Ganser
„You Must Be New Here“
(Bandcamp)
Man darf annehmen, dass es Musikern ein diebisches Vergnügen bereitet, Erwartungen zu unterlaufen. Natürlich kann sich das nur leisten, wer genügend auf Kante gelegt hat und/oder über ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein verfügt. Denn anders als landläufig unterstellt können längst nicht alle Bands in Duck’schen Millionen baden, mit dem Privatjet von Gig zu Gig reisen oder nobelklassige Hotelsuiten buchen. Ganz davon abgesehen, dass solche Sachen bei Menschen halbwegs normalen Verstandes auf der Liste der erstrebenswertesten Dinge sicher nicht in den Top Five gerankt sind. Bei Ganser, der vierköpfigen Formation aus Chicago zum Beispiel, dürfte es Zuhörer*innen denkbar schwerfallen, eine passende Kategorie für ihrern Stil zu benennen. Post-Punk muß ja heutzutage für alles herhalten, worauf in der Eile kein Etikett zu kleben ist, und natürlich trifft es auch hier nicht die Falschen. Doch genauso spielen Nadja Garofalo, Alicia Gaines, Brian Cundiff und Charlie Landsman mit Versatzstücken aus Punk, No-Wave, Garage und sogar Goth (auch wenn sie letzteres eher belustigt zur Kenntnis nehmen). Seit seiner Gründung vor vier Jahren hat das Quartett mehrere EP und 2018 dann das großartige Debüt „Odd Talk“ veröffentlicht, dessen Songs angenehm schroff daherkamen, ganz so, als ob die Band einer allzu schnellen Vereinnahmung durch gierige A&R-Scouts auf der Suche nach mehrheitsfähigem Indiefutter entgegentreten wollte.
Auf dem neuen Kurzformat „You Must Be New Here“ nun geben sie sich etwas weniger kantig, Melodien treten deutlicher hervor und die vier Songs überraschen durchaus mit einer gewissen Eingängigkeit. Konstanten gibt es dennoch zu hören – Gaines‘ Bass wummert so herrlich wie immer, die Drums von Cundiff sind gewohnt druckvoll und Landsmans Leadgitarre gönnt sich ein paar schiefe Momente. Wer mag, darf sich wieder ein paar Referenzen notieren, beim wunderbaren „Buio“ Anklänge bei The Cure, „Act Natural“ kommt mit ein paar DEVO-Verweisen daher und das Eingangsriff des Titelstücks hätte Joey Santiago von den Pixies auch nicht besser hingebracht. Die Texte dazu bleiben rätselhaft. „Motivational Speaking“ beispielsweise erzählt von den täglichen Routinen, von den Wiederholungen, die das Leben manchmal wie einen unendlichen Kreislauf von irrer Geschwindigkeit erscheinen lassen – kein Entkommen, kaum Kraft und Antrieb für die nächste Runde: „Life cycles, spin dry, every day a caricature, a picture of a picture of a picture of a picture. Speak repeat, speak repeat (turn on, turn off, turn in)“. Es scheint, als sei Ganser mit dieser 12“ ein neuerlicher, fulminanter Ausbruch gelungen, energiegeladen, abwechslungsreich – von Langeweile oder Eintönigkeit ist hier so gar nichts zu spüren.
Sonntag, 10. November 2019
V98: Die Nächsten bitte
Irischer Gitarrenrock ist, und zwar nicht erst nach dem famosen Durchstarter der Fontaines D.C., erfreulich stark im Kommen, Dublin nach längerer Durststrecke endlich wieder Top Of The Rocks. Eines der neuesten Beispiele aus der Hauptstadt ist das Quartett V98. Gerade haben Darragh Geoghegan (Gesang), Richie O'Brien (Drums), Conor Healy (Gitarre) und Craig Geoghegan ihre Debüt-EP "PRESSGANG" veröffentlicht, vier Tracks mit jubilierenden Gitarren und angedeuteter Punk-Attitüde, aufgenommen in den Darkland-Studios von Dan Doherty. Die neuen Songs unterscheiden sich im Übrigen doch sehr deutlich von ihrer ersten Single "Dublin" - wir sagen jetzt mal: Zum Glück.
Pillow Queens: Die wichtigen Dinge
Same town, different gender: Ebenfalls aus Dublin kommt die All-Girl-Band Pillow Queens. Während sie hierzulande noch recht unbekannt sind, gelten sie in ihrer Heimatstadt schon als größere Nummer. Schließlich haben sie im vergangenen Jahr schon für die Idles und die Future Islands eröffnet. 2016 ist ihre erste EP "Calm Girls" (haha!) erschienen, weitere 12" folgten. In diesem Sommer dann die wunderbare Single "How Do I Look" und nun also "Brothers" samt einem epischen Videoclip von Regisseurin Kate Dolan, dessen Geschichte so fantastisch wie rührend ist. Und nur auf den ersten Blick ein komplettes Jungensding - denn schließlich geht es um so grundsätzliche Dinge wie Familie, Freundschaft, Verlustängste und die ultimative Liebe. Das Albumdebüt von Cathy McGuiness (Gitarre), Pamela Connolly (Bass, Gesang), Rachel Lyons (Drums) und Sarah Corcoran (Gitarre/Gesang) ist übrigens für 2020 geplant.
Youth Sector: Deutliche Vorlieben
Nun geht es dann doch mal ein paar Kilometer weiter, nämlich ins Seebad Brighton. Auch diese englische Stadt ist nicht arm an aktueller Musikgeschichte, und das nicht nur, weil Nick Cave den Ort zu seinem Alterssitz gewählt hat. Hier leben unter anderem auch die fünf Jugendfreunde namens Nick Tompkins (Gitarre, Gesang), Josh Doyle (Bass), Brad Moore (Gitarre), Karl Tomlin (Drums) und Harvey Dent (Keyboards). Okay, letzteren hätte man jetzt nicht am Synthesizer, sondern als zwielichtigen Helden nach Gotham City verortet, aber sei's drum. Wir hatten Youth Sector, so der Name der Band, hier mit den beiden bislang bekannten Songs "Run" und "Renting Spaces In My World" schon im Programm, nun also die neue Single "Tonight". Und auch mit dieser wird klar, wo die hauptsächlichen Vorlieben der Jungs liegen, wir vermuten sie mal eher in den 80ern, irgendwo zwischen New Order, Gary Numan und Heaven 17.
Freitag, 8. November 2019
Glowie: Keinesfalls allein
Gerade ist ja eine neue Staffel der Verfilmung von Margaret Atwoods Roman "Der Report der Magd", im Original "The Handmaids Tale", angelaufen und wer sich ein klein wenig darüber informiert hat, der weiß, dass es neben dystopischen Ausblicken auf Überwachungsstaat und Diktatur hauptsächlich um die mögliche Zuspitzung und Pervertierung des Verständnisses von Geschlechterrollen geht, um die Unterdrückung der Frau mittels Gewalt, Lüge und Angst. So hoch muß man jetzt die Gedanken, die sich hinter einem scheinbar harmlosen Popsong verbergen, nicht unbedingt gleich hängen. Man darf allerdings davon ausgehen, dass so ziemlich jedes junge Mädchen schon irgendwann einmal auf sein Äußeres reduziert worden ist, schon mal Abwertung, Mobbing oder Ernierdrigung erfahren hat. Themen also, von denen beispielsweise die Lieder der Isländerin Sara Pétursdóttir aka. Glowie handeln. Und die sie in den Videos wie bei "Cruel" oder "Body" mit viel Fantasie inszeniert hat. Insofern ist es kaum erstaunlich, dass auch ihre aktuelle Single "Unloveable" einen entsprechenden Bezug nimmt und, wie Glowie selbst erzählt, quasi als Bindemittel für alle gedacht ist, die in ihrem Leben ähnlich negative, prägende Erfahrungen gemacht haben. Und denen dieser Song wiederum helfen kann, sich nicht verloren oder gar schuldig zu fühlen. In den nächsten Tagen ist die Künstlerin übrigens im Vorprogramm von BANKS in Deutschland zu sehen, und beide zusammen sollte sich nun wirklich niemand entgehen lassen.
10.11. Hamburg, Grünspan
14.11. Berlin, Heimathafen
15.11. Berlin, Heimathafen
17.11. Köln, Live Music Hall
10.11. Hamburg, Grünspan
14.11. Berlin, Heimathafen
15.11. Berlin, Heimathafen
17.11. Köln, Live Music Hall
Italia 90: Nicht um die Ecke denken
Über jedes Stöckchen zu springen, das einem hingehalten wird, ist bekanntermaßen nicht ganz so gern gesehen, jede Band zu feiern, die drei Akkorde zusammenbringt und nach Hype riecht, ebenso. Bei Italia 90 sieht die Sache allerdings anders aus, die Jungs aus London sind hier nicht ohne Grund Dauergäste, weil ihre beiden ersten Kurzformate unbestritten formidabel waren und abzusehen ist, dass auch Nummer drei dieses Level wird halten können. "III", um den richtigen Namen der 12" zu nennen, durften wir Anfang September mit der ersten Auskopplung "An Episode" vorstellen, nun schicken sie mit "Road To Hell" einen weiteren Track hinterher. Veröffentlicht wird das Teil am kommenden Freitag via Fierce Panda, enthalten sind dann weitere drei Stücke. Worum es in diesem hier geht? Nun, wenn man Sänger Les Miserable die Zeile "Disrupt the capital! Agents of Antagonism!" wieder und wieder proklamieren hört, muß man eigentlich nicht weit um die Ecke denken...
Donnerstag, 7. November 2019
Lauran Hibberd: Ungeteilte Aufmerksamkeit
Es ist ja nicht so, dass sich Lauran Hibberd extra melden müßte, unsere uneingeschränkte Aufmerksamkeit hat die Songwriterin von der Isle Of Wight ganz unten am Südzipfel des englischen Königreiches (also fast schon wieder Europa, haha) ganz sicher. Kürzlich hat sie ja ihre aktuelle EP "Everything Is Dogs" veröffentlicht, von der wir ja auch schon ein paar Songs geteilt haben. In den kommenden Wochen nun ist die forsche Musikerin im Vorprogramm der Regrettes in Deutschland unterwegs, aus diesem Grunde schickt sie noch schnell ihre neueste Single "Sweat Patch" in die Runde, wir heften noch das etwas ältere "Shark Week" hintendran. Thema des Stückes sind, was für eine Überraschung, Drogen, allerdings geht es weniger um das Rauscherlebnis, so sagt sie, sie nimmt hier eher die Rolle der unbeteiligten Betrachterin ein und teilt ihre Beobachtungen. Wer Hibberd und ihre Musik mag (was für eine Frage?!), sollte sich also schnell noch um Karten kümmern, im kommenden Jahr soll dann eine Headliner-Tour auf dem Programm stehen.
18.11. Köln, Blue Shell
19.11. Hamburg, Molotow
22.11. Berlin, Musik und Frieden
26.11. Wien, Flex
27.11. München, Strom
18.11. Köln, Blue Shell
19.11. Hamburg, Molotow
22.11. Berlin, Musik und Frieden
26.11. Wien, Flex
27.11. München, Strom
Mittwoch, 6. November 2019
Faber: Krachende Abrechnung
Faber
„I Fucking Love My Life“
(Vertigo)
Für Zwischendrin ist Julian Pollina wahrlich nicht zu haben. Zwar macht er seinem Publikum ein paar halbseidene Angebote, präsentiert kurze Videofilmchen in amüsanter Maskerade, aber ernst gemeint sind die kaum. Ernst genug allerdings ist der Rest, den der Junge aus Zürich gerade mit seinem zweiten Album veröffentlicht hat und unterscheidet sich dadurch nicht von seinem grandiosen Debüt „Sei ein Faber im Wind“, das vor zwei Jahren erschien und schon damals alle Extreme auslotete, die unsere bunte Unterhaltungsbranche so zu bieten hat. Wie auf Kommando also ruft er mit seinen neuen Songs im Doppelformat wieder alle auf den Plan – die, die nur Verachtung und Hass für den Songwriter übrighaben und jene, die ihn genau für dieses Spiel mit dem Feuer, für seine Provokationen, seinen fehlende Correctness und seine ätzende Ehrlichkeit lieben. Dazwischen gibt es nichts. Den einen gilt er als weinerlicher Fatalist und selbstverliebter Poser, als eitler Bohemian und sexistischer Sprücheklopfer oder, wenn politisch so überhaupt nichts zusammengeht, gleich als Nestbeschmutzer und Vaterlandsverräter. Andere feiern seine lustvolle Art, Konventionen zu ignorieren, Erwartungen zu enttäuschen und gegen alles und jeden auszuteilen, sie erkennen maßlose Empathie ebenso wie Lust an Untergang und großem Drama.
In der Tat kommen die sechszehn Stücke des aktuellen Albums wie eine sich zuspitzende Fortsetzung des ersten Schwungs daher, noch mehr Wut, noch mehr Verzweiflung, alles scheint potenziert: Der sinnentleerte Wahnsinn des medialen Rummels (den er selbst mit seinem dem Boulevard- und Paparazzi-Chic der Verpackung herrlich auf die Spitze treibt), die Dummheit, das Schweigen, die Untätigkeit. Flackernde Displays und grenzenloser Konsum haben uns soweit sediert, dass Menschlichkeit und Mitgefühl nicht mehr zu erwarten sind, Hauptsache 4g auf dem Handy.. Was Faber da in mehreren Teilen bietet, ist ein durchweg bitterer Abgesang auf die „Generation YouPorn“ und die Gesellschaft im Allgemeinen, die verlernt hat, sich selbst zu entscheiden, sondern zweckoptimiert, überfordert und tatenlos zusieht, wie alles den Bach runtergeht.
In seiner zynischen Überspitzung ist Faber grandios, mit der vollen Kapelle schwelgerischer Streicher und Bläser begleitet er den Höllenritt und schont dabei weder sich noch seine Umwelt. Für ihn scheint dieser Zynismus einzig probates Mittel, eine Reaktion, ein Gefühl, eine Emotion beim Gegenüber auszulösen, denn nur wenn es weht tut, ist es real, wird es spürbar. Mittelmäßigkeit und Seichtheit sind Faber ein Graus („Ihr habt meinen Segen“), er verlangt nach Widerspruch, geballten Fäusten, will lieber laute Leidenschaft und selbst der Schmerz ist ihm willkommen. Denn der zeigt ihm wenigstens, dass er lebt. Wie schwer es ist, dem eigenen Anspruch standzuhalten, davon erzählt er in „Nie wieder“, seiner todtraurigen Drogenhymne („Ich hab so viel zu erzählen. Und gar nichts zu sagen. Ich sag nur noch was ich denke. Doch ich denke nicht mehr viel“), das Ende scheint verführerisch, zum Greifen nah und der Grat, auf dem er tanzt, ein sehr schmaler.
Unter all diesen tiefschwarzen Liedern einen Favoriten zu finden ist da gar nicht so einfach. „Das Boot ist voll“ hat er ja noch einmal abgeändert, als er merkte, dass eitler Text dem eigentlichen Zweck die Show zu stehlen schienen. Selbst die Instrumentierung tritt hier hinter die Anklage zurück, düstere Pianoklänge zu drastischen Zeilen: „Besorgter Bürger, ich besorg’s Dir auch gleich. Wenn sich 2019 ‘33 wieder einschleicht.“ Oder vielleicht der lässige Reggae von „Top“, hier spielt der Kotzbrocken die komplette Klaviatur aus Verachtung und Hohn. Als Gegensatz dazu das über die Maßen rührende „Komm her“, ein Liebeslied für die Schwachen und Gedemütigten, die abgestellt, an den Rand geschoben, übersehen werden – hier eine ausgestreckte Hand, eine Wahrnehmung, eine Umarmung. Und ganz zum Schluß die Kapitulation „Heiligabig ich bi bsoffe“, im Textheft gar in deutscher Übersetzung – Hilferuf und Geständnis zugleich, einfachste Worte: „Alles was mir heilig ist, bist du. Laß mich nicht allein.“ Man kann von ihm halten, was man will, eine krachendere Abrechnung hat in diesem Jahr noch niemand geboten.
28.02. Hannover, Capitol
29.02. Leipzig, Haus Auensee
01.03. Hamburg, Edel Optics Arena
03.03. Berlin, Columbiahalle
05.03. Köln, Palladium
06.03. Wiesbaden, Schlachthof
07.03. Stuttgart, Liederhalle
09.03. Wien, Arena
11.03. München, Tonhalle
12.03. Zürich, X-Tra
13.03. Zürich, X-Tra
„I Fucking Love My Life“
(Vertigo)
Für Zwischendrin ist Julian Pollina wahrlich nicht zu haben. Zwar macht er seinem Publikum ein paar halbseidene Angebote, präsentiert kurze Videofilmchen in amüsanter Maskerade, aber ernst gemeint sind die kaum. Ernst genug allerdings ist der Rest, den der Junge aus Zürich gerade mit seinem zweiten Album veröffentlicht hat und unterscheidet sich dadurch nicht von seinem grandiosen Debüt „Sei ein Faber im Wind“, das vor zwei Jahren erschien und schon damals alle Extreme auslotete, die unsere bunte Unterhaltungsbranche so zu bieten hat. Wie auf Kommando also ruft er mit seinen neuen Songs im Doppelformat wieder alle auf den Plan – die, die nur Verachtung und Hass für den Songwriter übrighaben und jene, die ihn genau für dieses Spiel mit dem Feuer, für seine Provokationen, seinen fehlende Correctness und seine ätzende Ehrlichkeit lieben. Dazwischen gibt es nichts. Den einen gilt er als weinerlicher Fatalist und selbstverliebter Poser, als eitler Bohemian und sexistischer Sprücheklopfer oder, wenn politisch so überhaupt nichts zusammengeht, gleich als Nestbeschmutzer und Vaterlandsverräter. Andere feiern seine lustvolle Art, Konventionen zu ignorieren, Erwartungen zu enttäuschen und gegen alles und jeden auszuteilen, sie erkennen maßlose Empathie ebenso wie Lust an Untergang und großem Drama.
In der Tat kommen die sechszehn Stücke des aktuellen Albums wie eine sich zuspitzende Fortsetzung des ersten Schwungs daher, noch mehr Wut, noch mehr Verzweiflung, alles scheint potenziert: Der sinnentleerte Wahnsinn des medialen Rummels (den er selbst mit seinem dem Boulevard- und Paparazzi-Chic der Verpackung herrlich auf die Spitze treibt), die Dummheit, das Schweigen, die Untätigkeit. Flackernde Displays und grenzenloser Konsum haben uns soweit sediert, dass Menschlichkeit und Mitgefühl nicht mehr zu erwarten sind, Hauptsache 4g auf dem Handy.. Was Faber da in mehreren Teilen bietet, ist ein durchweg bitterer Abgesang auf die „Generation YouPorn“ und die Gesellschaft im Allgemeinen, die verlernt hat, sich selbst zu entscheiden, sondern zweckoptimiert, überfordert und tatenlos zusieht, wie alles den Bach runtergeht.
In seiner zynischen Überspitzung ist Faber grandios, mit der vollen Kapelle schwelgerischer Streicher und Bläser begleitet er den Höllenritt und schont dabei weder sich noch seine Umwelt. Für ihn scheint dieser Zynismus einzig probates Mittel, eine Reaktion, ein Gefühl, eine Emotion beim Gegenüber auszulösen, denn nur wenn es weht tut, ist es real, wird es spürbar. Mittelmäßigkeit und Seichtheit sind Faber ein Graus („Ihr habt meinen Segen“), er verlangt nach Widerspruch, geballten Fäusten, will lieber laute Leidenschaft und selbst der Schmerz ist ihm willkommen. Denn der zeigt ihm wenigstens, dass er lebt. Wie schwer es ist, dem eigenen Anspruch standzuhalten, davon erzählt er in „Nie wieder“, seiner todtraurigen Drogenhymne („Ich hab so viel zu erzählen. Und gar nichts zu sagen. Ich sag nur noch was ich denke. Doch ich denke nicht mehr viel“), das Ende scheint verführerisch, zum Greifen nah und der Grat, auf dem er tanzt, ein sehr schmaler.
Unter all diesen tiefschwarzen Liedern einen Favoriten zu finden ist da gar nicht so einfach. „Das Boot ist voll“ hat er ja noch einmal abgeändert, als er merkte, dass eitler Text dem eigentlichen Zweck die Show zu stehlen schienen. Selbst die Instrumentierung tritt hier hinter die Anklage zurück, düstere Pianoklänge zu drastischen Zeilen: „Besorgter Bürger, ich besorg’s Dir auch gleich. Wenn sich 2019 ‘33 wieder einschleicht.“ Oder vielleicht der lässige Reggae von „Top“, hier spielt der Kotzbrocken die komplette Klaviatur aus Verachtung und Hohn. Als Gegensatz dazu das über die Maßen rührende „Komm her“, ein Liebeslied für die Schwachen und Gedemütigten, die abgestellt, an den Rand geschoben, übersehen werden – hier eine ausgestreckte Hand, eine Wahrnehmung, eine Umarmung. Und ganz zum Schluß die Kapitulation „Heiligabig ich bi bsoffe“, im Textheft gar in deutscher Übersetzung – Hilferuf und Geständnis zugleich, einfachste Worte: „Alles was mir heilig ist, bist du. Laß mich nicht allein.“ Man kann von ihm halten, was man will, eine krachendere Abrechnung hat in diesem Jahr noch niemand geboten.
28.02. Hannover, Capitol
29.02. Leipzig, Haus Auensee
01.03. Hamburg, Edel Optics Arena
03.03. Berlin, Columbiahalle
05.03. Köln, Palladium
06.03. Wiesbaden, Schlachthof
07.03. Stuttgart, Liederhalle
09.03. Wien, Arena
11.03. München, Tonhalle
12.03. Zürich, X-Tra
13.03. Zürich, X-Tra
Messer: Anhaltende Wandlung [Update]
Reichlich frohe Nachrichten in den letzten Tagen, was deutschsprachige Bands angeht - Einhorn, Pauls Jets, Turbostaat, Blond und The Screenshots. Und das war beileibe noch nicht alles. Dass Messer aus Münster bald ein neues Album vorlegen werden, ist schon länger kein Geheimnis mehr, wir hatten die erste Single "Anorak" natürlich schon im Programm. Jetzt ist mit "Der Mieter" ein ziemlich funkiger Nachfolger erschienen (man darf sich also über die Wege dieser tollen Band weiter wundern), das Video zum Song stammt von Leonie Hahn, den den Filmrollen sehen wir Altine Emini, Annedore Antrie, Samuel Simon, Svenja Polonji und Thomas Kaschel.
Update: Man munkelt von einem Album namens "No Future Days", die Tour jedenfalls hat schon mal den offiziellen Titel weg - hier also die Termine der No-Future-Reise. Und obendrein nachgereicht den Diskomix von "Anorak" von Toto Belmont.
13.03. Köln, Gebäude 9
14.03. Münster, Gleis 22
20.03. Hannover, Café Glocksee
21.03. Wuppertal, Die Börse
22.03. Saarbrücken, Sparte 4
23.03. Stuttgart, Merlin Kulturzentrum
24.03. München, Milla
25.03. Wien, Rhiz
26.03. Dresden, Scheune
27.03. Berlin, Musik und Frieden
28.03. Hamburg, Knust
Update: Man munkelt von einem Album namens "No Future Days", die Tour jedenfalls hat schon mal den offiziellen Titel weg - hier also die Termine der No-Future-Reise. Und obendrein nachgereicht den Diskomix von "Anorak" von Toto Belmont.
13.03. Köln, Gebäude 9
14.03. Münster, Gleis 22
20.03. Hannover, Café Glocksee
21.03. Wuppertal, Die Börse
22.03. Saarbrücken, Sparte 4
23.03. Stuttgart, Merlin Kulturzentrum
24.03. München, Milla
25.03. Wien, Rhiz
26.03. Dresden, Scheune
27.03. Berlin, Musik und Frieden
28.03. Hamburg, Knust
Dienstag, 5. November 2019
Fontaines D.C.: Vorrecht der Jugend
Fontaines D.C.
Support: The Altered Hours
Die Kantine, Köln, 4. November 2019
Komplexität ist nicht gerade das, womit man sich im Leben beschäftigt, wenn man jung ist. Denn zu den Vorrechten der Jugend zählen Direktheit, Unbekümmertheit, man muß nicht abwägen, aufrechnen, ins Verhältnis setzen. Insofern war das Konzert der Fontaines D.C. aus der irischen Hauptstadt, gerade wegen ihres Debütalbums „Dogrel“ zur Überraschung der Saison und einmal mehr zum Retter des Indierock gekürt, durchaus ein gutes. Und zwar sowohl für die sehr jungen Menschen auf und jene vor der Bühne. Es war laut, sehr laut, es war ungezügelt und energiegeladen und überraschend kurz. Diejenigen aber, die dazu neigen, Dinge und Ereignisse differenzierter (böse Stimmen sagen: kleinlicher) zu betrachten, werden sich mit einer unbedingten Lobeshymne etwas schwerer tun. Schließlich mußte man sich aufgrund der großen Nachfrage knappe zehn Kilometer weiter hinaus in die rheinländischen Suburbs wagen. Wofür sonst mühelos Fußweg oder Fahrrad reichten, blieb jetzt nur das Auto – oder die einstündige Überlandfahrt mit dem KVB zwischen Nippes, Niehl und Longerich. Und obendrein ein naßkaltes Gedeck aus Kölsch plus Curry vor der Tür, denn der Laden selbst hatte ja eigentlich geschlossen.
Nichts, wofür man der fünfköpfigen Band einen Vorwurf machen müsste. Auch nicht für mangelndes Engagement. Weder die Vorband aus dem irischen Süden (Cork) noch Sänger Grian Chatten und Kollegen müssen sich nachsagen lassen, sie wären das Programm nicht mit der nötigen Power angegangen. Im Gegenteil: Chatten betrat die Bühne mit einer derartigen Anspannung und kaum zu bändigenden Explosivität, dass man sich fast Sorgen machte mußte, er würde den Abend nicht ohne Streit oder andersgeartete Zwischenfälle überstehen. Ruhelos, fast raubtierhaft lief er die Bühne unentwegt zwischen den einzelnen Stücken ab (das Bild des Rilke’schen Panthers hat der Bildungsbürger da gleich zur Hand), unterbrochen durch plötzliche Ausbrüche, wilde Tänze, befreiend offenbar für ihn, bejubelt vom Publikum. Material für diese Eruptionen haben sich die Jungs aus Dublin City ja reichlich geschrieben, Songs wie „Boys In The Better Land“, „Liberty Bell“ und „Big“, mit denen sie das letzte Drittel ihrer Setlist bestückten, sind als Block fast unschlagbar.
Einziger Kritikpunkt muß aber, neben der zugabefreien, knappen Stunde Spieldauer, der Sound bleiben, ein Manko, dass zunächst nur bedingt die Band trifft. Wucht und Wirkung mittels Lautstärke zu erzielen ist ein alter Hut und ein ebenso alter Trugschluß. Wenn Zwischentöne, Melodien, Stimmungen, wie an diesem Abend geschehen, kompromißlos zugeballert werden, dann ist das eine eher ärgerlich Sache, die der Qualität des wirklich fabelhaften Albums in keiner Weise gerecht wird. Und die dann eben leider den Genuß des Konzertes wesentlich schmälert und so auf der Soll- statt auf der Haben-Seite landet. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie die Fachleute am Mischpult (und solche sollten es doch gewesen sein) das kleinere, schlauchartige Gebäude 9 beschallt hätten, das ursprünglich in der Planung stand. Mag sein, dass Euphorie hier einiges verzeiht, mag auch sein, dass viele solches gar nicht wahrnehmen – eine Entschuldigung ist es nicht. Man tut weder der Band noch dem Publikum einen Gefallen mit dieser Art von klanglichem Mißverständnis. Dabei braucht es eigentlich nur gewissenhaftes Handwerk, mehr nicht.
Support: The Altered Hours
Die Kantine, Köln, 4. November 2019
Komplexität ist nicht gerade das, womit man sich im Leben beschäftigt, wenn man jung ist. Denn zu den Vorrechten der Jugend zählen Direktheit, Unbekümmertheit, man muß nicht abwägen, aufrechnen, ins Verhältnis setzen. Insofern war das Konzert der Fontaines D.C. aus der irischen Hauptstadt, gerade wegen ihres Debütalbums „Dogrel“ zur Überraschung der Saison und einmal mehr zum Retter des Indierock gekürt, durchaus ein gutes. Und zwar sowohl für die sehr jungen Menschen auf und jene vor der Bühne. Es war laut, sehr laut, es war ungezügelt und energiegeladen und überraschend kurz. Diejenigen aber, die dazu neigen, Dinge und Ereignisse differenzierter (böse Stimmen sagen: kleinlicher) zu betrachten, werden sich mit einer unbedingten Lobeshymne etwas schwerer tun. Schließlich mußte man sich aufgrund der großen Nachfrage knappe zehn Kilometer weiter hinaus in die rheinländischen Suburbs wagen. Wofür sonst mühelos Fußweg oder Fahrrad reichten, blieb jetzt nur das Auto – oder die einstündige Überlandfahrt mit dem KVB zwischen Nippes, Niehl und Longerich. Und obendrein ein naßkaltes Gedeck aus Kölsch plus Curry vor der Tür, denn der Laden selbst hatte ja eigentlich geschlossen.
Nichts, wofür man der fünfköpfigen Band einen Vorwurf machen müsste. Auch nicht für mangelndes Engagement. Weder die Vorband aus dem irischen Süden (Cork) noch Sänger Grian Chatten und Kollegen müssen sich nachsagen lassen, sie wären das Programm nicht mit der nötigen Power angegangen. Im Gegenteil: Chatten betrat die Bühne mit einer derartigen Anspannung und kaum zu bändigenden Explosivität, dass man sich fast Sorgen machte mußte, er würde den Abend nicht ohne Streit oder andersgeartete Zwischenfälle überstehen. Ruhelos, fast raubtierhaft lief er die Bühne unentwegt zwischen den einzelnen Stücken ab (das Bild des Rilke’schen Panthers hat der Bildungsbürger da gleich zur Hand), unterbrochen durch plötzliche Ausbrüche, wilde Tänze, befreiend offenbar für ihn, bejubelt vom Publikum. Material für diese Eruptionen haben sich die Jungs aus Dublin City ja reichlich geschrieben, Songs wie „Boys In The Better Land“, „Liberty Bell“ und „Big“, mit denen sie das letzte Drittel ihrer Setlist bestückten, sind als Block fast unschlagbar.
Einziger Kritikpunkt muß aber, neben der zugabefreien, knappen Stunde Spieldauer, der Sound bleiben, ein Manko, dass zunächst nur bedingt die Band trifft. Wucht und Wirkung mittels Lautstärke zu erzielen ist ein alter Hut und ein ebenso alter Trugschluß. Wenn Zwischentöne, Melodien, Stimmungen, wie an diesem Abend geschehen, kompromißlos zugeballert werden, dann ist das eine eher ärgerlich Sache, die der Qualität des wirklich fabelhaften Albums in keiner Weise gerecht wird. Und die dann eben leider den Genuß des Konzertes wesentlich schmälert und so auf der Soll- statt auf der Haben-Seite landet. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie die Fachleute am Mischpult (und solche sollten es doch gewesen sein) das kleinere, schlauchartige Gebäude 9 beschallt hätten, das ursprünglich in der Planung stand. Mag sein, dass Euphorie hier einiges verzeiht, mag auch sein, dass viele solches gar nicht wahrnehmen – eine Entschuldigung ist es nicht. Man tut weder der Band noch dem Publikum einen Gefallen mit dieser Art von klanglichem Mißverständnis. Dabei braucht es eigentlich nur gewissenhaftes Handwerk, mehr nicht.
LIFE: Heilige Dinge [Update]
Wer sein erstes Album "Popular Music" nennt, der hat schon mal eines: Humor. Und den nötigen Abstand zum eigenen Werk. LIFE aus dem englischen Hull jedenfalls würden wohl beides unterschreiben, 2017 ist ihr Debüt erschienen und über Nachfrage können sich die vier seitdem wohl kaum beklagen. Vor einigen Wochen hatten wir hier ihre neue Single "Moral Fibre" vorgestellt, dieser gesellt sich nun eine weitere hinzu plus Ankündigung für ein weiteres Album. Am 20. September wird "A Picture Of Good Health" (Coverart unten) bei Afghan Moon (PIAS) erscheinen und "Hollow Thing" nennt sich die besagte Auskopplung. [Update: Video plus Tourdaten]
29.09. Köln, MTC
30.09. Hamburg, Molotow
05.10. Berlin, Musik und Frieden
08.10. München, Kranhalle
10.10. Zürich, Dynamo Werk
29.09. Köln, MTC
30.09. Hamburg, Molotow
05.10. Berlin, Musik und Frieden
08.10. München, Kranhalle
10.10. Zürich, Dynamo Werk
Sonntag, 3. November 2019
Gaddafi Gals: Einen Schritt voraus
Gaddafi Gals
Folks! Club, München, 2. November 2019
Das ist schon kurios: Normalerweise beginnen Geschichten ja genau so - erstes Konzert der ersten Tour, gespielt vor zweihundert Leuten im Kellerclub der Heimatstadt (Weiste noch, damals, München? Da ging's los...) Aber so laufen Geschichten eben heute nicht mehr, nicht die junger, ambitionierter Künstler*innen, nicht im Musikbusiness. Und natürlich auch nicht die der Gaddafi Gals. Denn von denen war schon, auch ohne das nun erschienene Debütalbum "Temple", international die Rede, da kannten sie hier nur Eingeweihte. Die New York Times nämlich hatte in dem außergewöhnlichen Stilmix von slimgirl fat, walter P99 arke$tra und blaqtea Qualitäten erkannt, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz vorerst gemächlich verschlafen wurden. Und so kam es, dass die Gaddafi Gals auf dem renommierten SXSW-Festival auftraten, obwohl sie daheim noch noch keine große Rolle spielten. Mit einer einzigen EP ("The Death Of Papi") und jeder Menge Mut und Selbstbewußtsein.
Und doch würden sie wohl lügen müssen, wollten sie behaupten, hier in München, einer ihrer Heimatstädte, wären sie nicht nervös gewesen. Die kleine Bühne in kaltes Blau getaucht, Nebel wabert und ein dünner, zitternder Lichtstreifen gibt das Startsignal: "Welcome to the temple of Gaddafi Gals". Den Namen wird man noch öfters hören in dem gut einstündigen Set, ähnlich wie bei den Produktionen von KitschKrieg, übernommen vom amerikanischen Hip-Hop, verortet er die Tracks, brandet sie und ist stolzes Zeichen der eigenen Identität. Dazu gehören die satten Beats und Loops, schwer und dunkel, selten schnell, der sirenenhafte Gesang von Nalan Karacagil (slimgirl fat) und harten Raps von Ebru Düzgün (blaqtea). Das alles greift ineinander, bildet eine kompakte, sich wiegende Einheit, eine Art künstlichen Organismus, der leuchtend, pulsierend, auch mal mit Fauchen und Geschrei, den Blicken standhält.
"That's us!" heißt es trotzig in "Mitsubishi", dem Song von der neuen Platte, der am ehesten als Hitsingle unter eher unkonventionellen Sounds hervorsticht. Wo andere lieber im Ferrari oder Maserati posen (und daran ist ja im aktuellen Deutschrap nun wahrlich kein Mangel), bevorzugt das Trio die Außenseiterrolle, die Abgrenzung, den Unterschied. Man darf das wohl gern im übertragenen Sinne verstehen, die Gaddafi Gals haben es oft genug im Gespräch betont: Wichtig ist nicht so sehr, wen sie hierzulande mit ihrer Musik überzeugen können oder bei welchem Magazin, welchem Kritiker sie zu glänzen, zu punkten vermögen. Wichtig ist vielmehr, selbst spannend zu bleiben, sich herauszufordern, sich zu entwickeln. Wenn es den Leuten gefällt - um so besser. Ihre "Gang" jedenfalls mußten sie an diesem Abend nicht überzeugen, die war schon restlos begeistert. Also irgendwie doch ein guter Start.
Folks! Club, München, 2. November 2019
Das ist schon kurios: Normalerweise beginnen Geschichten ja genau so - erstes Konzert der ersten Tour, gespielt vor zweihundert Leuten im Kellerclub der Heimatstadt (Weiste noch, damals, München? Da ging's los...) Aber so laufen Geschichten eben heute nicht mehr, nicht die junger, ambitionierter Künstler*innen, nicht im Musikbusiness. Und natürlich auch nicht die der Gaddafi Gals. Denn von denen war schon, auch ohne das nun erschienene Debütalbum "Temple", international die Rede, da kannten sie hier nur Eingeweihte. Die New York Times nämlich hatte in dem außergewöhnlichen Stilmix von slimgirl fat, walter P99 arke$tra und blaqtea Qualitäten erkannt, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz vorerst gemächlich verschlafen wurden. Und so kam es, dass die Gaddafi Gals auf dem renommierten SXSW-Festival auftraten, obwohl sie daheim noch noch keine große Rolle spielten. Mit einer einzigen EP ("The Death Of Papi") und jeder Menge Mut und Selbstbewußtsein.
Und doch würden sie wohl lügen müssen, wollten sie behaupten, hier in München, einer ihrer Heimatstädte, wären sie nicht nervös gewesen. Die kleine Bühne in kaltes Blau getaucht, Nebel wabert und ein dünner, zitternder Lichtstreifen gibt das Startsignal: "Welcome to the temple of Gaddafi Gals". Den Namen wird man noch öfters hören in dem gut einstündigen Set, ähnlich wie bei den Produktionen von KitschKrieg, übernommen vom amerikanischen Hip-Hop, verortet er die Tracks, brandet sie und ist stolzes Zeichen der eigenen Identität. Dazu gehören die satten Beats und Loops, schwer und dunkel, selten schnell, der sirenenhafte Gesang von Nalan Karacagil (slimgirl fat) und harten Raps von Ebru Düzgün (blaqtea). Das alles greift ineinander, bildet eine kompakte, sich wiegende Einheit, eine Art künstlichen Organismus, der leuchtend, pulsierend, auch mal mit Fauchen und Geschrei, den Blicken standhält.
"That's us!" heißt es trotzig in "Mitsubishi", dem Song von der neuen Platte, der am ehesten als Hitsingle unter eher unkonventionellen Sounds hervorsticht. Wo andere lieber im Ferrari oder Maserati posen (und daran ist ja im aktuellen Deutschrap nun wahrlich kein Mangel), bevorzugt das Trio die Außenseiterrolle, die Abgrenzung, den Unterschied. Man darf das wohl gern im übertragenen Sinne verstehen, die Gaddafi Gals haben es oft genug im Gespräch betont: Wichtig ist nicht so sehr, wen sie hierzulande mit ihrer Musik überzeugen können oder bei welchem Magazin, welchem Kritiker sie zu glänzen, zu punkten vermögen. Wichtig ist vielmehr, selbst spannend zu bleiben, sich herauszufordern, sich zu entwickeln. Wenn es den Leuten gefällt - um so besser. Ihre "Gang" jedenfalls mußten sie an diesem Abend nicht überzeugen, die war schon restlos begeistert. Also irgendwie doch ein guter Start.
Freitag, 1. November 2019
The Jeremy Days: Lieber die nächsten Beatles
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Foto (c) Dennis Dirksen |
Ihr habt vor einem Jahr in den Hamburger Docks euer letztes Konzert gegeben, damals stand in der WELT das Zitat, wer euch sehen wolle, der müsse sich beeilen, alles andere wäre das reinste Pokerspiel. Nun gleich eine ganze Tour – woher der Sinneswandel?
Das Konzert war sehr speziell, etwas sehr, sehr Besonderes für jeden von uns, hat irre Spaß gemacht und wir haben dort regelrecht Blut geleckt. Außerdem hatten wir uns ewig nicht gesehen und dass es überhaupt zu dem Auftritt kam, war schon überraschend. Wir wussten zudem nicht, was passiert: Da stehen wir zum ersten Mal seit ewigen Zeiten im Proberaum, verstehen wir uns überhaupt? Und interessiert es denn jemanden da draußen, was wir machen? Aber dann war das für uns alle eine so freudige Erfahrung, die ganze Probezeit hat tierisch Spaß gemacht und der Druck war raus. Wir haben uns danach angeschaut und gesagt ‚Hey, das kann’s doch jetzt nicht gewesen sein!‘Natürlich hätte das auch schiefgehen können. Aber weil‘s so toll war, waren wir uns einig, noch mal was dranzuhängen.
Die Jeremy Days galten immer als eine Band, die Entwicklungen vorweggenommen hat, die weiter war als viele hierzulande, die so gar nicht deutsch klangen. Habt ihr denn auch Lust, diesen Stil weiterzuentwickeln, dort anzusetzen und neue Sachen zu machen oder baut ihr zunächst einmal auf dem bekannten Material auf?
Also zunächst einmal kommt die Tour und die wird sich getreu dem Motto „The Unlikely Return“ natürlich vorrangig mit den zehn Jahren Bandgeschichte beschäftigen. Jetzt geht es also wieder in den Proberaum und dann noch mal eine Zeit auf engstem Raum im Tourbus – das sind also echte Wettkampfbedingungen. Tja, und wenn wir uns danach immer noch so gut verstehen, dann kann es durchaus passieren, dass da mehr draus wird. Aber all diese Fragen werden wir uns wohl frühestens ab dem vierten Tag im Bus stellen. Ich habe ja gesagt, dass der fehlende Druck das alles erst möglich gemacht hat und genau das wollen wir gern erst mal so beibehalten – wenn dann trotzdem mehr geht, kann man aber auch nichts ausschließen.
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London 1989 |
Auch wenn das wohl zu den Standards der solcher Fragestunden zählt, für uns klingen die Songs noch immer ziemlich frisch und erstaunlich zeitgemäß. Wie geht es Euch damit? Habt ihr denn eine Erklärung dafür, warum das damals schon so funktioniert hat?
Ihr habt immer gern Stile gemischt, den Pop, den Indierock, Synthesizer, Gitarren, gern auch härtere, wolltet Euch nicht festlegen lassen. Wie seht Ihr die heutige Musikszene, der ja gerade in Sachen Rock gern Manierismus, Retromanie und zu wenig Innovation vorgeworfen wird? Stimmt es, dass die wirklich neuen Sachen ganz woanders stattfinden?
Wir sind ja alle noch mittendrin im Geschäft, ich selbst habe ja diverse Soloplatten eingespielt [im August ist sein letztes Album „Strange Companions“ erschienen, d.Red.] und natürlich bekommen wir mit, wie spannend die Zeit auch heute ist. Das Problem ist manchmal, dass es neben den ganz großen Entwicklungen, nehmen wir beispielsweise den deutschen Hip-Hop, noch eine so große Vielzahl an Makro- und Mikrobewegungen und -stilen gibt, die Musikwelt wird quasi atomisiert und die Orientierung fällt da unglaublich schwer. Zu der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, gab es eigentlich nur die Wahl zwischen Sweet und Slade, übertrieben gesagt. Das sieht heute schon ganz anders aus, dieses wilde Vermischen von Stilen und Kulturen fand damals eigentlich kaum statt. Bei uns war die Basis immer dieses Singer-Songwriter-Ding und natürlich die ganzen englischen Bands, danach haben aber auch wir angefangen zu experimentieren, haben versucht, die Beach Boys mit Post-Punk zu kreuzen. Wenn wir heute wieder neu anfingen, würde es wohl genauso wild werden.
Dirk, Deine Soloarbeiten unterscheiden sich deutlich vom Sound Deiner früheren Band, wie gehst Du mit diesem Unterschied, der vielleicht auch ein bewusster Widerspruch ist, um?
Also ich sehe da gar keinen so großen Unterschied, das sind am Ende für mich und für uns einfach nur Songs, die mit der Gitarre von Jörn und dem Schlagzeug von Stefan nur auf eine andere Umlaufbahn gehoben werden.
Marquee Club, London 1991 |
Mit einem Überhit wie „Brand New Toy“ hättet Ihr heute im Zeichen von #MeToo und NewFeminism womöglich ein Rechtfertigungsproblem. Ist es schwieriger geworden, unvoreingenommen, gern auch im besten Wortsinn leichtsinnig an solche Stücke zu gehen? Stört die Correctness den Kreativitätsprozeß?
Nö, eigentlich gar nicht. Ich habe in meiner ganzen Zeit als Songschreiber noch kein Stück geschrieben, bei dem ich gedacht habe ‚Oh, da musst du jetzt aufpassen!‘. Und was „Brand New Toy“ betrifft, da ist es ja auf den ersten Blick auch nur der Titel, bei dem man auf solche Gedanken kommen könnte – wenn man sich den Text des Songs näher anschaut, dann wird ja relativ schnell klar, dass es hier genau umgedreht ist und eben die Frau die Power hat. Aber diese Fragestellung tauchte so auch schon vor zwanzig Jahren auf, auch da musste man noch schnell hinterherschicken, warum und wieso der Titel so heißt.
Die Jeremy Days haben immer englisch gesungen – was war damals Eure Intention und würdet Ihr Euch heute noch genauso entscheiden?
Meine Muttersprache ist nun mal Englisch [Dirk Darmstaedter ist im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern nach Teaneck, New Jersey gezogen, d. Red.]. Von daher war das von vornherein klar, dass wir auf auf Englisch singen. Heute würden wir uns aus den gleichen Gründen wieder genauso emphatisch dafür entscheiden.
Noch mal zurück zum Sound: Als Musiker würde man doch gern wissen wollen, warum Eure Songs auf der einen Seite zwar nahe am Mainstream entlangschrammen, dann aber doch mit Melodien und Arrangements in Spannung bleiben, die nie zu gefällig sind? Ist das bewusst so gemacht, ist das geplant und kommt sowas eher nebenher?
Das ist eigentlich ganz schön umschrieben, genau das hat uns damals umgetrieben, das hätte ich auch nicht besser sagen können. Denn das hat sich eben nicht zufällig oder von ganz selbst so ergeben, sondern wir standen damals nach unserem ersten Album tatsächlich unter dem Druck, der deutschen Popszene etwas Neues, Frisches zu geben. Und diesem Druck haben wir uns dann wirklich gestellt und entsprechend haben die folgenden Platten geklungen. Wir haben uns schon bemüht, den Songs eine besondere Note aufzudrücken.
"Die Sachen, die damals Mainstream waren,
gelten ja heute als cooler Indierock"
Nach „Brand New Toy“ und dem Riesenerfolg hätten wir diesen Song auch mehrmals recyceln können, wir haben uns aber dafür entschieden, die Forschungsreise in Sachen Pop weiterzuverfolgen, wir wollten einfach wissen, was da noch drinsteckt. Das war toll, aber eben auch sehr, sehr anstrengend. Man muss sich dabei auch mal vergegenwärtigen, dass damals Sachen wie The Smiths, Lloyd Cole oder auch Aztec Camera der Mainstream waren, von dem wir hier reden, heute gelten die ja als cooler Indierock. Aber wir wollten eben nicht die unhörbare Noiseformation sein, sondern lieber die nächsten Beatles werden und Hitsingles haben. Und uns trotzdem weiterentwickeln, denn alles andere wäre nicht unser Anspruch, wäre langweilig gewesen. Und letztendlich bin ich auch stolz darauf, dass wir das so gemacht haben, auch wenn das Publikum nicht immer und alles mitgegangen ist.
Ihr habt Euch also diesen Druck auch ein Stück weit selbst gemacht, ausgelöst vielleicht auch durch die besonderen Lebensumstände Eurer Band – wie kann man sich das vorstellen?
Klar, wir haben aus unserer Karriere einen Trip gemacht, das muss man so sagen. Wir haben hier in Hamburg zusammengewohnt und später dann in London, waren dort wie auf einer einsamen Insel, weil ja jeder in der Band seine regionalen Kontakte gekappt hatte. Und so hatte dann jeder dort in seinem Zimmer eine Art kleines Studio und immer, wenn wer was Spannendes gefunden hatte, wurde so laut gedreht, dass es alle hören konnten und dann haben wir das zusammengeschraubt. Der Abwasch ist dann allerdings, altes WG-Problem, liegengeblieben ...
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Foto (c) Fritz Brinckmann 1994
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Ja, das war es im besten Falle auch. Solch eine kreative Gemeinschaft, ja Familie zu haben, das ist einfach etwas ganz Kostbares und Seltenes und viele von den Kollegen, mit denen ich in den Jahren zusammengearbeitet habe, hätten ein Bein dafür geben, so etwas erleben zu dürfen. Nur irgendwann frisst einen das natürlich auch auf und so war’s ja dann letztendlich auch.
Dass Ihr Euch aber heute nach fünfundzwanzig Jahren wieder treffen und zusammensetzen könnt – das spricht doch auch für dieses Leben, für diesen Grundstein, oder?
Ja, das stimmt wohl, aber es ist heute trotzdem komplett anders. Wir haben uns zwar wieder regeneriert, aber jeder ist danach auch seinen ganz eigenen Weg gegangen. Damals hat die Enge unserer Gemeinschaft dafür gesorgt, dass wir uns alle sehr ähnlich entwickelt haben, wir sind wie ein Fischschwarm immer alle gemeinsam in die eine oder andere Richtung geschwommen. Heute, nach über zwei Jahrzehnten, sitzen hier am Tisch sehr unterschiedliche Leute. Aber die Verbindung ist halt noch da.
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Foto (c) Michael Halsband 1992 |
Naja, wir haben eigentlich immer den Vorsatz gehabt, die Stücke anders klingen zu lassen als im Aufnahmestudio – diesmal dachten wir tatsächlich ‚Hey, lasst uns doch einfach mal alles so spielen, wie es auf Platte ist!‘ Klar wird das irgendwie anders klingen, aber es ist nicht zu erwarten, dass „Julie Thru The Blinds“ jetzt mit drei Blockflöten und drei Tubas daherkommt.
Uns ging es mehr um den Geist der Songs, der sich ja mit der Zeit ändert…
Das stimmt, da kannst du eh nichts gegen tun. Es ist schon interessant, sich in die Stücke reinfallen zu lassen, in die Gemeinschaft, in die Umstände, unter denen sie damals entstanden sind. Natürlich habe ich, wenn ich die Band neben mir stehen sehe, so meine Flashbacks. Aber wir sind andere, als wir 1989 waren und da bekommen die Sachen automatisch einen anderen Twist. Und genau das ist auch ein Grund dafür, dass wir es noch mal versuchen wollen: Weil es uns nicht so vorkommt, als wären wir zusammen mit den alten Stücken aus der Zeit gefallen, sondern weil es sich einfach gut anfühlt.
22.11. München, Ampere
23.11. Berlin, Lido
24.11. Hamburg, Grünspan
26.11. Hannover, Musikzentrum
27.11. Bochum, Zeche
29.11. Köln, Stollwerck
30.11. Frankfurt, Zoom
01.12. Stuttgart, Wizemann

Talkboy: Nahezu tadellos [Update]
Das können sie einfach, die Briten - treffen sich, fangen an zu musizieren und dann klingt das einfach so, als hätten sie ihr Leben nichts anderes gemacht, mühelos. Talkboy zum Beispiel - ein sechsköpfiges Kollektiv aus Leeds. Gerade haben sie ihre Debüt-EP via Come Play With Me und LAB Records angekündigt, der Stil irgendwo zwischen Beautiful South, Camera Obscura und Wolf Alice, also sowohl lässig plus popverliebt oder gern auch mal härter. Drei ihrer letzten Songs haben wir hier mal als Arbeitsproben ausgewählt - die etwas älteren "Wasting Time" und "Someone Else For You" und natürlich noch die aktuelle Single "All Works Out" mit vorbildlicher Arbeitsteilung am Mikro, hier singen sowohl Katie Heap als auch Calum Juniper. Das einzige was noch ausbaufähig scheint, ist die Suche nach einem geeigneten Bandfoto...
Update: Die 12" heißt übrigens "Over And Under" und ist gestern offiziell erschienen, hier mit "Hollow Spheres" noch ein weiterer Song davon.
Update: Die 12" heißt übrigens "Over And Under" und ist gestern offiziell erschienen, hier mit "Hollow Spheres" noch ein weiterer Song davon.
GURR: Erschöpfung garantiert
Die Tourpläne sind ja schon länger bekannt und wenn GURR auf dem Zettel stehen, dann geht da auch jeder hin. Weil die Mädels in kleinen Clubs erfahrungsgemäß dermaßen zur Sache gehen, dass man den Besuch auf keinen Fall bereuen wird. Im Gepäck wird sich, soviel steht fest, neben dem (immer noch wunderbaren) Debütalbum auch die unlängst erschienene EP "She Says" befinden. Und wenn sie ganz gut drauf sind, dann spielen Andreya Casablanca und Laura Lee sicher auch ihr Cover des Blur-Songs "Beetlebum", das sie jetzt zum Auftakt ins Netz gestellt haben.
03.11. Schorndorf, Manufaktur
04.11. Lausanne, Le Romandie
05.11. Zürich, Bogen F
06.11. Linz, Kapu
07.11. Wien, Europavox Festival
17.12. München, Hansa 39
18.12. Dresden, Groovestation
19.12. Berlin, Columbia Theater
03.11. Schorndorf, Manufaktur
04.11. Lausanne, Le Romandie
05.11. Zürich, Bogen F
06.11. Linz, Kapu
07.11. Wien, Europavox Festival
17.12. München, Hansa 39
18.12. Dresden, Groovestation
19.12. Berlin, Columbia Theater
Donnerstag, 31. Oktober 2019
Swans: Stete Herausforderung
Swans
„Leaving Meaning“
(Mute Records/PIAS)
Ein neues Album der Swans unerwähnt zu lassen hieße, sowohl Elementares als auch Anachronistisches zu unterschlagen. Elementar deshalb, weil Michael Gira, einzig verbliebener Gründer der amerikanischen Noise-Rock-Formation, Musik als Arbeit, als Ringen begreift, die/das – mit welchem Personal auch immer – in allererster Linie den eigenen Ansprüchen zu genügen hat. Unter dieser Maßgabe kündigte er vor einiger Zeit die bisherige Besetzung der Band und heuerte neue Musiker an, die durchaus auch alte Bekannte sein durften. Inspiration war gefragt, frischer Input, auch ging es darum, diejenigen um sich zu versammeln, deren Wirken er am meisten schätzt und von denen er sich einen neuerlichen kreativen Fortschritt erhoffen durfte.
Das fünfzehnte Album ist es dann geworden, eingespielt gemeinsam mit experimentellen Improvisationskünstlern wie The Necks, den Geschwistern Anna und Maria von Hausswolff, der queren Sängerin und Pianistin Baby Dee und einer weiteren Vielzahl hochgeschätzter Freunde, Kollegen, ja selbst Familienmitglieder. Natürlich ein Doppelalbum, den wenn sich eines nicht ändert – und damit wären wir beim Anachronismus – dann ist es Giras Verehrung für das Ausufernde, Wandelbare, das Wachsen wie auch das Zerfallen, das Tosen, Mäandern und zunehmend auch das Verirren in zarten Gespinsten. Gira braucht Zeit, seine Stücke brauchen Zeit, nicht wenige mehr als zehn Minuten – das ist ungewöhnlich, ganz aus der Zeit. So wie er sich die Arbeit macht, so sind auch die Zuhörer*innen dazu aufgefordert, sich Arbeit zu machen, sich zu mühen, durchzukämpfen.
Der erste Marathon steht mit “The Hanging Man” an, einem vergleichsweise konventionell instrumentierten Stück, das vielleicht etwas an die frühen Bad Seeds erinnert. Mit monotoner, hypnotischer Rhythmik begleitet Gira seinen Monolog, eine Art anschwellender Totengesang, so hat man den Eindruck, nach Heilung verlangend, dem Wahnsinn nahe. “Amnesia” dann als Wiedergänger des gleichnamigen Stückes aus dem Jahr 1992 (“Love Of Live”), jetzt eher getragen, mit orchestraler Dramatik und aktuellem Bezug: “The President's mouth is a whore, when there's murder, the audience roars, there's no room left here for the strong and everything human's necessarily wrong.“ Auf die sanften Passagen des Titelsongs folgt das wuchtige Stampfen von “Sunfucker”, angelehnt die Überlieferung eines aztekischen Opferkultes, der Background zetert zu drohendem Geläut, die Texte eher Mantras.
Weiter im Auf und Ab, “Cathedrals Of Heaven” stellt den Zweifel an den hehren göttlichen Schöpfungsgedanken ins Zentrum (“I am asking you this: What made us like this? Who made us like this?”), “The Nub” ist ein einziges Fallen, Zerfließen, Zerrinnen, das in dronigem Sturm kulminiert. Es gibt, trotz allem, viele erstaunlich helle Momente, die sich auf den überaus düsteren Werken der Swans früherer Jahrgänge nur schwer nicht finden lassen. Sogar Souliges (“It’s Coming It’s Real”), Rockiges (“Some New Things”) ist dabei. Wirklich zugänglich wird jedoch auch dieses Album nicht. Gira bleibt der unangepasste, eigensinnige Sturschädel, der lieber andere Menschen vor den Kopf stößt, als seine eigenen Werte aufzugeben. Das mag nicht immer angenehm sein, fordert heraus, fördert Widerspruch. Und ist doch bewundernswert konsequent und in diesen Zeiten wertvoller denn je.
25.04. Nürnberg, Z-Bau
28.04. Berlin, Festsaal Kreuzberg
05.05. Hamburg, Uebel und Gefährlich
13.05. Zürich, Rote Fabrik
18.05. Wiesbaden, Schlachthof
23.05. Köln, Gebäude 9
„Leaving Meaning“
(Mute Records/PIAS)
Ein neues Album der Swans unerwähnt zu lassen hieße, sowohl Elementares als auch Anachronistisches zu unterschlagen. Elementar deshalb, weil Michael Gira, einzig verbliebener Gründer der amerikanischen Noise-Rock-Formation, Musik als Arbeit, als Ringen begreift, die/das – mit welchem Personal auch immer – in allererster Linie den eigenen Ansprüchen zu genügen hat. Unter dieser Maßgabe kündigte er vor einiger Zeit die bisherige Besetzung der Band und heuerte neue Musiker an, die durchaus auch alte Bekannte sein durften. Inspiration war gefragt, frischer Input, auch ging es darum, diejenigen um sich zu versammeln, deren Wirken er am meisten schätzt und von denen er sich einen neuerlichen kreativen Fortschritt erhoffen durfte.
Das fünfzehnte Album ist es dann geworden, eingespielt gemeinsam mit experimentellen Improvisationskünstlern wie The Necks, den Geschwistern Anna und Maria von Hausswolff, der queren Sängerin und Pianistin Baby Dee und einer weiteren Vielzahl hochgeschätzter Freunde, Kollegen, ja selbst Familienmitglieder. Natürlich ein Doppelalbum, den wenn sich eines nicht ändert – und damit wären wir beim Anachronismus – dann ist es Giras Verehrung für das Ausufernde, Wandelbare, das Wachsen wie auch das Zerfallen, das Tosen, Mäandern und zunehmend auch das Verirren in zarten Gespinsten. Gira braucht Zeit, seine Stücke brauchen Zeit, nicht wenige mehr als zehn Minuten – das ist ungewöhnlich, ganz aus der Zeit. So wie er sich die Arbeit macht, so sind auch die Zuhörer*innen dazu aufgefordert, sich Arbeit zu machen, sich zu mühen, durchzukämpfen.
Der erste Marathon steht mit “The Hanging Man” an, einem vergleichsweise konventionell instrumentierten Stück, das vielleicht etwas an die frühen Bad Seeds erinnert. Mit monotoner, hypnotischer Rhythmik begleitet Gira seinen Monolog, eine Art anschwellender Totengesang, so hat man den Eindruck, nach Heilung verlangend, dem Wahnsinn nahe. “Amnesia” dann als Wiedergänger des gleichnamigen Stückes aus dem Jahr 1992 (“Love Of Live”), jetzt eher getragen, mit orchestraler Dramatik und aktuellem Bezug: “The President's mouth is a whore, when there's murder, the audience roars, there's no room left here for the strong and everything human's necessarily wrong.“ Auf die sanften Passagen des Titelsongs folgt das wuchtige Stampfen von “Sunfucker”, angelehnt die Überlieferung eines aztekischen Opferkultes, der Background zetert zu drohendem Geläut, die Texte eher Mantras.
Weiter im Auf und Ab, “Cathedrals Of Heaven” stellt den Zweifel an den hehren göttlichen Schöpfungsgedanken ins Zentrum (“I am asking you this: What made us like this? Who made us like this?”), “The Nub” ist ein einziges Fallen, Zerfließen, Zerrinnen, das in dronigem Sturm kulminiert. Es gibt, trotz allem, viele erstaunlich helle Momente, die sich auf den überaus düsteren Werken der Swans früherer Jahrgänge nur schwer nicht finden lassen. Sogar Souliges (“It’s Coming It’s Real”), Rockiges (“Some New Things”) ist dabei. Wirklich zugänglich wird jedoch auch dieses Album nicht. Gira bleibt der unangepasste, eigensinnige Sturschädel, der lieber andere Menschen vor den Kopf stößt, als seine eigenen Werte aufzugeben. Das mag nicht immer angenehm sein, fordert heraus, fördert Widerspruch. Und ist doch bewundernswert konsequent und in diesen Zeiten wertvoller denn je.
25.04. Nürnberg, Z-Bau
28.04. Berlin, Festsaal Kreuzberg
05.05. Hamburg, Uebel und Gefährlich
13.05. Zürich, Rote Fabrik
18.05. Wiesbaden, Schlachthof
23.05. Köln, Gebäude 9
The Breeders: Scary Movie
Okay, Halloween ist unsere Sache nicht, das möchten wir gern zugeben. Aber wenn es sich um die Premiere eines neuen Videos von einer Band wie The Breeders handelt, wollen wir gern ein oder mehrere Augen zudrücken. Diese nämlich haben heute den Clip zu "Walking With A Killer" vom Album "All Nerve" freigeschaltet - ein feiner, sorgsam übermalter Vintagestreifen, reich gespickt mit Schauderhaftigkeiten aller Art unter der Regie von Marcos Sanchez. Viel Spaß beim Gruseln!
Thom Yorke: Welt in Flammen
Und hier gleich die nächste Ausnahme: Wer am heutigen Abend noch ein wenig Lust auf Dystopien, Weltuntergänge und ähnliche Katastrophen hat, der schaut sich gleich noch den neuen Clip von Thom Yorke zu seinerm Solotrack "Last I Heard (... He Was Circling The Drain)" an. Das Stück stammt von seinem letzten Album bzw. Songzyklus "ANIMA", das im Sommer erschienen ist, das Video wiederum wurde gemeinsam vom Studio Art Camp und Regisseur Saad Moosajee gedreht - dessen letzte Arbeit war übrigens ein Animationsfilm zur Single "A Pearl" von Mitski.
HAIM: Einmal Vollwaschgang komplett
Den Geschwistern HAIM hat man ja bisweilen eine übermäßigen Hang zur Belanglosigkeit vorgeworfen, manche Stücke ihres letzten Albums "Something To Tell You" waren auch tatsächlich - nun, sagen wir: ein bisschen egal. Zumindest musikalisch läßt sich das von den beiden zuletzt erschienenen Singles nicht sagen. Da hätten wir zunächst das "Summer Girl", welches, wenngleich frech bei Lou Reeds "Walk On The Wild Side" geklaut, einen schönen Flow bekommen hatte. Und nun also "Now I'm In It", ein ebenso clever gebauter Song, in dessen Video Danielle Haim, zunächst beim Rendezvous sträflich versetzt, einmal komplett durch die Frustbewältigung aka. Waschstraße muß. Hübscher Film, gutes Stück, HAIM greifen wieder an.
Pixies: Die Tücken des Ruhms [Update]
Pixies
"Beneath The Eyrie"
(BMG)
Wann das angefangen hat? Nun, den Nachgeborenen muß man vielleicht erklären, dass sich die Ära der kalifornischen Indielegenden Pixies in verschiedene Phasen unterteilen läßt, die man der Einfachheit halber „Deal“ und „no-Deal“ nennen könnte, benannt nach der ehemaligen Bassistin Kim Deal, die über einen ebenso großen Dickschädel verfügt wie Gründungsvater Black Francis und, weil das selten gut geht, die Band zwischen 1990 und 1993 (da schwanken die Angaben, weil sie an verschiedenen Alben mitwirkte, aber nicht mehr auf der Bühne stand) verließ. Was, soweit wissen wir das heute, zu ihrem eigenen Schaden nicht war, denn die von ihr initiierten beruflichen Folgeprojekte The Amps und The Breeders waren bzw. sind von ähnlich hoher Qualität. Ihr stimmgewaltiger Sparringspartner hatte nun zwar seine Ruhe, aber offensichtlich für eine Zeit auch nicht mehr ganz so viel Lust, verkündete den Tod seiner Band und spielt eine große Zahl mehr oder weniger spannende Soloplatten ein – die Pixies selbst hatten ganze 23 Jahre Pause.
Ab dem Jahr 2004 also begann (siehe Eingangsfrage) der Abschnitt, den wir jetzt mal die Retro-Ära nennen wollen, denn obwohl Deal noch für einige Live-Shows und Einspielungen mitjobbte, war sie auf keinem der folgenden Studioalben vertreten (wenngleich trotzdem Thema, siehe „All I Think About Now“). Die drei Platten, die auf „Bossanova“ (nun ja) und „Trompe Le Monde“ (schon eher) folgten, waren also allesamt ehrenwerte Versuche, die ganz große Ära der Kapelle wieder aufleben zu lassen, ohne den Verlust der durchaus stilprägenden Persönlichkeit Deals allzusehr zu betonen. Und das schließt das vorliegende Werk mit ein. Da kann der streitbare Chef noch so sehr auf dem sonnenköniglichen Grundsatz „l‘etat c’est moi“ bestehen, was vorbei ist, bleibt es in der Regel auch und je besser es war, um so unwahrscheinlicher ist eine gleichwertige Wiederholung.
Dabei sind „Indie Cindy“ und „Head Carrier“ erstaunlich gelungene, ja eigenständige Arbeiten geworden, hatten Biss, machten Krach und erhielten nicht zu unrecht gehobene Prädikate und die Nachrufe „Hurra, sie leben noch!“ und „Good to have you back!“ Dass der NME in seiner aktuellen Ausgabe die neue Platte zur besten seit 28 Jahren kührt, möchte man dann aber doch vorsichtig anzweifeln, denn „Beneath The Eyrie“ hat sehr wohl einige starke, leider aber auch vermehrt schwache Momente – je nachdem natürlich, wo genau die Erwartungen angesiedelt sind. Liegen die eher beim kompromißlosen Brett und wütendem Geschrei, dann enttäuschen Stücke wie der Einstieg „In The Arms Of Mrs. Mark Of Cain“, das musicalhafte „This Is My Fate“ oder das Schlußpärchen „Daniel Boone“/“Dead Horizon“ etwas. Hingegen werden die Rockfetzen „On Graveyard Hill“, „Long Rider“ (Update: Jetzt mit Video), der herrliche Nazis-vs-Aliens-Klamauk „St. Nazaire“ und die Rockabilly-Nummer „Bird Of Prey“ verzücken.
Fein raus sind die Genügsamen, denen vor allem wichtig ist, dass die Superhelden früherer Tage endlich wieder gemeinsam auf der Bühne stehen und dort natürlich auch die alten Gassenhauer zelebrieren werden. Zufrieden sind auch jene, die Veränderungen und Abweichungen nicht scheuen und über manchen Durchhänger hinwegblicken können. Und zu guter Letzt, wer hätte es gedacht, freut sich auch die (oder eben auch der) Frauenbewegte, denn die Weiblichkeit in Form von Nachbesetzung Paz Lenchantin macht auf der Platte erfreulich viele Punkte, sei es im Duett „Ready For Love“ oder dem ganz und gar bezaubernden, wenngleich etwas traurigen Surferepos „Los Surfers Muertos“. Soll heißen, es ist ein durchwachsenes, aber recht unterhaltsames und manchmal auch überraschendes Werk geworden. Und nicht unbedingt ein Grund, reflexhaft gleich die alten Sachen rauszukramen. https://www.pixiesmusic.com/
"Beneath The Eyrie"
(BMG)
Wann das angefangen hat? Nun, den Nachgeborenen muß man vielleicht erklären, dass sich die Ära der kalifornischen Indielegenden Pixies in verschiedene Phasen unterteilen läßt, die man der Einfachheit halber „Deal“ und „no-Deal“ nennen könnte, benannt nach der ehemaligen Bassistin Kim Deal, die über einen ebenso großen Dickschädel verfügt wie Gründungsvater Black Francis und, weil das selten gut geht, die Band zwischen 1990 und 1993 (da schwanken die Angaben, weil sie an verschiedenen Alben mitwirkte, aber nicht mehr auf der Bühne stand) verließ. Was, soweit wissen wir das heute, zu ihrem eigenen Schaden nicht war, denn die von ihr initiierten beruflichen Folgeprojekte The Amps und The Breeders waren bzw. sind von ähnlich hoher Qualität. Ihr stimmgewaltiger Sparringspartner hatte nun zwar seine Ruhe, aber offensichtlich für eine Zeit auch nicht mehr ganz so viel Lust, verkündete den Tod seiner Band und spielt eine große Zahl mehr oder weniger spannende Soloplatten ein – die Pixies selbst hatten ganze 23 Jahre Pause.
Ab dem Jahr 2004 also begann (siehe Eingangsfrage) der Abschnitt, den wir jetzt mal die Retro-Ära nennen wollen, denn obwohl Deal noch für einige Live-Shows und Einspielungen mitjobbte, war sie auf keinem der folgenden Studioalben vertreten (wenngleich trotzdem Thema, siehe „All I Think About Now“). Die drei Platten, die auf „Bossanova“ (nun ja) und „Trompe Le Monde“ (schon eher) folgten, waren also allesamt ehrenwerte Versuche, die ganz große Ära der Kapelle wieder aufleben zu lassen, ohne den Verlust der durchaus stilprägenden Persönlichkeit Deals allzusehr zu betonen. Und das schließt das vorliegende Werk mit ein. Da kann der streitbare Chef noch so sehr auf dem sonnenköniglichen Grundsatz „l‘etat c’est moi“ bestehen, was vorbei ist, bleibt es in der Regel auch und je besser es war, um so unwahrscheinlicher ist eine gleichwertige Wiederholung.
Dabei sind „Indie Cindy“ und „Head Carrier“ erstaunlich gelungene, ja eigenständige Arbeiten geworden, hatten Biss, machten Krach und erhielten nicht zu unrecht gehobene Prädikate und die Nachrufe „Hurra, sie leben noch!“ und „Good to have you back!“ Dass der NME in seiner aktuellen Ausgabe die neue Platte zur besten seit 28 Jahren kührt, möchte man dann aber doch vorsichtig anzweifeln, denn „Beneath The Eyrie“ hat sehr wohl einige starke, leider aber auch vermehrt schwache Momente – je nachdem natürlich, wo genau die Erwartungen angesiedelt sind. Liegen die eher beim kompromißlosen Brett und wütendem Geschrei, dann enttäuschen Stücke wie der Einstieg „In The Arms Of Mrs. Mark Of Cain“, das musicalhafte „This Is My Fate“ oder das Schlußpärchen „Daniel Boone“/“Dead Horizon“ etwas. Hingegen werden die Rockfetzen „On Graveyard Hill“, „Long Rider“ (Update: Jetzt mit Video), der herrliche Nazis-vs-Aliens-Klamauk „St. Nazaire“ und die Rockabilly-Nummer „Bird Of Prey“ verzücken.
Fein raus sind die Genügsamen, denen vor allem wichtig ist, dass die Superhelden früherer Tage endlich wieder gemeinsam auf der Bühne stehen und dort natürlich auch die alten Gassenhauer zelebrieren werden. Zufrieden sind auch jene, die Veränderungen und Abweichungen nicht scheuen und über manchen Durchhänger hinwegblicken können. Und zu guter Letzt, wer hätte es gedacht, freut sich auch die (oder eben auch der) Frauenbewegte, denn die Weiblichkeit in Form von Nachbesetzung Paz Lenchantin macht auf der Platte erfreulich viele Punkte, sei es im Duett „Ready For Love“ oder dem ganz und gar bezaubernden, wenngleich etwas traurigen Surferepos „Los Surfers Muertos“. Soll heißen, es ist ein durchwachsenes, aber recht unterhaltsames und manchmal auch überraschendes Werk geworden. Und nicht unbedingt ein Grund, reflexhaft gleich die alten Sachen rauszukramen. https://www.pixiesmusic.com/
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