Sonntag, 28. März 2021

Noga Erez: Tanzkampflieder

Noga Erez
„KIDS“
(City Slang)

Angefangen hatte alles mit diesen irren Beats. Metallenen, trockenen, abgehackten Beats – Electro, Grime, Techno, Dance, whatever. Und der Frage: „Can you shoot while dancing, can you dance while you shoot?“ Gestellt wurde sie von einer Frau, die so gar nicht wie eine aussah, die provozieren, die anecken, die unbequem sein wollte. Wie sie in dem abgefuckten Betonklotz stand, die Haare brav zum Knoten hochgesteckt oder offen über die Schultern fallend, unauffällig gekleidet – da wirkte sie fast ein wenig fehlplatziert, ganz so, als hätte der Regisseur sie testen wollen, ob sie in dieser trostlosen Atmosphäre wohl bestehen könnte. Nun, man muß sich um Noga Erez keine Sorgen machen, sie weiß, was sie will, sie kennt das und hält es aus. Geboren in Tel Aviv, einer Stadt, die wie keine zweite in Israel die Gegensätze dieses Landes, der Kulturen, der Religionen und Lebensentwürfe sichtbar werden lässt, wo das tägliche Leben wie nirgendwo sonst den Widerspruch zwischen ultraorthodoxer Selbstbeschränkung und wilder, westlicher Freiheit, zwischen kaum zu verhehlender Armut und überbordendem Luxus spiegelt. Und doch: Der Krieg ist nebenan, ein paar Kilometer weiter und die Frage, der niemand entkommt, heißt demnach: „Wie kannst du damit leben, ohne verrückt zu werden?“



Noga Erez ist nicht verrückt, sie ist politisch. Auf dem ersten Album „Off The Radar“ (2017) und auch auf dem neuen. Krasse Rhymes und Raps bedeuten für sie und ihren Partner Rousso, den Problemen nicht auszuweichen, sondern sie anzunehmen, zu benennen, auch wenn man die Lösung nicht kennt, nicht weiß, wie es am Ende der Straße weitergeht. An Reizthemen ist kein Mangel, seien sie privater oder gesellschaftlicher Natur – für Erez fließen diese beiden Dinge ohnehin unabdingbar ineinander. Toxisches, männliches Machtgehabe („You So Done“), die medieale Dauerbeschallung, der kein Mensch entkommen kann („Views“), Korruption, Waffengewalt, Zukunftsängste. Da sind viel Bitterkeit und Wut in ihren Versen, aber auch Trotz und Stolz, oft mit dem Hinweis auf ihre Kindheit und ihr Elternhaus verbunden – in „Bark Loud“ ist sie das „underdog kid“, bei „Knockout“ dann ein „shitty child“, in „Fire Kites“ wiederum heißt es „little girl became a monster“. Aus dem schwierigen Kind also ist die laute, zornige Frau geworden, die nun selbst reklamiert: „Kids that never grow old, mom's heart 'bout to explode, all tumbling, all stumbling, pacing down the streets, left-right-left, left-right-left. Who's blaming, who's blaming who? Pacing down the streets, Peace is dead, now rest in peace“ („Kids“).



Es sind Kampflieder, allesamt. Deren Sound im Vergleich zum Vorgängeralbum noch vielschichtiger, aber auch tanzbarer geworden ist. Die schweren Killerbeats sind geblieben, die synthetische Grundierung auch, hinzugekommen eine Reihe feiner Brass-Sektionen, wie man sie hierzulande in gemäßigterer Form von La Brass Banda oder Meute kennt. Spannend auch die Verbindung von (Achtung Klischee!) Klub und Kibbuz – traditionelle Klänge ihrer Heimat werden von Tüftler Rousso verfremdet und geloopt, hebräische Zeilen (von ihrer Mutter) eingesprochen, Straßenlärm, Sirenengeheul. Lebendiger und zeitgemäßer kann Musik heute kaum klingen. Apropos zeitgemäß: Nicht von ungefähr entdeckt man an vielen Stellen Parallelen zum Stil von Billie Eilish und ihrem Bruder Finneas, die sanfte, tiefe Stimme, die Vorliebe dunkle Szenerien und ASMR-Effekte, die eine kurzzeitige Nähe und Intimität erzeugen. Eilish scheint eine Schwester im Geiste zu sein – dem Rolling Stone erzählte Erez gerade, dass beide sich schon längere Zeit kennen und schätzen. Und auch, wenn der Hintergrund hier ein gänzlich anderer scheint, es ist diese besondere Mischung, die unser Hineingeworfensein und unsere unbedingte Suche nach Orientierung in diese/r Welt wohl am besten zum Ausdruck bringen. Jeden neuen Tag – tanzen und kämpfen.




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