Sonntag, 28. Juni 2020

Sault: Exkurs und Farbenlehre

Sault
"Untitled (Black Is)"

(Forever Living Originals)

Eines der stärksten Statements zu Rassenhass und Polizeigewalt, beides (tatsächlich nicht ganz so überraschend) keine US-amerikanischen Phänomene, kommt dieser Tage von einer Formation, die in der öffentlichen Wahrnehmung zwar existiert, aber ganz bewusst keinen visuellen Zugriff erlaubt. Viele meinen zu wissen, wer sich hinter Sault verbirgt, Namen wie die des Londoner Produzenten Dean Josiah, der Sängerin Cleo Sol oder der Kanye-West-Kollaboratorin Kid Sister werden genannt, aber so wirklich Genaues weiß eigentlich niemand und selbst sonst exzellent vernetzte Journalisten und Insider tappen vorerst weiter im Dunkeln. Gut so und eben deshalb auch ein Trost, dass in Zeiten der vollumfänglichen und allzeitigen Verfügbarkeit von allem und jedem (wenn auch nur für mutmaßlich kurze Zeit) noch Geheimnisse gibt, die sich dem Drang zur Offenlegung entziehen. Und das nicht, so wird vermutet, um eines lustigen Verwirrspiels wegen oder um den Ehrgeiz der Presse herauszufordern. Sondern zugunsten einer Sache, die im Moment größer ist als jede/r einzelne, die oder der sie vertritt. An diesem expliziten Anliegen wiederum gibt es keinen Zweifel, denn über die üblichen Kanäle gab die Band Folgendes zu Protokoll: "We present our first ‘Untitled’ album to mark a moment in time where we as Black People, and of Black Origin are fighting for our lives. RIP George Floyd and all those who have suffered from police brutality and systemic racism. Change is happening…We are focused."

Ein klare politische Motivation und Ansprache also stecken hinter der Veröffentlichung dieser Platte, die nicht von ungefähr auf den sog. Juneteenth dieses Jahres fiel, das Jubiläum der Proklamation der Sklavenbefreiung also, die geballte Faust auf dem Cover sagt ein Übriges. Musikalisch ziehen sie dabei erneut sämtliche Register: Wie auch schon auf ihren letzten Alben "5" und "7", beide im vergangenen Jahr erschienen, mischen sie in knapp sechzig Minuten eine ungemein reichhaltige Palette von Stilen, Subgenres und Stimmungen - Gospel, Afrobeat, Funk, Trip-Hop, Jazz, Soul und R'n'B sind einige davon. Schwer wummernde Beats, unterlegt mit Sirenengeheul und Protestrufen, wechseln hier mit warmen, weichen Sprechpassagen, Chören oder düsteren Rhymes. Will man diese Vielfalt, diesen Klangkosmos vergleichen, landet man unweigerlich bei Platten von Massive Attack, Algiers oder Faithless und wird doch nur einem Teil von Sault gerecht. Thematisch ist "Untitled" ein Spiegel schwarzer Befindlichkeit der Jetztzeit - historische Bezüge, afrikanische Wurzeln, sehr viel Stolz, natürlich Klage und Wut, aber ebenso Zuversicht, Erlöserglaube und Aufruf zur Besonnenheit und Gewaltlosigkeit ("Don't Shoot Guns Down"). Eine Exkursion also und auch eine Lehrstunde, die sich aus aktuellem Anlass mit "Black is beautiful" nur einer einzigen Farbe widmet. Und hoffentlich ihre Wirkung nicht verfehlt.

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