Rammstein “Liebe ist für alle da” (Universal)
Eigentlich müßten einem Rammstein mittlerweile schon fast Leid tun, gehen doch selbst ihnen, den leidenschaftlichen Provokateuren und darob gern und oft Geprügelten die Schlagzeilen langsam aus. Jede sexuelle Perversion ist besungen, jede der Todsünden in allen Varianten durchdekliniert und selbst beim Themenkreis „Grausame Verbrechen aller Art“ werden sie mal und mal von der aktuellen Nachrichtenlage getoppt. Bestes Beispiel ist das Entführungsdrama um Natascha Kampusch, welches sich Rammstein auf dem neuen Album für den Song „Wiener Blut“ vorgenommen haben – hier offenbart sich das ganze Dilemma der Band: Denn was gestern noch ein Schocker war, mutet heute schon wie ein Kindergeburtstag an, die Skala schraubt sich auf nunmehr 18 Jahre Dunkelhaft und selbst Rammstein müssen konstatieren „Willkommen in der Wirklichkeit“. Was zu Beginn der 15jährigen Bandgeschichte noch als skandalös galt, ist heute mäßig aufregend und wird es auch nicht, wenn man den Lautstärkeregler nach oben dreht – heute gibt es für jederman zugängliche Pornoportale für alle Arten von Lustgewinn, es gibt Splatter torrent und Kopf ab von Tarantino – warum also sollte das Video von „Pussy“ noch Ekel erregen oder „Ich tu dir weh“ noch Angst einjagen? Natürlich werden auch auf „Liebe ist für alle da“ wunderbar die Schlagwerke vermöbelt und mit aller Hingabe die Saiten malträtiert, nur so richtig weh will’s keinem mehr tun. Und so zitieren sie sich selbst (Rammlied) und werden – das größte anzunehmende Unheil – nach und nach fast ein wenig, ja: langweilig. Der „Frühling in Paris“ geht als vertane Chance dahin, ohne den kompletten Schwenk zu wagen, so wirklich gern möchte man Lindemanns Französisch auch nicht hören. Auch das Englische von „Pussy“ ist zu rund und zu weich, um als brauchbare Textur zu taugen. Gänzlich fehlt auf dem neuen Album der grandiose Schwerstmut von „Seemann“, „Klavier“ oder „Ohne Dich“, da kann auch „Roter Sand“ am Ende als Leichtgewicht nicht punkten. Lichtblicke vielleicht der „Haifisch“ mit einer gekonnten Mischung aus Wucht und Melancholie, „Gier“ hat ein brauchbares Thema, ist aber musikalisch ein Stück zu bieder. Ein letzter Grusel packt einen dann bei „Waidmanns Heil“, nicht weil das Stück so angenehm oldschool ist oder die Wortspiele einen entsetzen würden, sondern weil man ahnt, für welch makabre Stimmung der Refrain im überfüllten Konzertsaal sorgen dürfte – doch damit werden die Jungs umgehen müssen und wohl auch können. Als Fazit vielleicht der umgedeutete Titel – hier: Rammstein sind für alle da, und seit sie das sind, ist es mit der Relevanz ihrer Platten nicht mehr weit her. Das sollten sie schleunigst ändern, denn sonst landen sie bald als harmlose Gippspuppen in der medialen Geisterbahn oder – schlimmer noch – bei Gottschalk auf der Couch.
1 Kommentar:
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