„One Breath“(Domino Records)
Man tut auch weiterhin gut daran, sich von der Optik nicht allzusehr täuschen zu lassen. Denn auch wenn Anna Calvis Instagram-Gallerie sie größtenteils als streng frisierten, rotlippigen Vamp zeigt, so ist sie – auch und gerade mit ihrem neuen Album – von der Eindimensionalität, dem doch reichlich vorhersehbaren, leicht brünftigen Schmachtkalkül einer Lana Del Rey weit entfernt. Und möchte das auch bleiben. Der Püppchenstatus bleibt ihr völlig fremd, schließlich holt sich die Halbitalienerin ihr Selbstverständnis aus dem eigenen Handwerk – dem Songwriting, dem Gitarrenspiel, der starken Bühnenpräsenz. Dass sie dabei so unterschiedliche Vorbilder wie Alison Goldfrapp, PJ Harvey und auch Nick Cave in sich vereint, ist ihr kein Widerspruch – für Calvi entspricht die Wandlungsfähigkeit, das Unstete ihrer Songs auf ganz natürliche Weise der Widersprüchlichkeit ihrer Gedankenwelt. Und das äußert sich auch auf ihrem zweiten Album in verschiedenen Stimmungen und Bildern.
Da gibt es die weitausholenden, dramatischen, eher balladesken Lieder wie „Eliza“, „Sing To Me“ oder „Suddenly“, in sich geschlossen und mit einigem Pathos gesungen – dagegen stehen die zerrissenen, mehrfach gebrochenen Stücke wie „Piece By Piece“, „One Breath“ oder auch das famose „Carry Me Over“, nicht selten beendet hier abrupt eine brachiale Gitarre die träge Süße der Geigen, ganz so, als wolle die Künstlerin bewußt jede Vorhersehbarkeit vermeiden. Im hart angeschlagenen „Tristan“ kontrastieren die satten Drums mit drängendem Backround, Saitengekreisch und programmierter Elektronik, für „Cry“ böllert der Bass zur taumelnden Orgel. Ganz und gar überdreht dann „Love Of My Life“, nah dran an Polly Jean und ihren zeternden, schnappatmenden Frühwerken. Diese Platte ist ein grandioses Hin und Her, eine Tour de Force voller Schauder, zärtlichem Geflüster und wildem Aufbegehren, abgrundtief und deshalb höchst unterhaltsam. www.annacalvi.com
Interview und Komplettstream des Albums bei SPEX.
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