Dienstag, 30. November 2021

Wet Leg: Inselträume [Update]

Na gut, ganz zu Beginn denkt man eher an Rotkäppchen ohne den bösen Wolf oder, etwas bildungsbürgerlicher, vielleicht in Richtung "A Handmaids Tale" von Margaret Atwood. Doch so gruselig oder ernst ist es dann gar nicht, Rhian Teasdale und Hester Chambers alias Wet Leg singen auf ihrer neuesten, zweiten Single "Wet Dream" über die feuchten Träume eines Ex. Die Damen von der Isle of Wight gelten als eines der vollmundigsten Versprechen dieses Sommers, auf diversen Festivals (so sie denn außerhalb von Deutschland schon stattfinden durften) haben sie sich zahlreiche neue Freundinnen und Freunde gemacht, Gleiches gelang ihnen vor ein paar Wochen mit der Debütsingle "Chaise Longue". Alles nur eine Frage der Zeit, bis der lässige Gitarrenpop der beiden auch hierzulande durchstartet.

Update: Und weil es so schön poppt, legen sie auch gleich mit der nächsten Single "Too Late Now" nach. Das Album "Wet Leg" kommt am 8. April bei Domino Records, die Band ist im Frühjahr auf drei Terminen in Deutschland zu sehen.

16.05.  Köln, Jaki
24.05.  München, Milla
25.05.  Berlin, Kantine Berghain









Black Country, New Road: First things second [Update]

Wie es halt so ist in Pandemiezeiten - mitten in die vorgezogenen Feierlichkeiten zum potentiellen Album des Jahres kommt die Nachricht, dass das alles Schnee von gestern sein könnte, weil die nächste Platte längst bereit steht. Das Virus, wir wissen es, wirbelt so einiges durcheinander und auch der klassische Album-Tour-Album-Tour-Wechsel funktioniert nicht mehr so reibungslos. Die hochgelobte Londoner Kapelle Black Country, New Road jedenfalls mochte so gar nicht zum Konzertieren kommen in diesem Jahr (bis jetzt jedenfalls, es tut sich was) - deshalb überholt die Ankündigung der zweiten Studioplatte beinahe die Aktivitäten zur ersten. Macht nix, die Truppe ist so gut, dass wir gern alles auf einmal nehmen. "Ants From Up There" soll nun am 4. Februar bei Ninja Tune erscheinen und die erste Single "Chaos Space Marine" knüpft mit ihrer verrückten Klangfülle genau da an, wo der grandiose Vorgänger "For The First Time" aufgehört hat.

06.11.  Zürich, Bogen F
09.11.  Berlin, Frannz Club
11.11.  Leipzig, UT Connewitz
12.11.  Hamburg, Molotow

Update: Seit heute gibt es mit dem "Bread Song" eine zweite Auskopplung aus dem neuen Album ... und nun auch noch "Concorde" dazu.







Shortparis: Proletarischer Einakter

Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, die russische Avantgardpop-Band Shortparis mit den Spice Girls oder Massive Attack zu vergleichen. Schon klar. Fakt aber ist, dass alle drei (und andere mehr) eine Gemeinsamkeit eint - sie haben erinnerungswürdige One-Shot-Videos gedreht. "Wannabe" der eine, "Unfinished Sympathy" der andere und nun also "Двадцать" (zu deutsch: "Zwanzig"). Im Unterschied zu den beiden Erstgenannten ist der Clip der Russen wohl der skurrilste und unterhalsamste und wohl auch derjenige mit dem meisten Dreck. Um Blut, Schweiß und Tränen sind Shortparis, die wir hier schon einige Male erwähnt haben, ja bekanntlich nie verlegen und auch im aktuellen Stück, einer Art Proletarier-Musical inklusive Tanzchoreo und Massenschlägerei, wird viel geboten. Die Musik ist erneut eine eigenwillige Mischung aus Operette und Techno, die Single findet sich zusammen mit der zuletzt vorgestellten auf dem vierten Album der Formation "Yablonny Sad".



Montag, 29. November 2021

Cousin Kula: Die sanfte Variante

Cousin Kula
"Double Dinners"

(Rhythm Section)

Über die verschiedenen Gemütszustände der letzten Wochen und Monate wurde ja, dem doofen Virus sei Dank, allerorten schon ausführlich berichtet, kein Geheimnis auch, dass bei Musiker*innen das Befinden den kürzesten Weg in die Öffentlichkeit nimmt. Denn logischerweise haben die seelische Verfassung beim Songwriting und selbst die Aufnahmebedingungen im Studio oder (worst case) Schlafzimmer direkten Einfluß auf Bild, Text und Ton der Veröffentlichung. Und weil wir hier schon viel über Frust und Wut berichten mussten, tut es zu Abwechslung mal ganz gut, den Blick (genauer das Ohr) auf etwas Zartes, Melancholisches, Versöhnliches zu richten. Wie etwa die Musik von Cousin Kula, einem Quintett aus Bristol. 2017 erschienen die mit ihrer EP "Oodles" auf der Bildfläche, zwei Jahres später folgte "Stroodles" und kurz darauf die 12" "Casa Kula Cassette". Und auch, wenn das neue Material nun gerade mal Fünfunddreißigminutenmarke kratzt, so darf es sich doch Debütalbum nennen. 



Es ist ein überaus stimmiges und uneitles Werk geworden, ein warmer, sanfter Groove zieht sich durch die neun Stücke, gekonnt gestrickt aus Pop, Jazz, Psychedelic, Funk und Soul. Keines der fünf Mitglieder drängt sich in den Vordergrund: Weder Sänger und Gitarrist Elliot Ellison noch Keyboarder Will Wells, Jordan Woolgar an der Gitarre, Saxophonist Doug Cave oder Drummer Milky Joe, sie alle erweisen sich als bestens eingespielte Gemeinschaft, in der jeder seine Stärken ausspielt und so zum Gelingen des Ganzen beiträgt. Und die Gefühle nun, die uns während des Lockdowns bekanntermaßen wellenartig erfassen und bestimmen, kommen hier auf vorsichtig besonnene Weise zum Klingen - Verlustängste, Zukunftssorgen und Einsamkeit, aber auch Sehnsucht nach Vertrauen, Wertschätzung und Liebe. Man läßt sich gern tragen von den sanften Tönen, angefangen bei den drei meisterlichen Singles "BabyBack", "Now You're Gone" und "Something So Sweet" bis hin zum zauberhaften "Morning Dew With You", das so klingt, als hätte sich Billie Eilish überraschend zum Jazz entschlossen. Großer Wurf das.



Nilüfer Yanya: Erst der Anfang [Update]

Klar war die Frage: Was sollte da noch kommen - wenn man einmal als "Miss Universe" eingestiegen war? Doch für eine Künstlerin wie Nilüfer Yanya konnte das 2019 natürlich nur ein Zwischenschritt sein. Schließlich hatte sie vor ihrem in der Tat fabelhaften Debüt schon eine Reihe beachtenswerter Singles veröffentlicht (die neulich auf einer EP mit Namen "Inside Out" auf Vinyl wiederveröffentlicht wurden), die letzte 12" mit dem Titel "Feeling Lucky?" war auch nicht ohne. Nun dann also der bekanntermaßen so schwierige Nachfolger, doch geht man nach der aktuellen Single "stabilise", dann ist von Mühe oder Müdigkeit so gar nichts zu hören - das Stück ballert sich regelrecht in die Gehörgänge und macht deutlich Lust auf mehr. Zu Track und Video meint die Londonerin: "I was really thinking about your surroundings and how much they influence or change your perception of things. A lot of the city is just grey and concrete, there's no escape. The video plays on the central theme in the song of no one coming to save you ever. It’s set in the depths of reality in everyday life where we are the only one’s truly capable of salvaging or losing ourselves. Nothing is out there - both a depressing and reassuring statement (depending on how you look at it). Sometimes you have to dress up as a spy or a rock star and just hope for the best." Am 4. März wird das Album "Painless" bei ATO Records erscheinen.

Update Tour:
22.03.  Zürich, Bogen F
23.03.  München, Ampere
24.03.  Wien, Grelle Forelle
26.03.  Berlin, Säälchen
27.03.  Hamburg, Nochtspeicher



Sonntag, 28. November 2021

Federico Albanese: Der Blick zurück

Foto: Linda Rosa Saal

Ab einem bestimmten Alter beginnt die Beschäftigung mit der Vergangenheit die mit der Zukunft zu überwiegen, wir fragen uns, weshalb die Dinge so gekommen sind, wie wir sie erlebt haben, wollen wissen, ob das Leben, so wie es ist und war, einen Sinn ergeben hat und nicht zuletzt, ob wir auch genug für die getan haben, die nach uns kommen. Ein großes Thema mit vielen Facetten, mit Enttäuschungen, Zweifeln, aber auch vielen lohnenden Erinnerungen. Federico Albanese, einer der bekanntesten Vertreter der sogenannten Neoklassik, hat sein neues Album "Before And Now Seems Infinite", das am 25. Februar bei Mercury KX erscheinen wird, diesem Komplex gewidmet. Und auch die aktuelle Vorabsingle "Summerside", gesungen von Marika Hackman, gibt uns in dieser Hinsicht einiges zum Denken. Das Video unter Regie von Marco Jeannin zeigt einen grüblerischen Mann, der verschiedene Phasen seines Lebens noch einmal vor sich sieht, Risse, Brüche und unbewältigte Erlebnisse erkennt und letztlich doch zu einem gewissen Frieden findet. Neben dem Ende Oktober veröffentlichten Track "The Quiet Man" wird sich übrigens auch eine weitere Kollaboration, diesmal mit Ghostpoet, auf der Platte befinden.

04.04.  Hamburg, Elbphilharmonie
05.04.  Berlin, Passionskirche
06.04.  Bonn, Bundeskunsthalle





Freitag, 26. November 2021

Carmody: Über das Vergessen

Einer der wenigen positiven Aspekte der doofen Pandemie ist der Umstand, dass selbst das nächste Jahr schon reichlich vollgepackt ist mit geplanten, wenn auch wenig planbaren Terminen - das zumindest gilt für die Tourneen und Konzertreisen vieler Künstler*innen. Absehbarer die Veröffentlichungen, hier schiebt sich vieles auf 2022, weil es aus vielerlei Gründen in der auslaufenden Saison nicht klappte. Dazu gehört im Übrigen auch das Debüt "Imperfect Constellations" der Londonerin Jessica Carmody, die unter ihrem Familiennamen bislang einige EP und Kollaborationen verlegt hat, nun aber für den 6. Juli via Young Poet das lang erwartete Solo ankündigte. Es erwartet uns nicht nur ein Album mit mutmaßlich wunderbarem Jazzpop der ersten Güteklasse, sondern ein sehr spezielles Arrangement: Die Platte wird in vier verschiedene Teile, hier also Konstellationen, gegliedert sein, "Constellation A" ist mittlerweile komplett zu hören, denn nach den Songs "Replace" und "Still" ist gerade auch der dritte mit Namen "Memory" erschienen, aufgenommen gemeinsam mit dem ebenfalls in London wohnhaften Musiker und Produzenten Alfa Mist und der Saxophonistin Laura Misch. Carmody verknüpft für den ersten Part u.a. persönliche Erfahrungen mit der viele Menschen bewegenden Problematik der Demenz und unseren Umgang mit derselben. In den Linernotes meinte sie dazu: "'Constellation A' explores the multi-faceted concept of 'memory', as I examine how to remember, and keep sacred the things and people that are lost, without feeling a bitterness for what I no longer have. When my grandfather was diagnosed with dementia 5 years ago I watched his stories and his sense of self slowly disappear. It was surreal to me that I still had the past we shared together, but he had no recollection of it. In 'Still' I wanted to write about how his sense of self could be found through me and my memories of us together. Although these 3 songs are some of the oldest on the record, they orbit the world I currently inhabit, and as each constellation is released I'll move further into the centre of things and where it all began." Spannend, bewegend und schön anzuhören zugleich, ein Grund mehr, sich auf das kommende Jahr zu freuen.







Mittwoch, 24. November 2021

Casper: Hingehen, wo es weh tut [Update]

Wenn man nicht dahin geht, wo es weh tut, weiß man auch nicht, wie die Siege schmecken. Kühlschrankpsychologie, Lektion eins, schon klar, aber eben auch ein Stück Lebensweisheit. Und selbst wenn es schief geht (und das macht es nicht eben selten), lernt man aus den Niederlagen für den nächsten Anlauf. Benjamin Griffey, eigentlich eher Casper, ist nicht dafür bekannt, dass er Scherzen scheut. Schon seine Stimmbänder machen den Eindruck, als behandle er sie jeden Morgen mit ätzenden Substanzen, auch auf der Bühne kennt er keine Schonzeit - und er ist der Welt bekanntester Ehrenbielefelder. Was schon eine Probe sein kann, begegnet man doch ständig Menschen, die meinen, zu dieser Stadt ihre abgedroschenen Witze loswerden zu müssen. Was einen gebürtigen Ostwestfalen eigentlich kaum aus der Ruhe bringen, aber auf Dauer aber schon anstregend sein kann. Casper hat rein musiktechnisch lange Zeit recht still gehalten - "Lang lebe der Tod", sein letztes Werk, datiert immerhin schon auf das Jahr 2017, die nachfolgende Kollaboration mit Marteria "1982" blieb eher wegen der dazugehörigen Megatour als wegen der Songs in Erinnerung. Doch mit der Ruhe ist es nun vorbei, das neue Studioalbum hört auf den schönen Namen "Alles war schön und nichts tat weh" und wird am 25. Februar kommenden Jahres erscheinen, eine Tour ist auch schon eingetütet. Der Titelsong ist gerade an den Start gegangen, viele Blumen, dramatische Töne und eine überraschend zarte Singstimme - wir bleiben gespannt.

17.03.22  Hannover, Capitol
18.03.22  Tübingen, Sudhaus
19.03.22  Bern, Bierhübeli
21.03.22  Leipzig, Felsenkeller
22.03.22  München, Muffathalle
23.03.22  Wien, Arena
25.03.22  Dortmund, FZW
28.03.22  Köln, Carlswerk Victoria
29.03.22  Mannheim, Alte Feuerwache
31.03.22  Berlin, Metropol
01.04.22  Münster, Skaters Palace
02.04.22  Bremen, Kulturzentrum Schlachthof
04.04.22  Hamburg, Uebel und Gefährlich

Update: Okay, das haben wir verstanden - der Mann ist und bleibt ein Nachtmensch. Der neue Song "TNT" zusammen mit Johannes Bruhns aka. TUA feierte heute im tiefsten Dunkel Premiere, hier dann im Stream nach dem Aufwachen ... und seit Neuestem auch mit Video.





Oceanator feat. JER: Dringend benötigt

Über die stimmungsaufhellende Wirkung von Ska müssen wir an dieser Stelle wohl kaum diskutieren, Laurel Aitken, Madness, Skatalites, Specials, das alles sollte es fast auf Rezept geben. Und gute Stimmung, auch da sind wir uns einig, ist momentan Mangelware. Mehr als passend deshalb, dass Elise Okusami aka. Oceanator zusammen mit den Fachleuten von JER (Jeremy Hunter/We Are The Union, Skatune Network) gerade den Ska-Punk-Song "Too Late" eingespielt hat - das im Nachgang zu ihrem wunderbaren Studiodebüt "Things I Never Said". Und wie sagte Brooklyn Vegan gerade so treffend: "More indie/punk artists should make ska songs!" Genau so.

Dienstag, 23. November 2021

The Bug feat. Jason Williamson: Alles, nur kein Zufall

Ein ganz heißes Ding geht heute mit dieser Kollboration ins Rennen: Kevin Richard Martin, bekannter unter seinem Pseudonym The Bug, legendärer, britischer Musiker und Produzent, hat sich für eine Doppelsingle mit Jason Williamson von den Sleaford Mods zusammengetan. Natürlich ist das mehr als eine Zufallsbegegnung - die beiden dürften über ihre Arbeit und darüberhinaus eine weitaus größere Schnittmenge haben als hierzulande alle Ampelfunktionäre zusammen. Martin wurde zwar vom Post-Punk der 80er sozialisiert, fühlt sich aber schon seit langem vor allem im Umfeld von Hip-Hop, Dubsteb, Dancehall und Jazz zu Hause, Williamson wiederum kommt ebenfalls von der Gitarre, schwenkte aber bald zusammen mit seinem kongenialen Partner Andrew Fearn zu einer originären Mischung aus Computerbeats und aggressiven Rhymes um, die dem Duo eine Art Alleinvertretungsmerkmal gesichert hat. Nicht erst seit Martins aktuellem Album "Fire" überlegten die beiden offensichtlich, gemeinsames Material einzuspielen, nun veröfentlichen sie also bei Ninja Tune die beiden Tracks "Stoat" und "Treetop", herrlich schroffe und zugleich sehr verspielte Stücke, bei denen sich die Mischung aus Maschinenmusik und Williamsons wütendem Rap-Stakkato einmal mehr als Glücksgriff erweist. 

Hier noch die entsprechenden Statements der beiden. Zunächst The Bug: "Ich bin mit Mark E. Smith und Crass aufgewachsen, wie könnte ich da nicht von Sleaford Mods weggeblasen werden? Seit ich zum ersten Mal 'Austerity Dogs' gehört habe, war ich von Jasons messerscharfen Texten und seiner punkigen Art begeistert. Als wir uns vor ein paar Jahren zum ersten Mal auf Twitter unterhielten und beiläufig über unsere gemeinsame Vorliebe für asozialen amerikanischen Hiphop plauderten, haben wir sofort die Idee einer Zusammenarbeit diskutiert. Und obwohl es ein paar Jahre gedauert hat, bis wir das Konzept in die Tat umgesetzt haben, scheint 2021 der perfekte Zeitpunkt zu sein, wenn man die globale soziale Krise und die Veröffentlichung meines Albums, 'Fire', bedenkt. Es war eine große Freude, mit Jason an diesen Tracks zu arbeiten, und wir sprechen bereits über die Idee, weitere Tracks folgen zu lassen…". Williamson wiederum meinte zu dem Projekt: "Sowohl 'Stoat' als auch 'Treetop' gehen lyrisch den üblichen Weg für mich, Unsinn gemischt mit kleinen Mikrogeschichten von was auch immer. Ausreden, um Frustrationen und Ärger loszuwerden. Ich spreche mit Kevin schon seit ein paar Jahren darüber, ein paar Songs zu machen. Es war immer geplant, etwas mit seiner Musik zu verbinden, eine Chance, verschiedene stimmliche Ansätze bis zu einem gewissen Grad zu formen, was auf 'Stoat', denke ich, deutlich zu hören ist. Ich liebe beide Stücke. Richtig. Ich bin begeistert von dieser Kollaboration."



Yard Act: Von der Überforderung [Update]

Überforderung ist ein wichtiges Thema, ohne Zweifel. Überall überforderte Menschen - in den Regierungen, den Betrieben, an den Schulen und Universitäten, in den Sozialen Medien sowieso und in der Famile, immer gibt es irgendjemanden, die oder der sich nicht in der Lage sieht, den Anforderungen zu genügen, dann Murks baut, was wieder lauten Protest und noch mehr Unzufriedenheit hervorruft. Ein Kreislauf zunehmender Frustration, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt, es sei denn, man geht an den Südpol mit den Pinguinen tauchen (wenn es denn noch welche gibt) oder schaltet einfach das Netz ab. Yard Act aus Leeds haben zu diesem Thema ihre Banddissertation verfasst - also ein Debütalbum eingespielt, und zwar bei Zen F.C. und mit dem Titel "The Overload" und es ist anzunehmen, dass die Songs darauf a) noch immer so gut in die Beine gehen wie auf ihrer letzten EP "Dark Days" und b) die vier Herren genügend Humor besitzen, aus der Sache eine erträgliche, besser noch unterhaltsame zu machen. Am 7. Januar 2022 ist es soweit, heute kommt schon mal das Video zum Leadsingle.

Update: So langsam aber sicher entwickeln sich Yard Act zu einer Art Lieblingsband - wie sie ihre nächste Single "Land Of The Blind" gemeinsam mit James Slater in Szene setzen, das hat schon etwas verteufelt Charmantes ... Gleich hinterher noch die Single Nummer drei "Payday", ein Stück über die Absonderlichkeiten menschlicher Gedanken, wenn es um Klassenbewußtsein, Gentrifizierung und Konsum geht.

22./23.09.  Hamburg, Reeperbahn Festival
05.02.  Hamburg, Molotow
09.02.  Berlin, Badehaus
10.02.  Köln, Blue Shell







Sonntag, 21. November 2021

Howless: Ein guter Anfang

Musik aus Mexiko haben wir hier tatsächlich selten zu Gast, sieht man mal von Le Butcherettes (Guadalajara) ab, die vergleichsweise häufig vorbeischauen. Nennen wir es einfach mal Mangel an Gelegenheit - hier jedoch bietet sich diese. Denn die Einstiegssingle "Levels" des Quartetts Howless um Leadsängerin Dominique Sanchez und Texter Mauricio Tinejro ist feinster, melancholischer Shoegazing-Pop, dem man noch dazu seine Verehrung für The Cure deutlich anhört. Damit wir die Band aus Mexico City öfter hören können, ist natürlich mehr Material von Nöten - am 18. Februar soll bei Static Blooms Records das Debütalbum "To Repel Ghosts" erscheinen. Das wäre dann schon mal ein guter Anfang.



Tristesse: Notwendige Näherung

Wo wir schon mal melancholisch sind, können wir auch gleich noch von dem Quartett Tristesse aus Berlin berichten. Die fünf jungen Herren werden nämlich am 3. Dezember ihre Debüt-EP "Im schwächsten Licht" veröffentlichen. Vor einiger Zeit schon erschien die Debütsingle "Kreis", ein vergleichsweise ruhiger Song, nun folgt mit "Serotonin" eine Single mit ein paar härteren Riffs und durchaus ernsthafter Message - Sänger Jannes-Maximilian Priebels dazu: "'Serotonin' nähert sich der Thematik Depression und steht lyrisch bewusst im starken Kontrast zum tanzbaren und melodiösen Instrumental. Dieses Lied verfolgt ein uns wichtiges Anliegen: einen offenen, reflektierten und notwendigen Umgang mit mentaler Gesundheit." Sobald Konzerttermine für ein besseres Kennenlernen des Quintetts (weiter Marvin Alexander Jiménez Mairena an der Rhythmusgitarre, Eric-William Noack Bass, Florian Balmer Drums und Benedikt Kirst Leadgitarre) bekannt sind, werden wir diese natürlich ebenso weitergeben.





Horsegirl: Lust auf Lärm

Wer sehen möchte, wieviel Spaß darin stecken kann, etwas Neues zu probieren, einfach anzufangen damit, der darf sich gern das Video zu "Billy" ansehen, der neuen Single von Horsegirl. Das Trio aus Chicago mit einer Vorliebe für lauten, ungeschönten Gitarrenlärm hat hier zusammen mit ein paar guten Freund*innen und einer Kamera jede Menge Spaß eingefangen. Der könnte sich, so mutmaßen wir jetzt mal, auch deshalb eingestellt haben, weil das renommierte Label Matador diesen Song gemeinsam mit Produzentenlegende Steve Albini aufgenommen hat. Und das ist selbst für so selbstbewusste junge Frauen wie Penelope Lowenstein, Nora Cheng und Gigi Reece ein veritabler Aufreger. Bislang war ihre EP "Ballroom Dance Scene Et Cetera" das einzige Material, das die drei vorzuweisen hatten, gut möglich, dass da bald deutlich mehr hinzukommt.





Samstag, 20. November 2021

The Düsseldorf Düsterboys: Aus dem Keller geholt

Zeiten, in denen man nicht nach draußen gehen sollte, sind dazu angetan, dass man (auch mit Lust) in alten Sachen wühlen darf. Die wunderbaren The Düsseldorf Düsterboys haben das wohl getan und dabei den Song "Traurige Gesichter" von Maurice und die Familie Summen (vom Album "BMERICA") aus dem Keller geholt. Weil er schön ist, weil er so gut passt, weil. Und deshalb gibt es hier die Single, gerade bei Staatsakt erschienen.

01.12.  Berlin, Badehaus
02.12.  Potsdam, Waschhaus
03.12.  Braunschweig, Nexus
04.12.  Lüneburg, Salon Hansen
05.12.  Hamburg, Knust
08.12.  Bielefeld, Bunker Ulmenwall
09.12.  Köln, Gebäude 9
10.12.  Hannover, Cafe Glocksee
11.12.  Berlin, Huxleys Neue Welt



Freitag, 19. November 2021

Masha Qrella: Nimmermüde

Foto: Diana Näcke
Nein, wir werden nicht müde werden, die großartige Poesie eines Thomas Brasch an dieser Stelle zu betonen. Müßte man eigentlich gar nicht, sollte ohnehin klar sein. Gerade ist in ausgewählten Kinos des Landes der Film "Lieber Thomas" von Andreas Kleinert mit Jella Haase und Albrecht Schuch angelaufen, auf den im Ansatz Ähnliches zutrifft - grandios, überwältigend, einzigartig. Da passt es ganz gut, dass parallel dazu auch das Video zu "Märchen" erschienen ist, einem Song von Masha Qrellas Brasch-Album "Woanders", erschienen im Frühjahr diesen Jahres bei Staatsakt. Der Clip stammt im Übrigen von Filmemacherin Diana Näcke, die unter anderem auch schon die Bühneninstallation zur Perfomance von Qrella zum gleichen Thema im Berliner HAU (2019) gefertigt hatte. Song, Video, alles toll, nicht nur, aber auch wegen des Auftritts von Braschs Schwester Marion. Wer Masha Qrella in diesem Jahr noch einmal live sehen möchte, hat am Dienstag kommender Woche die letzte offizielle Gelegenheit, da nämlich spielt sie im Berliner Babylon, für 2022 sind schon mal drei Auftritte angekündigt.

23.11.  Berlin, Babylon
17.02.  München, Milla
18.02.  Regensburg, Ostertorkino
19.02.  Augsburg, Brecht Festival

Donnerstag, 18. November 2021

Eades: Lässig in Leeds

Frischer Wind aus Leeds, jetzt bald auch in Albumlänge: Die Indierocker Eades haben nach der Veröffentlichung mehrerer EP nun endlich einen Termin für den Verkaufsstart ihres Debüts "Delusion Spree" auf Heist Or Hit bekanntgegeben. Nachdem vor einigen Wochen schon die Single "Reno" mit lässigen Franz-Ferdinand-Hearalike-Beats erschienen ist, kommt nun das ebenfalls ziemlich direkte "Ever Changing" ins Netz. Songschreiber Tom O'Reilley hat dazu folgendes notiert: "At that time I was finding myself in a lot of situations with self-involved characters that I had no interest in, purely because they’re an easy distraction from everything I didn’t want to think about. I kept jumping from toxic relationships to chaotic friendships without thinking I could take a step back and centre myself to actually tackle real problems. ‘Ever Changing’ is about burying my head in the sand and avoiding real issues in my life. It’s about finding new ways to procrastinate and change to make each day feel more exciting than it really is."




Let's Eat Grandma: Gerne Gegensätzliches

Da sind sie also wieder, die beiden Damen mit dem herrlich verrückten Bandnamen: Rosa Walton und Jenny Hollingworth, die gemeinsam unter Let's Eat Grandma firmieren, haben gerade ein neues Album angekündigt. "Two Ribbons", datiert auf den 8. April bei Transgressive Records, folgt auf "I'm All Ears" aus dem Jahr 2018, das gefüllt war mit wunderbarem Synthpopgewummer. An dieses schloss die erste Auskopplung "Hall Of Mirrors" nahtlos an, der Titelsong dagegen ist eine zart gezupfte Folkballade über Einsamkeit und Tod. Wir mögen beides.





Mittwoch, 17. November 2021

LIFE: Freudlose Zeiten

Wie sehr man in Zeiten wie diesen Freunde braucht, muss an dieser Stelle wohl nicht erklärt weren. Selbst Menschen, die gemeinhin als sehr geduldig und vernünftig gelten, sind den Umständen der Pandemie überdrüssig, zeigen sich genervt und/oder einigermaßen hoffnungslos. Da spielt es dann auch keine Rolle, ob wo genau man in Europa oder anderswo zu Hause ist. Auch im britischen Hull könnte die Stimmung besser sein - obwohl: LIFE, das Post-Punk-Quartett um Sänger Mez Green, haben gerade bei The Liquid Label ihre neue Single "Friends Without Names" veröffentlicht und zwar mit dem Hinweis, dass diese als Blaupause für das nächste Album gelten kann. Was ja mal eine gute Nachricht ist. Denn wir erinnern uns daran, dass schon die letzte Platte namens "A Picture Of Good Health" sehr gelungen war, es darf also gern so weitergehen.



Silverbacks: Reich an Facetten [Update]

Und noch eine Rückmeldung der erfreulichen Art - die Silverbacks aus Dublin sind ebenfalls mit neuem Material back in business. 2020 mit ihrem Debüt "Fad" nach einer Reihe erfolgreicher Singles endgültig durchgestartet, schicken sie heute anlässlich des Wechsels zum Label Full Time Hobby den Song "Wear My Medal" an den Start, ein durchaus vertrackter und interessanter Song mit vielen Facetten - flirrenden Gitarren, zarten Bläsern, dazu die schöne Stimme von Emma Hanlon und ein wirklich sehr extravagantes Animationsvideo von Lauren Gregory, es gibt hier wirklich gar nichts auszusetzen. Außer vielleicht dem Umstand, dass sie bislang nur Konzerttermine auf Inseln gebucht haben. Aber was nicht ist kann ja noch werden, wir würden es jedenfalls mehr als begrüßen.

Update: Nun also ein paar mehr Daten aus Dublin - das neue Album wird "Archive Material" heißen und am 21. Januar 2022 erscheinen, Titelsong und Video gibt es hier und heute vorab ... und gleich auch noch "Rolodex City" hinterher.






Freitag, 12. November 2021

Nation Of Language: Blick zurück nach vorn

Nation Of Language
„A Way Forward“

(Play It Again Sam)

Es ist ja leider ein weit verbreiteter Irrglaube, wenn einige Mitmenschen denken, sie müssten sich die albernen Auftritte der vergreisten Stars ihrer Jugendtage auch heute noch anschauen, wenn sie auf deren Musik partu nicht verzichten wollen. Nein, das müssen sie nicht. Es gibt tatsächlich Unmengen wunderbar gelungener Popmusik, die der aus früheren Tagen in nichts nachsteht. Und nur wer wirklich meint, auf die ranzigen Altherrenwitze ergrauter Showmaster und Bilder von in wunderliche Neoprenanzüge gequetschten Senioren, noch dazu weit über dem Verfallsdatum, nicht verzichten zu können, sollte das tun. Wer aber beispielsweise ein Faible für die elektronische Musik der Endsiebziger und deren dunkle Verfeinerung aus den Achtzigern hat, also Bands wie Kraftwerk, OMD und Ultravox verehrt und wem zudem deren geniale Wiedergänger Jason Lytle (Grandaddy) und die Herren Gibbard und Tamborello (The Postal Service) nicht unbekannt sind, für den hat sich schon vor fünf Jahren eine sehr lohnende Alternative aufgetan.



Da nämlich gründete sich im New Yorker Stadtteil Brooklyn die Synthpop-Formation Nation Of Language, ausgestattet mit feinstem Gespür für geschmeidige, melancholische Melodien und der flauschig weichen Stimme von Ian Devaney. Das Trio legte dann auch mit „Introduction, Presence“ ein derart bezauberndes Debütalbum vor, dass manche der besagten Originale, ganz ohne bösen Willen, erstaunlich schnell vergessen waren. Ja, und nun gibt es also einen zweiten Schwung Nostalgieware. Diesmal ein wenig krautrockiger – Devaney nimmt zusammen mit Aidan Noell und Michael Sui-Poi nach eigener Auskunft sogar Bezug zur synthetischen Avantgarde der Gründerjahre, namentlich auf die Amerikanerin Laurie Spiegel, die seit den 70ern als Pionierin in Sachen Maschinenmusik gilt (und die wir ohne diese Erwähnung wohl niemals kennengelernt hätten).



Das wichtigste Erkennungsmerkmal der Band – die erhabenen, auserlesenen Melodien also – bleibt natürlich weiterhin gewahrt, auch auf „A Way Forward“ finden sich reichlich Songs zum Tanzen und/oder Schwelgen. So zum Beispiel das wunderbare Doppel „Across That Fine Line“/„Wounds Of Love“, ersteres markiert zu munter pluckernden Beats den zarten Moment, wo aus Freundschaft Liebe wird, letzteres beklagt zu getrageneren Klängen die Unauslöschbarkeit des Verlustschmerzes nach Beendigung derselben. Bei „The Grey Commute“ zeigt sich Devaney erstmals vorsichtig politisch, indem er mit den Nachwirkungen der Trump-Ära abrechnet, „This Fractured Mind“ und „Former Self“ wiederum thematisieren die Veränderung des Selbst durch die Widrigkeit der äußeren Umstände, der Sound mal lässig, mal mit cineastischem Drama. Ein Album, auf dem man nichts vermisst, der viel zitierte Blick zurück nach vorn, ganz ohne jede Peinlichkeit.



Donnerstag, 11. November 2021

Rosalía: Ziemlich dringend [Update]

Viel ist es noch nicht, was wir an Neuigkeiten haben, aber die Schlagzeile steht soweit schon mal und das ist ja jetzt auch nicht wenig: Rosalía hat ein neues Album angekündigt, 2022 soll es kommen und auf den Namen "Motomami" hören. Der dringlich erwartete Nachfolger für das vor vier Jahren veröffentlichte "El Mal Querer" erscheint auch nach einer Reihe von eigenständigen Kollaborationen, so zum Beispiel mit James Blake, Billie Eilish, Oneohtrix Point Never, Tokischa, Travis Scott und und und ...

Update: Und da ist sie, die erste neue Single - "La Fama" featuring The Weeknd und dem Machetenmann Danny Trejo.





Jasmyn: Genauso weiter

Schon lustig, manche Stücke bleiben in Erinnerung, auch wenn man sie gar nicht so häufig gehört hat. Die kanadischen Weaves zum Beispiel haben nie mit knackigen Hooks gegeizt, die Stücke ihrer bisherigen Platten gingen immer ziemlich ordentlich nach vorn. Dafür war, das ist kein Geheimnis, vor allem auch deren Sängerin Jasmyn Burke verantwortlich, die Frau ist pure Energie. Und weil Energie transformierbar ist, schafft sie es auch unter ihrem Solonamen Jasmyn zu begeistern. Burke hat gerade beim Label ANTI- Records unterschrieben und dort auch gleich die wunderbare Single "Find The Light" veröffentlicht - für das Video haben Peter Dreimanis und Leah Fay von der Band July Talk, ebenfalls aus Toronto, Regie geführt. Und wir warten ungeduldig ab, was da so noch Feines nachkommt.


Dienstag, 9. November 2021

Charly Hübner: Teufelsritt

Charly Hübner
"Motörhead"

(KiWi Musikbibliothek)

Jetzt also noch mal zum Mitlesen: Ein kleines Bändchen, keine 200 Seiten, und trotzdem eine dringende Empfehlung. Alex Bukow – äh, falsch – Charly Hübner schreibt über sein Idol Lemmy Kilmister und Motörhead, und das, obwohl er lange Zeit aus Gründen gar nicht wusste, wie die wohl aussehen und er sie (Achtung: Spoiler!) gar nicht mal live gesehen hat. Kann, nein, muss man natürlich trotzdem lesen. Warum? Nun, Hübner ist eben nicht nur Hübner, sondern eben auch Bukow und das kommt, vermuten wir mal, nicht zufällig von Bukowski, seiner zweiten großen Liebe. Wer besagten Bukow im Polizeiruf neben der König (also genauer Sarnau, ebenso grandios) mit entrückt teuflischem Blick hat wüten sehen, der weiß, dass nur brachialer und turboschneller Lärm ihm die nötige Entspannung verschaffen kann. Einziger Endgegner also. Und natürlich will man wissen, wie der Hübner, bevor er zum Bukow wurde, an die irren Rock’n Roller aus London kam. Er bedient sich dazu eines tatsächlich sehr feinen Kniffes, einer Art literarischen Delirium Tremens‘ und weil der Verfasser dieser Zeilen mit Hübner nicht nur das Alter, sondern auch die ostdeutsche Herkunft teilt, gerät der wilde Ritt mit dem Luzi (Verzeihung: Memphis) zu einer überaus nostalgischen Reise in die eigene Jugend. Und zwar einer erfreulich deckungsgleichen und detailgetreuen. Begriffe wie Dorfdisko mit Tonbandkassette, Rockerrunden plus reichlich Bier und Rausch und Prügelei und ein paar röhrenden Hirschen – als Außenseiter bei diesen denkwürdigen Abenden musste man nicht unbedingt auf der gleichen Seite stehen, um ähnliche Erfahrungen zu sammeln. Sie prägten das Leben, gaben die Richtung vor, härteten ab. Hübner gerät diese Rückschau mal mit wehmütigem Ernst und meistens in liebevoller Komik, das eingestreute Platt macht die Sache nicht ernster, als sie sein muss. Und ein paar Runden mit dem krächzenden Lemmy in den Ohren können sowieso nicht schaden, diese Empfehlung nimmt man vom Autor gerne entgegen …

Mastodon: Triumph folgt Tragik

Mastodon
"Hushed And Grim"

(Reprise Records)

Erst das Bild, dann der Ton: Da stehen dann also die vier Männer in blaugefärbter Kälte – gefurchte, tiefernste Gesichter, die nicht nur vorgeben, einiges gesehen zu haben im Leben, sie haben ja tatsächlich allen Grund zu mäßiger Laune. Metalbands geben sich ja seit jeher gern als Kämpfer an der Seite des Teufels, die von Berufs wegen dem Tod unablässig auf Augenhöhe entgegentreten müssen, meistens jedoch sind die Schlachten, die sie schlagen und die Wunden, die sie einstecken müssen eher Metaphern aus dem Widerstreit mit den eigenen Dämonen. Auch die sind nicht ohne, aber Mastodon haben nun leider wirklich ein sehr intensives Verhältnis zu Leid und Vergänglichkeit, im Umfeld der vier gab es in den letzten Jahren doch recht viele Verluste zu beklagen. Peter Richter schrieb gerade recht treffend in der SZ, die Band habe wohl inzwischen „mehr Passionszyklen vertont als Bach“ und gäbe es nicht die Familie Ramone als unfreiwilligen Gradmesser, sie würden wohl den Spitzenplatz in dieser bizarren Statistik belegen.

Im Jahr 2018 nun ist ihr Freund und Manager Nick John an den Folgen einer Krebserkrankung verstorben, ein Einschnitt, der maßgeblich zur Ausrichtung dieses Albums und zur nachhaltigen Gemütslage der Musiker generell beigetragen hat. Zwar stammt der Titel der Platte aus der Romanvorlage des Erfolgsfilms „Vom Winde verweht“, für Mastodon erschienen diese drei Worte aber vor allem als die passendsten, die traurigen Momente am Sterbebett des Gefährten zu umschreiben: „Zum Schweigen gebracht und düster“. Dass John zudem auf dem Cover der Platte eine zentrale Würdigung erfahren hat, erscheint da fast selbstverständlich. Sterblichkeit, Verlust, Trauer und Wut spielen denn auch und gerade auf diesem (sorry, plattes Wortspiel) Mammutwerk eine zentrale Rolle, den direktesten Bezug stellen die vier später im fast balladesken Stück „Had It All“ her, wo der Abschied von John nochmals durchlitten wird – dankenswerterweise für uns Zuhörer mit einem phänomenalen Gastsolo des Soundgarden-Gitarristen Kim Thayil.



Mastodon waren und sind bekanntlich nie eine Band für die Puristen und Ultraorthodoxen unter den Schwermetallern, ob nun Progressive, Sludge, Stoner- oder Mathrock, sie wollen nie nur einem Subgenre genügen und finden so auch abseits der eingetretenen Pfade viele Anhänger. Und weil sie an diesem Credo zu Glück nicht rütteln lassen und zudem der Weisheit „Gut Ding will Weile haben“ huldigen, ist dieses achte Album nicht nur ihr monumentalstes, sondern zugleich wohl auch vielschichtigstes und bestes geworden. Troy Sanders, Brent Hinds und Brann Dailor wechseln sich in gewohnter und immer wieder erstaunlich stimmiger Manier am Mikrophon ab, die Tempi variieren ebenso klug wie die Charaktere der Stücke und trotz aller überraschenden Effekte und Umschwünge bleiben Mastodon von angenehmer Härte und Konsequenz.



Einzelne Titel aus einem Album herauszuheben, dass so gut wie keine Schwachstellen kennt, ist da fast unmöglich, Favoriten kann man dann aber doch ausmachen: Die Hinwendung der Amerikaner zu den ausufernden Instrumentalparts im Geiste David Gilmours und Pink Floyds beispielsweise ist uneingeschränkt zu begrüßen – gleich mehrmals („The Crux“, „Skeleton Of Splendor“, „Eyes Of Serpents“ und „Gigantium“) lassen sie die Gitarren derart von der Leine und tun sehr gut daran. Der Einsatz verzerrter Orgeltöne (wie u.a. im fabelhaften, gut achtminütigen „Gobblers Of Dregs“), fernöstlicher Melodien, das Verbauen von Unmengen an bleischwerer Riffmasse, aber auch die derbe Direktheit von „Pushing The Tides“ und der lässig treibende Groove eines „Sickle And Peace“ – all das ist kunstvollster, betörender Lärm und in der Summe schlicht umwerfend. Entstanden ist hier ein aus der Tragik persönlicher Erfahrungen geschöpftes Meisterwerk, von dem es in einer Dekade wohl nur sehr wenige gibt und geben wird.

Montag, 8. November 2021

Sunn O))): Für den Heimgebrauch

Gerade erst war von einem mutigen, wenn nicht sogar übermütigen Charly Hübner zu lesen, der in seinem gerade erschienenen Büchlein über seine Liebe zu den britischen Motörhead unter anderem schreibt, er habe im Berliner Berghain allen Ernstes versucht, am Ordner ohne die Mitnahme von bereitliegenden Ohrstöpseln vorbeizukommen - auf einem Konzert von Sunn O)))! Haha, das haben an gleicher oder anderer Stelle schon viele vor ihm versucht und sind kläglich gescheitert. Was den Jungen gleich noch eine Ecke sympathischer macht. Für die heimische Stereoanlage sind solche Hilfsmittel bekanntlich nicht von Nöten, ein Grund mehr, sich frohgemut die für Januar angekündigte Liveplatte der Drone-Metaller "Metta, Benevolence BBC 6Music: Live On The Invitation Of Mary Anne Hobbs" zuzulegen. Bestellbar ist diese u.a. auf dem hauseigenen Southern-Lord-Label, zu hören sind die drei Stücke "Pyroclasts F", "Pyroclasts C#" und "Troubled Air", bei den beiden ersten Tracks stand im Übrigen auch Anna von Hausswolff mit auf der Bühne.



Sonntag, 7. November 2021

Warm Graves: Verdunklung

Das betonen sie dann aber schon sehr deutlich: Warm Graves is a band. So steht es auf der Website, so steht es auch in der Bio des Netzarchivs Discogs. Aber sonst sucht man die Mehrzahl eher vergebens, denn eigentlich wird immer vom Projekt des Leipzigers Jonas Wehner gesprochen, seine beiden Mitstreiter Jared Wyatt und Zar Monta Cola bleiben in der Regel unerwähnt. Nun, sie werden das wohl intern regeln können, kann ja auch sein, dass keiner der drei eitel genug für Missstimmigkeiten ist. 2014 hat die Band jedenfalls ihr Debütalbum "Ships Will Come" abgeliefert, dunkle, aber eher weiche Synthmelodien, dazu chorale Gesänge - sehr eigen, das alles. Jetzt steht ganze sieben Jahre später der Nachfolger an, "Ease" soll er heißen und wenn die Platte dann am 25. Februar 2022 bei Fuzz Club erscheint, werden alle feststellen können, dass sich einiges geändert hat. Noch dunkler, härter auch klingen nun die Tracks, es geht ein Stück weit in Richtung Cold Wave und auch die Chöre sind verschwunden, man hört nur noch Wehners Gesang. Der erste Vorabsong "Neon" dauert gleich mal knapp neuneinhalb Minuten, das kunstvolle Video stammt von Samuel Quinn.

20.11.  Mannheim, Maifeld Derby
25.11.  Berlin, Monarch




Mandy, Indiana: Kaum zu fassen

Es hat ein wenig gedauert, aber so ist es nun mal mit manchen Dingen - man schiebt angeblich Dringenderes vor, und doch hat sich ein Beat, eine Stimme, ein Song in's Hirn eingegraben und lässt nicht mehr locker. Bis er eben hier, mehr zur Selbstbestätigung, doch noch vermerkt wird. "Bottle Episode" heißt er also der Track und beginnt mit reichlich Trommelwirbel und geheimnisvollen französischen Versen, die sich dazuschleichen, bis der Beat einsetzt und alles wieder ganz anders wird. Das Stück stammt von Mandy, Indiana, einem schwer zu fassenden Trio aus Manchester, das vormals Gary, Indiana hieß und gerade seine neue EP veröffentlicht. Was das also ist? Nun, Industrial, Post-Punk, Rave, such dir was aus - es ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass dich die düsteren Rhythmen packen und nicht mehr loslassen, egal ob nun bei besagter Single oder den früheren Stücken "Alien 3" (auch als Remix von Daniel Avery) und "Nike Of Samothrace". Den Nukleus der Band bilden Valentine Caulfield, in Paris geboren und somit für die französischen Lyrics verantwortlich, und Gitarrist Scott Fair, später kam Liam Stewart an den Drums hinzu und gemeinsam werkeln sie nun an einem seltsam faszinierenden Gemisch aus britischer Ravekultur und französischem Extremkino von Leos Carax und Gaspar Noe. Letzteres lässt sich in den spektakulären Videos der Band bestaunen, die komplette 12" erscheint am 19. November u.a. beim Label Fire Talk.









Samstag, 6. November 2021

Jennylee: Doppelte Vorfreude [Update]

In der vergangenen Tagen gab es zumindest in Hamburg, Berlin und Köln einige Jubelschreie zu vernehmen - verständlich, schließlich kommen im Mai nächsten Jahres die Damen von Warpaint in den besagten Städten auf ein Konzert vorbei. Nachdem im April mit "Lilys" ja schon der erste neue Song der Band erschienen war, nährt das natürlich die Hoffnung auf ein weiteres Album des kalifornischen All-Girl-Quartetts. Nun könnte es allerdings durchaus sein, dass Bassistin Jenny Lee Lindberg sogar etwas schneller im Regal ist, schließlich veröffentlichte sie gerade ihre eigene aktuelle Solosingle "Newtopia", die ihrerseits wieder auf einen Nachfolger des Debüts "Right On!" aus dem Jahr 2015 spekulieren lässt. Aber ob nun Warpaint oder Jennylee, die Vorfreude ist dann halt einfach doppelt so groß, egal wer am Ende die Nase vorn hat.

Update: Für die dazugehörige Flipside "Clinique" hat, so ist zu lesen, die komplette Band mit angepackt. Wozu hat man denn sonst seine Freundinnen?



Gewalt: Im Fegefeuer

Gewalt
„Paradies“

(Clouds Hill Records)

Lustig? Nein, lustig ist hier mal gar nichts. Obwohl – Patrick Wagner, dem zornigen, aber grundsympathischen Schreihals und Frontmann der Band Gewalt, wäre auch das noch zuzutrauen. Schließlich ist ihm nichts mehr zuwider als Langeweile und Stumpfsinn, Hauptsache es bewegt sich was, in welche Richtung auch immer. Doch wenn schon nicht lustig, dann ist das zumindest unfreiwillig komisch, dass also eine Band, die das Deutsche so ostentativ verabscheut wie das Berliner Quartett, deutscher nicht klingen könnte. Also nach zackigem Stechschritt, nach Drill, mit Worten, gebrüllt wie Kasernenkommandos, schmerzhaft wie Peitschenhiebe. Überhaupt: Schmerz. Um den geht’s bei Gewalt, bei Wagner vordringlich. Wer Schmerz spürt, ist am Leben, bewegt sich, instinktiv. Alles andere zählt nicht. Das mag jetzt vielleicht kein originärer Ansatz sein, vor Gewalt gab es schließlich schon viele, die sich an der Körperlichkeit und Unbedingtheit menschlicher Existenz abarbeiteten –und doch ist es neu, ist es hierzulande einzigartig, was Wagner zusammen mit Helen Henfling an der Gitarre, der wunderbaren Jasmin Rilke am Bass und Schlagzeuger LMMS da veranstaltet.

Suicide also, D.A.F., Atari Teenage Riot vielleicht und auch die allzeit sträflich unterschätzten Public Image Ltd., all diese Querverweise lassen sich aus den zehn neuen und den elf nicht mehr ganz so aktuellen Songs, die zu diesem herrliche Doppelalbum gehören, herleiten. Die Zusammensetzung aber, die Verkantung der Zutaten zu diesem furchterregenden, überwältigenden Sound lässt einem, hört man ihn in dieser Massierung, den Atem stocken. Die bösen Maschinenbeats von „Gier“, das mächtige stampfende Intro der Single „Es funktioniert“ (das man so ähnlich vielleicht schon mal bei The Art Of Noise gehört haben will), die wild kreischenden Gitarren von „Stirb es gleich“ oder der Bass, der bei „Stumpfer werden“ direkt in die Magengrube zielt. Gewalt kennen keine Gnade – dieses Album kommt als eine Art musikalisches Ultimate Fighting daher und gibt erst Ruhe, wenn der Gegner erschöpft am Boden liegt - Kapitulation.

Gegner ist genaugenommen natürlich schwierig, denn es ist nicht anzunehmen, dass die Adressaten von Wagners verbaler Wut jemals eine Zeile davon zu hören bekommen: Die öden Spießer also, die Kontrollfreaks, Wohlstandsbewahrer und Änderungsverweigerer. Draußen ist immer noch feindlich, da ist er ganz in den 80ern bei Blixa Bargeld und dem infernalischen Gesplitter der Einstürzenden Neubauten. Draußen sind die anderen Menschen, da will er nicht hin, denn die tun ihm nicht gut. Die verstecken die Abweichler in geschlossenen Zellen und erklären sie zu hoffnungslosen Fällen, zu Irren. Doch wer gehört dazu? Wer ist normal und wer verrückt? Und wo ist es, das versprochene „Paradies“ – ist es außerhalb der Mauern oder doch hier drinnen? Unerbittlich ist er, der Wagner, Selbsthass ist ihm vertraut. Denn er weiß, dass er und wir alle, die wir gern mit dem Finger auf andere zeigen, ebenso schuldig sind, dass wir mit dazu gehören zum ganzen Schlamassel. Einzig diese Erkenntnis verspricht, wenn schon keine Rettung, so doch wenigstens die Linderung der Schmerzen. Eine Platte wie ein Fegefeuer – wildes Geheul, weiße Glut, keinerlei Hoffnung. Und doch, ganz zum Schluss, in der Stille zwischen Nacht und Tag, um „3:35“, da entdeckt Wagner die Liebe. Und erzählt uns von ihr, zum Trost.

Donnerstag, 4. November 2021

The Ninth Wave: Wut im Bauch

Über die Bedeutung und Wirkung von Bildern müssen wir hier sicher niemanden mehr aufklären, auch eine Band wie The Ninth Wave aus Glasgow weiß Bescheid, welchen Effekt sie mit dem Video zu ihrer neuen Single "What Makes You A Man" erzielt. Kontrastreiche, monochrome Bilder, hart geschnitten, abgefuckte Location, dazu die geschredderten Gitarren und das frostige Gesicht von Millie Kidd - hier ist etwas nicht in Ordnung, sagt uns der Clip von Rianne Withe. "‘What Makes You A Man’ is as claustrophobic as it is cathartic. It’s a journey of self deprecation, and how one event can be such a throwaway meaningless action for one half but be life changing for the other. I don’t want to blame myself for the degrading actions of others anymore - I want to stand up to this shame I hold with me, and recognise that it is not mine, I’m just the one carrying it", so die Sängerin. Und weiter: "It’s a hard one to swallow, but it’s a situation most of the women I know have been in. To be a ‘man’, do you have to dominate? To face your own mistakes, to look at yourself and admit that you were wrong - does that make you more of a man? So what does that make me?" Fünfzehn Stücke wird das zweite Album der Formation, das unter dem Titel "Heavy Like A Headache" am 11. März bei Distiller Records erscheinen wird, enthalten und es ist anzunehmen, dass der vorliegende Song nicht der einzige mit Wut im Bauch sein wird. Nach dem Debüt "Infancy" hatten die vier 2020 die EP "Happy Days!" veröffentlicht.