Sonntag, 25. Oktober 2020

Die Ärzte: Die Müdigkeit der Superlativisten

Die Ärzte
„HELL“

(Hot Action Records)

Es gibt eine Menge Binsenweisheiten in der Popmusik, eine wichtige lautet: „Je größer der Rummel, desto geringer die Ausbeute.“ Gilt es auch hier, auch bei der besten Bänd der Welt? Nun, man hätte stutzig werden können, als der ersten ordentlichen Single „Morgens Pauken“ mit „True Romance“ gleich eine ziemlich durchschnittliche folgte. Dann kam der greise Otto Waalkes und machte sich ans Unboxen (zeitgemäß für: Auspacken), wurden jede Menge prominente Kolleg*innen für ein standesgemäßes Juxvideo zusammengeschnitten. Der verläufige Höhepunkt hernach mit dem Jingle der Tagesthemen im Ärzten Deutschen Fernsehen und Edelfan Ingo – lustig das alles, aber eben auch, siehe oben, verdächtig viel Tam Tam. Und weil die Binse selten lügt, stimmt sie leider auch hier. Jawohl, wir haben uns irre gefreut, als im vergangenen Jahr statt eines Abgesangs das Gerücht durchsickerte, es gäbe neues Material plus Tourtermine. „In The Ä Tonight“ sollte der Spaß heißen, da wollte man ihnen auch gern den obilgatorischen Coronasong verzeihen, der für die Verhältnisse von BFR nur so mittelwitzig war, man ahnte ja, was folgen würde.

Ahnte man eben nicht, muss man heute feststellen, denn die Lieblingsband konnte dem blöden Virus zwar frech entgegengrinsen, die Konzerreise mußte dennoch um ein komplettes Jahr verschoben werden. Wenigstens ein Album (das vierzehnte!), wenigstens einen  Sack voll neue Songs. Nun ja, im Nachhinein scheint es, als hätten sich die drei den Leitsatz aus „Achtung: Bielefeld“ etwas zu sehr zu Herzen genommen – man möchte es kaum glauben, aber der Spaß ist durchaus überschaubar, Langeweile (Autsch!) macht sich breit, wenigstens ein bißchen. Und ein bißchen ist deutlich mehr, als man von Die Ärzte gewohnt ist. Durchhänger hatte es, klar soweit, selbst auf den letzten Großtaten „Jazz ist anders“ und „Auch“ gegeben, dass es jetzt allerdings so viele sein würden, macht die Sache dann schon besonders. Nun war Schwerstarbeit für’s Hirn seit jeher nicht die Sache der drei, ihre Welt war schon immer klar strukturiert – wir sind die Guten, die anderen die Doofen, hau rein! 

Dass es um ihre Ideen allerdings so schmal bestellt sein würde, überrascht dann schon etwas. Bis zur besagten Single, einer abermaligen Variation zum Thema Punkrock, sind schon drei Stücke vorbei und so recht merken wollte man sich keines davon. Danach ein mäßig spannendes „Westerland“-Revival, etwas über Kunst und Schmerz und dann kommt mit „Ich, am Strand“ zum ersten Mal so etwas wie die bandtypische Irritation auf, mit der sie früher so gut zu punkten wußten – ein überraschender Dreh, ein Lachen, das im Halse stecken bleibt, weil es eben doch mal anders läuft als gedacht. Der verfahrene Lebenslauf (heute: Timeline) des Protagonisten hat sogar etwas regelrecht Rührendes, nicht unbedingt ein brüllender Schenkelklopfer, sondern etwas (oha!) zum Nachdenken. Nur leider: nur eine feine Einzelleistung. Denn was folgt, sind hübsche, aber recht vorhersehbare Stücke über Plastiktüten und fehlgeleitete Scheibenweltler. Der Antinazi-Skiffle „Liebe gegen rechts“ ist nett und „Alle auf Brille“ mit seinem Oi-Punk-Gegröle sogar recht originell.

Es sagt einiges über Die Ärzte 1.0, dass ein so schön gesungenes Liebeslied wie „Leben vor dem Tod“ zu den stärksten Songs auf diesem Album zählt. Die Gaudikuh können wohl auch sie nicht ewig melken, selbst ihnen merkt man Ermüdungserscheinungen an, selbst sie wiederholen sich. Dazu: Die Zeiten, in denen eine Platte des Trios auf dem Index landete, sind längst vorbei. Weil heute alles sagbar ist und das mediale Grundrauschen aus den Netzwerken, diesen oft unerträglichen Laberblasen, immer und überall zu hören ist, wirken selbst Die Ärzte zuweilen seltsam überholt. Ganz am Ende versuchen sie es bei „Woodburger“ noch einmal, mit einer Kreuzung aus Schrammelfetzen und lässigem Funk, wo sie uns die sattsam bekannten, homophoben Klischees nebst Liechtensteinscher Überzeichnung um die Ohren hauen, das klappt, das ist frech, provoziert Widerspruch und Diskussion. Dass aber in der Hölle nicht mehr von dem Zeug gespielt wird, ist schade und für einen weiteren Superlativ leider zu wenig.

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