Die Kerzen
Support: whoiswelanski
Milla, München, 27. Januar 2020
Kein Scheiß: Da sitzt man mit seinem Bier in der übersichtlich gefüllten Milla und scrollt aus lieber Langeweile am Smartphone rum - macht doch genau in diesem Moment ein ehemaliger Mitschüler derselben Jahrgangsstufe (nennen wir ihn Heiko, weil Ost-Abi) eine dieser allseits beliebten WhatsApp-Gruppen auf, gegen deren Mitgliedschaft man sich bekanntermaßen nicht wehren kann, ohne gleich als Spaßbremse und/oder Soziopath missverstanden zu werden. Und teilt doch dieser Heiko einen Schwung Fotos längst vergangener Tage, die man eigentlich im Giftschrank verschlossen glaubte, die man nie, also wirklich niemals wieder hatte sehen wollen und vor denen man nun sitzt und hilflos den Kopf schüttelt. Erzwungener Zeitsprung also: Diese Haare! Diese Klamotten! Diese, nein: unsere einfältigen, albernen Gesichter! Bildgewordene Peinlichkeiten. Und dann erklingen von der Bühne die ersten Töne, Bier geschnappt, Telefon weg, ab nach vorn - und man ist doch tatsächlich noch in der gleichen, alten Zeit geblieben! Natürlich nicht optisch, denn Die Kerzen aus Berlin wissen sich so stilvoll zu kleiden, dass selbst ein Leopardenshirt noch lässig wirkt. Und auch die Frisuren sind es nicht. Es ist der Sound, das kitschig Überhöhte, Schummrige, auch mal Schwülstige. Die Treueschwüre, Leidenschaften, Sehnsüchte und Jammertäler, der ganze Herzschmerz also von damals.
Die Katze, Fizzy Blizz, Jelly del Monaco und Super Luci (so nennen sie sich) auf Platte zu hören ist eines, sie live und in grellbunter Farbe zu sehen, eine ganz andere Nummer. Denn all das hat so gar nichts, was einem peinlich sein müßte. Das ist unbekümmert, vergnügt, will nur Spielen. Oder todtraurig, wehmütig, zerstört, möchte in den Arm genommen und getröstet werden. Und wirkt doch entgegen aller Unkerei nicht halb so künstlich wie die Blumengrüße aus Sebnitz, die auch von der Bühne grüßen. Liebeslieder, mehr nicht, da macht Sänger Fizzy kein Hehl draus, denn nur darum geht es. Und um die Flucht vor Machbarkeitsstudien, Risikoabschätzung und eiskalt kalkuliertem Gewinnertum, weg von Ratio und Pragmatismus, dorthin, wo die Schwäne weinen, nach Saigon oder wenigstens ins Solarium, mit Al Pacino und Karamba. Klar stecken da Spandau Ballett, Duran Duran, Wham! und sogar ein bisschen Klaus Lage drin, vor allem aber viel von den eigenen Träumen, den unerfüllten, den zerbrochenen. Und von dem Gefühl, das man mal hatte, als man noch nichts wußte und trotzdem viel mehr möglich schien. Auch Die Kerzen sind keine sechzehn mehr, aber sie trauen sich, so zu tun, als ob sie's noch wären. Denn peinlich ist uns der Blick auf die alten Bilder heute eigentlich nur, weil wir schmerzhaft merken, wie weit weg wir von dieser wohltuenenden Gedankenlosigkeit schon sind. Und dass der Weg zurück nicht mehr funktioniert. Mit dieser Band aber gelingt wenigstens ein liebevoller Blick zurück. Das bestickte Batikshirt ziehen wir dann trotzdem nur zu Hause an, da draußen würde es ja doch niemand verstehen.
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