Idles
"Crawler"
(Partisan Records)
Das eigene Ich ist mit Sicherheit der Bereich, in dem sich jede und jeder selbst am besten auskennt, ob nun bewusst oder unterbewusst. Als sicheres Terrain taugt es deswegen noch lange nicht, vor allem, wenn allerhand Dämonen, soll heißen unangenehme Erinnerungen, Traumata, Ängste, dort ihr Unwesen treiben. Gut oder schlecht – sie verschwinden nicht, sie bleiben unaufgefordert und je mehr man sich weigert, sie zur Kenntnis zu nehmen, je mehr man sie auf Abstand hält, desto größer und bedrohlicher werden sie, scheinriesengleich. Joe Talbot, so möchte man annehmen, kennt diese Dämonen zur Genüge. Er hat ausreichend erlebt, um Respekt vor ihnen zu haben – das ambivalente Verhältnis zum dominanten Vater, die alkoholsüchtige Mutter, die eigenen Abhängigkeiten, ein lebensgefährlicher Unfall, ein totgeborenes Kind. Der Mann hätte also Grund, sich diesen schmerzhaften Gegenüberstellungen zu verweigern. Für ihre letzte Platte „Ultra Mono“ haben Talbot und seine Band, den Idles aus Bristol, neben einigem Lob auch reichlich Kritik abbekommen, zu viel Hülle, zu wenig Substanz, inhaltlich und musikalisch sehr unentschieden. Es gab jede Menge störende Nebengeräusche, die Band geriet, berechtigt oder nicht, in Rechtfertigungszwang zu Themen wie Glaubwürdigkeit, Rassismus und Frauenfeindlichkeit und manche/r stimmte schon den Niedergang an…
Dass sie nun mit diesem, ihrem vierten Album so kraftvoll und überzeugend reüssieren, hat sehr viel mit Talbots Selbstbehauptungswillen zu tun. Und damit, dass er sich dorthin zurückzieht, wo die wohl härtesten Schlachten ausgefochten werden im Leben – dem eigenen Ich. Das hat zur Folge, dass „Crawler“ im Vergleich zu seinen Vorgängern erstaunlich unpolitisch geworden ist, der anhaltend bedauernswerte Zustand seines Heimatlandes spielt also in den neuen Songs eine eher untergeordnete Rolle. Talbot als zorniger Beobachter, wenn es bei „The New Sensation“ um die mangelhafte Wertschätzung der Kunst in Pandemiezeiten geht, Talbot als Ankläger, weil die Gesellschaft die Gescheiterten und Hilflosen allzu oft dauerhaft als solche stigmatisiert und ihnen so jede Hoffnung auf Besserung, auf Rückkehr und Dazugehörigkeit nimmt. Sonst aber: Unaufhörlicher, unerbittlicher Kampf um dieses eine Leben, das einem – von wem auch immer – zugelost wurde und das einem, bei aller Unvollkommenheit und allen Schmerzen, doch so verdammt wertvoll erscheint.
Trotzki soll, so zitiert Talbot ganz am Schluss der Platte, trotz der Vorahnung seines nahenden, gewaltsamen Todes gesagt haben: „In spite of it all, life is beautiful“, eine Ansicht, die er sich in jedem der Songs auf „Crawler“ unbedingt zu eigen macht. Ob er aus mutwilliger oder fremdverschuldeter (Selbst)zerstörung hartnäckig den Weg zurück sucht, ob er seiner Vergangenheit entgegentritt und selbst wenn er versucht, einen buddhistischen Blick auf das manchmal doch so trostlose, alberne Leben zu werfen („King Snake“) – immer wirken er und die Band unglaublich energisch, entschlossen und ja: authentisch. Der Sound des Albums ist von seltener Kompromisslosigkeit, kein Lärm als Selbstzweck, sondern weil es eben genau so klingen muss, wenn einer mit sich ringt, sich wehrt und uns genau das zeigen will. Der Bassanschlag bei „The Wheel“ phänomenal, „The Beachland Ballroom“ auf den Spuren von Faith No More trotzdem überzeugend, die elektrische Textur von „Progress“ umwerfend und auch „The New Sensation“ ist nicht INXS, sondern eher DAF in der Rocky Horror Picture Show, wow! Damit war nicht zu rechnen, um so mehr freut es einen, dass der Weg zurück geglückt scheint. Auch, weil es ein sehr persönlicher geworden ist. Wie lange das dann trägt, steht auf einem anderen Blatt…
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