Swans
„Leaving Meaning“
(Mute Records/PIAS)
Ein neues Album der Swans unerwähnt zu lassen hieße, sowohl Elementares als auch Anachronistisches zu unterschlagen. Elementar deshalb, weil Michael Gira, einzig verbliebener Gründer der amerikanischen Noise-Rock-Formation, Musik als Arbeit, als Ringen begreift, die/das – mit welchem Personal auch immer – in allererster Linie den eigenen Ansprüchen zu genügen hat. Unter dieser Maßgabe kündigte er vor einiger Zeit die bisherige Besetzung der Band und heuerte neue Musiker an, die durchaus auch alte Bekannte sein durften. Inspiration war gefragt, frischer Input, auch ging es darum, diejenigen um sich zu versammeln, deren Wirken er am meisten schätzt und von denen er sich einen neuerlichen kreativen Fortschritt erhoffen durfte.
Das fünfzehnte Album ist es dann geworden, eingespielt gemeinsam mit experimentellen Improvisationskünstlern wie The Necks, den Geschwistern Anna und Maria von Hausswolff, der queren Sängerin und Pianistin Baby Dee und einer weiteren Vielzahl hochgeschätzter Freunde, Kollegen, ja selbst Familienmitglieder. Natürlich ein Doppelalbum, den wenn sich eines nicht ändert – und damit wären wir beim Anachronismus – dann ist es Giras Verehrung für das Ausufernde, Wandelbare, das Wachsen wie auch das Zerfallen, das Tosen, Mäandern und zunehmend auch das Verirren in zarten Gespinsten. Gira braucht Zeit, seine Stücke brauchen Zeit, nicht wenige mehr als zehn Minuten – das ist ungewöhnlich, ganz aus der Zeit. So wie er sich die Arbeit macht, so sind auch die Zuhörer*innen dazu aufgefordert, sich Arbeit zu machen, sich zu mühen, durchzukämpfen.
Der erste Marathon steht mit “The Hanging Man” an, einem vergleichsweise konventionell instrumentierten Stück, das vielleicht etwas an die frühen Bad Seeds erinnert. Mit monotoner, hypnotischer Rhythmik begleitet Gira seinen Monolog, eine Art anschwellender Totengesang, so hat man den Eindruck, nach Heilung verlangend, dem Wahnsinn nahe. “Amnesia” dann als Wiedergänger des gleichnamigen Stückes aus dem Jahr 1992 (“Love Of Live”), jetzt eher getragen, mit orchestraler Dramatik und aktuellem Bezug: “The President's mouth is a whore, when there's murder, the audience roars, there's no room left here for the strong and everything human's necessarily wrong.“ Auf die sanften Passagen des Titelsongs folgt das wuchtige Stampfen von “Sunfucker”, angelehnt die Überlieferung eines aztekischen Opferkultes, der Background zetert zu drohendem Geläut, die Texte eher Mantras.
Weiter im Auf und Ab, “Cathedrals Of Heaven” stellt den Zweifel an den hehren göttlichen Schöpfungsgedanken ins Zentrum (“I am asking you this: What made us like this? Who made us like this?”), “The Nub” ist ein einziges Fallen, Zerfließen, Zerrinnen, das in dronigem Sturm kulminiert. Es gibt, trotz allem, viele erstaunlich helle Momente, die sich auf den überaus düsteren Werken der Swans früherer Jahrgänge nur schwer nicht finden lassen. Sogar Souliges (“It’s Coming It’s Real”), Rockiges (“Some New Things”) ist dabei. Wirklich zugänglich wird jedoch auch dieses Album nicht. Gira bleibt der unangepasste, eigensinnige Sturschädel, der lieber andere Menschen vor den Kopf stößt, als seine eigenen Werte aufzugeben. Das mag nicht immer angenehm sein, fordert heraus, fördert Widerspruch. Und ist doch bewundernswert konsequent und in diesen Zeiten wertvoller denn je.
25.04. Nürnberg, Z-Bau
28.04. Berlin, Festsaal Kreuzberg
05.05. Hamburg, Uebel und Gefährlich
13.05. Zürich, Rote Fabrik
18.05. Wiesbaden, Schlachthof
23.05. Köln, Gebäude 9
Donnerstag, 31. Oktober 2019
The Breeders: Scary Movie
Okay, Halloween ist unsere Sache nicht, das möchten wir gern zugeben. Aber wenn es sich um die Premiere eines neuen Videos von einer Band wie The Breeders handelt, wollen wir gern ein oder mehrere Augen zudrücken. Diese nämlich haben heute den Clip zu "Walking With A Killer" vom Album "All Nerve" freigeschaltet - ein feiner, sorgsam übermalter Vintagestreifen, reich gespickt mit Schauderhaftigkeiten aller Art unter der Regie von Marcos Sanchez. Viel Spaß beim Gruseln!
Thom Yorke: Welt in Flammen
Und hier gleich die nächste Ausnahme: Wer am heutigen Abend noch ein wenig Lust auf Dystopien, Weltuntergänge und ähnliche Katastrophen hat, der schaut sich gleich noch den neuen Clip von Thom Yorke zu seinerm Solotrack "Last I Heard (... He Was Circling The Drain)" an. Das Stück stammt von seinem letzten Album bzw. Songzyklus "ANIMA", das im Sommer erschienen ist, das Video wiederum wurde gemeinsam vom Studio Art Camp und Regisseur Saad Moosajee gedreht - dessen letzte Arbeit war übrigens ein Animationsfilm zur Single "A Pearl" von Mitski.
HAIM: Einmal Vollwaschgang komplett
Den Geschwistern HAIM hat man ja bisweilen eine übermäßigen Hang zur Belanglosigkeit vorgeworfen, manche Stücke ihres letzten Albums "Something To Tell You" waren auch tatsächlich - nun, sagen wir: ein bisschen egal. Zumindest musikalisch läßt sich das von den beiden zuletzt erschienenen Singles nicht sagen. Da hätten wir zunächst das "Summer Girl", welches, wenngleich frech bei Lou Reeds "Walk On The Wild Side" geklaut, einen schönen Flow bekommen hatte. Und nun also "Now I'm In It", ein ebenso clever gebauter Song, in dessen Video Danielle Haim, zunächst beim Rendezvous sträflich versetzt, einmal komplett durch die Frustbewältigung aka. Waschstraße muß. Hübscher Film, gutes Stück, HAIM greifen wieder an.
Pixies: Die Tücken des Ruhms [Update]
Pixies
"Beneath The Eyrie"
(BMG)
Wann das angefangen hat? Nun, den Nachgeborenen muß man vielleicht erklären, dass sich die Ära der kalifornischen Indielegenden Pixies in verschiedene Phasen unterteilen läßt, die man der Einfachheit halber „Deal“ und „no-Deal“ nennen könnte, benannt nach der ehemaligen Bassistin Kim Deal, die über einen ebenso großen Dickschädel verfügt wie Gründungsvater Black Francis und, weil das selten gut geht, die Band zwischen 1990 und 1993 (da schwanken die Angaben, weil sie an verschiedenen Alben mitwirkte, aber nicht mehr auf der Bühne stand) verließ. Was, soweit wissen wir das heute, zu ihrem eigenen Schaden nicht war, denn die von ihr initiierten beruflichen Folgeprojekte The Amps und The Breeders waren bzw. sind von ähnlich hoher Qualität. Ihr stimmgewaltiger Sparringspartner hatte nun zwar seine Ruhe, aber offensichtlich für eine Zeit auch nicht mehr ganz so viel Lust, verkündete den Tod seiner Band und spielt eine große Zahl mehr oder weniger spannende Soloplatten ein – die Pixies selbst hatten ganze 23 Jahre Pause.
Ab dem Jahr 2004 also begann (siehe Eingangsfrage) der Abschnitt, den wir jetzt mal die Retro-Ära nennen wollen, denn obwohl Deal noch für einige Live-Shows und Einspielungen mitjobbte, war sie auf keinem der folgenden Studioalben vertreten (wenngleich trotzdem Thema, siehe „All I Think About Now“). Die drei Platten, die auf „Bossanova“ (nun ja) und „Trompe Le Monde“ (schon eher) folgten, waren also allesamt ehrenwerte Versuche, die ganz große Ära der Kapelle wieder aufleben zu lassen, ohne den Verlust der durchaus stilprägenden Persönlichkeit Deals allzusehr zu betonen. Und das schließt das vorliegende Werk mit ein. Da kann der streitbare Chef noch so sehr auf dem sonnenköniglichen Grundsatz „l‘etat c’est moi“ bestehen, was vorbei ist, bleibt es in der Regel auch und je besser es war, um so unwahrscheinlicher ist eine gleichwertige Wiederholung.
Dabei sind „Indie Cindy“ und „Head Carrier“ erstaunlich gelungene, ja eigenständige Arbeiten geworden, hatten Biss, machten Krach und erhielten nicht zu unrecht gehobene Prädikate und die Nachrufe „Hurra, sie leben noch!“ und „Good to have you back!“ Dass der NME in seiner aktuellen Ausgabe die neue Platte zur besten seit 28 Jahren kührt, möchte man dann aber doch vorsichtig anzweifeln, denn „Beneath The Eyrie“ hat sehr wohl einige starke, leider aber auch vermehrt schwache Momente – je nachdem natürlich, wo genau die Erwartungen angesiedelt sind. Liegen die eher beim kompromißlosen Brett und wütendem Geschrei, dann enttäuschen Stücke wie der Einstieg „In The Arms Of Mrs. Mark Of Cain“, das musicalhafte „This Is My Fate“ oder das Schlußpärchen „Daniel Boone“/“Dead Horizon“ etwas. Hingegen werden die Rockfetzen „On Graveyard Hill“, „Long Rider“ (Update: Jetzt mit Video), der herrliche Nazis-vs-Aliens-Klamauk „St. Nazaire“ und die Rockabilly-Nummer „Bird Of Prey“ verzücken.
Fein raus sind die Genügsamen, denen vor allem wichtig ist, dass die Superhelden früherer Tage endlich wieder gemeinsam auf der Bühne stehen und dort natürlich auch die alten Gassenhauer zelebrieren werden. Zufrieden sind auch jene, die Veränderungen und Abweichungen nicht scheuen und über manchen Durchhänger hinwegblicken können. Und zu guter Letzt, wer hätte es gedacht, freut sich auch die (oder eben auch der) Frauenbewegte, denn die Weiblichkeit in Form von Nachbesetzung Paz Lenchantin macht auf der Platte erfreulich viele Punkte, sei es im Duett „Ready For Love“ oder dem ganz und gar bezaubernden, wenngleich etwas traurigen Surferepos „Los Surfers Muertos“. Soll heißen, es ist ein durchwachsenes, aber recht unterhaltsames und manchmal auch überraschendes Werk geworden. Und nicht unbedingt ein Grund, reflexhaft gleich die alten Sachen rauszukramen. https://www.pixiesmusic.com/
"Beneath The Eyrie"
(BMG)
Wann das angefangen hat? Nun, den Nachgeborenen muß man vielleicht erklären, dass sich die Ära der kalifornischen Indielegenden Pixies in verschiedene Phasen unterteilen läßt, die man der Einfachheit halber „Deal“ und „no-Deal“ nennen könnte, benannt nach der ehemaligen Bassistin Kim Deal, die über einen ebenso großen Dickschädel verfügt wie Gründungsvater Black Francis und, weil das selten gut geht, die Band zwischen 1990 und 1993 (da schwanken die Angaben, weil sie an verschiedenen Alben mitwirkte, aber nicht mehr auf der Bühne stand) verließ. Was, soweit wissen wir das heute, zu ihrem eigenen Schaden nicht war, denn die von ihr initiierten beruflichen Folgeprojekte The Amps und The Breeders waren bzw. sind von ähnlich hoher Qualität. Ihr stimmgewaltiger Sparringspartner hatte nun zwar seine Ruhe, aber offensichtlich für eine Zeit auch nicht mehr ganz so viel Lust, verkündete den Tod seiner Band und spielt eine große Zahl mehr oder weniger spannende Soloplatten ein – die Pixies selbst hatten ganze 23 Jahre Pause.
Ab dem Jahr 2004 also begann (siehe Eingangsfrage) der Abschnitt, den wir jetzt mal die Retro-Ära nennen wollen, denn obwohl Deal noch für einige Live-Shows und Einspielungen mitjobbte, war sie auf keinem der folgenden Studioalben vertreten (wenngleich trotzdem Thema, siehe „All I Think About Now“). Die drei Platten, die auf „Bossanova“ (nun ja) und „Trompe Le Monde“ (schon eher) folgten, waren also allesamt ehrenwerte Versuche, die ganz große Ära der Kapelle wieder aufleben zu lassen, ohne den Verlust der durchaus stilprägenden Persönlichkeit Deals allzusehr zu betonen. Und das schließt das vorliegende Werk mit ein. Da kann der streitbare Chef noch so sehr auf dem sonnenköniglichen Grundsatz „l‘etat c’est moi“ bestehen, was vorbei ist, bleibt es in der Regel auch und je besser es war, um so unwahrscheinlicher ist eine gleichwertige Wiederholung.
Dabei sind „Indie Cindy“ und „Head Carrier“ erstaunlich gelungene, ja eigenständige Arbeiten geworden, hatten Biss, machten Krach und erhielten nicht zu unrecht gehobene Prädikate und die Nachrufe „Hurra, sie leben noch!“ und „Good to have you back!“ Dass der NME in seiner aktuellen Ausgabe die neue Platte zur besten seit 28 Jahren kührt, möchte man dann aber doch vorsichtig anzweifeln, denn „Beneath The Eyrie“ hat sehr wohl einige starke, leider aber auch vermehrt schwache Momente – je nachdem natürlich, wo genau die Erwartungen angesiedelt sind. Liegen die eher beim kompromißlosen Brett und wütendem Geschrei, dann enttäuschen Stücke wie der Einstieg „In The Arms Of Mrs. Mark Of Cain“, das musicalhafte „This Is My Fate“ oder das Schlußpärchen „Daniel Boone“/“Dead Horizon“ etwas. Hingegen werden die Rockfetzen „On Graveyard Hill“, „Long Rider“ (Update: Jetzt mit Video), der herrliche Nazis-vs-Aliens-Klamauk „St. Nazaire“ und die Rockabilly-Nummer „Bird Of Prey“ verzücken.
Fein raus sind die Genügsamen, denen vor allem wichtig ist, dass die Superhelden früherer Tage endlich wieder gemeinsam auf der Bühne stehen und dort natürlich auch die alten Gassenhauer zelebrieren werden. Zufrieden sind auch jene, die Veränderungen und Abweichungen nicht scheuen und über manchen Durchhänger hinwegblicken können. Und zu guter Letzt, wer hätte es gedacht, freut sich auch die (oder eben auch der) Frauenbewegte, denn die Weiblichkeit in Form von Nachbesetzung Paz Lenchantin macht auf der Platte erfreulich viele Punkte, sei es im Duett „Ready For Love“ oder dem ganz und gar bezaubernden, wenngleich etwas traurigen Surferepos „Los Surfers Muertos“. Soll heißen, es ist ein durchwachsenes, aber recht unterhaltsames und manchmal auch überraschendes Werk geworden. Und nicht unbedingt ein Grund, reflexhaft gleich die alten Sachen rauszukramen. https://www.pixiesmusic.com/
Mittwoch, 30. Oktober 2019
Lambchop: Zugabe
Gute Nachricht für all jene, denen eine wunderbare Platte von Lambchop in diesem Jahr nicht ausreicht: Kurt Wagner hat laut The Line Of Best Fit gerade mit seiner Band eine EP unter dem Titel "Basement Tapes" veröffentlicht - enthalten sind zwei Remixe von Songs des letzten Albums ("This Is What I Wanted To Tell You"/Group Listening Remix, "Crosswords, or What This Says About You"/Raven Remix) und ein neues Stück mit dem Titel "So Modern And So Tight", letzteres entstanden in Zusammenarbeit mit Matthew MacCaughan von Bon Iver.
Montag, 28. Oktober 2019
Tame Impala: Der nächste Sturm
Dass Kevin Parker, Mastermind der australischen Formation Tame Impala, einen schwer zu kaschierenden Hang zur Tanzmusik hat, ist im Laufe des Bestehens seiner Band immer klarer geworden - schämen muss er sich dessen weiß Gott nicht. Zumal er seine Dancetracks so charmant perlen läßt und dennoch mit genügend Widerhaken versieht, dass sie nicht nur bei den Fans, sondern auch bei der hohen Kritikerzunft regelmäßig für Begeisterungsstürme sorgen. Der nächste solche Sturm dürfte für den 14. Februar des kommenden Jahres anstehen, dann nämlich erscheint das mittlerweile vierte Album der Kapelle "The Slow Rush" und wie man den drei bislang bekannten Stücken "Borderline", "Patience" und (ganz neu) "It Might Be Time" anhört, stehen die Zeichen für den Nachfolger von "Currents" (2015) ganz klar auf Disco.
Sonntag, 27. Oktober 2019
Dicht und Ergreifend: Ausverkäufer der Herzen
Dicht und Ergreifend
Support: Radek Novak, Restless Leg Syndrome
Olympiahalle, München, 26. Oktober 2019
Dass ein „Yo, Man!“ oder besser „Servus, Oida!“ an so einem Abend allein nicht reichen würde, das war dem Urkwell Schorsch und dem Lef Dutti wohl ziemlich schnell klar. Die Olympiahalle ist eben schon ein anderes Kaliber, Länge mal Breite mal Höhe – größer als alles, was die beiden Niederbayern mit Dicht und Ergreifend jemals bereimt haben und so wurden wochenlang, gaben sie kürzlich beim Ringlstetter zu Protokoll, die Hirne malträtiert, um ein passendes Programm für die gewaltige Bühne auf die Beine zu stellen. Ähnlich der Blechkolchose La Brass Banda haben sie mit Mundart meets Moderne eine derart rasante Karriere hingelegt, dass es förmlich nach einer Krönung schrie – die Versuchung, eine solche Location zu zwingen ist da natürlich riesig. Genauso riesig wie das Risiko, mit Pauke (hier: Tuba) und Trompete zu scheitern. ‚Denken sie groß!‘ also – XXL-Leinwand, ein DJ-Pult von den Maßen eines Alpenkamms, Lametta-Kanonen, extra Laufsteg und Zweitbühne, das Equipment stimmte schon mal.
Und wäre doch ohne entsprechende Power nutzlos geblieben. Ein Satz, den man getrost schon vorher im Konjunktiv belassen konnte, denn die Hirne der zwei haben ordentlich gearbeitet und für satte drei Stunden so viel Programm aus dem Hut gezaubert, dass Atemholen kaum möglich war. Schon der Countdown geriet zur bravourösen Einstiegsnummer, neben der selbst die Gastrolle des besagten Ringlstetter als uniformierter Scheißhaufensucher verblasste – was danach kam, war Gigantomanie im Dauerfeuer: Burkabewährter Gospelchor („Wer schwankt hod mehr vom Weg“), der mutmaßlich weltgrößte Crowdsurfing-Contest (zumindest vom Start weg), den „Bierfahrerbeifahrer“ am anderen Ende der Arena, danach der Ritt auf dem Gummi-Einhorn über die begeisterte Menge, dazu allerlei geistliche Segensbringer, den DJ Spliff in Höchstform und eine Moshpit in Größe und Gewalt eines arktischen Malstroms.
Nur dass es hier deutlich heißer zuging. Erst recht, als die gesammelte Gästeliste für „Wach vom Wecka“ abwechselnd über die Bühnenbretter sprang: BBou, Kiste, Skero, Monaco F, Da Schraxx und die fabelhafte Taiga Trece, alle laut und mit mächtig viel Dampf – die Halle war am Toben. Und zwar, ganz Rap around the clock, über die volle Distanz, denn Hits haben die beiden Wahlberliner schließlich genügend im Turnbeutel. Und durchaus auch, das soll nicht vergessen werden, die eine oder andere ernsthafte Message dazu. Weil dahoam eben für viele ned dahoam ist, weil tagtäglich immer noch Menschen auf den Weltmeeren jämmerlich ersaufen (hier in Erinnerung gerufen per extra angefertigter Breitwandmontage). Ob die amtliche Standortabfrage zu Pflanzenkonsum und Waffenhandel das geeignete Mittel war, wollen wir jetzt nicht beurteilen. Auf ihre Crowd, egal ob aus Stadt oder Umland, können sich Dicht und Ergreifend jedenfalls verlassen. Und wenn am Ende drei oder sieben Plätze zur ausverkauften Halle und zum Handabdruck zwischen Bobo und Luftschmied fehlten – wen stört‘s? Sie bleiben, gerade nach diesem furiosen Tourfinale, die Ausverkäufer der Herzen.
Support: Radek Novak, Restless Leg Syndrome
Olympiahalle, München, 26. Oktober 2019
Dass ein „Yo, Man!“ oder besser „Servus, Oida!“ an so einem Abend allein nicht reichen würde, das war dem Urkwell Schorsch und dem Lef Dutti wohl ziemlich schnell klar. Die Olympiahalle ist eben schon ein anderes Kaliber, Länge mal Breite mal Höhe – größer als alles, was die beiden Niederbayern mit Dicht und Ergreifend jemals bereimt haben und so wurden wochenlang, gaben sie kürzlich beim Ringlstetter zu Protokoll, die Hirne malträtiert, um ein passendes Programm für die gewaltige Bühne auf die Beine zu stellen. Ähnlich der Blechkolchose La Brass Banda haben sie mit Mundart meets Moderne eine derart rasante Karriere hingelegt, dass es förmlich nach einer Krönung schrie – die Versuchung, eine solche Location zu zwingen ist da natürlich riesig. Genauso riesig wie das Risiko, mit Pauke (hier: Tuba) und Trompete zu scheitern. ‚Denken sie groß!‘ also – XXL-Leinwand, ein DJ-Pult von den Maßen eines Alpenkamms, Lametta-Kanonen, extra Laufsteg und Zweitbühne, das Equipment stimmte schon mal.
Und wäre doch ohne entsprechende Power nutzlos geblieben. Ein Satz, den man getrost schon vorher im Konjunktiv belassen konnte, denn die Hirne der zwei haben ordentlich gearbeitet und für satte drei Stunden so viel Programm aus dem Hut gezaubert, dass Atemholen kaum möglich war. Schon der Countdown geriet zur bravourösen Einstiegsnummer, neben der selbst die Gastrolle des besagten Ringlstetter als uniformierter Scheißhaufensucher verblasste – was danach kam, war Gigantomanie im Dauerfeuer: Burkabewährter Gospelchor („Wer schwankt hod mehr vom Weg“), der mutmaßlich weltgrößte Crowdsurfing-Contest (zumindest vom Start weg), den „Bierfahrerbeifahrer“ am anderen Ende der Arena, danach der Ritt auf dem Gummi-Einhorn über die begeisterte Menge, dazu allerlei geistliche Segensbringer, den DJ Spliff in Höchstform und eine Moshpit in Größe und Gewalt eines arktischen Malstroms.
Nur dass es hier deutlich heißer zuging. Erst recht, als die gesammelte Gästeliste für „Wach vom Wecka“ abwechselnd über die Bühnenbretter sprang: BBou, Kiste, Skero, Monaco F, Da Schraxx und die fabelhafte Taiga Trece, alle laut und mit mächtig viel Dampf – die Halle war am Toben. Und zwar, ganz Rap around the clock, über die volle Distanz, denn Hits haben die beiden Wahlberliner schließlich genügend im Turnbeutel. Und durchaus auch, das soll nicht vergessen werden, die eine oder andere ernsthafte Message dazu. Weil dahoam eben für viele ned dahoam ist, weil tagtäglich immer noch Menschen auf den Weltmeeren jämmerlich ersaufen (hier in Erinnerung gerufen per extra angefertigter Breitwandmontage). Ob die amtliche Standortabfrage zu Pflanzenkonsum und Waffenhandel das geeignete Mittel war, wollen wir jetzt nicht beurteilen. Auf ihre Crowd, egal ob aus Stadt oder Umland, können sich Dicht und Ergreifend jedenfalls verlassen. Und wenn am Ende drei oder sieben Plätze zur ausverkauften Halle und zum Handabdruck zwischen Bobo und Luftschmied fehlten – wen stört‘s? Sie bleiben, gerade nach diesem furiosen Tourfinale, die Ausverkäufer der Herzen.
Freitag, 25. Oktober 2019
Pauls Jets: Nicht von gestern
Soso, wenn die drei kommen, sind die anderen also schon von vorgestern. Schnell kann's gehen, auch mit dem Ösi-Hype. Doch genaugenommen läuten Pauls Jets ja nur die nächste Runde ein mit ihrer "lauten, elektrischen, schrecklichen Musik" (Eigenwerbung). Im März ist das Album "Alle Songs bisher" von Paul Buschnegg, Romy Park und Xavier Plus erschienen, mit dem sie seit Anfang Oktober auch hierzulande unterwegs sind - jetzt gibt es eine kurze Atempause und Anfang November geht es mit frischer Kraft und neuer EP "Vier neue Songs" weiter im Programm. Auf der 12" mit dabei Anna W, Rektor Bust und Die Situps, die wiederum aus Tobias Bamborschke (Isolation Berlin) und Nicole Stieben - wir hören u.a. den "Klima Song", Remixe des Stücks "Fresha Fruscianteya" und das wunderbare "Los Angeles", dessen Video tatsächlich auch vor Ort gedreht wurde.
05.11. Dresden, Ostpol
06.11. Rostock, Helgas Stadtpalast
07.11. Leipzig, Tanzcafé Ilses Erika
08.11. Berlin, Kantine am Berghain
09.11. Passau, Jugendzentrum Zeughaus Passau
10.12. Konstanz, Kulturladen
11.12. Stuttgart, clubCANN
12.12. Regensburg, Alte Mälzerei
13.12. Karlsruhe, Kohi
14.12. Köln, Stereo Wonderland
The Screenshots: Besuch im Baumarkt
Wen man jetzt noch daran erinnern muß, dass die wunderbare Krefelder Band The Screenshots noch in diesem Herbst durch die hiesigen Clubs zieht, der darf danach auch getrost wieder weiterschlafen - den Schuss hätte man schon viel früher hören können. Beispielsweise mit den beiden Platten "Ein starkes Team" und "Übergriff", spätestens aber mit den Sammelsurium "Europa" wäre klar gewesen, was für ein Potenzial in Kurt Prödel, Dax Werner und Susi Bumms eben nicht schlummert, sondern gleichsam punkig-eruptiv ausgebrochen ist. Holzlatten-Riffs, klare Ansagen - was braucht es mehr? Vielleicht noch eine kleine Single zum Tourbeginn, denn diese liefert das Trio jetzt mit "Wir lieben uns und bauen ein Haus/In jeder Garage wohnt eine Idee" fristgerecht an. Und mit dem Video sind dann auch die ganzen guerillamäßigen Bildchen der Pappaufsteller geklärt, die seit Tagen durch die Netzwerke kreisen und für höchste Verwirrung gesorgt haben.
19.11. Bremen, Lagerhaus
20.11. Berlin, Zukunft am Ostkreuz
21.11. Leipzig, Ilses Erika
22.11. Chemnitz, Atomino
23.11. Wien, Flex Cafe
24.11. Salzburg, Rockhouse Bar
26.11. München, Milla
27.11. Karlsruhe, Kohi
28.11. Stuttgart, Merlin
29.11. Mainz, Schon Schön
19.11. Bremen, Lagerhaus
20.11. Berlin, Zukunft am Ostkreuz
21.11. Leipzig, Ilses Erika
22.11. Chemnitz, Atomino
23.11. Wien, Flex Cafe
24.11. Salzburg, Rockhouse Bar
26.11. München, Milla
27.11. Karlsruhe, Kohi
28.11. Stuttgart, Merlin
29.11. Mainz, Schon Schön
Rufus Wainwright: Zurück im Spiel
Künstler, bei denen man nie weiß, was als Nächstes kommt, sind doch eigentlich die spannendsten. Nicht immer das gleiche Schema Album-Tour-Album-Tour-tbc. Rufus Wainwright ist solch einer. Nach seinem letzten Album "Out Of The Game", das er gemeinsam mit Mark Ronson produziert hat, war zumindest in dieser Hinsicht sieben lange Jahre Sendepause. Untätigkeit war aber nicht vorgesehen, er schrieb Opern (Prima Donna, Hadrian), arbeitete an Shakespeare-Sonetten (Take All My Loves), gastierte mit beidem. Er hatte also zu tun. Und mochte dennoch von der Popmusik nicht lassen ("As soon as I got to L.A. I realiszed I wanted to make another of those good, old-fashioned records"). Mit der Hilfe von Michael Froom hat er nun offenbar die nächste Platte fertig - eine erste Single mit dem Titel "Trouble In Paradise" ist dieser Tage erschienen - schwules Selbstverständnis meets melancholische Poesie. Nach wie vor sehenswert ist im Übrigen Wainwrights Lebenszeichen aus dem Jahr 2018, wo er den Song "Sword Of Damocles" veröffentlichte - der opulente Videoclip entstand unter Regie von Andrew Ondrejcak mit Schauspieler und Songwriter Darren Criss, die Kostüme schneiderte Vivienne Westwood - die Idee dazu stammt aus der Zeit der Präsidentschaftswahlen 2016.
Donnerstag, 24. Oktober 2019
Mira Mann: "Weil es mir gut tut"
Foto (c) Thomas Gothier |
Mira, überwiegt heute eher die Wehmut darüber, mit Candelilla nicht spielen zu können oder zählen Freude und Stolz mehr, dass am Freitag deine erste Solo-EP erscheinen wird, also etwas ganz Eigenes, Unverwechselbares?
Es ist tatsächlich beides, würde ich sagen. In dem Moment, wo man etwas Neues, also die Soloplatte herausbringt, dann denke ich schon noch zurück an meine Band – immerhin haben wir zehn Jahre zusammen gespielt. Aber gleichzeitig bin ich auch total glücklich, aufgeregt, und gespannt, was denn jetzt passiert, wie die Leute auf meine neue Platte reagieren.
Ist denn die Band ad acta gelegt oder pausiert sie momentan eher?
Nein, kein Ende, sondern schon eine Pause, aber eher eine ohne genaues Ende. Wir haben uns noch nicht darüber abgesprochen, ob und wann wir wieder zusammen spielen wollen. Aber die Möglichkeit ist total da.
Die Stücke auf der Platte sind ja größtenteils vertonte Gedichte aus deinem Lyrikband „Gedichte der Angst“, den du in den zwei Wochen nach der Diagnose geschrieben hast. Woher kam der Ansporn, hier noch Musik hinzuzufügen?
Also die Idee, so etwas zu machen kam eigentlich sehr schnell. Vielleicht in allererster Linie deshalb, weil ich Musikerin bin und weil ich ein sehr großes Interesse an Text und Musik habe. Und das ist vielleicht auch die Story der Platte: Die „Gedichte der Angst“ sind ja noch sehr roh, unbearbeitet und ich hatte, glaube ich, doch den Wunsch, dem ersten Impuls noch mehr hinzuzufügen. Das bekommt dann eben eine Vielschichtigkeit, die ich über die Musik einfach besser ausdrücken kann.
Für mich erhalten die Gedichte mit der Musik und vor allem mit deiner Stimme tatsächlich noch eine zusätzliche Wirktiefe, öffnen neue Ebenen, du steigerst die Empfindungen, vervielfachst sie. Empfindest du das beim Vortrag ähnlich?
Ja, das ist tatsächlich so. Ich hätte ja nie im Leben gedacht, dass ich die „Gedichte der Angst“ jemals öffentlich vorlesen werde. Doch jetzt tue ich’s – gerade letzten Samstag habe ich vier Lesungen hintereinander gehabt – und ich bin selber überrascht, wie gut mir das tut, wie gut es sich anfühlt.
Sind das eigentlich reine Textlesungen oder kombinierst Du schon mit der Musik?
Nein, das sind momentan noch reine Lesungen und die Konzerte sind dann eben reine Konzerte, aber ich glaube, ich habe 2020 auch ein Booking, wo ich beides miteinander kombiniere.
Die Songs von Candelilla waren ja doch schon manchmal recht schroff, die neuen Stücke sind dagegen deutlich ruhiger, näher, fast zärtlich manchmal. Wie siehst du diese Veränderung?
Nun ja, die Beobachtung stimmt wohl. Gerade wenn man sich die Stücke vom letzten Album „Camping“ anhört, mit welcher Energie ich da eher schon fast schreie, das sind ja nun Sachen, die so auf „Ich mag das“ nicht zu hören sind. Ich denke mir, das hier die Energie vielleicht woanders gebündelt ist, vielleicht kann man das so sagen.
Klingt das vielleicht auch ein Stück verletzlicher?
Ach, ich weiß nicht, ob jemand, der so laut rumschreit, deshalb weniger verletzlich ist.
Du hast in einem Interview mit „Das Wetter“ in Bezug auf deine Gedichte von einem bewussten "sinnlichen Diskurs" gesprochen, einem "ironielosen Zoom", der Verletzlichkeit geradezu herausfordert. Hast du denn diese Offenheit in deinen Gedichten und jetzt in deiner Musik jemals bereut?
Nein, das bereue ich gar nicht. Ich habe mir ja auch schon mit der Veröffentlichung der Gedichte richtig lange Zeit gelassen und habe dann irgendwann gespürt, dass das für mich der richtige Weg ist. Das ist jetzt sehr persönlich, aber ich bin schon dafür, seine Wunden zu zeigen, was nicht bedeutet, dass es alle tun sollen. Aber ich selbst glaube, dass das sehr produktiv sein kann und für mich ist es das auch.
Rein technisch betrachtet – wie hast du den LoFi-Sound der Stücke aufgenommen? Woher kamen die Ideen, Einflüsse, wie hast du, habt ihr produziert?
Also ich habe mich öfters mit dem Komponisten Ludwig Abraham in der Schreinerei, einem Studio am Münchner Hauptbahnhof, getroffen und dort haben wir von Null aus versucht, einem Text, aus einer Situation einen Song zu machen. Die Texte sind ja nicht eins zu eins aus dem Band übernommen, sondern weitergeschrieben, er hat die Musik dazu komponiert und dann haben wir beides, Texte und Musik, immer wieder übereinandergelegt.
Und das ist alles am Rechner entstanden?
Ja, komplett am Laptop. Du hörst auf der Platte kein einziges normales Instrument.
Ist „Ich mag das“ eine Platte, die nur im Kontext mit deiner Geschichte funktioniert oder könntest du dir vorstellen, dass sie jemand ohne das Wissen darum auf gänzlich andere Art erfahren kann?
Doch, das denke ich schon, dass das funktioniert. Ich kenne das ja auch von mir – dass ich also eine Platte von einer Künstlerin, die ich gerade entdecke, von der ich noch nichts weiß, auf mich ganz anders wirkt, als dann, wenn ich mich aufmache, um über sie zu lesen oder andere Sachen von ihr zu hören. Also insofern glaube ich, dass man das generell bejahen kann.
Veranstaltungen:
25.10. Berlin, Urban Spree - mit Andreas Spechtl
01.11. Hamburg, Kampnagel - Überjazz Festival
06.11. München, Spielart Festival
08.11. München, Lost Weekend (Lesung)
23.11. Nürnberg, Kantine am K4 - mit Attwenger
24.11. Wien, Rhiz
The Düsseldorf Düsterboys: Poesie im Bierdunst
The Düsseldorf Düsterboys
„Nenn mich Musik“
(Staatsakt)
Das ist die Geschichte von Peter und Pedro, zwei begabten jungen Burschen, die ihre Jugend da verbrachten, wo einst Fördertürme knarzten, Grauschleier hingen und der Keuchhusten zum guten Ton gehörte – Essen, Ruhrpott also. Der Hinweis, relotiusmäßig verbreitet von unserem Lieblingsdealer Hanseplatte, nach dem die beiden ihre dort ins Leben gerufene Kapelle International Music (Album „Die besten Jahre“) aus Frust darüber, dass man sie bei Google nur schwerstens orten konnte, alsbald in The Düsseldorf Düsterboys umbenannten, ist wahrscheinlich ebenso abwegig wie des Labels Mär von der nächtlichen Erscheinung. Aufwändige Recherchen nämlich verbürgen, dass Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti als Duo schon länger durch Bars und Kaschemmen zogen, nur der große Rum eben blieb ihnen versagt. Damals, 2016, entstand der Song „Teneriffa“, der sich heute mit fünfzehn weiteren auf dem vorliegenden Album versammelt. Ein Album, das laut landläufiger Meinung bestens in die neue Zeit passt, werden doch gerade Softness und Romantic, vorzugsweise (weil so atypisch) von Männern gemacht, gehypt wie irre – KUMMER will den Hip-Hop wieder „weich und traurig“ machen, Die Kerzen lassen mit „True Love“ die Herzen höher schlagen, da kommen einem die zwei gerade recht.
Genaugenommen sind sie ja zu viert, denn Fabian Neubauer und Edis Ludwig machen die Düsterboys auf Platte und Bühne zum Quartett. Produziert hat der sagenumwobene Olaf O.P.A.L., eine Art Allzweckwaffe an den Reglern. Zu hören gibt es sorgsam eingebremsten, meistenteils getragenen Drone-Folk, textlich irgendwo zwischen Remmlers „Turaluraluralu“ und einer großen Portion „Marmelade und Himbeereis“ vom Grauzonendebüt. Wichtig dabei: Es bleibt dunkel. Alles klingt etwas staubig, gedämpft und verschwommen, als Kulisse schiebt sich der berüchtigte Gelsenkirchener Barock mit schwerer Eichentäfelung vor’s innere Auge, Rauchschwaden, Bierdunst. Die passende „Kneipe“ fand sich auch auf dem Erstling von International Music, jetzt wie auch beim „Kaffee aus der Küche“ unterstützt von der Münchner Formation DC Schneider. Die gleiche Kerbe ins speckige Tresenholz schlagen die wunderbar torkelnden „Alkoholgedanken“, herrlich angeranzte Säuferpoesie.
Überhaupt: Poesie. Früher gab es ganze Alben mit dem Zeug, die auf dem Schulhof kreisten. Hatteste eins bekommen, schlotterten dir die Knie ob der Herausforderung – Herz ausschütten oder besser den unbedenklichen 0815-Spruch. Gab’s keins, warste draußen aus dem Kreisel, unabänderlich, gnadenlos, Hinrichtung. Mit den Zeilen der Düsterboys wäre man natürlich schnell als Sonderling und Eckensteher in Verruf geraten, dennoch funktionieren sie nach dem selben, simplen Prinzip. Ob nervige Mama, zweifelhafte Parties, die große Liebe oder die größere Einsamkeit, schwankende Körper mit schwankenden Stimmungen, alles das läßt sich auf ein paar einfache Worte herunterbrechen, all das braucht keine Doppeldeutigkeiten. Und abgesehen vom schwofigen „Messwein“-Boogie auch keine großartige, körperliche Anstrengung. Lieber leben lassen, gehen lassen, sanft sein. Dass „Wie ein Henker“ zur Hälfte ins Französische kippt, verwundert da kaum, denn das passt prächtig. Nun ist es nicht so, dass man sich die Düsternis ins eigene Leben wünscht – wenn sie aber schon mal da ist, dann bitte sollte sie genauso klingen.
12.11. Berlin, Privatclub
13.11. Hamburg, Aalhaus
17.11. Leipzig, Transcentruy Update
19.11. Mainz, Schon Schön
20.11. Oberhausen, Druckluft
21.11. Köln, Bumann & Sohn
22.11. Dortmund, Rekorder
23.11. Wuppertal, Die Börse
26.11. Krefeld, AStA Keller
27.11. Wetzlar, Franzis
28.11. Wiesbaden, Schlachthof (w/ Voodoo Jürgens)
14.01. Freiburg, The Great Räng Teng Teng
15.01. St. Gallen, Folk Cafe
17.01. München, Heppel & Ettlich
18.01. Karlsruhe, Kohi
22.01. Düdingen, Bad Bonn
23.01. Augsburg, Lamm
24.01. Ingolstadt, Neue Welt
25.01. Bayreuth, Glashaus
26.01. Jena, Cafe Wagner
29.01. Dresden, Ostpol
30.01. Rostock, Helgas Stadtpalast
31.01. Magdeburg, Moritzhof
01.02. Bremen, Lagerhaus (Etage 3)
„Nenn mich Musik“
(Staatsakt)
Das ist die Geschichte von Peter und Pedro, zwei begabten jungen Burschen, die ihre Jugend da verbrachten, wo einst Fördertürme knarzten, Grauschleier hingen und der Keuchhusten zum guten Ton gehörte – Essen, Ruhrpott also. Der Hinweis, relotiusmäßig verbreitet von unserem Lieblingsdealer Hanseplatte, nach dem die beiden ihre dort ins Leben gerufene Kapelle International Music (Album „Die besten Jahre“) aus Frust darüber, dass man sie bei Google nur schwerstens orten konnte, alsbald in The Düsseldorf Düsterboys umbenannten, ist wahrscheinlich ebenso abwegig wie des Labels Mär von der nächtlichen Erscheinung. Aufwändige Recherchen nämlich verbürgen, dass Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti als Duo schon länger durch Bars und Kaschemmen zogen, nur der große Rum eben blieb ihnen versagt. Damals, 2016, entstand der Song „Teneriffa“, der sich heute mit fünfzehn weiteren auf dem vorliegenden Album versammelt. Ein Album, das laut landläufiger Meinung bestens in die neue Zeit passt, werden doch gerade Softness und Romantic, vorzugsweise (weil so atypisch) von Männern gemacht, gehypt wie irre – KUMMER will den Hip-Hop wieder „weich und traurig“ machen, Die Kerzen lassen mit „True Love“ die Herzen höher schlagen, da kommen einem die zwei gerade recht.
Genaugenommen sind sie ja zu viert, denn Fabian Neubauer und Edis Ludwig machen die Düsterboys auf Platte und Bühne zum Quartett. Produziert hat der sagenumwobene Olaf O.P.A.L., eine Art Allzweckwaffe an den Reglern. Zu hören gibt es sorgsam eingebremsten, meistenteils getragenen Drone-Folk, textlich irgendwo zwischen Remmlers „Turaluraluralu“ und einer großen Portion „Marmelade und Himbeereis“ vom Grauzonendebüt. Wichtig dabei: Es bleibt dunkel. Alles klingt etwas staubig, gedämpft und verschwommen, als Kulisse schiebt sich der berüchtigte Gelsenkirchener Barock mit schwerer Eichentäfelung vor’s innere Auge, Rauchschwaden, Bierdunst. Die passende „Kneipe“ fand sich auch auf dem Erstling von International Music, jetzt wie auch beim „Kaffee aus der Küche“ unterstützt von der Münchner Formation DC Schneider. Die gleiche Kerbe ins speckige Tresenholz schlagen die wunderbar torkelnden „Alkoholgedanken“, herrlich angeranzte Säuferpoesie.
Überhaupt: Poesie. Früher gab es ganze Alben mit dem Zeug, die auf dem Schulhof kreisten. Hatteste eins bekommen, schlotterten dir die Knie ob der Herausforderung – Herz ausschütten oder besser den unbedenklichen 0815-Spruch. Gab’s keins, warste draußen aus dem Kreisel, unabänderlich, gnadenlos, Hinrichtung. Mit den Zeilen der Düsterboys wäre man natürlich schnell als Sonderling und Eckensteher in Verruf geraten, dennoch funktionieren sie nach dem selben, simplen Prinzip. Ob nervige Mama, zweifelhafte Parties, die große Liebe oder die größere Einsamkeit, schwankende Körper mit schwankenden Stimmungen, alles das läßt sich auf ein paar einfache Worte herunterbrechen, all das braucht keine Doppeldeutigkeiten. Und abgesehen vom schwofigen „Messwein“-Boogie auch keine großartige, körperliche Anstrengung. Lieber leben lassen, gehen lassen, sanft sein. Dass „Wie ein Henker“ zur Hälfte ins Französische kippt, verwundert da kaum, denn das passt prächtig. Nun ist es nicht so, dass man sich die Düsternis ins eigene Leben wünscht – wenn sie aber schon mal da ist, dann bitte sollte sie genauso klingen.
12.11. Berlin, Privatclub
13.11. Hamburg, Aalhaus
17.11. Leipzig, Transcentruy Update
19.11. Mainz, Schon Schön
20.11. Oberhausen, Druckluft
21.11. Köln, Bumann & Sohn
22.11. Dortmund, Rekorder
23.11. Wuppertal, Die Börse
26.11. Krefeld, AStA Keller
27.11. Wetzlar, Franzis
28.11. Wiesbaden, Schlachthof (w/ Voodoo Jürgens)
14.01. Freiburg, The Great Räng Teng Teng
15.01. St. Gallen, Folk Cafe
17.01. München, Heppel & Ettlich
18.01. Karlsruhe, Kohi
22.01. Düdingen, Bad Bonn
23.01. Augsburg, Lamm
24.01. Ingolstadt, Neue Welt
25.01. Bayreuth, Glashaus
26.01. Jena, Cafe Wagner
29.01. Dresden, Ostpol
30.01. Rostock, Helgas Stadtpalast
31.01. Magdeburg, Moritzhof
01.02. Bremen, Lagerhaus (Etage 3)
Sorry: Ganz ohne Entschuldigung
Es ist jedes Mal wieder eigenartig, einen längeren Text über Sorry zu lesen. Nicht weil es nichts Berichtenswertes über das Londoner Quartett zu sagen gäbe, schließlich haben sie schon eine Vielzahl feiner Singles veröffentlicht. Es ist eher so, dass man ständig über den Bandnamen stolpert und meint, der Autor der Zeilen sähe sich genötigt, jeder Behauptung eine Entschuldigung voranstellen zu müssen, komische Sache das. Hier jedenfalls die brandneue Nachricht, dass Sorry die Veröffentlichung eines Debütalbums planen. Heißen soll es "925", erscheinen soll die Platte im Frühjahr 2020 und weil eine solche Meldung unterfüttert sein will, gibt es gleich noch die aktuelle Single "Right Round The Clock" obendrauf. Ganz ohne Entschuldigung.
Mittwoch, 23. Oktober 2019
Diamond Thug: Zu zweit allein im Wald
Neues Material liegt seit dieser Woche auch von der südafrikanischen Band Diamond Thug vor. 2018 fand sich ihr wunderbar vielschichtiger Popsound auf dem Debütalbum "Apastron" komprimiert, ein Jahr später folgte dann die ebenso gelungene, nun etwas dunklere EP "Gaiafy" mit den geradezu betörenden Videos zu "Tell Me", "Aphotic Waters" und "Sakura". Auf das Video zur nun aktuellen Single "The Woods" dürfen wir uns mit Sicherheit auch freuen, geht es doch laut Sängerin Chantel van T um ein Liebespaar, dessen Beziehung in der Abgeschiedenheit und Isolation des Waldes auf die Probe gestellt wird - die Band hat das Stück teils in Kapstadt, teils in den französischen Alpen aufgenommen. Ob die Arbeit in einem neuen Album mündet, ist noch nicht gewiss, derzeit ist beim Label Kudukudu Records vorerst die Rede von einer Songsammlung, die Anfang 2020 erscheinen soll.
Peaky Blinders: The Sound of Eisenhüttenstadt
Da ist er nun also und auch das pünktlich zum Vorweihnachtsgeschäft: Am Freitag, den 13. Dezember soll nun der erste offizielle Soundtrack zur Netflix-Serie Peaky Blinders erscheinen, Doppel-CD, Dreifach-Vinyl, Zeitreise und Ausblick in einem. Wer die Staffeln allesamt durchgeschaut hat. weiß nicht nur um die überragende Qualität von Schauspielern und Drehbuch, sondern kennt mittlerweile auch den typischen PB-Sound - laut, garstig, eher analog, eher gitarrenlastig, ganz so, wie es die Kulisse der armseligen Montanstadt Birmingham in den 20ern hergibt. Vieles auf dem Tonträger stammt aus längst vergangenen Zeiten, Nick Cave natürlich, Joy Division, Radiohead, PJ Harvey, Black Sabbath uvm., weniges der Gegenwart wie Anna Calvi oder die Idles und mit "I'm The Man" von Jehnny Beth verweist ein Titel sogar in die Zukunft, soll heißen, in eine mögliche, solistische der Frontfrau der Savages. Drapiert ist die Musik wie bei solchen Sammlung üblich mit einer Reihe eingespielter Filmzitate, hier natürlich von Arthur, Polly und Thommy. Ob denn das Ganze überhaupt erlaubt ist? Aber sicher - und zwar "by order of the fuckin' Peaky Blinders", was sonst...
PS: Leider nicht mit dabei "Red Right Hand" in der grandiosen Version von Snoop Dogg, deshalb gleich hier mit Video.
PS: Leider nicht mit dabei "Red Right Hand" in der grandiosen Version von Snoop Dogg, deshalb gleich hier mit Video.
Dienstag, 22. Oktober 2019
KUMMER: Weil er es kann
KUMMER
„KIOX“
(Kummer/Eklat Tonträger)
Ein wenig Nähkästchengeplauder: Eigentlich wollten wir zu dem Kummer-Album gar nichts machen. Weil einem das Kraftklubkaspermateriadrangsalding, dieses Wie-du-mir-so-ich-dir mit der Zeit kräftig auf den Keks ging (Ketzerei!) und man sich wünschte, sie würden sich besser um ihre eigenen Platten kümmern als um die der hochgeschätzten Kollegen. Dann aber kam kürzlich dieser freundliche und offensichtlich maximal euphorisierte Junge auf einen zu und behauptete (ganz außer Atem, was sonst nicht so seins ist), dass ebenjener Felix Kummer gerade mit „KIOX“ ein Album abgeliefert habe, dass er (der Junge also) für das beste seines Lebens hielte. Mindestens. Das wiederum konnten wir natürlich so nicht unbesprochen stehenlassen und haben das ultramarinfarbene Teil dann doch mal auf den Plattenteller gelegt und siehe da – es war kein Fehler.
Mangels Fantasie und Bereitschaft zur ernsthaften Auseinandersetzung muss ja der Sachse wegen seines eigenwilligen Dialekts im Westen des Landes oft als Vorzeigefigur, Stichwort: Jammer-Ossi, herhalten – passt gut ins schmale Weltbild, schützt vor Überbeanspruchung, garantiert stille Tage im Klischee. Der Kummer will da gar nicht so gut reinpassen, denn der sächselt nicht, obwohl er aus Karl-Marx-Stadt (also Chemnitz) kommt, statt weinerlicher Klage kommen von ihm vorzugsweise Wut mit Klarnamen oder zynische Seitenhiebe auf die verspießerte Feierabend- und Stammtischwelt hüben wie drüben, in der Schablonen und Scheuklappen alles und Vorurteile an der Tagesordnung sind. Waren nicht Rammstein als erfolgreichste deutsche Band schon Zumutung genug? Nun auch noch Kraftklub!?
Kummer und seine Band können mit derlei antiquiertem und blasiertem Denken nicht viel anfangen, das durfte man auf den bisherigen drei Alben wirklich sehr gut hören (siehe oben), auch für die Fans der Truppe aus allen Landesteilen beantwortete sich die K-Frage nur mit „Klar, warum nicht?“ Dennoch ist es wichtig, dass da ein Chemnitzer Junge seine Reime in die Waagschale wirft – so wichtig für die Unerschrockenen daheim wie für die Denkfaulen von der anderen Seite, so wichtig wie eben Trettmann, Marteria und FSF. Auch wenn er gleich zu Beginn („Nicht die Musik“) mächtig abwiegelt und kokettiert, er könne keine Mutmacher liefern, sondern nur „verweichlichte Befindlichkeitsscheiße“, er wolle den Rap lieber wieder weich und traurig machen.
Das passt zu den Nebengeräuschen, die „KIOX“ auf den Plan gerufen hat, denn da wurde debattiert, ob Kummer überhaupt ein Deutschrapper sei. Was einigermaßen lustig ist, denn er selbst hat das ja nie behauptet, im Gegenteil, er rappe ja nur, so die Selbstanzeige, weil er nicht singen könne. Und sei eher Fan als Mitglied des ach so ehrenwerten Kreises. Was er hier anzubieten hat, ist dann aber doch mehr als ordentlich und stellenweise sogar richtig gut. „9010“ läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig, das Erinnerungsstück über den verblichenen Chemnitz City Swagg eines ehemaligen Großmauls läßt einen sofort an Clemens Meyers großen, traurigen Roman „Als wir träumten“ denken – „born to be Opfer“, „Mund voller Blut“, es war deprimierend, es war seine Zeit.
„Schiff“ ist Kummers „Grauer Beton“, die selbe Stadt, andere Zeit, gleiche Message. Auch die Quaterlife-Crisis, der Eintritt in die vermeintliche Spießerhölle also, in Begleitung von Max Raabe („Der Rest meines Lebens“) funktioniert erstaunlich gut: „das erste Mal international für die Bayern sein“, haha, so wahr! Rührend die Zeilen für den toten Freund („26“), „Es tut wieder weh“ sticht punktgenau ins Herz, her mit der Schmerztablette. Kummer erweist sich auf dem Solo als hochbegabter, melancholischer Einzelkämpfer, zusammen mit Blvth und den Drunken Masters, die den Sound strickten, zusammen mit LGooney und KeKe, die ihm zur Seite sprangen. Genau die Platte, die man von ihm haben wollte, eine, die den Platz zwischen AG Geige und Kraftklub im Regal würdig füllen kann.
26.11. Zürich, Dynamo
28.11. München, Freiheiz
29.11. Köln, Gloria
30.11. Frankfurt Main, Batschkapp
01.12. Ludwigsburg, Scala
03.12. Wien, WUK
04.12. Dresden, Tante Ju
07.12. Hamburg, Gruenspan
08.12. Leipzig, Conne Island
11.12. Berlin, Kesselhaus
13.03. Wiesbaden, Schlachthof
14.03. Würzburg, Posthalle
16.03. Wien, Arena
17.03. München, Tonhalle
19.03. Hannover, Capitol
20.03. Düsseldorf, Stahlwerk
21.03. Münster, Skaters Palace
23.03. Stuttgart, Im Wizemann
24.03. Köln, Palladium
25.03. Berlin, Tempodrom
27.03. Bremen, Pier 2
28.03. Dresden, Alter Schlachthof
29.03. Dresden, Alter Schlachthof
„KIOX“
(Kummer/Eklat Tonträger)
Ein wenig Nähkästchengeplauder: Eigentlich wollten wir zu dem Kummer-Album gar nichts machen. Weil einem das Kraftklubkaspermateriadrangsalding, dieses Wie-du-mir-so-ich-dir mit der Zeit kräftig auf den Keks ging (Ketzerei!) und man sich wünschte, sie würden sich besser um ihre eigenen Platten kümmern als um die der hochgeschätzten Kollegen. Dann aber kam kürzlich dieser freundliche und offensichtlich maximal euphorisierte Junge auf einen zu und behauptete (ganz außer Atem, was sonst nicht so seins ist), dass ebenjener Felix Kummer gerade mit „KIOX“ ein Album abgeliefert habe, dass er (der Junge also) für das beste seines Lebens hielte. Mindestens. Das wiederum konnten wir natürlich so nicht unbesprochen stehenlassen und haben das ultramarinfarbene Teil dann doch mal auf den Plattenteller gelegt und siehe da – es war kein Fehler.
Mangels Fantasie und Bereitschaft zur ernsthaften Auseinandersetzung muss ja der Sachse wegen seines eigenwilligen Dialekts im Westen des Landes oft als Vorzeigefigur, Stichwort: Jammer-Ossi, herhalten – passt gut ins schmale Weltbild, schützt vor Überbeanspruchung, garantiert stille Tage im Klischee. Der Kummer will da gar nicht so gut reinpassen, denn der sächselt nicht, obwohl er aus Karl-Marx-Stadt (also Chemnitz) kommt, statt weinerlicher Klage kommen von ihm vorzugsweise Wut mit Klarnamen oder zynische Seitenhiebe auf die verspießerte Feierabend- und Stammtischwelt hüben wie drüben, in der Schablonen und Scheuklappen alles und Vorurteile an der Tagesordnung sind. Waren nicht Rammstein als erfolgreichste deutsche Band schon Zumutung genug? Nun auch noch Kraftklub!?
Kummer und seine Band können mit derlei antiquiertem und blasiertem Denken nicht viel anfangen, das durfte man auf den bisherigen drei Alben wirklich sehr gut hören (siehe oben), auch für die Fans der Truppe aus allen Landesteilen beantwortete sich die K-Frage nur mit „Klar, warum nicht?“ Dennoch ist es wichtig, dass da ein Chemnitzer Junge seine Reime in die Waagschale wirft – so wichtig für die Unerschrockenen daheim wie für die Denkfaulen von der anderen Seite, so wichtig wie eben Trettmann, Marteria und FSF. Auch wenn er gleich zu Beginn („Nicht die Musik“) mächtig abwiegelt und kokettiert, er könne keine Mutmacher liefern, sondern nur „verweichlichte Befindlichkeitsscheiße“, er wolle den Rap lieber wieder weich und traurig machen.
Das passt zu den Nebengeräuschen, die „KIOX“ auf den Plan gerufen hat, denn da wurde debattiert, ob Kummer überhaupt ein Deutschrapper sei. Was einigermaßen lustig ist, denn er selbst hat das ja nie behauptet, im Gegenteil, er rappe ja nur, so die Selbstanzeige, weil er nicht singen könne. Und sei eher Fan als Mitglied des ach so ehrenwerten Kreises. Was er hier anzubieten hat, ist dann aber doch mehr als ordentlich und stellenweise sogar richtig gut. „9010“ läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig, das Erinnerungsstück über den verblichenen Chemnitz City Swagg eines ehemaligen Großmauls läßt einen sofort an Clemens Meyers großen, traurigen Roman „Als wir träumten“ denken – „born to be Opfer“, „Mund voller Blut“, es war deprimierend, es war seine Zeit.
„Schiff“ ist Kummers „Grauer Beton“, die selbe Stadt, andere Zeit, gleiche Message. Auch die Quaterlife-Crisis, der Eintritt in die vermeintliche Spießerhölle also, in Begleitung von Max Raabe („Der Rest meines Lebens“) funktioniert erstaunlich gut: „das erste Mal international für die Bayern sein“, haha, so wahr! Rührend die Zeilen für den toten Freund („26“), „Es tut wieder weh“ sticht punktgenau ins Herz, her mit der Schmerztablette. Kummer erweist sich auf dem Solo als hochbegabter, melancholischer Einzelkämpfer, zusammen mit Blvth und den Drunken Masters, die den Sound strickten, zusammen mit LGooney und KeKe, die ihm zur Seite sprangen. Genau die Platte, die man von ihm haben wollte, eine, die den Platz zwischen AG Geige und Kraftklub im Regal würdig füllen kann.
26.11. Zürich, Dynamo
28.11. München, Freiheiz
29.11. Köln, Gloria
30.11. Frankfurt Main, Batschkapp
01.12. Ludwigsburg, Scala
03.12. Wien, WUK
04.12. Dresden, Tante Ju
07.12. Hamburg, Gruenspan
08.12. Leipzig, Conne Island
11.12. Berlin, Kesselhaus
13.03. Wiesbaden, Schlachthof
14.03. Würzburg, Posthalle
16.03. Wien, Arena
17.03. München, Tonhalle
19.03. Hannover, Capitol
20.03. Düsseldorf, Stahlwerk
21.03. Münster, Skaters Palace
23.03. Stuttgart, Im Wizemann
24.03. Köln, Palladium
25.03. Berlin, Tempodrom
27.03. Bremen, Pier 2
28.03. Dresden, Alter Schlachthof
29.03. Dresden, Alter Schlachthof
Frank Ocean: Neue Lieferung
Ein neuer Song ist zwar noch kein neues Album, aber wenigstens ein Anfang davon, zumindest ein möglicher. Frank Ocean hat uns auf einen Nachfolger zu "Blonde" (2016) und "Channel Orange" (2012) lange warten lassen und tut dies noch. Eine letzte aktuelle Meldung existiert noch aus dem vergangenen Jahr, wo er uns zum Valentinstag mit seiner Version von "Moon River" beglückte. Gerade aber ist wenigstens ein bislang unbekannter Track mit dem Titel "DHL" erschienen, der wohl nur bedingt von der termingerechten Zustellung kartonverpackter Handelsware erzählt. Was daraus noch so wird, bleibt abzuwarten.
Ganser: Tortengemetzel [Update]
Update: Nach der Einstiegssingle kommt heute der Titelsong mit Lyric-Video hinterher, WG-Atmo plus Selbstbespiegelung, Ganser bleiben speziell.
Montag, 21. Oktober 2019
LINDEMANN: Reif für die Klapse [Update]
Update: Hier der Clip zum Song "Ich weiß es nicht", diesmal entstanden unter der Regie von Lukas Rudig und Produktion der Agentur Selam-X. Der Film ist eine Aneinanderreihung von Sequenzen, erstellt von einer Software namens Generative Adversarial Networks (GANs) als Abbild von Halluzinationen einer Künstlichen Intelligenz - eingespeist wurden zuvor Bilder von Insekten, Lack und Leder, Selfies und Porträts der Band.
Sonntag, 20. Oktober 2019
Lola Marsh: Perfekte Ballbehandlung
Timo Boll? Schon klar. Wird gefeiert für sein Können in einer Sportart, die eigentlich asiatischen Nationen vorbehalten ist. Denn außer einem verstolperten Rundlauf bekommen wir n Deutsche im Tischtennis sonst eher wenig hin. Soweit, so gut. Was allerdings das israelische Duo Lola Marsh für sein Video zum aktuellen Song "Only For A Moment" mit Ball und Schläger anstellt, ist dann schon auf höherer Ebene angesiedelt und sollte selbst unserem altgedienten Star Respekt abnötigen. Denn zum Sound der beschwingten Single derart exakt das Arbeitsgerät zu schwingen, ist schon eine hohe Kunst - Regisseur Indy Hait hat's eingefangen und sie haben, wie für ihre letzte gemeinsame Arbeit "Echoes" ziemlich hart an der Perfektion gearbeitet. Das Stück gehört übrigens zu einem neuen, noch unbetitelten Album, das im Januar 2020 erscheinen soll.
Samstag, 19. Oktober 2019
Frustration vs. Sleaford Mods: Naheliegend
Soll niemand sagen, die Sleaford Mods seien nicht frankophil. Erst kürzlich haben wir hier auf eine szenische Dokumentation des französischen Kulturkanals Arte hingewiesen, wo Jason Williamson und Andrew Fearn in einer alten Fabrikhalle unter dem Titel "Release Party" die Songs ihres aktuellen Albums "Eton Alive" vorgestellt haben. Dass Williamson Gastauftritten gegenüber nicht abgeneigt ist, läßt sich auch nicht von der Hand weisen - The Prodigy, Baxter Dury, Leftfield, you name it. Nun hat er also beides verbunden und rappt sich in Teilzeit durch den Song "Slave Markets" der Pariser Post-Punk-Kapelle Frustration. Das Quintett hat gerade sein fünftes Album "So Cold Streams" veröffentlicht und Sänger Fabrice Gilbert sagt Folgendes über die Partnerschaft: "Die Sleaford Mods sind eine Band, die uns musikalisch und menschlich einen echten Schub verliehen haben. Sie stehen für ein echtes Gefühl von Freiheit, das es mir erlaubt, wirklich alles zu sagen, was ich in meinen Texten sagen will, also sowohl zu sehr intimen Themen als auch über politische oder soziale Dinge." Der neue Song ist im Übrigen nicht die einzige Kollaboration der beiden Herren am Mikrophon, schon 2016 standen sie für den Mods-Track "Tweet Tweet Tweet" beim Pariser Vilette Sonique gemeinsam auf der Bühne.
Freitag, 18. Oktober 2019
Einhorn: Jagdsaison [Update]
Update: Neu folgt alt, hier kommt endlich das Video zur ersten Single "The Chase", Regie Michael Rofon ... und hinterher die zweite Single "Longtime" samt Teaser, funky, dancy, Einhorn eben.
Spector: Keine Zeit zu warten [Update]
Eine überraschende musikalische Zwischenmeldung kommt heute von der Londoner Kapelle Spector. Im März vergangenen Jahres hatten wir an dieser Stelle auf ihre EP "Ex-Directory" hingewiesen und die Single "Fine Not Fine" gepriesen, nun gibt es mit "I Won't Wait" einen Song, der die Erinnerungen an Joy Division und New Order definitiv nicht nur eben wachhält, sondern sogar befeuert. Es geht um all die Mühen und Aufwände, die wir betreiben, um Beziehungen und Freundschaften zu bewahren, so Sänger Fred Macpherson. Es soll dieses Jahr noch mehr kommen - klingt es so, ist das eine gute Nachricht.
Update: Das war also keine leere Versprechung - hier kommt ein weiterer Song und "Half Life" kann mit der ersten Single locker mithalten, gut so ... Gleiches gilt für den neuesten Streich "Simplicity".
Update: Das war also keine leere Versprechung - hier kommt ein weiterer Song und "Half Life" kann mit der ersten Single locker mithalten, gut so ... Gleiches gilt für den neuesten Streich "Simplicity".
Donnerstag, 17. Oktober 2019
Missy Elliott: Fortschreitende Legendenbildung
Noch so ein Thema, das keinen Streit lohnt: Über die Rolle von Missy Elliot gibt es nämlich keine zwei Meinungen, dass sie als Icon gefeiert wird (wie kürzlich bei dem MTV VMA, siehe unten), ist nur gerechtfertigt und es gibt wohl kaum etwas, was man sich in Sachen female Hip-Hop so sehr wünscht wie ein neues Album von ihr. Im August ist zumindest ihre letzte EP mit dem Titel "Iconology" erschienen, deren erste Single "Throw It Back" schon mit einem Video versehen wurde. Heute nun wird für den Track "DripDemeanor" nachgezogen, der Clip dazu stammt von Derek Blanks, die musikalische Unterstützung wiederum liefert Sum1.
Idles: Live is what you make it
GURU: Einfach loslaufen
Mittwoch, 16. Oktober 2019
Pixies: Der Widerspenstigen Krönung
Pixies
Support: Blood Red Shoes
Tonhalle, München, 15. Oktober 2019
Das war schon vor dreißig Jahren so und ist auch heute noch frappierend: So klein der Mann, hier und da ein Jahresring mehr auf den Hüften, das Haar mittlerweile ein wenig grau und schütter. Man würde Charles Thompson aka. Frank Black, den hauptamtlichen Gruppenleiter der Pixies, eher am Infoschalter eines Baumarktes verorten (und auch da höchstwahrscheinlich übersehen) – Allerweltsgesicht, auf den ersten Blick keinen Marotten, Attitüden, der macht nichts von sich her. Und doch ist es eben dieser unscheinbare Typ, der den Kindern der Achtziger und allen Nachgeborenen ein beachtliches Arsenal an Sehnsuchtssongs in den Soundtrack des Lebens geschrieben hat, ihnen mit seinen spinnerten Geschichten, den dahingeschredderten Riffs und dem eigenwilligen Gesang, mal der wilde Schreihals, mal der geschmeidige Verführer, als Erlöser galt. Von „three chords and the truth“ war seine Band, waren seine Stücke weit entfernt, zu weird, zu dicht, krass, wandelbar. Auch er selbst taugte, so wissen wir nach Jahren, nicht zum Heiland, war/ist Zeit seines Schaffens als Diktator eine feste Größe. Ein Sturkopf. Ein Unverbesserlicher. Und doch: Ein Genie.
Dass viele Menschen ähnlich empfinden, konnte man in der vollgepackten Münchner Tonhalle an den beseelten Gesichtern und verzückten Bewegungen ablesen. Manch einer wußte gar nicht wohin mit sich – Ein Bier? Geht immer! Handyfilmchen: Unbedingt! Mitgetanzt: Aber klar doch! – selbst wer nur dastand, kam mächtig ins Schwitzen. Gelegenheit zur Erinnerung (und das ist ja beim Gastspiel der eigenen Ikonen eher der Pflichtteil) gab es ausreichend, satte zwei Stunden plus Expresszugabe, mehr als fünfunddreißig Songs aus drei Jahrzehnten. Selbst als vermeintlicher Auskenner ist man jedes Mal auf’s Neue überrascht, wie viel Material sich in dieser Zeit doch angesammelt hat. Knapp die Hälfte natürlich vom unschlagbaren Trio „Doolittle“, „Surfer Rosa“ und „Come On Pilgrim“ – davon wiederum die Klassiker „Monkey Gone To Heaven“, „Where Is My Mind“ und „Here Comes Your Man“ als Peak der Fieberkurve.
Natürlich gilt auch bei den Altstars die Regel: Ein Konzert ist so gut oder schlecht wie die aktuelle Platte. Und da müssen sich die widerborstigen Elfen nichts vorwerfen lassen, denn „Beneath The Eyrie“ hält vieles bereit, vom schiefen Riffrock, High-Noon-Country, Musical-Stuff und melancholischem Surferdrama ist alles dabei, Stücke, die sich gar nicht so schlecht machen zum Runterkommen, Durchschnaufen und ja: Hinhören. Die Bandbreite, welche die Pixies hier bespielen, ist nicht immer des eingeschworenen Anhangs Sache, zeigt aber, dass Black und seine Kapelle noch Mut und Lust zu gleichen Teilen haben. Überhaupt: Die Kapelle. Weniger im Vordergrund Drummer Lovering und Neubesetzung Lenchantin, aber was Joey Santiago an der Gitarre abliefert, ist mit dem Wort „einzigartig“ fast ungenügend umschrieben: Ohne die markanten, messerscharfen Akkorde dieses begnadeten Leadgitarristen wäre der Wiedererkennungseffekt des Bandkanons zweifellos dahin – entsprechend durfte er sich von der begeisterten Menge feiern lassen. Am Ende fehlte zu perfekten Set (wie erwartet) ein einziger Song – aber was soll’s, sie waren auch so gigantisch.
Support: Blood Red Shoes
Tonhalle, München, 15. Oktober 2019
Das war schon vor dreißig Jahren so und ist auch heute noch frappierend: So klein der Mann, hier und da ein Jahresring mehr auf den Hüften, das Haar mittlerweile ein wenig grau und schütter. Man würde Charles Thompson aka. Frank Black, den hauptamtlichen Gruppenleiter der Pixies, eher am Infoschalter eines Baumarktes verorten (und auch da höchstwahrscheinlich übersehen) – Allerweltsgesicht, auf den ersten Blick keinen Marotten, Attitüden, der macht nichts von sich her. Und doch ist es eben dieser unscheinbare Typ, der den Kindern der Achtziger und allen Nachgeborenen ein beachtliches Arsenal an Sehnsuchtssongs in den Soundtrack des Lebens geschrieben hat, ihnen mit seinen spinnerten Geschichten, den dahingeschredderten Riffs und dem eigenwilligen Gesang, mal der wilde Schreihals, mal der geschmeidige Verführer, als Erlöser galt. Von „three chords and the truth“ war seine Band, waren seine Stücke weit entfernt, zu weird, zu dicht, krass, wandelbar. Auch er selbst taugte, so wissen wir nach Jahren, nicht zum Heiland, war/ist Zeit seines Schaffens als Diktator eine feste Größe. Ein Sturkopf. Ein Unverbesserlicher. Und doch: Ein Genie.
Dass viele Menschen ähnlich empfinden, konnte man in der vollgepackten Münchner Tonhalle an den beseelten Gesichtern und verzückten Bewegungen ablesen. Manch einer wußte gar nicht wohin mit sich – Ein Bier? Geht immer! Handyfilmchen: Unbedingt! Mitgetanzt: Aber klar doch! – selbst wer nur dastand, kam mächtig ins Schwitzen. Gelegenheit zur Erinnerung (und das ist ja beim Gastspiel der eigenen Ikonen eher der Pflichtteil) gab es ausreichend, satte zwei Stunden plus Expresszugabe, mehr als fünfunddreißig Songs aus drei Jahrzehnten. Selbst als vermeintlicher Auskenner ist man jedes Mal auf’s Neue überrascht, wie viel Material sich in dieser Zeit doch angesammelt hat. Knapp die Hälfte natürlich vom unschlagbaren Trio „Doolittle“, „Surfer Rosa“ und „Come On Pilgrim“ – davon wiederum die Klassiker „Monkey Gone To Heaven“, „Where Is My Mind“ und „Here Comes Your Man“ als Peak der Fieberkurve.
Natürlich gilt auch bei den Altstars die Regel: Ein Konzert ist so gut oder schlecht wie die aktuelle Platte. Und da müssen sich die widerborstigen Elfen nichts vorwerfen lassen, denn „Beneath The Eyrie“ hält vieles bereit, vom schiefen Riffrock, High-Noon-Country, Musical-Stuff und melancholischem Surferdrama ist alles dabei, Stücke, die sich gar nicht so schlecht machen zum Runterkommen, Durchschnaufen und ja: Hinhören. Die Bandbreite, welche die Pixies hier bespielen, ist nicht immer des eingeschworenen Anhangs Sache, zeigt aber, dass Black und seine Kapelle noch Mut und Lust zu gleichen Teilen haben. Überhaupt: Die Kapelle. Weniger im Vordergrund Drummer Lovering und Neubesetzung Lenchantin, aber was Joey Santiago an der Gitarre abliefert, ist mit dem Wort „einzigartig“ fast ungenügend umschrieben: Ohne die markanten, messerscharfen Akkorde dieses begnadeten Leadgitarristen wäre der Wiedererkennungseffekt des Bandkanons zweifellos dahin – entsprechend durfte er sich von der begeisterten Menge feiern lassen. Am Ende fehlte zu perfekten Set (wie erwartet) ein einziger Song – aber was soll’s, sie waren auch so gigantisch.
Peggy Sue: Kurskorrektur
Ein neues Album, so hören wir, wird es bald vom Londoner Duo Peggy Sue geben. Obwohl, eigentlich sind ja bei Facebook nicht nur Rosa Bowler Slade und Katy Beth Young erwähnt, sondern auch die beiden Herren Benjamin Gregory bzw. Dan Blackett. Bis zur nächsten Eintragung werden wir wohl herausgefunden haben, was es mit dieser Unschärfe auf sich hat, vorerst begnügen wir uns erst mal mit der neuen Single "Motorcade", einem ziemlich hitverdächtigen Stück Garagenrock, das Album dazu wird "Vices" heißen. Und wer gerade beim Begriff "Garage" ungläubig gestutzt hat - jawohl, es steht eine Kurskorrektur im Vergleich zur letzten Platte "Choir Of Echoes" an, die vermutlich mehr als deutlich ausgefallen ist. Gut so!
Slaves: Doppelbegabung [Update]
Die beiden Jungs bleiben zunächst beim vollen Körpereinsatz: Die Slaves hatten im vergangenen Jahr mit "Acts Of Fear And Love"
ein wirklich wunderbares, lautes Album am Start, die Singles waren
allesamt Killer und auch live wußten Isaac Holman und Laurie Vincent
mehr als zu überzeugen. Lockerlassen ist trotzdem nicht angesagt. Denn
heute haben sie ihre neue 4-Track-EP "The Velvet Ditch" veröffentlicht
und wer sich die Single "One More Day Won't Hurt" anhört, denkt eher an
Metal als Punk. Den gibt's dann in ansprechender Geschwindigkeit bei "It
Makes Me Sick", bevor die Systeme auf Abkühlung gefahren werden und
zwei erstaunlich ruhige Songs folgen. Die Überraschung jedenfalls ist
ihnen mit der 12" gelungen.
Update: Sie bleiben also für eine Überraschung gut, auch visuell. Hier kommt das Video zur Single.
Update: Sie bleiben also für eine Überraschung gut, auch visuell. Hier kommt das Video zur Single.
The Murder Capital: Der Ernst der Jugend [Update]
The Murder Capital
„When I Have Fears“
(Rykodisc)
Es sind tatsächlich andere Zeiten. Wir kennen ja durchaus Jahre, da war kein Mangel an jungen, aufstrebenden Gitarrenbands, da gaben sich die talentiertesten unter ihnen wöchentlich mit Verve die Klinke in die Hand, viele teilten sich ein „The“ im Namen und machten gleich einen Trend daraus – lang ist’s her. Heute dagegen ist die Spitze nicht breit, sondern eher dünn, übersichtlich besetzt, haben Pop und Rap den Indierock in Sachen Novitäten längstens überholt und wegen des Mangels ist die Freude jedes Mal um so größer, findet sich doch ein würdiger Vertreter, der dem oft totgesagten Genre ein wenig Hoffnung gibt und Glanz verleiht. Dass die Iren diesen Kampf ganz vorn mit ausfechten, ist ansich keine so große Überraschung (sind sie doch seit jeher eine Nation von Musikverrückten in des Wortes bestem Sinne), erstaunlich ist aber schon, dass mit den Silverbacks, den Fontaines D.C. und eben jener fünfköpfigen Post-Punk-Formation The Murder Capital gleich drei Bands aus Dublin mitmischen.
Ebenso bezeichnend ist es, dass sich James McGovern und Kollegen ganz in der Tradition ihrer (gar nicht so alten) Urahnen zu bewegen scheinen, ihre Songs sind so leidenschaftlich, melodieverliebt, zuweilen auch ein wenig pathetisch und schwermütig, wie man es wohl nur an der rauen Ostküste ihres Heimatlandes zuwege bringen kann. Man weiß nicht so recht, wie es die Jungen in Dublin mit einem Mann wie Paul David Hewson so halten, den Spötter, Neider und sonst alle anderen unter dem Namen Bono kennen, berufen haben sich The Murder Capital ja eher auf die britischen Joy Division denn auf U2. Naheliegend, klar. Aber es gibt eben durchaus Momente auf „When I Have Fears“, in denen man die frühen, die kraftvollen, die ungeschlachten Stücke der heute so öden Stadiontruppe durchhört, Sachen wie „40“, „Out Of Control“, „Stories For Boys“ oder auch das wunderbare „11 O’Clock Tick Tock“. Mag sein, dass solche Vergleiche heutzutage an Rufschädigung grenzen, als Kompliment sind sie dennoch gemeint.
Anders als die Fontaines D.C., deren Erstling um einiges aufgeräumter, hitorientierter geraten ist, lassen The Murder Capital düsteren Stimmungen deutlich mehr Raum und man merkt, dass sich Produzent Mark Ellis aka. Flood und die fünf ernsten Burschen nicht ohne Grund verabredet haben, schließlich hatte der auch schon Nick Cave, PJ Harvey, Warpaint und die Smashing Pumpkins im Studio (und ganz nebenbei eben auch U2, sorry). Ellis mag tiefe, raumgreifende Texturen, satten Sound und so böllern die Iren mit „For Everything“, „More Is Less“ (Update: Jetzt mit Video) und „Green And Blue“ auch gleich gewaltig los. Sie tun das, nicht ohne danach die Bässe dunkel zittern zu lassen, nehmen sich ebensoviel Zeit und Anlauf für getragene, ausladende Klangmalereien. Es geht hier dreierlei – die Roughness ihrer Vorabsingle „Feeling Fades“ mit Bad-Seeds-Referenzen, der herrliche Drive von „Don’t Cling To Life“ und das grabestiefe Gemurmel bei „How The Streets Adore Me Now“.
Den Titel des Albums, das möchte man dann doch noch erwähnen, hat McGovern im Übrigen einem Sonett des englischen Romantikers John Keats entlehnt. Betonen muß man das deshalb, weil es dem Vorurteil widerspricht, die Jugend von heute hätte mit klassischer Literatur, Lyrik gar, so überhaupt nichts mehr zu schaffen und kümmere sich lieber um Bequemlichkeit und Ablenkung in medialen Filterblasen. „Befällt mich Angst“ heißt der übersetzte Text des Dichters und enthält so wunderbare Zeilen wie diese: „Und wenn ich spüre, liebliche Gestalt, dass nimmermehr mein Auge dich umfasst, ich nie mehr koste holdeste Gewalt einsamster Liebe – steh ich, stiller Gast, am Strand der Welt allein und grüble lang, bis Ruhm und Liebe in ein Nichts versank.“ Das Wissen um diese Zeilen klingt ebenso schön nach wie die ganze Platte selbst, ein überaus gelungenes, wenngleich seltenes Beispiel dafür, dass es um den Rock nicht ganz so hoffnungslos bestellt ist wie befürchtet.
12.11. Hamburg, Molotow
13.11. Berlin, Musik und Frieden
14.11. Köln, Artheater
24.01. Wien, Chelsea
25.01. München, Strom
03.02. Berlin, Musik und Frieden
04.02. Münster, Gleis 22
„When I Have Fears“
(Rykodisc)
Es sind tatsächlich andere Zeiten. Wir kennen ja durchaus Jahre, da war kein Mangel an jungen, aufstrebenden Gitarrenbands, da gaben sich die talentiertesten unter ihnen wöchentlich mit Verve die Klinke in die Hand, viele teilten sich ein „The“ im Namen und machten gleich einen Trend daraus – lang ist’s her. Heute dagegen ist die Spitze nicht breit, sondern eher dünn, übersichtlich besetzt, haben Pop und Rap den Indierock in Sachen Novitäten längstens überholt und wegen des Mangels ist die Freude jedes Mal um so größer, findet sich doch ein würdiger Vertreter, der dem oft totgesagten Genre ein wenig Hoffnung gibt und Glanz verleiht. Dass die Iren diesen Kampf ganz vorn mit ausfechten, ist ansich keine so große Überraschung (sind sie doch seit jeher eine Nation von Musikverrückten in des Wortes bestem Sinne), erstaunlich ist aber schon, dass mit den Silverbacks, den Fontaines D.C. und eben jener fünfköpfigen Post-Punk-Formation The Murder Capital gleich drei Bands aus Dublin mitmischen.
Ebenso bezeichnend ist es, dass sich James McGovern und Kollegen ganz in der Tradition ihrer (gar nicht so alten) Urahnen zu bewegen scheinen, ihre Songs sind so leidenschaftlich, melodieverliebt, zuweilen auch ein wenig pathetisch und schwermütig, wie man es wohl nur an der rauen Ostküste ihres Heimatlandes zuwege bringen kann. Man weiß nicht so recht, wie es die Jungen in Dublin mit einem Mann wie Paul David Hewson so halten, den Spötter, Neider und sonst alle anderen unter dem Namen Bono kennen, berufen haben sich The Murder Capital ja eher auf die britischen Joy Division denn auf U2. Naheliegend, klar. Aber es gibt eben durchaus Momente auf „When I Have Fears“, in denen man die frühen, die kraftvollen, die ungeschlachten Stücke der heute so öden Stadiontruppe durchhört, Sachen wie „40“, „Out Of Control“, „Stories For Boys“ oder auch das wunderbare „11 O’Clock Tick Tock“. Mag sein, dass solche Vergleiche heutzutage an Rufschädigung grenzen, als Kompliment sind sie dennoch gemeint.
Anders als die Fontaines D.C., deren Erstling um einiges aufgeräumter, hitorientierter geraten ist, lassen The Murder Capital düsteren Stimmungen deutlich mehr Raum und man merkt, dass sich Produzent Mark Ellis aka. Flood und die fünf ernsten Burschen nicht ohne Grund verabredet haben, schließlich hatte der auch schon Nick Cave, PJ Harvey, Warpaint und die Smashing Pumpkins im Studio (und ganz nebenbei eben auch U2, sorry). Ellis mag tiefe, raumgreifende Texturen, satten Sound und so böllern die Iren mit „For Everything“, „More Is Less“ (Update: Jetzt mit Video) und „Green And Blue“ auch gleich gewaltig los. Sie tun das, nicht ohne danach die Bässe dunkel zittern zu lassen, nehmen sich ebensoviel Zeit und Anlauf für getragene, ausladende Klangmalereien. Es geht hier dreierlei – die Roughness ihrer Vorabsingle „Feeling Fades“ mit Bad-Seeds-Referenzen, der herrliche Drive von „Don’t Cling To Life“ und das grabestiefe Gemurmel bei „How The Streets Adore Me Now“.
Den Titel des Albums, das möchte man dann doch noch erwähnen, hat McGovern im Übrigen einem Sonett des englischen Romantikers John Keats entlehnt. Betonen muß man das deshalb, weil es dem Vorurteil widerspricht, die Jugend von heute hätte mit klassischer Literatur, Lyrik gar, so überhaupt nichts mehr zu schaffen und kümmere sich lieber um Bequemlichkeit und Ablenkung in medialen Filterblasen. „Befällt mich Angst“ heißt der übersetzte Text des Dichters und enthält so wunderbare Zeilen wie diese: „Und wenn ich spüre, liebliche Gestalt, dass nimmermehr mein Auge dich umfasst, ich nie mehr koste holdeste Gewalt einsamster Liebe – steh ich, stiller Gast, am Strand der Welt allein und grüble lang, bis Ruhm und Liebe in ein Nichts versank.“ Das Wissen um diese Zeilen klingt ebenso schön nach wie die ganze Platte selbst, ein überaus gelungenes, wenngleich seltenes Beispiel dafür, dass es um den Rock nicht ganz so hoffnungslos bestellt ist wie befürchtet.
12.11. Hamburg, Molotow
13.11. Berlin, Musik und Frieden
14.11. Köln, Artheater
24.01. Wien, Chelsea
25.01. München, Strom
03.02. Berlin, Musik und Frieden
04.02. Münster, Gleis 22
Dienstag, 15. Oktober 2019
Little Simz: Botschafterin gefunden
Little Simz
Support: April And Vista
Ampere, München, 14. Oktober 2019
Warum man gleich so viele Bilder anderer Künstlerinnen vor dem inneren Auge hat, wenn man Simbiatu Ajikawo alias Little Simz auf der Bühne sieht? Nun, es könnte an der auffälligen Frisur, dem drained bun, liegen, der so ähnlich auch schon den Kopf von Nina Simone oder Erykah Badu geziert hat. Oder an ihrer Gestik, den vielen unterschiedlichen Gesichtern, mit denen sie das Publikum in ausverkauftem Haus dirigiert – ob sie nun liebevoll Herzen oder derbe Ficks verteilt, ob sie einen unter gespenstischer Beleuchtung fröstlern läßt oder mit leidenschaftlichem Gesang die Seele anrührt, es stecken viele Frauen und ganz viel Geschichte in ihr. Und all das muss an einem Abend wie diesem nach draußen. Weit offensiver als die männlichen Kollegen ihres Fachs repräsentieren Stars wie Little Simz immer auch bewußt Hautfarbe, Herkunft, Identität, Geschlecht, das ist nicht einfach ein Rollenspiel, das ist ihr Leben, ihr Selbstverständnis, ihre Verpflichtung.
Die streitbare Frau aus dem Londoner Statdtteil Islington schaffte es in diesem Jahr für den renommierten Mercury Prize auf die Shortlist und weil Grime momentan das Ding der Stunde ist, hat dann – nun, doch Dave Santan gewonnen. Auch ein würdiger Sieger, ohne Zweifel, aber einer, der es in punkto Vielfalt und Wandlungsfähigkeit schwerlich mit Little Simz, ihrem neuen, grandiosen Album „Grey Area“ und vor allem ihrer Livepräsenz aufnehmen kann. Denn da oben steht eben nicht nur die wilde, zornige Rapperin mit den Maschinengewehr-Reimen und mächtig viel Wut im Bauch, sondern auch die geschmeidige Tänzerin, die hintergründig lächelnde Erzählerin, die Episoden ihres rasanten Aufstiegs als eine Art Spoken-Word-Performance zum Besten gibt. Neben den harten Beats gibt es zarte Pianoklänge, wird aus der extrovertierten Sängerin im Handumdrehen die in sich gekehrte Gitarristin.
Es sind hauptsächlich Sachen von der aktuellen Scheibe, die gemeinsam mit den beiden Begleitmusikern zur Aufführung gebracht werden, einzig das böse „God Bless Mary“ vom Debüt aus dem Jahr 2015 und „Bad To The Bone“ sind älteren Datums. Und mit dabei eben auch so wunderbar soulige Nummern wie „Sherbet Sunset“ und „Flowers“ (ursprünglich mit Unterstützung von Michael Kinwanuka) und natürlich „Selfish“, die funky Hymne auf Eigenständigkeit, Selbstbehauptung, Stolz und innere Kraft, mit der sie alle die Vorsichtigen, Zögerlichen und allzu devoten bewußt vor den Kopf stößt. Die Zeit, so sagt ihr Auftreten, so lautet ihre Message, wo Afroamerikaner, wo Frauen ihr Ego hintenanstellen, verstecken mussten, ist längst vorbei und das mit Grime ein Stil aus den tristen Suburbs, den Elendsvierteln der Großstädte diese Botschaft transportiert, gemacht von den Außenseitern und Benachteiligten der Gesellschaft, ist ein starkes Zeichen. Little Simz hat das Zeug zur Botschafterin der Bewegung.
Support: April And Vista
Ampere, München, 14. Oktober 2019
Warum man gleich so viele Bilder anderer Künstlerinnen vor dem inneren Auge hat, wenn man Simbiatu Ajikawo alias Little Simz auf der Bühne sieht? Nun, es könnte an der auffälligen Frisur, dem drained bun, liegen, der so ähnlich auch schon den Kopf von Nina Simone oder Erykah Badu geziert hat. Oder an ihrer Gestik, den vielen unterschiedlichen Gesichtern, mit denen sie das Publikum in ausverkauftem Haus dirigiert – ob sie nun liebevoll Herzen oder derbe Ficks verteilt, ob sie einen unter gespenstischer Beleuchtung fröstlern läßt oder mit leidenschaftlichem Gesang die Seele anrührt, es stecken viele Frauen und ganz viel Geschichte in ihr. Und all das muss an einem Abend wie diesem nach draußen. Weit offensiver als die männlichen Kollegen ihres Fachs repräsentieren Stars wie Little Simz immer auch bewußt Hautfarbe, Herkunft, Identität, Geschlecht, das ist nicht einfach ein Rollenspiel, das ist ihr Leben, ihr Selbstverständnis, ihre Verpflichtung.
Die streitbare Frau aus dem Londoner Statdtteil Islington schaffte es in diesem Jahr für den renommierten Mercury Prize auf die Shortlist und weil Grime momentan das Ding der Stunde ist, hat dann – nun, doch Dave Santan gewonnen. Auch ein würdiger Sieger, ohne Zweifel, aber einer, der es in punkto Vielfalt und Wandlungsfähigkeit schwerlich mit Little Simz, ihrem neuen, grandiosen Album „Grey Area“ und vor allem ihrer Livepräsenz aufnehmen kann. Denn da oben steht eben nicht nur die wilde, zornige Rapperin mit den Maschinengewehr-Reimen und mächtig viel Wut im Bauch, sondern auch die geschmeidige Tänzerin, die hintergründig lächelnde Erzählerin, die Episoden ihres rasanten Aufstiegs als eine Art Spoken-Word-Performance zum Besten gibt. Neben den harten Beats gibt es zarte Pianoklänge, wird aus der extrovertierten Sängerin im Handumdrehen die in sich gekehrte Gitarristin.
Es sind hauptsächlich Sachen von der aktuellen Scheibe, die gemeinsam mit den beiden Begleitmusikern zur Aufführung gebracht werden, einzig das böse „God Bless Mary“ vom Debüt aus dem Jahr 2015 und „Bad To The Bone“ sind älteren Datums. Und mit dabei eben auch so wunderbar soulige Nummern wie „Sherbet Sunset“ und „Flowers“ (ursprünglich mit Unterstützung von Michael Kinwanuka) und natürlich „Selfish“, die funky Hymne auf Eigenständigkeit, Selbstbehauptung, Stolz und innere Kraft, mit der sie alle die Vorsichtigen, Zögerlichen und allzu devoten bewußt vor den Kopf stößt. Die Zeit, so sagt ihr Auftreten, so lautet ihre Message, wo Afroamerikaner, wo Frauen ihr Ego hintenanstellen, verstecken mussten, ist längst vorbei und das mit Grime ein Stil aus den tristen Suburbs, den Elendsvierteln der Großstädte diese Botschaft transportiert, gemacht von den Außenseitern und Benachteiligten der Gesellschaft, ist ein starkes Zeichen. Little Simz hat das Zeug zur Botschafterin der Bewegung.
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