„Götterstrasse“
(Universal)
Größer könnten die Gegensätze wirklich nicht sein: Hier der mittlerweile etwas dickplautzige Maximilian Lenz alias Westbam, der lichtscheu und ungelegt durch Rampenlicht stolpert, dort die geschmeidige und glamouröse Tanzplatte. Natürlich ist das, was hier so gefällig aus den Boxen wummert, kein Nischentechno mehr, auch die Texte lassen sich, vorsichtig formuliert, unter tiefenpsychlogischen Aspekten nur begrenzt verwerten. Westbam folgt auf diesem (im Wortsinne) Album seines Lebens genretypisch, also wie immer, der Devise „form follows function“ und gibt mit der „Götterstrasse“ quasi die irwingsche Ergänzung zum „Teufelswerk“ des Kollegen Hell. Einer illustren Gästeschar, gespeist aus nun bald 30 Jahren hinter den Tellern und mit Liebe und Verstand ausgewählt, schreibt der Meister seine dreizehn Tunes auf den Leib und es gelingt ihm auf beeindruckende Weise, den jeweiligen Stimmfärbungen und Charakteren den passenden Sound zuzumischen – der Endlosmix geht direkt aus dem Ohr über den Bauch in die Beine.
Dabei greift der heute 48-jährige Münsteraner ganz tief in die Kruschkiste der eigenen Vergangenheit – mit Richard Butler, Iggy Pop, Bernard Sumner und Hugh Cornwell schreiten gleich vier Idole seiner frühen Jugend zur erfolgreichen Stimmabgabe. „You Need The Drugs“ ist eine sehnsuchtsvolle, einschmeichelnde Hymne an die Nacht und ihre Gestalten, Iggy Pop legt sein gegerbtes, windschiefes Grummeln über die spotzenden Beats der „Iron Music“ und der New-Order-Frontmann leiht sein warmes Timbre als Futter für die perlenden Synths von „She Wants“, während das Stranglers-Urgestein mit „A Night To Remember“ eine satten Tanzbodenstampfer veredelt.
Und damit sind die Glanzpunkte des Albums noch nicht einmal ausgezählt. Die alte Weggefährtin und Poptrine Inga Humpe darf sogar zweimal ans Mikrophon treten, beim Titelsong dient ihr zweifellos erotisches Stimmchen noch als getupfte Ausschmückung, „The Middle Of Nowhere“ gibt ihrem Gesang kurz darauf etwas mehr Raum und – Überraschung – das stört nicht, das funktioniert. Der Kontrapunkt (die Kontrapunktin?) dazu: Die New Yorkerin Katt Rockwell, auch sie darf für zwei Stücke in die Mischmaschine – für die melancholische Erinnerungsadresse an den verstorbenen Freund Mark Spoon („Rebel Heart“) ist sie mit ihrem brüchigen Organ die Idealbesetzung und auch der ruppige Downbeat von „Where we‘re from“ kann mit ihr nur gewinnen.
Das letzte Lob noch für die beiden Besetzungen aus Übersee: Das rostige Rezitativ von Lil Wayne („Kick It Like A Sensei“) erinnert angenehm an Gil Scott-Herons Meisterleistung „I’m New Here“ und scheint direkt aus dem Wachkoma über die Drums gelegt, Kanye West wiederum hat mit „Radio Siberia“ genau den Track erwischt, der seinen nöligen Rhymes am besten zu Gesicht steht – großes Orchester, Electrobrass, kurz: DJ-Culture. Nichts an dieser Platte ist schwer zu haben und dennoch fährt Westbam immer knapp neben der Mainstreamspur. Vielleicht wird manch früherer Jünger das Verschrobene, Trashige vermissen, kein Bamm-Bamm und kein Gabber, von House ganz zu schweigen – Westbam zieht Bilanz und verneigt sich mit dieser Platte vor seiner eigenen Vergangenheit und ihren Protagonisten. Es macht eine Menge Spaß, ihm dabei zuzuhören.
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1 Kommentar:
You are right. Schönes Lied.
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