Sonntag, 22. November 2020

Babeheaven: Über die Musik hinaus

Babeheaven
„Home For Now“

(AWAL)

Wenn es denn so gut passt, warum sollten wir das Zitat nicht noch einmal verwenden? Vor zwei Jahren hat Nancy Andersen, Sängerin und Songschreiberin des Londoner Duos Babeheaven, der Modezeitschrift VOGUE ein Interview gegeben. Dabei ging es nur am Rande um die richtige Lotion, die man zum Abschminken am Abend wählen sollte, sondern eher um Andersens Rolle in der Band und ihr Musikverständnis. „Our music sounds better in winter“, sagte sie dem Magazin und deshalb ist es eine glückliche Fügung, dass die Veröffentlichung ihres und Partner Jamie Travis‘ längstens erwarteten Debüts genau in diese Jahreszeit fällt, noch dazu in einen Winter, der mutmaßlich ein sehr schwieriger werden wird. Soll heißen: Man wird diese Musik noch brauchen in den nächsten Wochen und Monaten. Denn die anschmiegsamen Grooves, die sanften Beats und vor allem Andersens betörender Gesang sind wahre Seelenstreichler, sie umfangen einen, umhüllen mit Melancholie, Zärtlichkeit, Wärme. Gegen Vergleiche mit Massive Attack, London Grammar, den Cocteau Twins oder Morcheeba hat die Band, so liest man, nichts einzuwenden, wer wehrt sich schon gegen Komplimente ... 

Wo der Sound angenehm vertraut scheint, drücken sie dem Ganzen textlich ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stempel auf. Die Songs von Babeheaven sind sehr intime Bilder erlebter Gefühlswelten, es geht um Familie, Freundschaft, um Zweisamkeit, Sehnsüchte, Verletzlichkeiten. Andersen singt von den dunklen Momenten, mit denen wir konfrontiert werden, die uns entmutigen, ja zerstören („Cassette Beat“), denen wir aber unsere innerste Hoffnung und Zuversicht entgegensetzen können. Auch wenn, wie in „Craziest Things“, wir selbst es sind, die durch Ungeduld, Trotz und Unachtsamkeit die Geduld der anderen auf eine harte Probe stellen. Der Verlust spielt nach wie vor eine große Rolle – beide Musiker*innen haben früh ihre Mutter verloren, beide haben mit „Heaven“ und „It’s Not Easy“ schon früher versucht, den Schmerz darüber in ihrer Musik zu verarbeiten und auch auf „Home For Now“ tauchen Ängste und die anhaltende Suche nach Geborgenheit immer wieder auf. Politische Zeilen findet man auf dem Album dagegen so gut wie keine, dem Radiosender FM4 hat Andersen erzählt, dass ein Stück wie „Swimming Up River“, das sie im Hinblick auf die Black-Lives-Matter-Bewegung geschrieben hat, für sie unheimlich schwierig war. 

Trotzdem geht sie sehr offen mit ihrer Rolle als Künstlerin um, in einem Statement aus den Linernotes des Albums schildert sie den inneren Kampf um Standpunkt und Selbstverständnis: „Als POC und plus-size-woman habe ich mich auf der Bühne noch nie so wohl gefühlt", berichtet sie. „Während des Lockdowns habe ich viel mehr Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wie ich wahrgenommen werden möchte. Früher hatte ich wirklich schlimme Angst vor einer Show - ich stürzte mich regelrecht in einen Song und schaute erst am Ende des Liedes auf, um die Reaktionen von Band und Publikum zu sehen. Es war für mich sehr wichtig, daran zu arbeiten und zu erkennen, dass ich aus einem bestimmten Grund dort oben stehe, insbesondere als farbiger Mensch. Ich weiß jetzt um die Bedeutung, dass eine Band von jemandem geführt wird, den man im Alltag normalerweise übersieht - ich muss nicht übersexualisiert zu werden, unsere Musik braucht keine RnB-Schublade, nur wegen meines Haut- oder Körpertyps.“ Sätze, die heute, da Rassismus, Misogynie und Bodyshaming noch immer an der Tagesordnung sind, nicht oft genug ausgesprochen gehören. Und die diese Platte über das bloße Hörerlebnis hinausheben.

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