„Shulamith“
(Indigo)
Die auffälligste Änderung ist eine optische: Vom verlassenen Doppelbett bei „Give You The Ghost“ zum blutüberströmten Frauenkörper auf dem Cover der aktuellen Platte – zusammen mit dem Titel, der den direkten Bogen zur letztjährig verstorbenen Radikalfeministin Shulamith Firestone schlägt, kann man den Hörer mit der Nase kaum deutlicher auf Ansinnen und Grundhaltung stoßen. Und doch wird Channy Leanagh, die sich neben vier weiteren Mitstreitern hinter dem Bandkollektiv Poliça verbirgt, nicht müde zu betonen, dass sie unter keinen Umständen eine politische, gar feministische Platte machen wollte. Ein Widerspruch? Interessant ist dabei, dass Leanagh offenbart, sie habe dieses zweite Album erst mit dem unzweideutigen Titel versehen, nachdem alle zwölf Titel schon im Kasten waren, genauer nach der Lektüre eines Schlüsselwerkes von Firestone, das sie nachhaltig berührt habe.
Fremd sind ihren Liedern die Themen der Frauenrechtsbewegung sicher nicht, die alleinerziehende Mutter einer Tochter schildert diesen Kampf um das weibliche Selbstverständnis und gegen eine patriarchalisch dominierte Gesellschaft schon auf ihrem Debüt, nur eben – und hier löst sich der etwaige Widerspruch – aus einer ganz persönlichen, fast schon intimen Sicht. Sie nutzt die drastischen Bilder, die sich so auch im Video zur Single „TIFF“ wiederfinden, um Aufmerksamkeits- und Reizpunkte zu setzen, das Grelle und Laute als Stichwortgeber für die alltäglichen, die ganz privaten Schlachten. Titel wie „Warrior Lord“ und „Very Cruel“ meinen also das Große, Ganze, erzählen aber die kleinen Geschichten, besagtes „TIFF“ illustriert nicht weniger als das immergleiche Hadern mit den eigenen Fesseln und Zwängen, im Video geht Leanagh mit sich selbst hart in den Clinch – schön anzusehen ist das selten.
Musikalisch ist „Shulamit“ sehr nah am Erstling, die Stimme wirkt wegen des reduzierten Einsatzes von AutoTune klarer und unmittelbarer und die Stücke sind, wenn dies überhaupt möglich ist, noch ein Stück weit komplexer, vielschichtiger geworden. Unverändert dominant der Part der doppelt besetzten Drums und die virtuos geloopten, gewaltigen Synthiesequenzen, poppige Klänge („Chain My Name“, „Trippin‘“) wechseln mit bedrohlichen („Smug“), analoges Schlagwerk („Matty“) mit technoiden Beats („Spilling Lines“), hier ein paar Anklänge an die „Army Of Me“ von Björk („Very Cruel“), dort der zart gesäuselte Gastbeitrag von Freund und Allrounder Justin Vernon („TIFF“). Poliça bleiben angenehm wechselhaft und schlecht fassbar, bringen aber durch Leanaghs warmes Timbre verlässlich das Schöne und das Erhabene in die wild wuchernden, zuweilen sprunghaften Soundeskapaden. Ein ernsthaftes, ein seltenes Schmuckstück – schon wieder. http://thisispolica.com/uk/
Der Komplettstream des Albums findet sich momentan bei NPR.
25.01. Hamburg, Uebel & Gefährlich
27.01. Berlin, Heimathafen
28.01. Köln, Kulturkirche
01.02. Lausanne, Les Docks (CH)
02.02. Baden, One Of A Million Festival (CH)
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