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Ich trete ja bei den aktuellen Konzerten als eigene Vorband auf, lese also vor dem Konzert…
Zwischendrin würde es wahrscheinlich ohnehin nicht funktionieren, wäre der Kontrast wohl zu groß?
Nein, das wäre nicht zu schaffen, auch weil das Lesen ehrlich gesagt ähnlich kraftraubend ist wie die Musik. Grundsätzlich versuche ich, das schon eher ruhig zu machen, aber manchmal geht es auch da mit mir durch. So einen Text wie „Manchmal gehe ich unter Leute“, den habe ich jetzt Wien und Hamburg gelesen und musste beide Male weinen. Das ist okay, das ist dann eben so. Gemerkt hat das wohl keiner, aber mir war sofort klar – ups, da ist er, der Schmerz. Und genauso schreibe ich auch, kucke, wo sich etwas bewegt bei mir und notiere das dann sofort. Wenn sich nichts bewegt, ist’s Scheiße.
Das merkt man auch sehr beim Lesen. Ich denke da nur an die Geschichte „Wir waren Könige“, die mich zum einen etwas an Clemens Meyers „Als wir träumten“ erinnert hat und auch an eine ähnliche Begebenheit, wie ich sie selbst in Berlin zu dieser Zeit erlebt habe …
Ja, das ist ein bisschen so wie eine untold story. Jeder hat ja ein Bild von der Zeit und dem Osten Berlins, von der wilden Clubszene und so – aber eigentlich war das ja ganz anders, eher trist und fast postapokalyptisch. Und das wird irgendwie nie erzählt. Man wusste ja auch nicht, was da los war, niemand im Westen wusste das – und da konnte man sich dem entweder ergeben und sagen: ‚Das ist nichts für mich‘, aber für mich war das was, ich wollte und mochte das.
Auch der Text zu „Deutsch“ vor dem Bundeskanzleramt ist mir sehr im Gedächtnis geblieben …
Entscheidend ist hier natürlich, dass ich mich da selber so reinwerfe. Denn wenn man mal genau draufschaut, ist man halt, wie so oft, selbst der Schlimmste von allen. Es ist ja immer leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wir machen das ja alle immer gern. Aber wenn ich auf mich selbst schaue, da sehe ich eben auch so unglaublich viel Enge.
Du hast die Zuhörer*innen/Zuschauer*innen bei der Aufnahme der Kurzfilme an den unterschiedlichsten Orten bewusst die Imperfektion, vielleicht auch manchmal dein Unwohlsein, deine Nervosität spüren lassen, war das Absicht?
Das war wirklich ganz bewusst. Es sollte überhaupt nicht glatt wirken. Es ist ja so, dass man sich bei allem, was man macht – bei mir also die Musik, die Texte, jetzt auch noch das Buch – immer die Frage stellt, warum man das alles macht. Aber diese ganze Aktion, die wir für diese Onlinelesungen da zusammen gemacht haben, an drei Tagen zehn Locations mit diesem total jungen Team, das war superanstrengend, aber eben auch wirklich wunderschön. Und dafür macht man das! Egal, ob das jetzt jemanden interessiert, ob sich das jemand anschaut – diese Momente, die wir da miteinander hatten, sind unbezahlbar.
Die Lust am Ausprobieren war tatsächlich immer spürbar…
Man darf ja auch nicht vergessen, dass es dieses Format sonst nicht gibt, dass man also versucht, die Texte, die man liest, auch noch in die Bilder der Umgebung zu übersetzen. Sonst sieht man ja eher Ohrensessel und Vorleser – aber wir haben uns echt stundenlang Gedanken gemacht, wie man das jetzt in Szene setzen kann. Und dann versuch mal, an einem Samstagabend eine Running-Sushi-Bar zu finden, die erlaubt, dass ich mich mit meinem Anzug da ans Band setze und und laut lese!
Zur Platte selbst: Zählt „Paradies“ denn überhaupt für Euch noch als Debütalbum? Nach so vielen Singles über all die Jahre – hat das dann noch diesen Stellenwert, ist das dann noch so etwas Besonderes?
Das ist unser Debüt, das eigentlich ein Best-Of ist, aber ja, das fühlt sich für uns alle immer noch so an. Und wir sind wahnsinnig aufgeregt, weil wir nicht wissen, ob das jemand mag …
Aber das kann doch jetzt nur Koketterie sein …
… Nein! Wirklich nicht, Null Komma Null! Wir selbst wissen natürlich schon, dass es total großartig ist, selbst die Stücke, bei denen wir uns am Anfang eher unsicher waren. Wir haben ja ganz bewusst in ganz kurzer Zeit die Lieder geschrieben und dann gleich komplett live im Studio eingespielt. So also, dass es auch für uns aufregend ist und nicht alles so klingt wie bei anderen Bands, die lange hinarbeiten und proben. Wir wollten es wie in den Siebzigern mit allem Drumherum, auch dem Gesang, an einem Stück aufnehmen und sind im Nachhinein total glücklich, weil genau diese Energie auch herauszuhören ist.
Du schreibst ja in den Notizen zur Veröffentlichung davon, die Platte sei wie das Schiff, das Kinski in „Fitzcarraldo“ durch den Urwald ziehen lässt – wahnwitzig, überfordernd, zügellos. Meint das diese Aufnahme für Dich?
Ja, genau das war die Idee dabei. Dass man sich selber angreifbar macht und nicht einfach nur Dinge im Studio abarbeitet.
Ich lese da auch eine gewisse Sehnsucht nach Planlosigkeit und Kontrollverlust heraus?
Ja, das fehlt mir heute total, das ist für mich eines der wichtigsten Elemente des Lebens. Inzwischen können Menschen nicht einmal mehr miteinander telefonieren, ohne sich vorher dreimal zu überlegen, was denn wohl herauskommt bei dem Gespräch, vom Treffen ganz zu schweigen. Neulich hat ein Freund einfach bei mir daheim an der Wohnungstür geklingelt – und ich war schockiert! Kann man sich kaum vorstellen …
Und da hat die Pandemie sicher noch ein Übriges zu getan ...
Ja natürlich, noch mehr wollen wir vorher wissen, was passiert, was kommt dabei raus, im besten Fall – was kommt dabei für mich selbst raus.
Du hast, das kann man wohl sagen, keine besonders hohe Meinung von der Spezies Mensch und Du nimmst Dich selbst da auch nicht aus?
Es gibt da schon beide Seiten, ich bin in der Hinsicht eher zwiegespalten. Ich liebe den Menschen, und ich versuche ihn auch so zu sehen, dass ich immer wieder naiv und unvoreingenommen auf ihn zugehe. Aber ich werde genauso oft und immer wieder von ihm enttäuscht. Deshalb dann ein Text wie „Stumpfer werden“.
Aber gibt es dennoch Momente, wo Du positiv überrascht, ja vielleicht überwältigt wirst?
Ja schon, beispielsweise beim kreativen Arbeiten, wie vorhin beschrieben, da passieren solche Dinge. Oder die Tage in Wien, wo wir tagelang aufgenommen, viel geredet, viele Menschen getroffen haben. Andere würden sagen, dass das vor allem harte Arbeit ist, aber wir haben das schon auch als Geschenk empfunden, eine sehr intensive Zeit. Das gibt es immer wieder, der Funken glimmt also noch. Wenn man keine Erwartungen hat, geht es einem natürlich besser. Aber man hat sie halt trotzdem …
Und die Enttäuschung gehört dann mit dazu, genauso wie die Freude?
Ja. Ich denke mir, wenn man etwas will vom Leben, muss man halt auch bereit sein, sich reinzuschmeissen, der Typ bin ich eben. Ich habe so was Christoph-Schlingensief-haftes, den Willen, erst mal alle Energie reinzugeben. Und wenn dann nichts zurückkommt, dann ist das so. Und dann tut das weh, aber dann schaust du, was der Schmerz mit dir macht – und schon ist da der nächste Punkt, der interessant ist. Die Alternative dazu ist: Du liegst nur im Bett und kuckst Netflix. Da bist du auf der sicheren Seite, das kannst du ewig machen, kannst dich immer weiter runtergraden und dich dann irgendwann über Squid Games freuen.
Du scheinst mir ein sehr rigoroser Mensch zu sein, sehr klar in seinen Entscheidungen. Gibt es für Dich Sachen, die unverhandelbar sind – nicht nur musikalisch, sondern generell?
Also eines, das ich aus meinen tausend Jahren Leben gelernt habe: Ich möchte nichts mehr mit Idioten zu tun haben. In dem Moment, wenn sich jemand als solcher offenbart – und das geht in der Regel recht schnell – dann bin ich da einfach raus, egal ob er mir etwas bringt oder nicht. Weil ich weiß, dass mich das unglücklich macht. Was die Musik und die Texte angeht, da möchte ich zu keiner Sekunde beliebig sein. Entweder es macht mich glücklich oder verschafft mir eine Gänsehaut, bewegt etwas – oder ich lass es einfach bleiben.
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Ja, unbedingt. Das ist überhaupt kein Problem. Und das ist dann natürlich auch eine gewisse Arroganz, die man mir gern vorhalten kann. Aber wir schulden als Band überhaupt niemandem irgendwas, nur wir müssen selber glücklich sein.
Deshalb vielleicht auch die Singles als Ausdrucksform?
Möglich. Am Anfang hat uns natürlich jeder gefragt: Warum macht ihr das denn so, seid ihr verrückt? Wenn ihr kein Album habt, dann könnt ihr doch nicht touren. Und wir: Ja, dann touren wir halt nicht. Und am Ende waren wir jedes Jahr weit mehr unterwegs als andere. Und jetzt fragen uns die gleichen Leute: Warum macht ihr denn ein Album, das ist doch gar nicht mehr zeitgemäß? Aber diese Frage interessiert uns gar nicht! Wenn es nach der zehnten Single nicht mehr spannend ist, machen wir halt etwas anderes. Es sind also keine strategischen Überlegungen, die uns zu den Entscheidungen bringen, sondern eher die Überlegung: Was bewegt uns?
Da hilft es natürlich auch, independent, also unabhängig zu sein?
Absolut. Es gibt da keinerlei Masterplan, wir haben uns nichts Spezielles vorgenommen. Das Einzige, was wir als Band versuchen wollen, ist, eine gute, eine außergewöhnliche Zeit zu haben. Weil unser aller Leben in der Regel total langweilig ist – das ist okay, aber die Musik gibt uns die Möglichkeit, daraus für eine Zeit lang auszubrechen. Gerade planen wir beispielsweise eine Tour durch Osteuropa, wir werden also zum Beispiel in Bukarest spielen! Da war ich noch nie. Das ist vielleicht ein bisschen so wie Berlin in den Neunzigern und ich bin mir ganz sicher, dass dort etwas passieren wird.
Ja, das fing ja schon mit der Produktion an: Dass sich einer der Top-Leute wie Alexander Almgren aus New York meldet und fragt, ob er was mit uns machen kann, ist ja eh schon unglaublich. Ich habe ihm dann, noch etwas skeptisch, einen Song geschickt und ein paar Stunden später schon kam etwas zurück – und das war richtig gut gemischt. Almgren sagte, er sei mit siebzehn in Berlin gewesen, habe dort ganz viel Beton und eben auch Aphex Twin gesehen und genau daran habe ihn unser Sound erinnert. Und so habe er die Aufnahmen dann klingen lassen. Und ich spür das! Und auch das Cover …
Genau, eine organische Figur, die total seelenvoll wirkt, die man aber nicht versteht. Für mich ist das ein Sinnbild für uns alle, so sind wir Menschen, wir raffen gar nichts. Wenn man das Cover dann auseinanderklappt, sieht das so ein wenig wie Hieronymus Bosch aus. Ich meine, Cameron Michel, von dem das Bild stammt, verkauft sonst Bilder und Collagen für richtig viel Geld und dann gibt er uns das einfach, weil ihm gefällt, was wir machen! Da sind wir dann wieder bei dem besagten Funken, bei den positiven Überraschungen. Die neuen Songs scheinen noch härter, noch kantiger, klarer zu sein – mehr Industrial, mehr Elektronik, wie würdest Du ihren Charakter definieren? Das ist total lustig, weil wir das als absolute Popmusik empfinden, ganz hart am Schlager.
Ähh – okay!?
Nee, jetzt mal ernsthaft: Entscheidend ist für mich das Gefühl, dass vor uns sowas noch niemand gemacht hat. Ich denke manchmal wirklich, dass wir diese Musik erfunden hätten! Klar, die dockt schon irgendwo an, in den 80ern, irgendwo bei PIL vielleicht, aber die Art, wie wir damit umgehen, wie wir Musik und Texte zusammensetzen, das ist für mich tatsächlich neu. Wenn ich zum Beispiel Jasmin [Rilke] bei „Manchmal gehe ich unter Menschen“ höre, wie sie singt: “Wir sind mechanisch, wir sind zerbrechlich!“, das hat für mich so viel Stärke …
… da muss ich Dir gestehen, dass ich beim ersten Mal, wo ich das Lied noch ohne Textvorlage gehört habe, immer statt „mechanisch“ komischerweise „McDonalds“ verstanden und es überhaupt nicht kapiert habe!
Haha, da bist du tatsächlich schon der Zweite! Same, same, but different … Aber es ist ja nicht so, dass wir vorher keine Zweifel gehabt hätten. Als wir beispielsweise den Kinderchor für „Stumpfer werden“ eingespielt haben, war uns nicht ganz klar, ob das so funktioniert. Aber wir wollten es dann alle drei eben so haben und jetzt haben wir es live gespielt und die Leute sind einfach durchgedreht.
Ihr seid ja vor allem eine Live-Band. Was muss dort sein, was ist auf der Bühne – mal abgesehen von Deinem Anzug – wirklich unabdingbar?
Also wichtig ist zunächst, dass es kontrastreich ist, schwarz-weiß fast – sehr hell, sehr dunkel. Es muss laut sein und, ganz entscheidend, man muss die Texte verstehen können. Bei vielen Bands ist die Lautstärke der einzige Faktor, aber für uns muss es eben auch verständlich sein, sonst ist es leer und Quatsch. Und tanzen muss man können! So gesehen sind die Anforderungen an ein Gewalt-Konzert schon ziemlich hoch: Man soll es sehen, fühlen, verstehen können, es soll körperlich sein – und eben tanzbar. Viele Künstler picken sich daraus meist eine einzelne Komponente heraus – wir wollen das alles auf einmal haben! In den besten Momenten auf einem Konzert machen die Leute dann die unterschiedlichsten Dinge – schreien, weinen, springen und zwar gleichzeitig, in einem einzigen Augenblick. Und das ist wundervoll!