eine ganz ordentliche Sache daraus. Denn nach dem dritten Weichspülgang der Franzosencombo war endgültig Schluß mit lustig, allzu nervtötend klang das immer gleiche Gesäusel, zu vorhersehbar und spannungsarm die Arrangements. Dann noch die sattsam bekannten Gaststars als Last Exit Leierkasten – na besten Dank, wer’s mag wird seelig damit. Bei den Lost Fingers dagegen stimmt schon mal die Songauswahl, denn im Kanon findet sich nicht ausschließlich Geschmackvolles, die Kanadier präsentieren ziemlich mutig auch einige grenzwertige Häßlichkeiten, die – wen wunderts – im neuem Django-Reinhardt-Kostüm zu witzigen, schmissigen Perlen werden. „Touch Me“ – mein Gott, was einem von Samantha Fox noch im Gedächtnis ist, gehört auf eine andere Seite im Netz, der Song gruselig wie nur was – hier geht er herrlich leicht und federnd dahin. Ebenso „Part Time Lover“, eines der eher schwächeren Stevie-Wonder-Stücke und auch George Michaels „Careless Whisper“, alles bekommt einen wunderbaren Drall und klingt frisch und durchgelüftet. Selbst dem unmöglichen Schweineblues von „Black Velvet“ kann man hier noch eine unterhaltsame Seite abgewinnen. Den Part mit Michael Jackson hat der Großmeister der geschmackvollen Verwurstung Uwe Schmidt aka Senor Coconut schon besser hinbekommen, aber der ja übt auch schon ein wenig länger. Noch ein Ratschlag zum Schluß: Laßt’s es damit bewenden, Jungs – aufhören soll man, wenn’s am schönsten klingt.

Montag, 28. September 2009

Gehört_60



Jochen Distelmeyer “Heavy” (Columbia)
Was haben sie ihm nicht alles um die Ohren gehauen, dem Jochen Distelmeyer, was ist er nicht alles geschimpft worden, er, Liebling und Hassfigur des Feuilletons in Personalunion. Apfelmännchen, Dornenboy, Heulsuse, Minnesänger waren noch die milderen Titulierungen, mal machte er seine Musik für die Kirchentage dieser Welt, dann wieder sah ihn mancher schon bei Marianne & Michael sein ganz persönliches „Herzilein“ zum Besten geben. Nein, einfach haben es ihm die Meinungsverwalter nie gemacht, verstanden haben ihn nicht viele und es allen recht machen konnte und wollte er schon gleich dreimal nicht. Was sollte er auch dagegen tun, dass man ihm Distanz und gesundes Mißtrauen als Arroganz und Weltekel auslegte und gescheite Worte als wirklichkeitsfremde, intellektuelle Pose abtat. Klar, wer seine Band nach einer Figur von Kafka benennt, der hat schon gleich mal richtig verkackt im deutschen Showbiz, wo „Mitmachen“ und „Konsens“ ganz oben in den Statuten stehen.

Wer es dann besser machen will, der behauptet flugs, Distelmeyer sei der „wichtigste deutsche Popdichter“ unserer Tage. Sagt jedenfalls die SZ – die muß es wissen, die kennt sich aus. Und auch wenn es danach keinen erhellenden Grund für diese verquaste Zwangsverpflichtung zu lesen gibt, fragt man sich: Was ist er denn nun? Und ist er das für uns oder nur für sich? Er ist, so jedenfalls läßt sich gefahrlos behaupten, noch immer einer der wenigen Unangepaßten, der Dinge auf eine Weise sagt, die in dieser Zeit entweder gern überhört oder mangels imperativer Drängelei gar nicht mehr wahrgenommen werden.

Und nun also „Heavy“ – seine erste Soloplatte nach dem Ende von Blumfeld. Natürlich alles Koketterie – „heavy“ ist nichts an diesem Album, nicht die angenehm aufgeräumte Optik, nicht die Musik und schon gar nicht der Text. Distelmeyer weiß einmal mehr, was er wie will, mittlerweile jedoch setzt er Punkte und Pausen, wo früher verwirrende Wortschöpfungen durchs Hörerhirn surrten – es scheint, als habe er mehr und mehr die Klarheit und die Einfachheit zum Credo erhoben. Nur noch „Nach der Musik“ und „Hiob“ sind von den altbekannten Metaphern durchzogen, der Rest perlt in wundervoller Posie, trifft direkt und ohne Umwege. Wer dazu Schlager sagt, hat nicht verstanden, dass es hier nicht um eine künstliche, betuliche und der Gefälligkeit wegen vereinfachte Weltsicht geht. Distelmeyer kann Unbehagen und Wohlbefinden gleichermaßen ohne Schnörkel, ohne Attitüde benennen, er simplifiziert nicht, er übersetzt, er filtert aus der Gesellschaft das Alltägliche, aus dem Großen und dem Ganzen das eigene Kleine. Und das tut er nicht als Chronist, sondern als wachsamer Erzähler.

Die Themen sind die alten, Beziehungswirren (Nur mit Dir, Gehen oder Bleiben), Wut und Auflehnung (Hiob, Wohin mit dem Hass?), schamlos überzogene Liebeslyrik (Laß uns Liebe sein, Jenfeld Mädchen) und am Ende anrührende Lebensessenz (Murmel). Es gibt hierzulande nur wenige, die das so pointiert und unverwaschen in Form bringen, in die drei bis vier Minuten eines einzigen Songs. Dazu eine Musik, die in den furiosen, rauen Momenten natürlich wieder angenehm an Sonic Youth erinnert, ein ewiges, liebgewonnenes Zitat. Und so bleibt am Ende dieser kritiklosen Lobhudelei nur noch festzustellen: Das Jahr hat seinen Meister gefunden – die Bestenlisten können geschrieben werden …

Donnerstag, 24. September 2009

Gehört_59



The Raveonettes “In And Out Of Control” (Cargo Records)
Es gibt ja so Hunde, die auf den ersten Blick sehr furchterregend daherkommen und sich dann bei näherem Hinsehen doch als bessere Kuschelkissen entpuppen. Nicht ganz so derb, aber ähnlich geht es einem manchmal mit den Raveonettes. Die Dänen wären ja gern düster und gefährlich. Nicht ohne Grund ist das neue Album auch in bedrohlichem Schwarz gehalten und die Titel der einzelnen Songs wie „Suicide“, „Oh, I Buried You Today“, „Gone Forever“ und „Boys Who Rape (Should All Be Destroyed)“ lassen einen gar schrecklich erschaudern. Der erste kleine Schönheitsfehler ist die blöde Brille von Sänger Sune Wagner, die ihn auf dem Cover nicht etwa furchterregend, sondern lächerlich wie Sebastian Krumbiegel von den heimischen Prinzen aussehen läßt. Und auch beim Anhören des neuen Opus’ stellt sich keine wirkliche Gänsehaut ein – die Raveonettes haben seit dem 2007er Album „Lust Lust Lust“ ihren Stil mit luftigem Shoegazerpop inklusive Steelguitar und Drumcomputer gefunden und sind jetzt eigentlich nur noch damit beschäftigt, diesen zu verfeinern. Das klingt alles nicht schlecht und im Falle von „Boys Who Rape ...“ oder „Heart Of Stone“ sogar sehr gefällig und beschwingt, nur der Überraschungseffekt ist mittlerweile fast hinüber. Um so mehr lassen einen simple Kleinigkeiten aufhorchen: Eine kleine, eingebildete Homage an die fabelhaften Housemartins am Ende von „Boys Who Rape“, Tarantino-Assoziationen mittels Surfgitarre bei „Suicide“, das herrlich fiese Noisegewitter zu Beginn von „Break Up Girls“ und die Grandezza des Schlußstücks „Wine“, allen Vorbildern am Pedal die Ehre erweisend. Um zum Anfangsbild zu finden bleibt allerdings der Schluß: Die Raveonettes tun nicht weh, die wollen nur spielen.