Donnerstag, 4. Februar 2021

TV Priest: Mitschreiben am Soundtrack der Krise

TV Priest
„Uppers“

(Sub Pop)

Das Debüt des Londoner Quartetts TV Priest vorschnell mit dem Hinweis abzutun, hier würde doch wohl allzu offensichtlich an der Nachfolge von Bekanntem gearbeitet, greift zu kurz und scheint deshalb einigermaßen unfair. Die Frage sei gestattet, welcher Künstler, welche Künstlerin heutzutage noch umwerfend Neues, Revolutionäres, Originäres bieten kann, siebzig Jahre nach Chuck Berry und Elvis Presley. Es gelingt so wenigen, dass man die Vielen, denen das Jahrhundertgenie dazu fehlt, nicht verdammen sollte – gute Musik bleibt es nämlich trotzdem. Und wenn, wie bei den vier Herren hier, der Fokus mit einem Debüt auf eine andere Lichtgestalt früherer Tage gelenkt wird, dann ist das doch eine durchaus lohnende Sache. Und die ersten, denen man eine deutliche Nähe zu Mark E. Smith und seiner Band The Fall nachsagt, sind TV Priest ja beileibe nicht. Sie reihen sich eher ein in die große Zahl von Bands, die das Einzigartige des 2018 verstorbenen Musikers aus Manchester noch etwas heller strahlen lassen.



Ohnehin sind auch The Fall nur ein Teil von mehreren, die einem beim Anhören von „Uppers“ durch den Sinn gehen – speziell „Leg Room“ und „Journal Of A Plague Year“ haben viel von der kantigen Rotzigkeit der einstigen Post-Punk-Heroen. Darüber hinaus gehen aber auch Vergleiche mit derzeit ebenso angesagten Formationen wie den Idles, Heavy Lungs und Lice nicht fehl, sie alle eint eine höchst intensive, expressive Bühnenperformance, stampfende Drums, wilde und rohe Gitarrensounds, Wut, Aggression, näher am Punk, näher am Hardcore als The Fall es je waren. Besagte Wut und Aggression speisen sich natürlich aus den derzeit mehr als unbefriedigenden Zuständen auf der Insel, wo sich Brexit und Pandemie eine Art Wettrennen um den Titel des gefährlichsten Brandbeschleunigers für die allgemeine Krise liefern und der Kollaps des Gesundheitssystems nur ein Indiz unter vielen für die bedrohliche Schieflage des kompletten Gesellschaftsgefüges ist. Kein Wunder also, dass der Soundtrack zur britischen Befindlichkeit derzeit aus so vielen und so guten Quellen gespeist wird. TV Priest, die es nicht beim bloßen Brettern belassen, sondern auch recht originelle Interludes, Effekte und Instrumente in und zwischen ihre Stücke bauen, sind da bei weitem nicht die schlechtesten Vertreter.

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