Dienstag, 28. Juli 2020

Ganser: Beklemmend zeitgemäß

Ganser
„Just Look At That Sky“
(Felte Records)

Auf das erste Post-Lockdown-Rockalbum werden wir wohl noch eine ganze Weile warten müssen. Nicht nur, weil der ganze Spuk leider noch nicht vorbei ist, sondern auch, weil ein klassisches Band-Setup einfach ein paar Dinge braucht, auf die hippe Bedroom-Popper und Folklore-Kuschler (nur echt mit der Strickjacke) leicht verzichten können – mehrtägige Liveaufnahmen im Studio sind eben nicht zu ersetzen, momentan aber schwer zu bewerkstelligen. Und so haben auch Ganser aus Chicago das Material ihres zweiten Albums schon im vergangenen Jahr eingespielt, ähnlich ging es vor Tagen ihren Geistesverwandten von Protomartyr. Und wir können uns glücklich schätzen, dass die vier nicht auf die Idee gekommen sind, daraus eine coronabedingte Akustikvariante zu machen. Denn was diese Platte auszeichnet und aus dem mediokren Rest hervorhebt, sind diese sperrige, rauschhafte Energie, sind die schmirgelnden Gitarrenriffs von Charlie Landsman, sind Brian Cundiffs düster hämmernde und wuchtige Drums, der mal elegant-düstere, mal erdig anmutende Bass von Alicia Gaines, die sich zudem paritätisch das Mikrophon mit einer zornig und entfesselt performenden Nadia Garofalo teilt.



Schon die dem Album vorangegangen Singles und EP ließen ahnen, dass Ganser nach dem beachtlichen Debüt „Odd Talk“ nicht gewillt waren, beim Sound nachzugeben, gar zu glätten und so klingt „Just Look At That Sky“ noch eine Spur wilder, explosiver, bringen sie hier noch mehr Noise, Feedback und Schroffheit ins Spiel. Und ganz wie bei den erwähnten Post-Punk-Kollegen aus Detroit muten die Stücke trotz des Vorlaufs gerade so an, als wären sie just in den Zeiten des Stillstands, der großen Verunsicherung, der um sich greifenden Paranoia geschrieben und aufgenommen worden. Was man durchaus als wesentliche Qualität vermerken darf. Die zunehmende Verzweiflung der letzten Wochen und Monate, die viele Menschen in sozialen und ganz realen Notstand, in Angst und Einsamkeit getrieben hat, spiegelt sich auf bedrückende Weise in den klanglichen Verwerfungen und den assoziativen Texten wieder. Die Band selbst hat mit ihrem kürzlich geposteteten Tweet die Lage sehr treffend und nicht ohne bitteren Unterton beschrieben: „This is a hell of a time to be in a band named after a dissociative disorder.“



„Hell of a day“ heißt es denn auch im Opener „Lucky“, der mit druckvollem Tempo die Richtung für die kommenden knapp vierzig Minuten vorgibt, Ganser werden in Folge kaum vom Gaspedal gehen. Ein anhaltendes Zerren, Kreischen und Wummern, zuweilen unterlegt von repetitiver Melodik schöner Gitarrenakkorde („Self Service“) oder kurz aufblitztenden Bläsersätzen („Bags For Life“) – erst bei der aktuellen Singleauskopplung „Emergency Eqipment And Exits“ verlangsamen sie zur Mitte des Stückes hin die Taktung, der Song hält aber, auch eingedenk des verstörenden Videos, die Spannung. Als stilistisch herausragend notieren wir zwei weitere Tracks – „Told You So“ gerät erstaunlich funky, das wunderbare „Shadowcasting“ überrascht dagegen mit sanft schimmerndem Groove und ungewöhnlich harmonischen Synthspuren. Wie viele andere Musiker*innen auch hatten sich Ganser viel vorgenommen in diesem Jahr, es ist ganz anders gekommen. Die chaotischen, zutiefst frustrierenden Zustände im eigenen Land, die Ungewissheit, wie lange die Pandemie noch anhält und an Nerven und Kräften zehrt – es sind ungewöhnliche Zeiten für alle. Diese Platte ist ein beeindruckendes Spiegelbild aller Kräfte geworden, die uns beanspruchen, zwischen denen wir aufgerieben werden. Sie klingt auf beklemmendste Weise zeitgemäß, viel mehr kann Kunst dieser Tage kaum leisten.

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