Sind sie's? Oder doch nicht? Nun, wir hatten die britischen Bloc Party jedenfalls etwas anders in Erinnerung, nicht ganz so rough und kratzig wie auf ihrer neuen Single "Traps", die heute auf Sendung gegangen ist. Und zwar nicht einfach so, sondern zusammen mit der Ankündigung, dass ihr am 29. April 2022 via Infectious das nunmehr sechste Album mit dem Titel "Alpha Games" folgen soll. Das letzte, "Hymns", erschien vor ganzen fünf Jahren, danach gab es von Frontmann Kele Okereke reichlich Solomaterial. Nun also zwölf neue Stücke von den einstigen Königen des fiebrig nervösen Indierocks der Nullerjahre - gut möglich, dass sie gerade wieder dabei sind, verlorenes Terrain zurückzuerobern.
15.05. Berlin, Tempodrom 16.05. Köln, E-Werk
Update: Hier noch pflichtschuldig nachgereicht das Video zur ersten Single - dance this mess around...
Das eigene Ich ist mit Sicherheit der Bereich, in dem sich jede und jeder selbst am besten auskennt, ob nun bewusst oder unterbewusst. Als sicheres Terrain taugt es deswegen noch lange nicht, vor allem, wenn allerhand Dämonen, soll heißen unangenehme Erinnerungen, Traumata, Ängste, dort ihr Unwesen treiben. Gut oder schlecht – sie verschwinden nicht, sie bleiben unaufgefordert und je mehr man sich weigert, sie zur Kenntnis zu nehmen, je mehr man sie auf Abstand hält, desto größer und bedrohlicher werden sie, scheinriesengleich. Joe Talbot, so möchte man annehmen, kennt diese Dämonen zur Genüge. Er hat ausreichend erlebt, um Respekt vor ihnen zu haben – das ambivalente Verhältnis zum dominanten Vater, die alkoholsüchtige Mutter, die eigenen Abhängigkeiten, ein lebensgefährlicher Unfall, ein totgeborenes Kind. Der Mann hätte also Grund, sich diesen schmerzhaften Gegenüberstellungen zu verweigern. Für ihre letzte Platte „Ultra Mono“ haben Talbot und seine Band, den Idles aus Bristol, neben einigem Lob auch reichlich Kritik abbekommen, zu viel Hülle, zu wenig Substanz, inhaltlich und musikalisch sehr unentschieden. Es gab jede Menge störende Nebengeräusche, die Band geriet, berechtigt oder nicht, in Rechtfertigungszwang zu Themen wie Glaubwürdigkeit, Rassismus und Frauenfeindlichkeit und manche/r stimmte schon den Niedergang an…
Dass sie nun mit diesem, ihrem vierten Album so kraftvoll und überzeugend reüssieren, hat sehr viel mit Talbots Selbstbehauptungswillen zu tun. Und damit, dass er sich dorthin zurückzieht, wo die wohl härtesten Schlachten ausgefochten werden im Leben – dem eigenen Ich. Das hat zur Folge, dass „Crawler“ im Vergleich zu seinen Vorgängern erstaunlich unpolitisch geworden ist, der anhaltend bedauernswerte Zustand seines Heimatlandes spielt also in den neuen Songs eine eher untergeordnete Rolle. Talbot als zorniger Beobachter, wenn es bei „The New Sensation“ um die mangelhafte Wertschätzung der Kunst in Pandemiezeiten geht, Talbot als Ankläger, weil die Gesellschaft die Gescheiterten und Hilflosen allzu oft dauerhaft als solche stigmatisiert und ihnen so jede Hoffnung auf Besserung, auf Rückkehr und Dazugehörigkeit nimmt. Sonst aber: Unaufhörlicher, unerbittlicher Kampf um dieses eine Leben, das einem – von wem auch immer – zugelost wurde und das einem, bei aller Unvollkommenheit und allen Schmerzen, doch so verdammt wertvoll erscheint.
Trotzki soll, so zitiert Talbot ganz am Schluss der Platte, trotz der Vorahnung seines nahenden, gewaltsamen Todes gesagt haben: „In spite of it all, life is beautiful“, eine Ansicht, die er sich in jedem der Songs auf „Crawler“ unbedingt zu eigen macht. Ob er aus mutwilliger oder fremdverschuldeter (Selbst)zerstörung hartnäckig den Weg zurück sucht, ob er seiner Vergangenheit entgegentritt und selbst wenn er versucht, einen buddhistischen Blick auf das manchmal doch so trostlose, alberne Leben zu werfen („King Snake“) – immer wirken er und die Band unglaublich energisch, entschlossen und ja: authentisch. Der Sound des Albums ist von seltener Kompromisslosigkeit, kein Lärm als Selbstzweck, sondern weil es eben genau so klingen muss, wenn einer mit sich ringt, sich wehrt und uns genau das zeigen will. Der Bassanschlag bei „The Wheel“ phänomenal, „The Beachland Ballroom“ auf den Spuren von Faith No More trotzdem überzeugend, die elektrische Textur von „Progress“ umwerfend und auch „The New Sensation“ ist nicht INXS, sondern eher DAF in der Rocky Horror Picture Show, wow! Damit war nicht zu rechnen, um so mehr freut es einen, dass der Weg zurück geglückt scheint. Auch, weil es ein sehr persönlicher geworden ist. Wie lange das dann trägt, steht auf einem anderen Blatt…
Vom Aufhören ist also momentan keine Rede mehr - gut so. Als Tierra Whack im Sommer einen Insta-Post mit der Nachricht "I quit. I'm done doing music." in die Runde schickte, da war die Bestürzung groß - ein vielversprechendes Album ("Whack World", 2018), viele feine Singles, das sollte es dann schon wieder gewesen sein?! Mit der Rapperin aus Philadelphia wäre immerhin eine gegangen, die neben erstklassigen Tracks eben auch über ein seltenes Gespür für visuelle Extravaganz verfügte und ganz offensichtlich den Spaß an der künstlerischen Arbeit niemals zu kurz kommen lies. Mithin hätten wir auf die beiden gerade veröffentlichten, vorzüglichen EP "Rap?" und "Pop?" verzichten müssen - wer sie gehört hat, weiß um den möglichen Verlust. Konjunktive zum Glück das alles, denn die beiden 12" sind ja nun doch erschienen und festigen einmal mehr Whacks Ruf als Ausnahmeerscheinung im Hip-Hop. Gerade deshalb, weil sie sich hier wieder exemplarisch und gewohnt angstfrei wenig um Grenzen schert. Beispiele satt: Der tolle Clip von Daniel Brennan zu "Stand Up", einem sarkastisch überhöhten Rundumschlag zum Selbstverständnis einer schwarzen Künstlerin inklusive gewitztem Eminem-Zitat, "Meegan Good" wiederum borgt sich ein paar Takte Superpop bei Phil Collins aus und "Millions" groovt ganz entspannt zu ein paar Versen über Sein und Haben. Und "Pop?" macht es keineswegs schlechter - Erinnerungen an die wunderbaren OutKast gleich zum Start bei "Body Of Water" (wieder mit abgefahrenem Clip) mit seinen Stakkato-Rhymes, das hingerotzt lässige "Lazy" hat Whack an "School Of Rock", einen ihrer All-Time-Filmfavoriten, angelehnt und für "Dolly" gibt's dann Banjo, Sentiment und Augenzwinkern.
Duette und Balladen, ganz schwierige Kiste. Tragen sie, sind sie zu kitschig, passen die Stimmen, die Charaktere? Eine Herausforderung für jede/n Musiker*in, an der man gern auch mal scheitern kann. Wie schmal der Grat ist, wie es funktionieren kann und wo es nicht ganz so gut klappt, hat Casper gerade innerhalb weniger Tage bewiesen. "Schwarz" mit LEA stimmungsvoll, dramatisch, aber eben auch eine Ecke zu rührig, hier wird den Affen doch allzu viel Zucker gegeben. Interessanterweise gelingt die Kollaboration "Mieses Leben/Wolken" mit Haiyti dagegen auf den Punkt. Die Hamburger Rapperin - unterbeschäftigt kann man sie zur Zeit nicht nennen - hat sich mit Aggressivität und Uzi-Rhymes ja gehörigen Respekt erarbeitet, hier allerdings beschränkt sie sich auf zarten Gesang und überlässt Casper den Zorn. Und der kommt wirklich ziemlich angefressen, sein Gesang hat bekanntlich die Eigenschaft, aus jeder Melodie spaltbares Material zu machen und so wütet er auch hier ziemlich überzeugend zu trockenen, bissigen Beats. Stark das.
Natürlich hängen wir zu einem neuen Song von Tocotronic nicht einfach nur ein Update dran, sondern verfassen gleich einen neuen Post. Ehrenhalber, versteht sich. Vor einigen Wochen kam ja schon die Nachricht um die Ecke, dass Dirk von Lowtzow und Kollegen für den 28. Januar die Veröffentlichung ihres neuen Studioalbums "Nie wieder Krieg" planen, die Single "Jugend ohne Gott gegen Faschismus" gab es obendrauf. Heute nun Vorabsingle Nummer zwei - der ganze Gegensatz, ein ruhiges, ätherisches Duett mit Anja Franziska Plaschg aka. Soap And Skin. So ungewohnt der Umschwung, so vertraut scheinen die Bilder zum Song - aufmerksame Serienjunkies werden das Setting der schwarzen Traumwelt sicher von Stranger Things kennen und gleich wieder erschaudern, tummelte sich doch dort in identischer Kulisse die zauberhafte Jane, Laborkindname Elf, der Ermittlungen wegen zwischen den Welten. Lustigerweise erfährt man in den Credits des Clips, dass die Postproduktion von einer Firma namens ELEVEN bewerkstelligt wurde - ein Schelm, der hier Zusammenhänge konstruiert. Und weil wir annehmen, dass von Lowtzow so etwas nicht ohne Grund macht, nehmen wir's mal als Huldigung - recht hat er.
Update: Und das ist der Titelsong des neuen Albums, in Szene gesetzt von Maximilian Wiedenhofer. Wem dabei Nick Caves "Foi Na Cruz" einfällt - nun, das wäre dann vielleicht doch etwas hoch gegriffen ...
Wo anfangen? Was muss man noch zu Dinosaur Jr. und Sonic Youth sagen? Was zu J Mascis und Kim Gordon? Davon abgesehen, dass wir hier von musikalischem Basiswissen reden, von Dingen und Namen also, die man schlicht kennen m u s s, kann es nicht schaden, sich einmal die komplette Dröhnung "1991: The Year Punk Broke" von Dave Markey zu geben, nach Ansicht des Filmmaterials sollte man wenigstens eine ungefähre Ahnung davon haben, wie sensationell und essentiell beide Bands wirklich waren bzw. sind. Kaum vorstellbar, dass gerade diese beiden befreundeten Musiker*innen offiziell noch keinen Song miteinander eingespielt hatten. Erledigt wurde dies zwar eigentlich schon vor einem Jahr, als die beiden mit dem "Abstract Blues" das Kinderhospital SMooTCH in Seattle unterstützten. Nun gibt es diesen Song und obendrauf noch "Slow Boy" als Release im Sub Pop Singles Club - an den Drums Mascis' Sohn Rory, am Bass der legendary Fred Armisen. Quasi nachträgliche Bescherung.
"Die Rapper werden böser, leider auch langweiliger", so hat es kürzlich olle Bela B getextet, kann damit aber sicher nicht Ebru Düsgün alias Ebow gemeint haben. Wäre ja noch schöner - erst bekommen Die Ärzte für ihr aktuelles Album "Dunkel" von der deutsch-kurdischen Künstlerin ihr erstes Rap-Feature ("Kerngeschäft") und dann anschwärzen? Nee. Würde ja auch keinen Sinn ergeben, denn Bela ist eindeutig ein Fan der Münchnerin und davon gibt es nicht zu knapp. Einige mehr sollten demnächst dazukommen, denn Ebow hat zusammen mit Long-Time-Companion Walter p99 Arke$tra gerade ihre vierte Studioplatte eingespielt - "Canê" (kurdisch für Liebling oder Seele) wird am 18. März bei Alvozay erscheinen, mit dabei eine Collabo mit Balbina und natürlich auch die erste Singel "Araba". Dazu hier noch das einleuchtende Statement: "Ich habe während des Lockdowns viel Zeit an meinem Fenster verbracht. Da ist eine Kreuzung, an der zu jeder Tageszeit laute Musik aus wartenden Autos dröhnt. Ich habe mir vorgestellt, was für einen Song ich pumpen wollte, wenn ich dort in der Karre säße, statt an meinem Fenster."
Funktioniert bestens - selber testen!
31.03 Dresden, Groove Station 01.04 Leipzig, Distillery
02.04 Bremen, Pusdorf Studios
03.04 Hamburg, Übel und Gefährlich
07.04 Berlin, Frannz Club
09.04 Köln, Yuca
10.04 Saarbrücken, Garage Kleiner Klub
13.04 Frankfurt am Main, Künstlerhaus Mousonturm
14.04 Münster, Skater Palace
20.04 München, Milla
21.04 Nürnberg, Z-Bau Roter Salon
22.04 Wien, Flex
So geht's also auch: Idles-Gitarrist und Produzent Mark Bowen hat einem Track von St. Vincent ein paar Beats verabreicht - es handelt sich um die Single "Pay Your Way In Pain" von Annie Clarks aktuellem Album "Daddy's Home". Weg also der schwüle Siebzigerjahre-Charme, dafür hämmert der Song jetzt um so mehr für die Diskokugel. Bowen dazu: "What I really enjoy about the 'Daddy’s Home' album is using this camp energy in a really violent way. This embracing of the nostalgic even the kitsch but using it to make progressive futuristic music.
He added: “It reminded me a lot of the energy of early house and techno but wrapped up in this early ’70s aesthetic. I wanted to ramp up the camp and the violence in the remix but still maintain the sentiments and sensibilities of the original track."
Die Pandemie und der Lockdown, viele positive Effekte ließen sich dieser Zeit (so sie denn langsam wirklich vorbei geht) nicht abgewinnen. Doch wenn man aufmerksam nachliest, dann sind sich zumindest viele Menschen darüber einig, dass eine gewisse Entschleunigung und eine Besinnung auf das Wesentliche ihrem sonst so rastlosen, reglementierten Leben nicht so schlecht getan haben. Auch Nancy Andersen hat, so ahnen wir, Zeit genug gehabt, sich ein paar Gedanken zu machen und weil sie als Sängerin der Londoner Band Babeheaven quasi von Berufs wegen Gedankensammlerin ist und diese gern zu ihren Songs verarbeitet, kann auch das so schlecht nicht gewesen sein. Im vergangenen Jahr ist ja dann auch endlich das fabelhafte Debüt "Home For Now" erschienen, heute nun warten Babeheaven mit einem neuen Stück namens "The Hours" auf. Andersen sagt zu diesem: "Als ich dieses Lied schrieb, dachte ich viel über das Konzept der Zeitverschiebung nach und über die Realitäten, die wir immer wieder zu wiederholen und wiederzuerleben scheinen. Ich wollte die Alltäglichkeit des Lebens in der Wiederkehr des Refrains von 'on and on...' darstellen. Ich habe auch darüber nachgedacht, wie irrelevant wir doch im Vergleich zur Weite des freien Himmels erscheinen können. Das Gefühl der Einsamkeit, wenn man im Zug sitzt und Menschen anschaut, deren Welten so weit weg von unserer eigenen scheinen. Aber auch das Wissen darum, dass es jemand anderem ähnlich geht, und sich daran zu erinnern, dass wir nur die Hand ausstrecken und diese Gemeinschaft finden müssen."
Update: In ihrer neuen Single "Don't Wake Me" gehen Babeheaven der Frage nach, ob und wie sich der Begriff des "zu Hause" im Laufe des Lebens entwickelt und von der eigenen Familie löst.
Von all den Songs ihres aktuellen Albums "Happier Than Ever" ist dieser hier wahrscheinlich der unscheinbarste, unspektakulärste. Und auch musikalisch kommt "Male Fantasy" eher konventionell daher. Aber Billie Eilish wäre nicht die Überfliegerin, könnte sie nicht auch mit ein paar gezupften Akkorden und wenigen, aber eindrücklichen Worten und Bildern eine Atmosphäre schaffen, die im Gedächtnis bleibt. Herzbruchlied also, schmerzliches Eingeständnis mithin, aber auch Selbstbehauptung und Trotz. Und somit bleibt es dabei: Nichts da, was sie nicht kann.
Gar nicht so lang her, da haben die drei ihre EP "Hologram" inklusive reichhaltigem Remix-Paket veröffentlicht, nun kündigt die Band A Place To Bury Strangers für den 4. Februar 2022 via Dedstrange Records ein neues Album mit dem Titel "See Through You" an. Im Beipackzettel zur aktuellen Vorabsingle "Let's See Each Other" steht etwas von "massive walls of chaos and noise" und für alle, die meinen, es sei etwas zu sanft zugegangen bei den dreien in letzter Zeit, ist das sicher ein durchaus erfreulicher Hinweis. Nicht vergessen wollen wir auch, dass Oliver Ackermann, Dion Lunadon und Lia Simone Braswell im nächsten Jahr ausgiebig auf Tour gehen werden.
Update: Die zweite Single "Hold On Tight" ist von überraschender Eingängigkeit - Lärmpop, sozusagen. Harmonisch ist hier - wie man bald sieht - deshalb noch lange nichts.
Den eigenwillig versponnenen, spacigen Sound des Duos AUA hatten wir hier ja schon für mit Veröffentlichung des Debütalbums "I Don't Want It Darker" 2020 auf Crazysane Records gefeiert, nun haben Fabian Bremer und Henrik Eichmann für den Januar kommenden Jahres den Nachfolger "The Damaged Organ" angekündigt. Und was gibt es für solchen Anlass Schöneres als eine gelungene Einstiegssingle mit einer angenehm vertrauten Stimme? Genau die nämlich haben die zwei gerade vorgelegt - "Islands Song" kommt mit den unterkühlten Vocals von Annika Henderson daher, die ja selbst gerade erst bei Invada Records überzeugte. Bei AUA lesen wir weiter von ungewöhnlichen Instrumentierungen, Anlehnung beim Filmsound von Carpenter und sogar Surfgitarren. Es bleibt also wieder einmal alles anders.
Update: Eine spezielle Art der Standortbestimmung gelingt ihnen mit der zweiten Single "Post Human Blossom" - eine Reise ins Ich also.
Niemand weiß, ob es nach der Pandemie wieder so sein wird wie zuvor. Oder anders: Alle wissen, dass es nicht mehr so sein wird, aber keine/r weiß, wie. Das große Rätsel also, das man nur durch die persönliche Erfahrung wird lösen können und das alle umtreibt - in der Politik, im Sport und natürlich auch in der Kunst. Auftritte, Konzerte, gerade laufen die ersten wieder an und wovon man lesen kann ist einesteils die unbändige Vorfreude, aber auch Respekt, Zweifel und Angst vor der Enttäuschung. Was wir hier sehen, könnte im ersten Moment genau darauf abzielen - wenn also Mitski Miyawaki unter der Regie von Zia Anger durch die leeren Hallen und Gänge des Kulturzentrums The Egg nördlich von New York springt und taumelt und am Ende eine sehr körperliche Performance auf die Bühne bringt. Letztendlich geht es in ihrer neuen Single "Working For The Knife" (via Dead Oceans) aber eher um das große Ganze, thematisiert die gebürtige Japanerin den Wechsel vom Kind ohne Grenzen und Ängste hin zum Erwachsensein mit all den Zwängen, Grenzen und Bedenken. Ob auch ein Album folgt, ist zur Stunde noch nicht bekannt, im Frühjahr wird Mitski aber ein paar Termine auf europäischen Brettern absolvieren.
Update: Das ist doch was - für den 4. Februar ist nun via Dead Oceans das neue Album "Laurel Hell" angekündigt, die Nachricht kommt mit der zweiten Vorabsingle "The Only Heartbreaker" und einem weiteren bemerkenswerten Clip, diesmal unter Regie von Maegan Houang und Jeff Desom ... Die dritte Single "Heat Lightning" gibt es vorerst nur ohne Choreo, sondern mit Lyric Video, toll ist sie trotzdem geworden.
Was es nicht alles bringen soll, dieses neue 2022, das Jahr kann einem heute fast schon ein wenig leid tun. Nicht nur das Ende der Pandemie steht da auf dem Zettel, sondern auch Reisefreiheit (haha, sagt da der Ossi), Ampelfreuden und ganz, ganz viel neue Musik. Und dazu gehört seit heute auch noch die nächste Platte von Danielle Balbuena alias 070 Shake. Nach ihrem fulminanten Debüt "Modus Vivendi" (2020) darf man gespannt sein, ob die Künstlerin aus New Jersey dieses unbestritten hohe Niveau zu halten vermag - die Platte soll "You Can’t Kill Me Because I Don‘t Exist" heißen und geht es nach der ersten Vorabsingle "Lose My Cool feat. NLE Choppa" sollte das jedenfalls kein Problem sein.
Man tut einem Künstler, einer Künstlerin sicher sehr unrecht, wenn man ihn/sie nur auf den Augenblick, auf eine Stimmung, gern auch eine Jahreszeit reduziert. Diese Entschuldigung vorangestellt, müssen wir es dennoch kurz tun, denn für die sonntägliche Trägheit, kombiniert mit der allgemeinen, pandemiebedingten Lustlosigkeit (die mal Wut war und sich an zu viel Unbelehrbarkeit ihre Spitzen abgeschliffen hat) gibt es kaum bessere Lieder als die von Rupert Falsch. Der Berliner, laut Selbstbezichtigung "Bedroom Producer, der es eigentlich genau so peinlich wie du findet, leise deutsche Texte über elektronische Beats mit ein bisschen The Cure-Gitarre zu singen", mischt minimale Maschinenmusik, poetische Zeilen und visuelle Puzzleteile zu feinen Songs, zu denen man wahlweise sowohl wunderbar entspannen, sinnieren oder auch mal mehr oder weniger heimlich tanzen kann. Er tut dies wahrscheinlich alles auch gern selbst und zwar seit 2004, da nämlich ist seine erste EP "Nebelschwungflug" erschienen, es folgten "Fehlerengel" (2005) und "Links auf der Fahrbahn ein totes Tier" (2009). Dass Rupert Falsch ein großes Faible für altes Filmmaterial hat, lässt sich unschwer erkennen, für die Single "Idar Oberstein" kamen Bilder aus einem Streifen von Alfonso Brescia aus dem Jahr 1977 zum Einsatz und auch für den aktuellen Track "Moose und Farne" flüchtet/rettet sich (?) der Mann in die monochrome Szenerie vergangener Jahrzehnte. Da kommen wir gern mal mit...
Manche Songs weht es einfach so herein und es sind beileibe nicht die schlechtesten. Aktuelles Beispiel: ELDA aus Frankfurt. Die vierköpfige Band macht seit 2018 gemeinsame Sache, zunächst als All-Girl-Formation, später dann im Geschlechterverhältnis 1:3, was musikalisch wahrscheinlich völlig unerheblich ist. Drei EP sind von ihnen mittlerweile erschienen, eine Reihe von Singles dazu, allein im laufenden Jahr sind ganze vier dazugekommen (hier stellvertretend u.a. "Gills" und die 12" "Golden Bowl"). Gerade also "Drown", ein recht dunkles Stück Pop, das einmal mehr ein paar Erinnerungen an den Sound von Super 700, den Gaddafi Gals oder auch Warpaint aufkommen lässt, aber mit seiner elektronischen Textur und dem zarten Doppelgesang dennoch einen markanten, eigenen Stil pflegt. Alessa Stupka, Leila Antary, Annelie Schwarz und Daniel Hertel haben für den Song im Übrigen mit Sänger*in/Produzent*in Geistha aus Mannheim kollaboriert, das Video wiederum wurde in den nächtlichen Straßen von Berlin gedreht.
Zu der Erkenntnis, dass Gesang einen Song nicht unbedingt besser macht, ja manchmal sogar völlig fehl am Platz sein kann, gelangt man wohl erst in gesetztem Alter (zumindest ist das hier so). Worte stören zuweilen einfach die Fantasie der Zuhörerin und des Zuhörers, zu schnell wird die Denkrichtung vorgegeben, wo doch die Gedanken vielleicht gern andere Wege benutzt, andere Bilder gemalt hätten. Das bedingt natürlich auch Künstler*innen, die bereit sind, dies zuzulassen. John Dwyer sollte ein solcher sein, er liebt das Freispiel, das Experiment, die Liste der Formationen, in/mit denen er spielte und spielt, ist so lang wie der Wunschzettel eines Kleinkindes zu Weihnachten. Allein in diesem Jahr hat der Mann drei Alben von der abenteuerlichen Sorte veröffentlicht (wobei Thee Oh Sees noch nicht mal mitzählen), gemeinsam mit einer Liste begeisterter Jam-Musiker, die teilweise auch beim aktuellen Projekt Gong Splat dabei sind. Ryan Sawyer (Drums), Greg Coates (Kontrabass), Wilder Zoby (Synthesizer/Mellotron) und Andres Renteria (Percussions) haben also zusammen mit Dwyer (am Rest der Instrumente) die vorliegende Platte aufgenommen, am 17. Dezember soll das Ganze bei Castle Face Records erscheinen. Und geht es nach der ersten, bereits vorliegenden Single "Yuggoth Travel Agency", dann erwartet uns gehörige Spielfreude zwischen Blues und Jazz. Dwyer dazu: "This track reflects more of the free-floating positive energy of this session. These days of recording were very relaxed and comfortable, I think that comes across nicely here in this tune that emulates a swallow’s directionless glide thru sun dappled forest or perhaps the surprisingly mellow barrier break between dimensions."
Sieben Minuten, drei Zeilen, mehr ist das nicht. Aber trotzdem ein sehr starker Song. Die Würzburger Band Hildegard von Binge Drinking hat vor wenigen Tagen ihre EP "Sprechfunk mit Toten" veröffentlicht und das Herzstück ist eben jenes von der "Angst". Dort heißt es: "Ich habe Angst, ob es weitergeht.
Ich habe Angst, wie es weitergeht.
Ich habe Angst, dass es weitergeht." Mehr muss man zur Zeit nicht sagen und sie tun es auch nicht - musikalisch mischen sie Kraftwerk mit Fehlfarben, dass im Video ein Schiff mit der Werbeaufschrift Evergreen vorbeischwimmt, darf man getrost als sarkastischen Hinweis deuten. Und auch der Rest der 12" ist nicht ohne, da ist von der Brutalität die Rede, die uns täglich in eine Art Schockzustand versetzt und die funktioniert wie ein "Bolzenschussgerät, das sich ständig nachlädt" ("Diät"), von Leichen, Krankheit und Asche ("Dunkelheit und Licht") und von Harmonien und Trugbildern ("Orchideen"). Starkes Kurzformat, erschienen auf Sabotage Records.
Dagegen sind die letzten Sachen dann doch schon eher sperrig und unzugänglich: Kim Gordon hatte wohl große Lust, nach der Arbeit an ihrem eigenen Soloalbum "No Home Record" oder dem gemeinsamen Projekt mit Aaron Dilloway und Bill Nace (Body/Dilloway/Head) wieder mal einen halbwegs konventionellen Indierocksong herunterzuschrubben und so ist dieser Tage das Stück "Grass Jeans" erschienen. Man tritt der Ikone des Noise und No Wave mit der Behauptung bestimmt nicht zu nahe, dass diese vier Minuten auf angenehme Weise an ihre frühere Band Sonic Youth erinnern. Und dies ist dann auch nicht die einzige Parallele. Denn genauso wie die vor längerer Zeit aufgelöste Formation mit ihren gerade veröffentlichten Konzertmitschnitten spendet auch Gordon die Einnahmen aus dem Verkauf des Songs an die Initiative Texas Choise, die sich gegen das restriktive Abtreibungsgesetz des Bundesstaates wendet und Frauen im Kampf für selbstbestimmte Abtreibung unterstützt. Gordon dazu in einem Statement: "Ich werde oft gefragt: 'Kann Musik die Dinge für die Menschen in einer politischen Landschaft verändern?' Ja verdammt, sie kann… aber es braucht die Zuhörer, ein Publikum, um etwas daraus zu machen. Bitte schließen Sie sich mir also an, das Recht einer Frau, ihr Schicksal selbst zu bestimmen [...] indem Sie dieses Lied kaufen und Fund Texas Choice und ihre gemeinsamen Bemühungen unterstützen, den Zugang zu Abtreibungen für alle zu sichern. Dankeschön. Es bedeutet so viel."
Das Schönste an den Regeln sind ja bekanntlich die Ausnahmen. Und wenn wir hier partout keine Weihnachtslieder posten, dann gibt es jedes Jahr wenigsten ein mal die dringende Notwendigkeit, mit diesem Vorsatz zu brechen. Und auch heuer machen wir das gern, hat doch gerade Billy Nomates einen Song zum Fest veröffentlicht. Natürlich wäre sie nicht die bemerkenswerte Solokünstlerin, würde hinter dem Lied "Christmas Is For Lovers, Ghosts And Children" nicht auch eine Botschaft und eine Aktion stehen. Hier geht es um Herzenswärme und um diejenigen, die sonst wenig Grund zur Freude haben - der komplette Gewinn der Verkaufseinnahmen des Stückes (via Bandcamp) geht an den Verein Feed The Homeless aus Bristol. Ein Song, der sich in jeder Beziehung von dem klebrigen Einerlei dieser des Weihnachtsgedudels abhebt, wer mag, darf gern weiterhören - zuletzt ist die wunderbare EP "Emergency Telephone" bei Invada Records erschienen.