Alt-J
„Relaxer“
(Infectious)
Und schon wieder die Frage: Wie lang kann man das durchhalten? Ohne dass auf der einen Seite die Verästelung sämtlicher Musikstile zum bloßen Selbstzweck gerät, um nur ja dem einmal gesetzten Anspruch zweier formidabler Platten gerecht zu werden, ohne dass auf der anderen Seite der Hörer irgendwann überfordert abwinkt, weil eben jener Anspruch auf Dauer ermüdend ist? Noch geht es ganz wunderbar, auch mit dem neuen Werk „Relaxer“ bleiben Alt-J ihrem Stil treu, eigentlich keinen zu haben. Schon wieder packen sie in einen Song Ideen hinein, die eigentlich auch für fünf gereicht hätten, bleibt Vertracktheit ihr Credo. Da geht es ihnen nicht anders als Radiohead, mit denen sie ja nicht von ungefähr ständig in verglichen werden – mit einem gewichtigen Unterschied: Thom Yorke und seine Truppe kommen (was man bei der Vielzahl der Kleinkunstwerke, die sie mittlerweile abgeliefert haben, schnell vergisst) vom simplen Rocksong, ihr Debüt „Pablo Honey“ glänzte mit den einfachen Mitteln guten Songwritings, erst im Laufe der Jahre haben sich die Herren zu den überaus versierten Klangmischern entwickelt, als die sie heute verehrt werden.
Bei Alt-J hat es so eine stetige Entwicklung (zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung) nicht gegeben, aus dem Stand legten sie mit dem Erstling „An Awesome Wave“ sogleich einen anspruchsvollen Ton- und Preisträger hin, gefolgt von dem nicht weniger erstaunlichen „This Is All Yours“ im Jahr 2014. Genies, Wunderkinder, Frühvollendete, mit diesen Begriffen waren die Besprechungen ihrer Platten gefüllt und nichts davon war übertrieben. Und auch das neuerliche Werk wird solchen Lorbeer ernten, wenngleich sich erste Warnhinweise vernehmen lassen, man solle es doch bitteschön nicht übertreiben. Mit der Zuordnung ist das immer noch so eine Sache, wir staunen erneut über zart knisternden Elektrofolk, Alternativ-Pop, verfrickelten Blues, orchestralen (Ba)rock und etwas Psychedelik. Es gibt wirklich kaum etwas, an das sich das Quartett aus Leeds nicht herantraut und wenig ist dabei, das nicht gelingt. Wo die schwülstige Atmosphäre bei „Hit Me Like A Snare“ mitsamt seinen eigenartigen, teilweise auch kraftmeierischen Texten etwas aufgesetzt wirkt, da entschädigen die beiden feinen Einstiegstracks „3WW“ (gemeinsam mit Ellie Rowsell/Wolf Alice) und „In Cold Blood“ auf’s Beste.
Ganz und gar großartig die Idee, einfach mal ein Cover des eigentlich zur Unhörbarkeit abgenudelten Animals-Klassikers „House Of The Rising Sun“ in den knapp vierzig Minuten unterzubringen. Das noch dazu recht ansprechend klingt. Highlight allerdings ist das sehnsüchtig-traurige „Adeline“, ein klug verbastelter Schmachtfetzen über Unerreichbarkeit und nicht erwiderte Liebe, bei dem Alt-J, wie man liest, ein Stück Filmscore von Hans Zimmer aus dem Streifen „Thin Red Line“ beliehen und gemeinsam mit dem London Philharmonic Orchestra umgewidmet haben – wirklich mehr als geglückt. Und so ließen sich noch eine ganze Reihe mehr Beispiele benennen, warum ihr Output zwar manchmal etwas anstrengend, doch immer noch bewundernswert vielschichtig und inspirierend ist. Denn wer dem Werk von Alt-J und somit auch den neuen Stücken von „Relaxer“ die notwendige Konzentration und ungeteilte Aufmerksamkeit entgegenbringt, entdeckt, wenn alles gut läuft, in ihnen eine Tiefe und phantasievolle Bildgewalt, wie sie sonst nur die eigenen Träume bereithalten. http://www.altjband.com/
13.06. Berlin, Funkhaus Nalepastraße
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