Nun Gun
„Mondo Decay“
(Algiers Recordings)
Wenn wir bei dem zeitgleich erschienenen Album der schottischen Band Mogwai gerade davon gesprochen haben, dass sich ihre meistenteils instrumentalen Stücke anfühlen wie eine Reise ins Ich, dann dürfen wir für diese Platte feststellen: Jene Reise geht weitaus tiefer, nämlich ins Unterbewußte. Dahin, wo unsere dunkelsten Seiten verborgen sind, unsere Sorgen und Ängste, im schlimmsten Falle auch Wahnvorstellungen, Phobien, Traumata, wo der Mensch dann eben doch des Menschen Wolf ist und niemand so gern hindenkt und -schaut. Dass hierbei keine zarte Liedkunst zu erwarten ist, sollte einleuchten, Ryan Mahan und Lee Tesche geben sich denn auch alle Mühe, den düsteren Erwartungen gerecht zu werden.
Die beiden Musiker kennt man ja schon als Teil der nicht minder experimentellen Gospel-Punk-Formation Algiers, auch dort haben sie sich im Laufe der Jahre den Ruf der unbequemen Wüstenrufer gegen Neokolonialismus, Machtmissbrauch und Rassismus erworben. Und nun haben sich die beiden für das Projekt Nun Gun mit dem amerikanischen Foto- und Aktionskünstler Brad Feuerhelm zusammengetan, einem Mann, der als Partner der unabhängigen Plattform American Suburb X unter anderem mit seiner Berlin-Arbeit „Dein Kampf“ für einiges Aufsehen gesorgt hat. Bei diesem Trio Infernale ist er für die Drums und vor allem für die visuelle Umsetzung des Sounds zuständig – zeitgleich zur Veröffentlichung der Musik erscheint also auch ein umfangsstarker Katalog, dessen Bilder den irren Tripp von „Mondo Deacy“ gebührlich begleiten.
Man kann Nun Gun ohnehin am besten als genreübergreifendes Projekt verstehen, als Verschmelzung verschiedener Künste und Professionen. So sind eine Reihe bekannter Persönlichkeiten auf unterschiedliche Weise in die zwölf Tracks eingebunden, die Schriftsteller Michael Salu und Blake Butler, der Grafiker/Gestalter Farbot Kokabi, das Industrial-Kollektiv ONO aus Chicago, Musiklegende Mark Stewart, Forscher und Autor Souhail Daulatzai und die brasilianische Transkünstlerin Louiza Prado. So bunt die Gästeliste, so wild (und oft auch krude) die Mischung, die man zu hören bekommt: Drone-Jazz, brachialer Industrielärm, trocken hämmerndes oder bleiern-behäbiges Schlagwerk, alles hier wirkt bedrohlich, apokalyptisch. Tiefschwarze Monologe über eine Welt im Endzeit-Modus – sie selbst nennen es Death Disco mit direkten Bezügen zu den Zombie- und Horrorfilmen der Mondo-Ära der 60er und 70er, von Regisseuren, deren Namen wirklich nur Fachleuten und/oder Freaks ein Begriff sind.
Würden sich zwischen die gewaltigen und gewalttätigen Klänge, zwischen die verzerrten Stimmfetzen nicht ab und an auch ein paar leichtere Pianomelodien wagen, man müsste wohl verzweifeln. Als starkes Doppel stechen dennoch vor allem die beiden Tracks „On Neurath’s Boat“ und „The Aesthetics Of Hunger“ heraus, erst straff wummernder Techno, dann krasser Doom-Rap – eine Textprobe dazu? „A nation regenerates itself only on heaps of corpses, the last shall be first and the first last, the vessel of revolution can only arrive upon seas of blood, the last shall be first and the first last. In these shadows from whence a new dawn will break, it is you who are the zombies. At the end of capitalism, there is Hitler.“ Eine Stunde in vollkommender Anspannung, eine Stunde der Provokation und des Anstosses, die letzten zehn Minuten dagegen nurmehr als flackernde und tonlose, fast unmenschliche Leere.
25.10. Berlin, Lido
02.11. Hamburg, Knust
02.12. Bern, ISC Club
03.12. Zürich, Bogen F
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen