„I’m Good. The Crying Tape“
(Mansions And Millions)
Erst kürzlich war in der Tageszeitung ein sehr pointierter Artikel über die Floskel des Jahres zu lesen – „Alles gut!“ Der Hinweis, es gäbe wohl kaum eine oberflächlichere, verlogenere Auskunft als diese, wurde mit einem der letzten Gedichte von Wiglaf Droste illustriert, dem Autor und Poeten also, der so herrlich wüten konnte. Es heißt dort unter anderem: "Immer, immer 'Alles gut!', bis das Hirn im Hintern ruht, sagen alle: 'Alles gut!' Nicht nur manches, 'Alles gut!' Manches aber ist 'empörend!' oder 'schlimm!', das wirkt sehr störend. Dann ist nicht mehr 'Alles gut!' Und schnell packt sie zu, die Wut." Inwieweit Nalan Karacagil alias Nalan alias Slimgirl Fat den Droste kennt oder gar mag, darüber ist nichts bekannt, so weit entfernt dürften sie aber bei ihrem Urteil über die besagte Redewendung nicht liegen. Denn natürlich ist selten alles gut, alles fein, super nice, natürlich traut sich andererseits aber auch kaum jemand auf die nachlässige Standardfrage „Wie geht’s?“ ehrlich zu antworten. Ein Widerspruch, klar, einer, den Nalan schon im Albumtitel aufzeigt und dem sie nicht nur im Titelsong, sondern auch im zweigeteilten „Be Mine“ auf den Grund zu gehen versucht.
Was nämlich als deeper, träge groovender Track mit zarter Stimme beginnt (und dabei vortrefflich an eine verschleppte Variante von Massive Attacks „Unfinished Sympathy“ erinnert), gefüllt mit Liebe, Sehnsucht und Melancholie, das ändert später den Charakter. Da wird der Gesang härter, ernster, geht es plötzlich um die ewig gleichen Streitfragen, den Schmerz und die Wut, darum auch, wie sich die einst so innige Zuneigung mit der Zeit so anfühlt. Bei Nalan ist es nicht die im Droste’schen Sinne zupackende Wut, die sich laut und unbeherrscht den Weg bahnt. Bei ihr sind es eher feine Nuancen, mit denen sie in ihren Songs wie ein Kaleidoskop, eine Art Tagebuch dem Hin und Her und Auf und Ab des Miteinanders nachspürt. Musikalisch ist das ebenso abwechslungsreich gelungen wie textlich. Nimmt man sich beispielsweise „Falling 4 You“, wo ein trockener Breakbeat zu punktierten Technoklängen antreibt, dann ist das tatsächlich erstklassiges Songwriting (Update: Video von Maximilian Bungarten).
Und ebenso erstklassig produziert – man muss an dieser Stelle unbedingt die Rolle von Buddy walter p99 arke$tra erwähnen, der nicht nur bei der gemeinsamen Band Gaddafi Gals die roten Fäden in der Hand hielt und auch gerade für Partnerin in Crime Ebow die Ankündigung ihres Albums "Canê" begleitete – auch für Nalan war er federführend mit von der Partie und in diesem Zusammenhang einen Vergleich mit Jamie XX zu wagen scheint plötzlich gar nicht mehr so verwegen. Der Sound der Platte ist mal einschmeichelnd und smooth als reduzierter, elektrischer RnB („Only Birds Can Tell“), dann wieder ein stetes, fast bedrohliches Schweben, Vibrieren und Brummen wie beim wunderbaren „Crush“. Als Bonus gibt es am Schluss mit „Son Kez“ das einzige Stück, das Nalan auf Türkisch singt. Selbst zweisprachig aufgewachsen, meinte sie, dieses ironische Lied über eine enttäuschte Liebe wäre so nur auf diese Weise zu schreiben gewesen. Und weil sie offenkundig für dieses Album so viele richtige Entscheidungen getroffen hat, wird auch diese zweifellos die einzig mögliche gewesen sein.
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