Ilgen-Nur
„Power Nap“
(Power Nap Records)
Wo wir gerade bei den Etiketten waren (MUNA): Diese Frau hier hat eine ganze Menge davon abbekommen: übellaunig, arrogant, queer, Slacker – an Ilgen-Nur Borali scheiden sich nicht nur Geister, sondern Sympathien. Und wer’s einem nicht eben einfach macht, hat’s dann halt schnell verkackt. Da werden Selbstbestimmtheit und Eigensinn mit Arroganz verwechselt, schlecht drauf sind ohnehin immer nur die anderen, undankbar sowieso (schließlich kommt sie ja aus der schwäbischen Provinz). Dabei würde es reichen, läse man das eine oder andere Interview mit ihr oder, noch nachhaltiger, würde sich in Ruhe und möglichst ohne Vorbehalte ihre Musik anhören.
„No Emotions“ beispielsweise, ihre erste EP aus dem Jahr 2017 und vor allem ihr überaus gelungenes Debütalbum „Power Nap“. Und man darf sich auch selbst fragen, ob denn wohl jemand eine Künstlerin verlegen möchte, die ihr Publikum, sonnenbrillenbewährt, ständig gelangweilt von der Bühne herunter angähnt (den Eindruck muss man haben, liest man die entsprechenden Kommentare). Oder ob es nicht tatsächlich so ist, dass diese Künstlerin, längst schon wohnhaft in Hamburg, ein ausgesprochen großes Talent und Gespür für gutes Songwriting besitzt. Und aus ihrem Wesen, aus ihrer Eigenart eben das wertschöpft, was nicht wenige dann auch hören wollen. Und feststellen, dass die Vergleiche mit Referenzen ihres Fachs – Nilüfer Yanya, Mitski, Eliza Shaddad oder Courtney Barnett – keinesfalls verwegen, sondern durchaus zulässig sind.
I spent my days in my head
reliving moments I tend to forget
spent my days in my zone
I might be the happiest
when I’m on my own
Wer die dunklen Momente im Leben nicht verleugnet oder verdrängt, dem ist der Wunsch, einfach liegen zu bleiben, niemandem als sich selbst verpflichtet zu sein (was ohnehin schon anstrengend genug sein kann) keinesfalls fremd. Der- oder diejenige weiß, dass der eigene Kopf Traumpfade oder Umwege genug bietet, um den Tag zu verbringen – „In My Head“, der erste Song auf dem Album, ist also nicht nur wunderschön anzuhören, sondern auch sehr nachvollziehbar. Und klingen sie uns nicht wunderbar vertraut, diese dunkel schillernden Moll-Harmonien, die Gitarrenakkorde, die einen schon bei Interpol oder The Cure mit ihrer Entrücktheit verzaubert haben? Es sind Stücke, zu denen Lustlosigkeit, Langeweile, Überdruss einfach dazugehören und die trotzdem sagenhaft gut klingen – „Silver Future“ beispielsweise mit dem tollen Drum-Part im letzten Drittel, „Soft Chair“ mit seinen Bläsersätzen und 90er-Verweisen und die verzerrte Neil-Young-Gitarre bei „New Song II“.
Und ganz so düster ist es gar nicht alles geworden, was Ilgen-Nur gemeinsam mit dem Nerven-Mann Max Rieger da arrangiert hat, sie singt ja durchaus auch von Augenblicken, die sie bewahren, die sie festhalten möchte („Soft Chair“) oder vom Aufbruch, vom Neustart („Clean Sheets“). Die vornehmlich melancholische Grundstimmung lässt die helleren Momente dann eben deutlicher zutage treten. Zumal sie zu überraschen weiß: Das noiselastige „You’re A Mess“ beispielsweise variiert bei Tempo und Lautstärke, selbst ihr Gesang wird dringlicher, energischer. In die andere Richtung geht der Kehraus „Deep Thoughts“, eine Pianoballade, wie sie selbst John Cale nicht besser hingebracht hätte, reduziert – „I’m on my own, all allone, with my deep thoughts, I’m on my own“, ein kurzer, tiefer Blick in den Abgrund, näher kommt man ihr auf diesem Album kaum. Dämmermusik für Einzelgänger, und zwar im besten Sinne.
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