Sonntag, 20. Juni 2021

Slut: Doppelter Mut

Slut
„Talks Of Paradise“

(Lookbook)

Acht Jahre sind eine verdammt lange Zeit, egal mit welchem Beruf man seinen Lebensunterhalt verdient. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass für eine/n Musiker*in doppelter Mut dazugehört, aus dem Alltagsleben auszubrechen. Zuerst der, dem ewigen Platte-Tour-Platte-Kreislauf freiwillig selbst ein Ende zu setzen und auszusteigen. Trotz aller Erwartungen den Schnitt zu machen und auch den eigenen Gewohnheiten und Sicherheiten zu entsagen, ist sicher schwieriger als es klingt, zumal man ja auch die Selbstbestätigung durch Erfolg hinter sich lassen muss, plötzlich ist auf die Schnelle nichts mehr da, um das verwöhnte Ego zu füttern. Ebenso schwer – der Wiederbeginn: Die Welt hat sich weitergedreht, die Jungen sind nachgerückt, times are a changin' und da sind die Zweifel, ob es noch reicht, ob es einen noch erfüllt, ob’s noch Sinn macht. 2013 hatten Slut ihr letztes Album veröffentlicht, „Alienation“ hieß es und es war – von außen betrachtet – beileibe keines, mit dem man entmutigt hätte hinwerfen müssen. Christian Neuburger, Rainer Schaller, Gerd Rosenacker und René Arbeithuber haben sich dennoch für eine lange Pause entschieden, haben den Laden erst mal geschlossen, Ende ungewiss. Und sind doch, weil Berufung statt Beruf, zurückgekehrt. Von einer Reise nach Griechenland ist zu lesen, Aufbruch und Rückzug gleichermaßen, vielen Ideen und Skizzen, sie haben lange mit den elf Songs gerungen, haben sie umarrangiert, neu instrumentiert.

Herausgekommen ist etwas, das zugleich alt und neu klingt, Vertrautes in neuem Gewandt also. Geblieben ist natürlich Neuburgers wunderbar weiche Stimme, die selbst einem so düsteren Album wie diesem etwas Tröstliches, letztlich Versöhnliches mit auf den Weg gibt. Geblieben sind auch die Harmonien, die schimmernden Hooks – selbst, wenn sie es unbedingt wollten, könnten Slut wohl nichts Dissonantes, verstörend Experimentelles aufnehmen, sie sind der Schönheit, dem Wohlklang verpflichtet. Und dass dieser neuerdings mit einem deutlichen Mehr an elektronischen Klängen und Effekten daherkommt, ist zwar auffällig, aber in keinster Weise störend. Er könne der teils doch recht breitbeinigen Rockmusik der Jahrtausendwende, also dem von Gitarren dominierten Sound, nicht mehr viel abgewinnen, hat Neuburger gerade dem Musikexpress erzählt, warum, so fragt er, sollten sie demnach etwas spielen, das sie selbst gar nicht mehr hören würden? Und so pluckert und pocht es auf der Platte reichlich, werden dicke Synthflächen aufgefahren, kommt mancher Beat eben aus der Steckdose statt vom konventionellen Schlagzeug. Der Qualität des Materials tut das überhaupt keinen Abbruch, wie gewohnt reiht sich bei Slut Hit an Hit, sind Stücke wie „For The Soul There Is No Hospital“, „Belly Call“, „Tell Your Friends“ und selbst ein Instrumental wie „Black Sleep“ von allererster Ohrwurm-Güte.

Auch inhaltlich ist sich das Quartett aus München und Ingolstadt treu geblieben. Thematisch hatten sie ja die Entfremdung schon beim Vorgänger auf den Schild gehoben und auch „Talks Of Paradise“ spürt den bewussten oder unbewussten Veränderungen nach, die wir in Zeiten von medialem Overkill und politischen Verwerfungen unweigerlich erfahren. Es sind die falschen Propheten, die uns paradiesische Zustände versprechen und die Mitmenschlichkeit dabei vergessen lassen („Good For All“), gerade in Zeiten der Pandemie merken wir auch, wie wichtig gegenseitige Fürsorge ist, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind, uns kümmern müssen um unser Seelenheil und das des Gegenübers („For The Soul There Is No Hospital“). Eindrückliche Bilder, starke und dunkle Poesie sind es, die Neuburger hier beschwört, von Vandalen ist die Rede, vom bevorstehenden Ende und davon, dass lange nicht alles gut ist, wenn jede und jeder sein Glück als hohle Geste per Tastenklick versichert. Für das bemerkenswerte „Yes No Why Later“ verbinden Slut sogar lyrische Zitate von Frost und Skidelsky mit der Ausstellungsarbeit gleichen Namens von Katharina Grosse. Slut bleiben eben, was sie schon immer waren – eine ungemein kluge und sehr melancholische Boyband, in die Jahre gekommen zwar, aber deshalb keinen Deut weniger relevant.

27.09.  Berlin, Lido
28.09.  Hamburg, Knust
29.09.  Köln, Gebäude 9
30.09.  Stuttgart, Im Wizemann
01.10.  München, Strom
02.10.  Dresden, Beatpol

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