Jochen Distelmeyer “Heavy” (Columbia)
Was haben sie ihm nicht alles um die Ohren gehauen, dem Jochen Distelmeyer, was ist er nicht alles geschimpft worden, er, Liebling und Hassfigur des Feuilletons in Personalunion. Apfelmännchen, Dornenboy, Heulsuse, Minnesänger waren noch die milderen Titulierungen, mal machte er seine Musik für die Kirchentage dieser Welt, dann wieder sah ihn mancher schon bei Marianne & Michael sein ganz persönliches „Herzilein“ zum Besten geben. Nein, einfach haben es ihm die Meinungsverwalter nie gemacht, verstanden haben ihn nicht viele und es allen recht machen konnte und wollte er schon gleich dreimal nicht. Was sollte er auch dagegen tun, dass man ihm Distanz und gesundes Mißtrauen als Arroganz und Weltekel auslegte und gescheite Worte als wirklichkeitsfremde, intellektuelle Pose abtat. Klar, wer seine Band nach einer Figur von Kafka benennt, der hat schon gleich mal richtig verkackt im deutschen Showbiz, wo „Mitmachen“ und „Konsens“ ganz oben in den Statuten stehen.
Wer es dann besser machen will, der behauptet flugs, Distelmeyer sei der „wichtigste deutsche Popdichter“ unserer Tage. Sagt jedenfalls die SZ – die muß es wissen, die kennt sich aus. Und auch wenn es danach keinen erhellenden Grund für diese verquaste Zwangsverpflichtung zu lesen gibt, fragt man sich: Was ist er denn nun? Und ist er das für uns oder nur für sich? Er ist, so jedenfalls läßt sich gefahrlos behaupten, noch immer einer der wenigen Unangepaßten, der Dinge auf eine Weise sagt, die in dieser Zeit entweder gern überhört oder mangels imperativer Drängelei gar nicht mehr wahrgenommen werden.
Und nun also „Heavy“ – seine erste Soloplatte nach dem Ende von Blumfeld. Natürlich alles Koketterie – „heavy“ ist nichts an diesem Album, nicht die angenehm aufgeräumte Optik, nicht die Musik und schon gar nicht der Text. Distelmeyer weiß einmal mehr, was er wie will, mittlerweile jedoch setzt er Punkte und Pausen, wo früher verwirrende Wortschöpfungen durchs Hörerhirn surrten – es scheint, als habe er mehr und mehr die Klarheit und die Einfachheit zum Credo erhoben. Nur noch „Nach der Musik“ und „Hiob“ sind von den altbekannten Metaphern durchzogen, der Rest perlt in wundervoller Posie, trifft direkt und ohne Umwege. Wer dazu Schlager sagt, hat nicht verstanden, dass es hier nicht um eine künstliche, betuliche und der Gefälligkeit wegen vereinfachte Weltsicht geht. Distelmeyer kann Unbehagen und Wohlbefinden gleichermaßen ohne Schnörkel, ohne Attitüde benennen, er simplifiziert nicht, er übersetzt, er filtert aus der Gesellschaft das Alltägliche, aus dem Großen und dem Ganzen das eigene Kleine. Und das tut er nicht als Chronist, sondern als wachsamer Erzähler.
Die Themen sind die alten, Beziehungswirren (Nur mit Dir, Gehen oder Bleiben), Wut und Auflehnung (Hiob, Wohin mit dem Hass?), schamlos überzogene Liebeslyrik (Laß uns Liebe sein, Jenfeld Mädchen) und am Ende anrührende Lebensessenz (Murmel). Es gibt hierzulande nur wenige, die das so pointiert und unverwaschen in Form bringen, in die drei bis vier Minuten eines einzigen Songs. Dazu eine Musik, die in den furiosen, rauen Momenten natürlich wieder angenehm an Sonic Youth erinnert, ein ewiges, liebgewonnenes Zitat. Und so bleibt am Ende dieser kritiklosen Lobhudelei nur noch festzustellen: Das Jahr hat seinen Meister gefunden – die Bestenlisten können geschrieben werden …