Dienstag, 6. Juli 2021

Mira Mann: Lob der Ambivalenz

Foto: Tanja Kernweiss
Ein Leben ohne seine Widersprüche, was wäre das trostlos und öde! Nehmen wir zum Beispiel Bruce Springsteen. Wie vermutet ein Mann in vielerlei Gestalten. Da hätten wir den Songschreiber, Sänger und Gitarristen aus New Jersey, seit nunmehr fünfzig Jahren am Rocken und das mal bedächtig und gefühlvoll, zuweilen aber auch recht breitbeinig und massenkompatibel. Dann wäre da der selbsternannte und vielfach geschätzte Anwalt der weißen Unter- und Mittelschicht, wortgewaltig, gerechtigkeitsliebend und - letztens zu Zeiten des gemeingefährlichen Ex-Präsidenten Trump - auch mal gern im Ring für die "kleinen Leute" und nicht weit erntfernt vom politischen Ehrenamt. Desweiteren noch sehr erfolgreicher Buchautor und (bislang grob unterschätzt) Entertainer am Broadway. Der Boss also, trotz seiner gut siebzig Jahre ein zähes Mannsbild und als solches vor allem in den Texten seiner Songs um keinen Machospruch verlegen - nun ja. Die Parallele zwischen dem engagierten, aber manchmal doch auch recht gewöhnungsbedürftigen Musiker und der Münchner Kunstaktivistin, Lyrikerin, Solistin und Bassistin (Candelilla) Mira Mann zu ziehen, ist da zwar nicht einfach, aber eben - siehe oben - nicht weniger reizvoll. Unterstellt man der Künstlerin, dass ihr übertrieben männliches Imponiergehabe mächtig auf den Keks geht, dann ist ihre Entscheidung, mit "Atlantic City" (Staatsakt) gerade einen Song Springsteens zu covern, zunächst erst mal etwas verwunderlich. 

Da aber die Auseinandersetzung, das Gegensätzliche der Humus schlechthin für relevante Kunst sind, erschließt sich einem die Wahl auf den zweiten Blick natürlich schnell. Ihr Statement tut dazu ein Übriges: "Es gibt viele Aspekte, die an dem Song spannend sind. Klar, die Art und Weise, wie er sein Baby anspricht, ist verhandlungsbedürftig, so wie er Grenzen beschreibt, ist kalt, aggressiv, aber auch suchend, wehmütig, sensibel. Den Aspekt von Arbeit, Unterordnung im System der Lohnarbeit und Schuld finde ich gerade jetzt extrem spannend - und das alles mit Blick auf diesen utopischen Traumort Atlantic City". Natürlich unterscheiden sich auch die Herangehensweisen an den Song fundamental - hier Mann's kühler Sprechgesang, unterstützt von fast schon dröhnender, elektronischer Textur, dort Springsteens gewohnt leidenschaftlicher, balladesker Akustikrock. Dass Mann gerade ein Stück von "Nebraska", einem von Springsteens ungewöhnlichsten Alben aus den frühen Achtzigern, zur Neubearbeitung wählte, macht die Sache zusätzlich erfreulich, man muss schließlich kein großer Freund seines Hauptwerks sein, um gerade diese sehr puristische Platte unbedingt zu feiern. Das ebenso sparsame Video zum Track hat übrigens Autorin und Filmemacherin Jovana Reisinger gedreht, die mit den Arbeiten "Beauty Is Life", "Die klaffende Wunde" und "Men In Trouble" und ihrem aktuellen Buch "Spitzenreiterinnen" (Verbrecher Verlag) länger schon über München hinaus bekannt geworden ist.

08.07.  München, Import Export
18.07.  München, Monacensia/Hildebrandhaus
07.08.  Jena, Glashaus am Paradies
20.08.  Köln, Galerie Gemeinde Köln (Lesung)
21.08.  München, Cucurucu
28.08.  Berlin, Pop-Kultur Festival
10./11.09.  Wien, Waves Vienna





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