Isolation Berlin
„Vergifte dich“
(Staatsakt)
Wirklich tröstlich ist das nicht: Vor ziemlich genau zwei Jahren, das Debütalbum von Tobias Bamborschke und Isolation Berlin war gerade erschienen, galt Flucht noch als Option. „Fahr weg“, hieß es da, „so weit weg wie es geht, wenn dich doch hier nur alles deprimiert…“ – aus dem Staub machen, entkommen. Ein Jahr darauf folgten fünfzig böse Verse (*), brach sich die Wut, die auf „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ noch aus der Ferne ätzte, endgültig Bahn. Bamborschke platze buchstäblich der „Kotzkragen“, eines der Gedichte hieß „S-Bahn“ und kam mit acht Worten aus: „Leckt mich doch Alle, am Arsch! AM ARSCH!“ Dem war für den Moment nichts hinzuzufügen, jetzt erscheint das zweite Album und die Flucht ist vom Tisch. Die Botschaft: Wenn du nicht klar kommst mit den Gemeinheiten, dem Unrecht dieser Welt, bring dich einfach um. Obwohl – es muss ja nicht immer gleich die tödliche Dosis ein. Den althergebrachten Giftstoffen hat unsere moderne Gesellschaft ja ein paar perfide, nicht weniger gefährliche Mittelchen hinzugefügt, die eher auf langsames Zersetzen, auf Aushöhlen und Betäuben, Lähmen aus sind, sie flimmern über kleine Displays, tarnen sich als Avatare und falsche Freunde, bedienen den schnellen Hass und füllen die Leere mit nichtssagendem Getöse. Man stirbt ab. Langsam. Freiwillig.
Es gibt nicht viele helle Momente auf dieser neuen, zweiten Platte von Isolation Berlin, mehr noch als ihr unentschiedener Vorgänger ist „Vergifte dich“ angefüllt mit Abscheu, Selbstzweifel und dessen großem Bruder, dem Selbsthass. Der Rausch, der vergessen lässt, wird vom Gift zum Geschenk. Nichts kickt mehr, alles war schon da und geholfen hat es kaum, nicht gegen das schwarze Loch, das sich mehr und mehr ausbreitet im eigenen Schädel und das man nicht benennen kann, nicht für die Liebe, die doch nur Lust ist und Trieb. Die, die helfen könnten, die noch zu berühren vermögen und Reaktion zeigen, auch wenn es nur Tränen sind, die schickt man besser weg („Marie“), weil man sich seiner selbst nicht mehr sicher sein kann („Melchiors Traum“). Kein Ausweg, nirgendwo, nicht zu zwein, nicht allein, und auch die Träume haben keinen Trost parat, Gedanken kreisen wie kaltes, gefühlloses Gestein auf stummen Bahnen.
Der Grund, warum diese Lieder dennoch so gut und einzigartig sind, liegt in Bamborschkes Wahrhaftigkeit, die über die Schmerzgrenze hinausgeht und in ihrer Hilflosigkeit zu Herzen geht. Der Gossenjunge zur Leidensgestalt stilisiert, die am Pfandflaschenautomat auf Erlösung wartet, wohl wissend, dass auch dies eine Illusion ist. Die den Frust benennt, den wir alle kennen und der uns die tägliche, klägliche Hoffnungsration wegfrisst, weil sich die meisten doch in dieser Welt ohne Sinn und Verstand leidlich bequem eingerichtet haben. Weil Bamborschke singt, was wir spüren, aber nicht sagen, gehen einem die Stücke nahe, kommt man nicht aus, rücken sie auf die Pelle. Woran es fehlt, ist Ironie, das macht es manchmal schwer zu ertragen – und weil seinem großen Vorbild und lyrischen Ziehvater Sven Regener genau das gelingt, beginnt man auch dessen Leistung gleich noch ein bisschen mehr zu schätzen. Man hat das unbedingte, bedrückende Gefühl, dass Bamborschke ohne diese Songs, ohne diese Texte die Tristesse, die Traurigkeit nicht bewältigen könnte, dass sie allein ihm den nötigen Halt geben. Und vielleicht ist genau das die zwingende Voraussetzung, um wirklich Großes zu schaffen.
(*) Tobias Bamborschke "Mir platzt der Kotzkragen", Gedichte, Gedanken und Spelunken, Wohlrab Verlag, 2017
22.01. Eggenfelden, Rossstall
23.01. Dornbirn, Spielboden
24.01. Graz, Orpheum
25.01. Mödling, Red Box
26.01. Linz, Kapu
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