Freitag, 1. Oktober 2021

Public Service Broadcasting: Liebeserklärung

Public Service Broadcasting
„Bright Magic“

(Play It Again Sam)

Auch wenn es das Ganze erst mal auf eine ziemlich alltägliche Stufe herunter zieht: Zu Berlin hat eigentlich jede und jeder eine Meinung. Wenn das Wetter im Small Talk nichts mehr hergibt und die üblichen Floskeln aufgebraucht sind, kann man immer noch – je nach Gusto – über die Hauptstadt spotten, schimpfen oder schwärmen. Auf der Hitliste der Allerweltskommentare ganz vorn rangieren so Sachen wie „Zum Urlaubmachen ist es ja toll, aber leben möchte ich da nicht“, „Da hat’s mehr Schwaben als in Stuttgart…“, „Im Winter ist es nicht auszuhalten!“ oder „Das alte Flair ist doch eh schon komplett weggentrifiziert…“ Ganz nebenbei gibt es kaum etwas, was die Einwohner*innen der Stadt (auch wenn sie selbst ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Kiez haben) mehr aufregt, als dass ihnen alle und immer ungefragt die Meinung zu ihrer Stadt meinen mitteilen zu müssen, ganz so, als wäre man ein wandelndes Trip-Advisor-Portal, wo aller Unsinn rund um die Uhr hineingerufen werden dürfte.

Ein Album wie „Bright Magic“ von der Londoner Formation Public Service Broadcasting ist da eine wahre Wohltat, denn es funktioniert auf ganz gegenteilige Art – wohlwollend, kunstvoll, klug und vor allem maximal unaufdringlich. Anders als beim Film, wo jeder sein „Berlin Alexanderplatz“, „Babylon Berlin“, „Kinder vom Bahnhof Zoo“, „Himmel über Berlin“ oder „Victoria“ sofort parat hat, ist das Feld in Sachen Popkultur meets Berlin-Hommage nun nicht gerade unübersichtlich sortiert. Ein bisschen Hass und ebenso viel Love in Liedform neueren Datums gibt es wohl, aber monothematische Platten sind abgesehen von den gut abgehangenen Standards der Herren Reed, Pop und Bowie eher Mangelware (und endgültig nein, Pink Floyds „The Wall“ hat mit Berlin nun wirklich nicht viel zu tun). Insofern ist das, was J. Willgoose, Esq. mit Band hier anbietet, schon eher eine Seltenheit.



Es gibt in diesem so sorgfältig wie liebevoll arrangierten Werk eine derart große Anzahl von Querverweisen, Referenzen und Zitaten, dass man sich schon nach wenigen Augenblicken wie in einer Zeitkapsel zu fühlen beginnt, die über einer sich ständig verändernden Animation die Zeitachse entlang zu schweben scheint. Töne, Geräusche, Bilder bauen Stimmungen auf, beleuchten Vertrautes und holen Unbekannteres hervor. Informativer als die Redakteure von FM4 könnte man das alles kaum aufschreiben, weshalb wir an dieser Stelle einfach auf den dortigen Exkurs verlinken. Erwähnt werden soll natürlich trotzdem, dass der Sound der einzelnen Tracks einen immer wieder an anderer Stelle packt und ein jedes Mal auf’s Neue fasziniert.



Seien es Blixa Bargelds Betrachtungen eines kalten, modernistischen und wuchernden Molochs („Der Rhythmus der Maschinen“), die natürlich Erinnerungen an Fritz Langs meisterhaften Streifen „Metropolis“ evozieren, seien es die beiden Gastspiele von Anna Lena Bruland alias EERA, die bei „People Let’s Dance“ die Historie der legendären Berliner Clubkultur mit Dschungel, WMF, Tresor bis hin zum Berghain Revue passieren läßt und dabei von ein paar Takten Depeche Mode begleitet wird. Kurz darauf wird ihre Stimme dann zart und weich, wenn sie die Verse zu „Gib mir das Licht“ in das wohlige Dunkel sanften Jazzpops taucht. Ein ebenso bemerkenswerter, wenn auch gänzlich anderer Auftritt gelingt Andreya Casablanca – die Frontfrau der Berliner Band Gurr gibt zu kratzigen Gitarren ihre Interpretation von Marlene Dietrich in „Blue Heaven“.



Der Höhepunkt dann ganz zum Schluss („Ich und die Stadt“), hier liest Schauspielerin Nina Hoss das Gedicht „Augen in der Großstadt“ von Kurt Tucholsky zu sparsamen, wabernden Synth-Klängen. Willgoose Esq. dazu in den Linernotes: „Auch wenn man Deutsch nicht versteht, ist es ein wundervolles Gedicht, allein vom Rhythmus her. Er fasst für mich fast alles zusammen, was ich in meiner Zeit in Berlin erlebt habe. Diese flüchtigen Momente, die unvorhergesehenen Begegnungen und Zufälle, die alle deine Geschichte ein wenig ändern können. Und bevor du er merkst, ist alles vorbei und wird sich so nie wieder ereignen. Der Song drückt die Melancholie, aber auch die Dankbarkeit aus, dass ich all diese Erlebnisse haben konnte und es ist ein Glück, dass ich dieses wunderschöne Gedicht gefunden habe, um meine Berlingeschichte und das Album zu einem wunderschönen Ende zu bringen.“ Eine Liebeserklärung zum Anhören, für Berliner*innen und solche, die die Stadt nur flüchtig kennen und irgendwie trotzdem mögen.

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