Martin Gore
„The Third Chimpanzee“
(Mute Records)
Der altgedienten Binsenweisheit, nach der man erst erkennt, wie alt man wirklich ist, wenn man den eigenen Kindern beim Wachsen zusieht, kann gern noch eine Ergänzung angehängt werden: Dann nämlich, wenn die Posterboys oder –girls der Jugend selbst schon an der Tür zum Renteneintritt kratzen, dann ist es endgültig vorbei mit Adoleszenz und Überschwang. Nicht wenige von uns werden ihre Zimmerwände damals mit Postern der vier, später drei Herren aus dem englischen Örtchen Basildon tapeziert haben, die sich den Namen einer französischen Modezeitschrift zulegten und neben äußert aufwändig herzustellenden Frisuren und vorzugsweise schwarzgefärbter Kleidung eine große Menge wunderbarer elektronischer Tanzmusik in den Kosmos von uns Heranwachsenden einspeisten. Und nun? Wohnt deren unbestreitbar begabtester Vertreter Martin Lee Gore im klimatisch unbedenklichen, deshalb altersgerechten Küstenort Santa Barbara in Kalifornien, zählt derer fünf Kinder und wird mit ihnen Ende Juli dieses Jahres seinen sechzigsten Geburtstag feiern. Sechzig, das will so gar nicht zu unseren romantisierten Vorstellungen passen, klingt eben schon sehr betagt. Und ist doch irgendwie auch egal, denn der Herr scheint nicht nur bei bester Gesundheit, sondern auch noch recht jung im Kopf geblieben, wenn man das von seinem professionellen Output ableiten darf.
Martin Gore ist uns im Laufe seiner Karriere nicht nur in vielerlei Erscheinungsformen und Persönlichkeiten begegnet, auch sein musikalisches Oevre ist reich an Facetten und Schattierungen. Unbestritten seine Verdienste um die anhaltende klangliche Neuausrichtung von Depeche Mode, die Qualität der Kompositionen und den allgemeinen Zusammenhalt in der Band. Mit dem Buddy aus eigenen Jugendzeiten Vince Clarke frönte er unter dem Label VCMG ein wenig der Freude am Basteln minimalistischer Technobeats, seine Solowerke unter Klarnamen „Counterfeit“ und „Counterfeit²“ glänzten mit vorzüglichen Coverversionen quer durch das Gore’sche Refernzgärtlein (Nick Cave, Tuxedomoon, John Lennon, David Bowie, Lou Reed), als MG wiederum arbeitete er an seiner Vorliebe für synthetische Ambientskizzen. Reichlich Auswahl also – welchem Gore man dann letztendlich den persönlichen Vorzug gibt, bleibt jeder und jedem selbst überlassen.
Ob die neue 12“ bei der Entscheidungsfindung hilft, ist nicht ganz so klar, stilistisch findet sie sich natürlich eher in der Kategorie MG. Im Gegensatz zu den bislang dort erschienenen Tracks haben die fünf aktuellen Stücke allerdings ihren Ursprung im Beat, wie Gore gerade in der aktuellen Musikexpress erläuterte. Ohne Rhythmus kein Groove, ohne Groove kein Spaß. Denn auch wenn der thematische Überbau ein einigermaßen ernster ist – Gore fand ihn in Jared Diamonds Evolutionsabhandlung „The Third Chimpanzee“ aus dem Jahr 1991 – möchte er schon, dass sich was rührt und so wummern alle fünf Primaten-Tunes (Mandrill, Grünmeerkatze, Kapuzineräffchen und ein doppelter Brüllaffe) gar mächtig vorwärts. Die Gedanken, die beim Hören entstehen, dürften recht unterschiedliche sein, Hinweise auf seine persönliche Auslegung gibt Gore im Video zu „Howler“ von NYSU nur bedingt. Dass die Songs und hier gerade der letzte zeitweise wie eine cineastische Untermalung wirken, spornt entsprechende Assoziationen an – der Umstand, dass auch das Cover von einem künstlerisch versierten Affen gestaltet wurde, hilft allerdings kaum weiter. Eine willkommene Fingerübung bleibt das Kurzformat somit schon, für’s nächste Mal aber gern wieder mit dem, was Gore nach dem vorzüglichen Songwriting am meisten auszeichnet – seiner wunderbaren Stimme.
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