Freitag, 12. März 2010
Gehört_115
The White Stripes „Under Great White Northern Lights“ (XL)
Der Blick in den eigenen Plattenschrank lädt zuweilen dazu ein, über Sinn und Unsinn von Live-Alben zu philosophieren. Exemplarisch stehen da bei mir Neil Youngs „Weld“, Deep Purples „Live In Japan“ und „Take No Prisoners“ von Lou Reed, jedes Werk auf seine Art Zeitzeugnis und unvergleichlicher Monolyth. Bestes Beispiel in negativer Hinsicht: Die Live-Version von Depeche Modes „Songs Of Faith And Devotion“, spannungsarme Pflichterfüllung und kalkuliertes Zugeständnis an Plattenfirma und Management. Wohin nun gehört das erste offizielle Live-Album der White Stripes? Wie vermutet dürfte die Wahrheit in der Mitte zu finden sein: Ein epochaler Meilenstein ist es vielleicht nicht geworden, bloßes Zwischenfutter für Fans als Pausensnack bis zur nächsten Platte kann man den Geschwistern White beim besten Willen aber auch nicht vorwerfen. Aufgenommen wurden die Stücke im tiefsten kanadischen Hinterland, die Mischung kann man getrost als ausgewogen bezeichnen, außer „De Stijl“ ist jedes der sechs bisherigen Alben in der Setlist vertreten, naturgemäß das aktuellste (Icky Thump) und das kommerziell erfolgreichste (Elephant) mit jeweils vier Titeln und somit den meisten Treffern. Die Auswahl ist wie immer diskussionswürdig, mit „Black Math“ und „Seven Nation Army“ sind immerhin zwei lupenreine Crowdpleaser dabei, mir fehlen mit „Hotel Yorba“ und „The Hardest Button ...“ zwei persönliche Favoriten – geschenkt. Greifbar, auch auf CD, bleibt die ungezügelte Kraft des Duos, die Songs bersten schier vor Energie und man hat den Derwisch Jack White förmlich vor Augen, wie er sich an den Saiten die Finger wundarbeitet. Dazu noch seine oft überdreht kippenden oder auch nur gebellten Vocals, begleitet von Megs jagendem Getrommel – Songs wie das auf dem Album eher durchschnittliche „Blue Orchid“ muten so eher an wie mühsam gezügelter, vertonter Exorzismus. Alles Material fügt sich zu einer wilden, elektrisch verstärkten Verzerrungsorgie, angereichert durch delirierende Sythesizer. Selten bekommt man einen Moment zum Durchatmen, selbst das grandiose Dolly-Parton-Cover „Jolene“ wird eher geschrieen denn gesungen, herzzerreißend, taumelnd. Kurz vor Schluß dann noch einmal zwei vergleichsweise alte Stücke, „Fell In Love With A Girl“ und „When I Hear My Name“, die – Offenbarungen gleich – selbst den Abräumer (bah babababa bah bah, alles klar) ein wenig alt aussehen lassen. Wer die Chance hatte, die Band schon einmal in einem kleineren Club zu sehen und zu hören, kennt diese unmittelbare und brachiale Wucht, die einem da entgegenschlägt – einiges davon kann man auch auf dieser CD erahnen. Und das wiederum ist für ein Live-Dokument keine kleine Leistung.
http://www.whitestripes.com/
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