Montag, 20. Juli 2020

JARV IS...: Murmur on the dancefloor

JARV IS…
„Beyond The Pale“
(Rough Trade)

Einen Text über Jarvis Cocker mit Dirk von Lowtzow zu beginnen kann verschiedene Gründe haben. Alter und Haartracht ist es nicht, bei beiden Punkten liegen die Herren doch ein ganzes Stück auseinander, der elegante Schick, mit dem sie sich zu kleiden verstehen, läßt zwar gewisse Gemeinsamkeiten erkennen, ist aber nicht gemeint. Denn natürlich geht es hier um eine musikalische Parallele: Tocotronic, also von Lowtzows Band, gelten ja seit jeher als charmant verschrobene Chronisten der (zumindest was den Autor dieser Zeilen betrifft, längst vergangenen) Adoleszenz und neben so vielen diesbezüglich punktgenau passenden Stücken haben sie vor zwei Jahren mit „Electric Guitar“ einen weiteren Song für die Ewigkeit geschrieben – Pubertät in der Provinz, körperliche Scham und lustvolle Entdeckungen, geistige Enge, Ausbruch. Und wer Mitte der Neunziger zu diesem bemitleidenswerten einen Soundtrack suchte, landete mit genügend Geschmack unweigerlich bei Pulp, den Schlacksen aus dem britischen Industriestädtchen Sheffield – und hatte nichts falsch gemacht. Denn Pulp waren alles: klug, lässig, dancy, mal ausgelassen, mal sinister, immer sexuell aufgeladen und Cocker (für den der Begriff „Lad“ erfunden sein wurde) gab mit „Common People“, „Sorted For E’z And Wizz“, „Disco 2000“ und „Helped The Aged“ den legitimierten Sprecher/Sänger der different class.



Mittlerweile selbst ziemlich aged, konnte er sich sein Image auf geheimnisvolle Weise bis heute bewahren, Cocker gilt nach wie vor als leicht verzauselte, grundsympatische Type, nach der endgültigen Auflösung seiner Band hat der Mann eine Reihe feiner Soloalben eingespielt und sich auch sonst in unregelmäßigen Abständen zu Wort gemeldet. Zuletzt gab er seinen Landsleuten mit einer politisch durchaus gewitzten Aktion mit Nachdruck zu verstehen, auf welcher Seite er in Sachen Brexit zu finden und was seiner Meinung nach von Premierminister Boris Johnson zu halten sei – die Zeile „Cunts are still running the world“ drehte zur Freude vieler Menschen dreizehn Jahre nach Veröffentlichung noch ein paar Extrarunden in den britischen Charts. Und nun? Legt er unter neuem, leicht abgewandeltem Namen ein Album vor, welches das Kunststück fertigbringt, dezent Politisches und klanglich Verqueres zusammenzubringen und noch dazu stimmlich die Erinnerung an gleich drei der größten und leider verblichenen Musikpoeten wachzuhalten – Leonard Cohen, David Bowie und Serge Gainsbourg.



Und so hören wir zu reichlich Psychedelia, Krautrock und durchaus pulpeskem Popsound humoristische Slogans mit (sicherlich) ernst gemeinten Hintergedanken, Cocker ist dann auf ähnlich hintersinnige und ebenso dunkle Art und Weise Seismograph wie von Lowtzow. Bei „Save The Whale“ genauso wie beim gleich darauffolgenden, wunderbaren Stück „Must I Evolve?“, das mit seinen herrlich abgedrehten Backgroundchören dem Evolutionsdrama etwas den übertriebenen Ernst nimmt. Der ermahnende Imperativ bleibt trotzdem im Gedächtnis haften. Selbiges gilt dann auch gleich für „Am I Missing Something?“ im Anschluß, bevor Cocker sanft wippend zur nächsten Tanzrunde lädt: „Housemusic All Night Long“ ganz ohne House, ein großartiges Vergnügen. „Mindless Boogie“ hat Cocker das im Rolling Stone genannt, eine Art von Wellness, die keine App braucht und trotzdem ähnlich erfolgreich funktioniert. Die Vorstellung, es wäre bei diesem einen Konzert in Island, für das diese Band spontan gegründet und diese Musik eigentlich geschrieben wurde, geblieben, läßt einen kurz aufschrecken – zum Glück hatte Cocker gute Ratgeber und ein ebenso gutes Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Er hätte ihn (und uns) nicht besser treffen können.

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