Isolation Berlin
„Geheimnis“
(Staatsakt)
Nun, das könnte jetzt doch schwierig werden. Lockdown kein Thema gerade, neue Platte endlich draußen, Tourtermine gefixt. Und dann das: „Ich zieh' mich zurück, Stück für Stück, in mein Schneckenhaus. Noch ein letzter Blick, ich schaue mit Schrecken raus … Ich komme hier nie wieder raus, lass' die Rollos runter und stelle mich tot“, so singt nun also Tobias Bamborschke. Jetzt, wo vieles wieder zu gehen scheint, wo die Clubs geflutet und die Konzerthallen vorsichtig gefüllt werden, bläst der Kopf der Berliner Band zum Rückzug, machen Isolation Berlin mit ihrem neuen, dritten Album eine regelrechte Fluchtplatte. Aber keine über die Flucht nach vorn eben – sondern eher nach drinnen: „Ich zieh' mich zurück, schließe mich ein, schließ' euch aus“. Bamborschke wird, so hoffen wir, den Widerspruch aushalten, er ist schließlich Künstler genug und braucht nicht nur die Studiowände, sondern auch die Bühnenbretter, braucht die Bestätigung, die Rückkopplung aus dem Publikum. Und doch.
Fällt auf, dass er vor drei Jahren noch so gierig nach dem nächsten Kick verlangte – heute dagegen zieht es ihn weg, macht er zu, schottet sich besser ab. „Ich hab private Probleme, für die ich mich schäme, doch ich will nicht darüber reden“, so singt er an anderer Stelle und das klingt nicht so, als wolle er sich auf die öffentliche Couch legen oder als suche er ein klärendes Zwiegespräch, einen Austausch. Was jetzt, die Vermutung liegt nahe, auch damit zu tun haben könnte, dass heutzutage jede und jeder ihren/seinen intimsten Kummer in die sozialen Netzwerke hineinjammert, als sei gerade dort nicht nur Häme, sondern Hilfe zu erwarten. Flucht also: In geträumte Identitäten, zum Beispiel die von Nina Hagen. Der Elterliche Plattenschrank hat ihm vor Zeiten die Begegnung der dritten Art verschafft, seitdem verehrt er die Frau, die oft als Spinnerin und Ufotante verschrien und belacht worden ist.
Flucht vor – wir ahnen es nur, deuten hinein – Erinnerungen, unschönen Erlebnissen aus Kindheit und Jugend, wo Träume und Wünsche nicht zum vorherrschenden Männlichkeitsideal passen wollten (schön überzeichnet vom Lippenstift auf den Pressebildern) und in wüste Gedanken mündeten: „Ich wünschte alle wären tot oder wenigstens ein bisschen netter“ („Ich hasse Fußballspielen“). Fluchtgedanken auch in Stellvertretung – die „Klage einer Sünderin“ führt sie mit Blut an den Händen direkt in die erlösenden Fluten der See, die kruden Fantasien treiben den Wutbürger mit Faust in der Tasche in die Verzweiflung (ganz toll: „Stimme Kopf“), der Verlassene, Vereinsamte zeichnet die Dämonen der Nacht auf‘s Papier in der Hoffnung auf Linderung oder Erlösung. Alles passiert hier im Kopf, scheint eingeschlossen, gnadenlos präsent. Bamborschke entwirft das Bild eines gepeinigten Sonderlings, der, auf sich selbst zurückgeworfen, die Ruhe herbeisehnt und zugleich hasst wie nichts sonst.
Das „Geheimnis“ bleibt er schuldig, wir wissen nur, dass es dunkel und tief verborgen in seinem Hirn tobt. Positives, Erfreuliches dagegen hören wir nur selten auf diesem Album. Ganz zu Beginn vielleicht, da scheint sie kurz auf, die große Liebe, die über allem ist, die als einziges zählt. Und trotzdem steht er am Ende mit hängenden Schultern im leeren Saal, „Enfant Perdu“, da ist schon alles vorbei, die Show, der Erfolg, das Leben sogar. Das alles ist nicht angenehm zu hören, großartige Songs sind es dennoch geworden. Auch weil er sie zu präsentieren versteht, emotional, mal schreiend, mal wispernd, mal trotzig, mal matt. Mit einer Band, die das wunderbar zu illustrieren weiß, die die wenigen Höhen und vielen Tiefen mit ihm spielerisch auslotet. Und wer weiß, vielleicht wird ja doch noch etwas gut – wenn man ihn einfach lässt: „Ich will nicht wissen, was ich besser machen kann“, heißt es in „Enfant Terrible“, aber dann auch: „Ich werd mich ändern, wenn ich kann, ich werd mich ändern, irgendwann.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen