Sonntag, 29. August 2021

The Bug: Der Krieg hat schon begonnen

The Bug
„Fire“

(Ninja Tune)

Das Verstörende sind ja nicht die Utopien und Endzeitfantasien selbst. Wir lesen sie, ob als Klassiker von Huxley, Lem, Orwell oder Bradbury, ob von Barbara Wood, Cixin Liu oder Sibylle Berg. Wir kennen sie aus dem Kino, egal ob Avengers, District 9, 28 Days Later, Outbreak, World War Z oder Bladerunner – alles schon gesehen. Das eigentlich Verstörende ist, dass wir solche Dinge, seien sie noch so krude, überhöht oder fantastisch, mittlerweile überhaupt für möglich halten. Okay, Trump ist erst mal weg, das schlimmste Szenario also abgewählt – aber wirklich besser, seien wir ehrlich, ist unser Gefühl deswegen nicht geworden. Soll heißen: Unsere Vorstellungskraft über schlimme Dinge, die vielleicht Realität werden könnten, hat sich in den letzten Jahren deutlich geweitet, die Apokalypse, so hat man manchmal den Eindruck, streckt schon ihre modrigen Finger nach uns aus. Zu gruselig? Nun, fragen wir mal Kevin Martin, den Mann, der so viele Pseudonyme besitzt wie Madame Ciccone Bühnenoutfits und ungefähr auch zur gleichen Zeit seine Karriere begann. Mit dem bekanntesten, also The Bug, hat er gerade nach sieben Jahren Pause ein neues Album veröffentlicht und das nimmt uns gleich ab der ersten Minute mitleidslos hinein in die Bilder und Töne des Untergangs.

Apocalypse now, not later – die Stimme am Beginn („The Fourth Day“) klingt wie aus einer Blackbox, besprochen vielleicht von einem der letzten Überlebenden des zerstörten Planeten, der Bericht erstattet an die Nachwelt. Was folgt, sind stetig anrollende Wellen mächtig wummernder, düsterster Tracks, eingespielt mit einer bemerkenswerten Gästeschar, viele davon Begleiterinnen und Begleiter Martins Schaffens aus den vergangenen Jahren: Flowdan finden wir dort, Moor Mother, Manga Saint Hilare, Irah, Daddy Freddy und mit unnachahmlicher Stimmgewalt Roger Robinson. Dancehall, Ragga, Dubsteb, Industrial, auch Grime – die gewaltigen Klangkulissen vibrieren wie im Fieber, wenn es um den globalen Krieg geht, den manche am Horizont heraufziehen sehen – für The Bug und den Jamaikaner Nazamba hat er allerdings bereits begonnen. Ähnlich dystopisch geht es nahezu in jedem der vierzehn Tracks der neuen Platte zur Sache.

Martin hat dazu eine klare Meinung, dem Portal Louder Than War rollte er kürzlich die ganze Karte seiner Befürchtungen auf, die ihn zu „Fire“ trieben: „I was looking at the world. You look at Trump behaving like a fucking imbecile in the Whitehouse, leading to an army of nutcases storming the Whitehouse. You look at Boris Johnson; lie, upon lie, upon lie. You look at Brexit. You look at Putin behaving gangster in Russia. You look at China’s dominance economically over the whole planet. It really felt like the world was spinning utterly out of control. And then…lo and behold the pandemic hits. As if things couldn’t get worse politically, socially and culturally along comes the worst dystopian nightmare. [The album] is a reaction to global trauma and psychological terror in one form or another.“ Kein Zufall, dass der Schluß dem Gedenken an die über siebzig Todesopfer beim Brand des Grenfell Towers in London gewidmet ist, einer so schrecklichen wie nachlässig aufgearbeiteten Tragödie. Eindringliche Worte, die dem wütenden Sound folgen – zurück bleiben ein tauber Schädel und wirre Bilder und Gedanken von Sorge und Ratlosigkeit, einmal mehr.

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