Mittwoch, 12. Juni 2019

Eşya: Das menschliche Dilemma

Eşya
„Absurdity Of ATCG (I)“

(Bandcamp)

Ayşe Hassan ist keine, die etwas verpaßt, keine, die etwas unversucht läßt. Der Job als Bassistin bei der Londoner Post-Punk-Formation Savages füllt sie ganz gewiß nicht aus, schon länger arbeitet sie deshalb an/in verschiedenen Projekten. So spielt sie gemeinsam mit Kendra Frost bei Kite Base, kollaborierte unter dem Namen 180dB mit Nick Zinner (Yeah Yeah Yeahs), Faye Milton (Savages) und Meredith Graves (Perfect Pussy). Und verwirklicht seit dem vergangenen Jahr als Eşya ihre solistischen Wünsche. Auch diese natürlich nicht ganz allein, Hassan arbeitet quasi interdisziplinär mit Regisseuren, Fotografen, Visagisten und Klangtüftlern an den Stücken, die es dann auf die EP schaffen. „Absurdity Of Being“ hieß die erste, „Absurdity Of ATCG (I)“ die aktuelle Veröffentlichung. Wer kann und mag, darf jetzt mit Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin gern die Grundbasen der menschlichen DNA aus dem Gedächtnis deklinieren, die Vermutung liegt nahe, dass es hier also schlicht um alles geht. Um den Sinn, auch den Unsinn. Um die Grundlage, aber eben auch die Absurdität des menschlichen Seins. 42? Nicht weniger als das.

Nachdem schon die vier Stücke der ersten 12“ sehr verschieden geraten waren, sind auch die neuen fünf erfreulich unterschiedlich. Wenn Hassan überhaupt eine Dominanz zuläßt, dann vielleicht die hauptsächliche Verwendung analoger Synthesizer als Humus ihrer Arbeit. Schon der erste Track „Everything“ brodelt und pocht über achteinhalb Minuten – technoide Untermalung für sich stetig wiederholende Textschleifen: „Everything and nothing, is all we want to be, everything and nothing, is all you meant to me“, und später: „Here we are, lost and found, here we are, lost as a man.” Alles und/oder nichts, wie gesagt, das immerwährende, menschliche Dilemma. „Nothing“ danach nur unwesentlich kürzer, die Drums rollen dunkel, die Gitarren ein dreckiges Knirschen, Hassans Stimme taumelt. Sie gibt den Instrumenten sehr viel Platz zur Entfaltung ihrer Ideen, schon das macht die Songs reizvoll und spannend.



Die restlichen drei dann vergleichsweise kurz: Wild und dronig „Atmosphere“, der „Machine Dance“ als anderthalb minütiges Interlude, am Ende „Wild Nights“, eine Mischung aus tanzbarem Synthpop und frostig, schiefem Cold Wave, Visage vielleicht, fade to kalt und grau. Reichlich Abwechslung also. Überhaupt: Möchte man eine/n Künstler/in, der oder die unnahbar scheint, besser kennenlernen, bleiben oftmals nur Playlisten. Belastbar sind sie deshalb, weil die Auswahl (so hofft man wenigstens) Handarbeit ist und nicht von Algorithmen übernommen werden, die einem nach dem Mund reden. Auf der Liste von Hassan finden sich neben Prince, Bowie und den Beatles auch die Stranglers, Depeche Mode und Nine Inch Nails (mit denen sie ja schon gemeinsam auf der Bühne stand), genauso wie Soul, Psychedelia und House. Genügend Gegensatzpotential, fürwahr. Zwischen all diesen Referenzen einen eigenen, unverwechselbaren Stil zu finden, der im Gedächtnis haftenbleibt, ist dann nicht ganz so einfach wie die bloße Nennung. Hassan ist es gelungen.

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